Handelsblatt - 14.10.2019

(Michael S) #1

ihre Produktpalette umstellen müssen,


schrumpft normalerweise der Umsatz“, sagte der


Analyst Holger Müller von Constellation Research


dem Handelsblatt. „Dass es bei SAP anders war,


ist ein maßgeblicher Beitrag von McDermott.“ Die


Aktionäre und Analysten belohnten das: Der Kurs


stieg schnell – und die damals durchaus reale Ge-


fahr, Ziel einer Übernahme zu werden, sank.


Die guten Geschäftszahlen gingen nach Ein-


schätzung von Analyst Müller jedoch auf Kosten


der Produkte: SAP habe zu wenig in die Entwick-


lung investiert und für die Integration der ver-


schiedenen Produkte getan. „An die schweren


Aufgaben hat man sich nicht oder nicht schnell


genug herangemacht“, bilanziert der Deutsch-


Amerikaner, der Kunden in Sachen Unterneh-


menssoftware berät.


Diese Versäumnisse rächen sich: Mehrere Stu-


dien dokumentieren, dass viele Kunden mit SAP


nicht zufrieden sind. So liegt die Weiterempfeh-


lungsbereitschaft im negativen Bereich. Eine Um-


frage der Kundenorganisation DSAG offenbart,


dass nur 24 Prozent der Mitglieder der Produkt-


strategie des Konzerns vertrauen, 45 Prozent im-


merhin teilweise. Zudem zögern viele Unterneh-


men bei der Einführung von S/4 Hana, dem wohl


wichtigsten Produkt des Konzerns. Es ist also ei-


niges zu tun, damit das Geschäft langfristig wei-


terläuft.


„Zeit, etwas Neues auszuprobieren“


McDermott übergibt nun die Arbeit. Er habe mit


Plattner besprochen, dass er seinen Vertrag nicht


verlängern wolle, erklärte der 58-Jährige in einer


E-Mail an die Mitarbeiter. „Nach 17 Jahren im Un-


ternehmen und vielen Jahren in großen, globalen


Konzernen sagte ich ihm, dass es wahrscheinlich


an der Zeit wäre, dass ich etwas Neues ausprobie-


re.“ Nun sei ein guter Zeitpunkt, um das Unter-


nehmen aus „einer Position der Stärke“ heraus


an die nächste Generation zu übergeben.


Der Abgang kam für viele im Unternehmen aller-


dings abrupt. Daher hinterfragen Insider die offi-


zielle Lesart, dass einfach der ohnehin geplante


Führungswechsel vorgezogen wurde. Ob die Unzu-


friedenheit der Kunden eine Rolle gespielt hat?


Der Einstieg des Hedgefonds Elliott, der eine


deutliche Steigerung des Börsenkurses fordert?


Konnte sich McDermott in Vorgesprächen über


einen neuen Vertrag mit Plattner nicht auf die


Rahmenbedingungen wie die Vergütung einigen?


Diese Fragen stellen sich viele, beantworten


könnten sie aber wohl nur der scheidende Chef


und der Aufsichtsratsvorsitzende.


Die nächste Generation will zunächst dort wei-


termachen, wo die alte aufhört. „Jennifer und ich


haben viele Ideen, wie wir die Firma auf die


nächste Stufe bringen können“, sagte Klein dem


Handelsblatt – aber auch: „Was die Firma


braucht, ist Kontinuität.“ Die Strategie funktio-


niert schließlich, wie die Zahlen fürs dritte Quar-


tal zeigen: Der Umsatz von SAP stieg um 13 Pro-


zent auf 6,79 Milliarden Euro, das Cloud-Geschäft


sogar um 37 Prozent auf 1,79 Milliarden Euro.


Gleichzeitig greift das kürzlich angekündigte Effi-
zienzprogramm: Das Betriebsergebnis wuchs um
36 Prozent auf 1,68 Milliarden Euro. Die operative
Marge stieg um 4,2 Prozentpunkte.

Fokus auf Kundenzufriedenheit


Klein und Morgan müssen nun gewährleisten,
dass das Geschäft weiter rundläuft, und gleichzei-
tig die bekannten Probleme lösen. An der Strate-
gie ändert sich grundsätzlich nichts, aber an der
Ausführung. In der Welt des Cloud-Computings
habe der Begriff Kundenzufriedenheit eine ganz
neue Bedeutung, sagte Morgan – es sei viel leich-
ter als früher, den Anbieter zu wechseln. „Zufrie-
dene Kunden wollen mehr mit uns machen.“
SAP muss dafür, erstens, die Vision für das neue
Programmpaket S/4 Hana besser erklären. Viele
Unternehmen sehen die Einführung als ein Infra-
strukturprojekt, nicht als Teil der Digitalisierung –
und investieren daher in andere Projekte. Der Kon-
zern muss, zweitens, Geschäftsprozesse über meh-
rere Programme hinweg vollständig integrieren
und einen Datenaustausch erleichtern. Es gilt, drit-
tens, genauer darzulegen, wann welche Funktio-
nen eingeführt werden – Roadmaps nennen ITler
diese Pläne. Viertens gilt es zu erklären, welche
Rolle Qualtrics spielen soll, jener Marktforschungs-
spezialist, dessen Kauf McDermott so forciert hat.
All das wirft, fünftens, die Frage auf, ob nicht
mehr Geld für Forschung und Entwicklung benö-
tigt wird. Das allerdings könnte im Gegensatz zum
Effizienzprogramm stehen, das als Reaktion auf
den aktivistischen Investor Elliott Management be-
schlossen wurde. Der dürfte sehr daran interessiert
sein, die beiden neuen Chefs bald zu treffen.
Bei SAP trauen viele Klein und Morgan zu, die
Probleme zu lösen. Der Deutsche ist bereits für die
Kernprodukte und die Integration verantwortlich,
er kann sich nun mit noch mehr Nachdruck darum
kümmern. Er beherrsche das Handwerk, das dafür
nötig sei, und habe den Respekt der gesamten Or-
ganisation, sagt einer, der ihn kennt. Die Amerika-
nerin wiederum hat in der Vergangenheit das wich-
tige US-Geschäft erfolgreich geführt. Gleichzeitig
beherrscht sie den öffentlichen Auftritt wie ihr
Landsmann McDermott – in der amerikanisch ge-
prägten Softwareindustrie ein wichtiger Faktor.
Die neue Konstellation an der Spitze könnte es
zudem erleichtern, das Organigramm neu zu zeich-
nen. So haben Tochterfirmen wie Concur, Ariba
und Fieldglass nach wie vor viel Eigenständigkeit.
Die beiden Chefs, so hofft ein Insider, haben ge-
meinsam den nötigen Einfluss, diese enger an den
Konzern zu binden und beispielsweise die Technik
und die Entwicklungsplattform zu vereinheitlichen


  • so würden Doppelstrukturen überflüssig.
    Große Veränderungen stehen aber vermutlich
    erst später an: Das Geschäft am Jahresende ist für
    den Verkauf von Softwarelizenzen, mit dem SAP
    immer noch üppig verdient, traditionell sehr
    wichtig. „Eines ist auf jeden Fall klar: Wir müssen
    2019 erfolgreich beenden“, schreiben die beiden
    neuen Chefs an ihre Mitarbeiter. Immerhin: So-
    lange unterstützt ihr alter Chef sie.


Wir haben


in der


Vergan genheit


extrem gut


zusammen -


gearbeitet.


Christian Klein
Co-Chef von SAP, über
seine Kollegin Jennifer
Morgan

SAP in Zahlen


HANDELSBLATT


Kennzahlen jeweils im 3. Quartal


Umsatz
in Mrd. Euro

+13 % +36 %


6,


6, 79 1,


1,


Betriebsergebnis
in Mrd. Euro

2018 2019 2018 2019


Quellen: Unternehmen, Bloomberg

Aktienkurs in Euro


115,68 €


1.1.2019 11. 10.


130

120

110

100

90



Das neue Führungsduo


Gegensätze


ziehen sich an


D


ie Doppelspitze hat bei SAP Tradition.
Mitgründer Hasso Plattner führte das Un-
ternehmen einige Jahre gemeinsam mit
Henning Kagermann. Auch Bill McDermott hatte
zunächst mit Jim Hagemann Snabe einen Co-Chef
an der Seite, bevor er allein übernahm. Nun gibt
es beim Softwarehersteller erneut zwei CEOs :
Christian Klein, 39, und Jennifer Morgan, 48.
Es sind die Gegensätze, die sich hier anziehen.
In den Lebensläufen des Deutschen und der
Amerikanerin gibt es wenig Parallelen, sieht man
davon ab, dass beide rasch Karriere gemacht ha-
ben. Die beiden hätten gezeigt, dass sie sich per-
fekt ergänzen, erklärte Aufsichtsratschef Plattner
seine Entscheidung. Nebenbei tariert die Ernen-
nung das Machtverhältnis zwischen Deutschland
und den USA, zwischen der Zentrale und dem
wichtigsten Markt wieder neu. Auch wenn der
Aufsichtsrat in der Vergangenheit wenig auf sol-
che lokalen Befindlichkeiten geachtet hat.
Die Unterschiede sind augenscheinlich. Er ist
Deutscher und hat in der Zentrale in Walldorf
Karriere gemacht. Sie ist Amerikanerin und hat
sich in der Niederlassung in Newton Square,
Pennsylvania, bewährt. Er beschäftigt sich inten-
siv mit operativen Prozessen und beherrscht
auch Controlling, sie hat dem Konzern in den
USA eine Zertifizierung für Gleichstellung ver-
schafft und gilt als talentierte Verkäuferin. Beide
Profile kann SAP gut gebrauchen in der jetzigen
Situation, in der viele Kunden murren – aber
auch generell als internationaler Konzern.
Morgan steht für die amerikanische Seite. Sie
leitete das Geschäft in den USA und Kanada er-
folgreich und baute als Verantwortliche für Be-
hörden die Kontakte in die Politik auf. Das Wirt-
schaftsmagazin „Fortune“ führte sie schon auf
der Liste der „mächtigsten Frauen“, bevor sie bei
SAP an die Spitze aufstieg.
Im Vorstand des Softwareherstellers leitete
Morgan zunächst ab 2017 gemeinsam mit Adaire
Fox-Martin den globalen Vertrieb. Im April über-
nahm sie die „Cloud Business Group“, in der SAP
die großen Zukäufe der vergangenen Jahre bün-
delt. Einerseits hat sie sich also als Verkäuferin ei-
nen Namen gemacht, andererseits hat sie auch
einen zentralen Bereich gesteuert. Zudem be-
herrscht sie den lockeren Auftritt, der in den USA
und in der Softwarebranche geschätzt wird.
Ähnlich wie Bill McDermott ist ihr die deutsche
Seite von SAP aber relativ fremd. Nach eigenem
Bekunden ist sie einmal im Monat in der Zentra-
le. Die Rolle des deutschen Statthalters wird des-
wegen Christian Klein einnehmen. Der 39-Jährige
hat sein gesamtes Berufsleben bei SAP verbracht:
Er fing 1999 im Zuge eines dualen Studiums dort
an und stieg dann zügig auf.
Nach einigen Stationen – unter anderem im
Controlling – wurde er 2011 Finanzchef beim Per-
sonalsoftwareanbieter Success Factors, den der
Konzern gerade übernommen hatte. Dort lernte
er das Cloud-Geschäft von Grund auf kennen.
Später übernahm er die Aufgabe, die verschiede-
nen Produkte zu integrieren, die Technik wie die
Prozesse. Ab 2018 tat er das auch im Konzernvor-
stand. Damit steht er für das SAP-Versprechen,
Produkte aus einer Hand zu liefern.
Damit die Doppelspitze funktioniert, ist das
persönliche Verständnis wichtig. „Wir haben in
der Vergangenheit extrem gut zusammengearbei-
tet“, betonte Klein im Gespräch mit dem Han-
delsblatt. Sie stimmte zu: „Ich glaube sehr stark
daran, dass man dann, wenn zwei Menschen zu-
sammenkommen, wirklich viel erreichen kann.“
Diese Aussagen sind nach Einschätzung aus in-
formierten Kreisen keine Lippenbekenntnisse.
Insider trauen den beiden Chefs zu, dass sie zu
einem guten Team werden können. Das Konflikt-
potenzial sei deutlich geringer als bei anderen
Kombinationen. Christof Kerkmann

Unternehmen & Märkte


MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197


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