Handelsblatt - 14.10.2019

(Michael S) #1
Johannes Arlt für Handelsblatt

Wir machen


richtige


Kärrner -


arbeit, bei der


man die Ärmel


hochkrempeln


muss.


A


lexander Birkens frisch
renoviertes Büro in
Hamburg könnte bald
mehr Nutzer bekom-
men. Der Chef der Otto-
Gruppe sinniert darüber, es immer
dann als Konferenzraum freizuge-
ben, wenn er unterwegs ist. Eine Mit-
arbeiterin hat ihn darauf gebracht –
auch das ein Zeichen des Kulturwan-
dels im Unternehmen.

Herr Birken, vor drei Wochen ha-
ben viele Manager mit ihren Mit-
arbeitern auf der Straße fürs Kli-
ma demonstriert. Wo waren Sie?
Ich war im Urlaub. Aber wir haben
intern tatsächlich die Diskussion ge-
führt: Sind wir als ein Teil der Verur-
sacher von CO 2 -Emissionen eigentlich
diejenigen, die auf die Straße gehen
sollten oder sind wir nicht vielmehr
diejenigen, die Hausaufgaben ma-
chen müssen? Deshalb waren wir als
Unternehmen nicht auf der Straße,
allerdings viele Kolleginnen und Kol-
legen.

Viele Unternehmen haben den
Tag ja für eine Selbstverpflich-
tung genutzt.
Wir haben seit 1986 Umweltschutz
als Unternehmensziel verankert und
uns schon 2006 Ziele gesetzt, wie wir
unseren CO 2 -Fußabdruck bis 20 20
um 50 Prozent reduzieren. Und hal-
ten Wort. Wir müssen niemandem
beweisen, dass uns das Thema wich-
tig ist.

Kann Onlinehandel überhaupt
klimafreundlich sein?
Es kommt auf die Alternative an: Na-
türlich belastet auch eine Fahrt zum
Einkaufen die Umwelt. Studien zei-
gen, dass der Versandhandel oft öko-
logisch überlegen ist.

Der Begriff Nachhaltigkeit bein-
haltet ja auch wirtschaftliche Sta-
bilität ...
Das ist eine elegante Überleitung ...

Sie haben im abgelaufenen Ge-
schäftsjahr nur in der Finanzspar-
te um EOS richtig Geld verdient.
Der operative Gewinn im Einzel-
handel war winzig, mit dem Lo-
gistiker Hermes haben Sie sogar
Geld verloren.
Das ist nicht vergleichbar, unsere Fi-
nanzsparte hat immer gutes Geld ver-
dient und ist als einzige nicht mitten
in einer grundlegenden Transforma-
tion. Die Logistiksparte hingegen ist
durch die Vorgehensweise eines ehe-
maligen Marktmonopolisten ...

... Deutsche Post/DHL ...
... in einer Wettbewerbssituation, in
der alle Konkurrenten in hohen Wel-
lengang kommen. Im laufenden Ge-
schäftsjahr wird Hermes aber wieder
Geld verdienen. Beim Einzelhandel
sieht das Bild gemischt aus: Einige
Gesellschaften wie Bonprix, Crate &
Barrel und Witt verdienen richtig gu-
tes Geld, andere wie Otto.de inves-
tieren viel. Die Kunst ist, das so aus-
zubalancieren, dass wir die Bilanz
im nächsten Schritt in die richtige
Richtung entwickeln und zugleich
wachsen. Früher wurde uns vorge-
worfen, dass wir anders als Amazon
nicht richtig viel investieren, jetzt
höre ich heraus, dass wir nicht ge-
nug verdienen.

Sind Sie vielleicht einfach zu
klein, um mit Amazon mithalten
zu können?
Die Größenfrage ist relevant. Ob-
wohl wir mit acht Milliarden Euro
Onlineumsatz durchaus ein großer
Player sind, ist es ein Spiel David ge-

gen Goliath. Deswegen suchen wir
Allianzen – etwa indem wir Otto.de
zu einem sehr fairen Marktplatz um-
gestalten, der für Dritte offen ist.
Beim Thema Künstlicher Intelligenz
können wir uns mit europäischen
Allianzen gegen die USA und China
behaupten. Deshalb öffnen wir uns
auch im Technologie-Bereich für
Partner.

Dennoch wachsen Sie beispiels-
weise im E-Commerce nicht so
stark wie der Markt.
Wir haben den klaren Plan, bis 2022
mit der gesamten Otto Group auf ver-
gleichbar 17 Milliarden Euro Gesamt-
umsatz zu wachsen. Dazu brauchen
wir eine jährliche Wachstumsrate
von vier bis fünf Prozent über alle
Gesellschaften hinweg. Im ersten

Halbjahr des laufenden Geschäftsjah-
res liegen wir mit einem vergleichba-
ren Wachstum von 4,7 Prozent exakt
in diesem Bereich – und sogar noch
einen Tick über dem Ziel für das Ge-
samtjahr, in dem wir gut 3,5 Prozent
anstreben.

Wie ist es bei den einzelnen Un-
ternehmen gelaufen?
Wir haben eine klare Strategie und
konzentrieren uns auf einige Fokus-
Gesellschaften. Bei denen gelingt
uns genau das, was wir uns vorge-
nommen haben. Im ersten Halbjahr
wächst Otto mit über sechs Prozent,
Crate & Barrel mit über acht Pro-
zent. About You, das nicht mehr im
Konsolidierungskreis ist, wächst mit
73 Prozent. Der Finanzdienstleister
EOS wächst ebenso wie der Logisti-

ker Hermes zweistellig. Aber wir ha-
ben auch noch kleinere Händler im
Konzern, bei denen unsere Wachs-
tumserwartungen deutlich niedri-
ger sind.

Was ist mit den Gesellschaften,
die nicht im Fokus stehen?
Bei den Fokus-Gesellschaften sind
wir bereit, überproportional stark zu
investieren – etwa in Otto, Bonprix,
Witt, Crate & Barrel, About You, Her-
mes und EOS. Im Umkehrschluss
heißt das, dass die anderen Firmen
mit einem normalen Investitionsvolu-
men zurechtkommen müssen.

Sind das Verkaufskandidaten?
Nicht zwingend. Denken Sie an Mar-
kenperlen wie Manufactum. Aber wir
sind bereit, bei allen diesen Gesell-
schaften sehr grundsätzlich zu über-
legen, wie die Zukunft aussieht. Das
kann auch eine Partnersuche oder
ein Verkauf sein. Um die nächste Fra-
ge vorwegzunehmen: Marktgerüchte
werde ich nicht kommentieren.

Das heißt, Sie wollen nicht sagen,
ob sich der Karstadt-Eigentümer
Signa wirklich für Sport-Scheck
interessiert?
Wir lesen ja auch in Zeitungen, dass
sich Zalando für About You interes-
siert – und vermutlich interessieren
sich andere Gesellschaften ebenfalls
für Sport-Scheck. Wir sondieren defi-
nitiv den Markt an solchen Stellen,
aber wir kommentieren das nicht.

Sie sondieren also ...
Sport-Scheck schreibt bekanntlich
seit Jahren rote Zahlen und ist in ei-
ner schwierigen Marktsituation. Wir
haben eine ganze Reihe von Projek-
ten gestartet. Dazu gehört auch, alle
Möglichkeiten zu prüfen und auch
mit Marktpartnern zu sprechen. Das
ist einfach notwendig.

Wie ist es bei About You?
Wir haben bei About You mit dem
Einstieg der Holding der Bestseller-
Group vor zwei Jahren bereits einen
starken Partner für die Weiterent-
wicklung geholt. Zu den Gerüchten,
Zalando wolle sich an About You be-
teiligen: Ich finde es prima, wenn
Konkurrenten Interesse zeigen, denn
das belegt, wie gut die Kollegen bei
About You ihren Job machen.

Sie wollen also dauerhaft bei
About You an Bord bleiben?
Wir haben aktuell keine Absichten,
weitere Anteile an About You zu ver-
kaufen. Die Zielrichtung ist perspekti-
visch die Börse. Im Moment planen
wir keinen M&A-Deal mit einem an-
deren Strategen oder Mitbewerber.

Und Hermes? Da haben Sie eine
Partnersuche bereits angekün-
digt, zuletzt wurde über Alibaba
spekuliert ...
Ich habe bei meinem Antritt als CEO
vor drei Jahren angekündigt, dass wir
die Otto-Gruppe wesentlich stärker
als bisher für Partner öffnen. Wir ha-
ben aber nirgends bestätigt, mit Her-
mes eine konkrete Partnerschaft an-
zustreben.

Sie haben es intern kommuni-
ziert. Wir wissen ja, dass es so ist,
können also auch darüber reden.
Ich werde sicherlich nicht über all
das öffentlich sprechen, was Sie zu
wissen glauben.

Geld könnten Sie aber gut gebrau-
chen. Sie haben in diesem und im
letzten Jahr insgesamt 550 Millio-
nen Euro über hochverzinste An-
leihen aufgenommen. Die Ver-

Alexander Birken


„Ganz ehrlich:


Ich bin unruhig“


Der Otto-Chef will die Entschuldung der Gruppe


angehen. Weitere Verkäufe sind möglich – und der


Kulturwandel braucht eine Beschleunigung.


Unternehmen & Märkte


MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197


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