schuldung ist um mehr als neun
Prozent auf 2,7 Milliarden im letz-
ten Geschäftsjahr angestiegen. Ab
wann müssen sich die Anleihe-
gläubiger, darunter Kleinanleger,
Sorgen machen?
Die Anleger müssen sich überhaupt
keine Sorgen machen. Wir genießen
hohes Vertrauen und investieren ent-
lang unserer angekündigten fokus-
sierten Wachstumsstrategie. Wir ha-
ben etwa 300 Millionen Euro in un-
sere Hermes-Standorte investiert, in
das neue Logistikzentrum Ansbach
90 Millionen Euro. Otto wird vom
Onlinehändler zur echten Plattform.
Das kostet alles Geld.
Sparen ist da kein Thema?
Wir arbeiten selbstverständlich am
Cash-Management, an Working-Capi-
tal-Projekten und an Portfoliomaß-
nahmen. Sie können davon ausge-
hen, dass uns in den nächsten Jahren
einige große Schritte bei der Ent-
schuldung gelingen werden.
Inwieweit zieht da die Inhaberfa-
milie mit? 2018/19 wurden über
212 Millionen Euro an die Gesell-
schafter ausgeschüttet, davon 90
Millionen an die Familie und ihre
Stiftungen. Ein Gutteil des Geldes,
das durch Anleihen reinkommt,
fließt gleich in die Stiftung.
Nein, wir haben eine Shareholder-Fa-
milie, die mit ihren Dividendenwün-
schen immer sehr zurückhaltend ist
und die sehr wohl weiß, dass wir im
Augenblick in einer Investitionsphase
sind. Zugleich muss man wissen, dass
es durch Teilverkäufe in Frankreich
Teilhaber in Gemeinschaftsunterneh-
men gibt, die ebenfalls Ansprüche
auf Dividenden haben.
Sind 90 Millionen Euro wirklich
zurückhaltend? Benjamin Otto
hat Pläne für einen stiftungsfinan-
zierten Bildungscampus vorge-
stellt, Michael Otto hat eine neue
Stiftung gegründet. Das erinnert
an die unseligen Zeiten, als sich
die Krupp-Stiftung mehr für ihre
Klavierkonzerte im Ruhrgebiet als
für die Zukunft von Thyssen-
Krupp interessierte ...
Sie wollen die Villa Hügel mit hansea-
tischen Kaufmannstugenden verglei-
chen? Richtig ist, dass die Stiftung
mittlerweile unser Hauptgesellschaf-
ter ist. Ganz ehrlich: Ich empfinde
die Ausschüttungen als weder über-
zogen noch belastend.
Wann beginnt der Schuldenab-
bau?
Wir sind im Moment mitten in den
Planungsgesprächen für den finan-
ziellen Planungshorizont der nächs-
ten Jahre. Das kann ich also heute
noch nicht seriös beantworten.
Sind neue Anleihen geplant?
Es gibt da derzeit keine Planungen,
aber ich möchte es auch nicht aus-
schließen. Wir beschäftigen uns mit
richtiger Kärrnerarbeit, bei der man
die Ärmel hochkrempeln muss und
Schweiß vergießt. Wir müssen opera-
tiv viel für die Entschuldung des Kon-
zerns tun. Ein Vorbild kann die Inte-
gration des Versandhändlers Heine in
die Witt-Gruppe sein, die uns jedes
Jahr zweistellige Millionenbeträge
einspart, die nun nicht zuletzt für die
Entschuldung bereitstehen.
Wäre es nicht konsequent zu sa-
gen, wir bereinigen das Portfolio
um die klassischen Händler?
Pardon, aber viele der Händler, die
Sie „klassisch“ nennen, sind wach-
send und sehr profitabel. Und so ein-
fach ist das nicht. Mit einer Trennung
von Geschäftsbereichen sind immer
Kosten und auch Abschreibungen
verbunden.
Das heißt, es sind auch Gesell-
schaften unverkäuflich oder wür-
den keinen Erlös bringen?
Das hängt bekanntlich immer davon
ab, mit welchem Wert die Unterneh-
men in den Büchern stehen. Das ist
sehr komplex. Wir werden nicht mit
jeder Firma fünf bis zehn Prozent
Wachstum schaffen, diese Firmen
können aber im Portfolio bleiben.
Wachstum erwarten Sie durch
den Umbau von Otto.de zur Platt-
form. Ende des Jahres soll die
Software so weit sein, dass es im
großen Stil losgehen kann. Wie
groß wird der Push für Otto.de?
Gewaltig, aber wir müssen schauen,
wie schnell wir durchstarten. Fest
steht: Sehr viele Händler und Marken
warten auf uns, weil es in vielen Be-
reichen in Deutschland nur eine ein-
zige Plattform-Alternative gibt, mit
der viele Händler nicht unbedingt
glücklich sind.
Sie spielen da auf Amazon an.
Aber tatsächlich gibt es doch in-
zwischen mehr Plattformen, als
man aufzählen kann ...
Plattform ist tatsächlich ein Buzz-
Word, viele Firmen sagen, sie seien
eine Plattform – das hat aber oft
nichts damit zu tun. Eine Plattform
entsteht dort, wo ich eine echte Kon-
kurrenz für ein und denselben Arti-
kel bringen kann. Also bildlich ge-
sprochen: Wo jeder Marktstand das
gesamte Gemüsesortiment anbieten
darf. Wenn ein Bauer einfach sein ei-
genes Sortiment um eine beim Nach-
barn gekaufte Zucchini ergänzt,
macht ihn das zwar dann zum Markt-
platz, aber nicht zur Plattform. Alle
sprechen jetzt über Plattform, alle
sprechen über Künstliche Intelligenz,
die aber oft weder künstlich noch in-
telligent ist. Gleiches gilt für Plattfor-
men.
Aber sind Sie nicht trotzdem mit
Ihrer Plattform spät dran?
Ich verstehe, dass Sie fragen, ob wir
schnell genug sind. Ganz ehrlich: Ich
bin unruhig. Aber ein System mit sie-
ben Millionen aktiven Kunden kann
ich nicht einfach so umstellen. Die
Transformation vom Katalog- zum
Onlinehändler hat 20 Jahre gedauert.
Die Transformation zur Plattform ist
weit größer. Ich muss zudem die
Händlermentalität kulturell überwin-
den. Ich muss einem Einkäufer sa-
gen: Das, was du einkaufst, lassen wir
auch Dritte auf unserer Plattform ver-
kaufen. Das ist für die Leute schwer
verdaulich.
Dazu passt, dass Benjamin Otto
im „Manager Magazin“ angekün-
digt hat, ab der zweiten Jahres-
hälfte „Karrieremuster zu über-
denken, Mitarbeiter zu versetzen
und sich von Menschen zu tren-
nen, die andere anschreien“.
Übernimmt der Sohn von Michael
Otto eine stärkere Rolle? Und hat
er schon Leute rausgeschmissen?
Da mischen Sie jetzt fröhlich State-
ments von Benjamin mit Spekulatio-
nen. Wir sind seit über drei Jahren
in einem umfassenden Kulturwan-
del unterwegs. Da ist uns viel gelun-
gen. Sind wir damit durch? Nein.
Gibt es Inseln in der großen Otto-
Gruppe, die das noch nicht erreicht
hat – auch im Führungsverhalten?
Ja, die gibt es. Gehen wir da mit der
Brechstange rein? Nein. Werden wir
immer konsequenter im Umgang
damit? Ja, wir trennen uns auch von
Leuten. Benjamin Otto hat sich be-
stimmte Schwerpunkte gesetzt, die
ihm aus dem Aufsichtsrat heraus
wichtig sind.
Was sind das für Schwerpunkte?
Vor allem Digitalisierung, Marken
und Kulturwandel. Da sind wir in ei-
nem intensiven Dialog mit ihm.
Ist Ihr Einzelhandels-Vorstand,
der frühere Lidl-Chef Sven Seidel,
schon das erste Opfer des neuen
Kurses? Er hat seinen Abschied
angekündigt.
Unsinn. Ich bedaure seinen Abschied
sehr. Ausschlaggebend war für ihn
seine familiäre Situation. Und er be-
kommt mit dem Vorstandsvorsitz
beim Pharmahändler Phoenix wirk-
lich eine tolle neue Herausforderung.
Nehmen Sie noch Bewerbungen
für seine Nachfolge an?
Ja, aber Sie kommen da weniger in-
frage. Michael Otto, Benjamin Otto
und ich würden es nämlich sehr be-
grüßen, wenn wir eine Vorständin
finden würden.
Herr Birken, vielen Dank für das
Interview.
Die Fragen stellten Florian Kolf
und Christoph Kapalschinski.
Die größten
Online-Händler
nach Umsatz
in Deutschland
Amazon.de
Otto.de
Zalando
9,3 Mrd. €
3,2 Mrd. €
1,4 Mrd. €
Otto-Group
Kennzahlen
Umsatz in Mrd. Euro
Operativer Gewinn (Ebit)
Nettogewinn
Gewinn*
Nettofinanzverschuldung
Ausschüttung an Gesellschafter
12,1
79,1
-196,0
-197,2
2 169
196,7
2014/’15
12,1
258,6
-189,6
-259,6
1 948
40,4
’15/’16
12,5
65,0
41,0
61,0
2
00
65,6
’16/’17
1
,7
8,0
516,0
60,8
2 509
20
,5
’17/’18
13,4
222,0
177,0
14,0
2 739
212,
’18/’19
HANDELSBLATT *Ohne Sondereffekte aus Verkäufen/Entkonsolidierung • Quelle: Unternehmen
Geschäftsjahr jeweils bis Ende Februar
in Mio.
Euro
Der Manager Alexander
Birken arbeitet sei fast
30 Jahren für die Otto
Group. Der 55-jährige
Betriebswirt startete
im Controlling, leitete
verschiedene Gesell-
schaften im Konzern
und wurde 2017 Vor-
standsvorsitzender.
Der Hamburger ist ver-
heiratet und hat vier
Kinder.
Das Unternehmen Die
1949 gegründete Otto
Group betreibt über
100 Onlineshops, Ket-
ten wie Sport-Scheck,
den Logistiker Hermes
und den Inkassodienst
EOS. Die Gruppe
beschäftigt mehr als
52 000 Menschen.
Vita
Alexander Birken
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MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197
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