Handelsblatt - 14.10.2019

(Michael S) #1

Kraftfahrt-Bundesamt


Daimler muss


Sprinter zurückrufen


Die Behörden ordnen einen


Rückruf bei Daimler an. Es


geht um Hunderttausende


Sprinter mit verdächtiger


Abgastechnik.


Kevin Knitterscheidt Düsseldorf


E


s ist die dritte Rückrufaktion
innerhalb kurzer Zeit: Nach
Ansicht der Behörden hat Au-

tobauer Daimler in Hunderttausen-


den weiteren Dieselfahrzeugen eine


unzulässige Abgastechnik verwendet.


Am Freitagabend teilte der Autobau-


er mit, dass das Kraftfahrt-Bundes-


amt (KBA) einen Rückrufbescheid er-


lassen hat. Betroffen ist demnach ei-


ne sechsstellige Zahl an Mercedes-


Benz-Fahrzeugen in Europa, die mit


einem Euro-5-Dieselmotor der Be-


zeichnung OM651 ausgestattet sind.


Erst am Wochenende zuvor war


bekannt geworden, dass das KBA


rund 260 000 Transporter des Mo-


dells Sprinter im Verdacht hat, mit ei-


ner unzulässigen Abgaseinrichtung


unterwegs zu sein. Aus der Sicht von


Daimler handele es sich allerdings


nicht um einen neuen Fund.


So hatte das Stuttgarter Unterneh-


men bereits im Juni 60 000 Gelände-


wagen vom Typ Mercedes-Benz GLK


auf Anordnung des KBA zurückrufen


müssen und dabei erklärt, „dass die


beanstandete Funktionalität in ver-
schiedenen Baureihen enthalten ist“,
so ein Sprecher. Der Konzern sieht
sich zu Unrecht beschuldigt und hat
Widerspruch gegen den Behörden-
entscheid eingelegt, muss seine Kun-
den aber dennoch informieren und
den Rückruf durchführen.
Man kooperiere mit den Behör-
den, hieß es am Freitag. „Der Klä-
rungsprozess mit dem KBA im Hin-
blick auf Funktionalitäten der Motor-
steuerung bei Dieselfahrzeugen von
Mercedes-Benz ist aus Sicht des Un-
ternehmens weit fortgeschritten,
aber noch nicht abgeschlossen“, so
ein Sprecher. Es sei daher möglich,
dass das KBA in Zukunft weitere
Rückrufe anordnen werde.
Auf das Geschäftsergebnis soll sich
der neuerliche Rückruf aber nicht
auswirken. Bereits im zweiten Quar-
tal hatte Daimler wegen hoher Rück-
stellungen für die Dieselrückrufe ei-
nen Verlust von 1,2 Milliarden Euro
verbucht. Neben der Abgasproblema-
tik musste der Konzern auch Geld für
den Rückruf von Fahrzeugen mit feh-
lerhaften Takata-Airbags zurückle-
gen. Im September verhängte die
Staatsanwaltschaft zudem eine Buße
von 870 Millionen Euro gegen Daim-
ler. Grund dafür war eine fahrlässige
Verletzung der Aufsichtspflicht in ei-
ner Abteilung, die mit der Zertifizie-
rung von Fahrzeugen befasst war.

Nach Attentat in Halle


Spielebranche widerspricht Seehofer


Nach dem Attentat von Halle


wehrt sich die Videospiel -


branche gegen Vorurteile –


und gegen Vorwürfe von


Innenminister Horst Seehofer.


Larissa Holzki, Dietmar Neuerer


Düsseldorf, Berlin


N


ach dem Attentat auf eine Sy-
nagoge in Halle wehrt sich
die Videospielbranche gegen

ihrer Meinung nach ungerechtfertigte


Kritik. Auch wenn der rechtsextreme


Täter sich Begriffen aus der Games-


Welt bedient habe, seien Videospiele


nicht die Ursache für die Tat, sagte


Felix Falk, Geschäftsführer des Vi-


deospiel-Verbands Game, dem Han-


delsblatt.


Der Täter, der in der Saalestadt in


der vergangenen Woche eine Synago-


ge angegriffen und dabei zwei Men-


schen getötet hatte, hatte seine Tat


mit einer Helmkamera gefilmt und


auf einer bei Gamern beliebten Vi-


deoplattform live übertragen. Dabei


verhielt er sich wie in einem Video-


spiel. Innenminister Horst Seehofer


zog daher einen Zusammenhang zwi-


schen der Tat und der Videospielsze-


ne: „Viele von den Tätern oder den


potenziellen Tätern kommen aus der


Gamer-Szene“, sagte er der ARD.


„Und deshalb müssen wir die Gamer-


Szene stärker in den Blick nehmen.“


Diese Aussagen empören nun viele


Computerspieler und den Branchen-


verband Game. Er sieht die Branche


unzulässig unter Generalverdacht ge-
stellt. „Wenn sich der Täter Begriffen
aus der Games-Welt bedient, hat das
mit der heutigen Lebens- und Me-
dienrealität zu tun, aber es ist nicht
die Ursache für so eine Tat“, sagte
Game-Geschäftsführer Felix Falk
dem Handelsblatt.

Alte Vorurteile


Die Computerspielbranche sieht sich
immer wieder Vorwürfen ausgesetzt,
ihre Produkte würden Spieler radika-
lisieren. Darunter leidet nicht nur der
Ruf. Dass das Attentat in Halle nun
wieder in Verbindung mit Videospie-
len gebracht wird, könnte sich auch
wirtschaftlich auswirken: Im Novem-

ber muss das Parlament entscheiden,
ob die Branche auch 2020 wieder
aus Haushaltsmitteln gefördert wird.
Widerspruch erntete Seehofer
auch von Experten. „Es ist falsch, die
ganze Games-Community zu dämo-
nisieren“, sagt auch die Extremis-
musforscherin Julia Ebner von der
Londoner Denkfabrik Institute for
Strategic Dialogue. Ihr liegen sowohl
das „Manifest“ des Täters als auch
das Video seiner Helmkamera vor.
Auch auf ihren Erkenntnissen beru-
hen daher jetzt die Rückschlüsse von
der Tat auf die Branche. „Der Täter
von Halle nutzt eindeutig die Spra-
che, die in diesen Foren genutzt
wird, in denen sich Rechtsradikale

und Gamer treffen“, sagt sie. „Wir be-
obachten in den letzten Jahren eine
immer stärkere Überlappung bei
rechtsextremen und computerspiel-
bezogenen Netzkulturen.“
Für Felix Falk ist die Sache damit
klar: „Der Täter hat sich nicht in Ga-
mes radikalisiert, sondern in rechten
Online-Netzwerken“, sagt er. Julia Eb-
ner sieht aber auch die Betreiber von
Onlineforen in der Verantwortung:
„Die Propaganda und die Anwer-
bungsversuche rechtsradikaler Grup-
pen suchen sich ihren Weg auf die ei-
gentlich harmlosen Plattformen der
Gamingcommunity.“
Der digitalpolitische Sprecher der
SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zim-
mermann, regt deshalb eine Debatte
an, die beide Seiten beleuchtet. „Die
Anbieter von Plattformen, die das
Streamen von Livevideos, aber auch
die sonstige Verbreitung von Video-
material ermöglichen, haben eine be-
sondere Verantwortung“, sagte er
dem Handelsblatt. „Es ist jetzt genau-
er zu klären, wie schnell und effektiv
auf Twitch reagiert wurde.“ Zimmer-
mann sieht zudem die Sicherheitsbe-
hörden in der Pflicht, die Aufklärung
rechter Strukturen im Internet zu
verstärken.
Damit greift der SPD-Politiker auf,
was Ebner sich erhofft: „Die Politik
darf unter digitaler Kompetenz nicht
nur die Unterscheidung zwischen
echten und falschen Fakten verste-
hen. Wir müssen auch ein Bewusst-
sein für Netzkulturen und Gruppen-
dynamiken schaffen“, sagte die Ex-
tremismusforscherin.

Gamer-Szene: Immer
wieder geraten Vi-
deospiele nach
Amok läufen in die Kri-
tik. Zu Unrecht, kla-
gen Funktionäre von
Branchenverbänden.

imago images/ITAR-TASS

  



 

  





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MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197


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