Deutsche Bank
Kalkulierter
Konflikt
E
s gab Zeiten, da gehörte es
zum guten Ton, den (kredit-
gebenden) Banker im Auf-
sichtsrat zu platzieren, genauso wie
den (ratgebenden) Haussyndikus
oder den (vertraglich gebundenen)
Steuerberater. Damals waren Auf-
sichtsgremien von Aktiengesell-
schaften noch ein Treffpunkt eng
verbundener Geschäftspartner.
Man kannte sich, man schätzte sich.
Unternehmenskontrolle war eher
ein gesetzlich verordnetes Muss in
der alten Deutschland AG.
Heute sind Aufsichtsräte ein ganz
entscheidendes Gremium für die
Unternehmensführung. Kompetenz
ist gefragt in höchstem Maße. Die
globale Wirtschaftswelt ist komplex
geworden, die Auswirkungen der
Digitalisierung sind radikal. Die
Überwachung des Vorstands ist
kein Selbstläufer mehr.
Umso erstaunlicher ist es, dass
die Frage der Unabhängigkeit der
einzelnen Mitglieder dieses Gremi-
ums gerade Karriere macht. Dabei
hätte man erwarten können, dass
mit dem Untergang der Deutsch-
land AG sich auch das Thema Inte-
ressenkonflikte erledigt hat. Im Ge-
genteil. Die Europäische Union
drängte auf Neuregelung, die jüngs-
te Fassung des Corporate Gover-
nance Kodex widmet dem Thema
breiten Raum. Offensichtlich sehen
die Regulatoren dringenden Hand-
lungsbedarf.
Noch erstaunlicher ist es, dass
ausgerechnet Deutsche-Bank-Chef-
aufseher Paul Achleitner mit einer
Besetzungspersonalie an Interes-
senkonflikten scheitert. Jürg Zeltner
muss den Aufsichtsrat des Geldhau-
ses wieder verlassen. Er ist Manager
und Gesellschafter eines Konkur-
renten. Ein peinlicher Fauxpas.
Ein Fehler, der aber auch be-
weist, warum das Thema Unabhän-
gigkeit von Aufsichtsräten wichtiger
denn je ist. Es gibt inzwischen sehr
viele Konfliktlinien und Interessen-
kollisionen, die mit Family and
Friends nichts mehr zu tun haben,
die aber das Risiko bergen, die
Kompetenz des Aufsichtsrats zu be-
schädigen. Das gilt ganz besonders,
wenn Wettbewerber oder Investo-
ren Platz nehmen. Hier ist besonde-
re Vorsicht geboten.
Die Unabhängigkeit von
Aufsichtsräten wird immer
wichtiger, beobachtet Dieter
Fockenbrock.
„Der neue Daimler-Vorstandsvorsitzende
Ola Källenius hat mir vor Monaten
versichert, dass er bei unzulässigen
Abgastechniken reinen Tisch machen wird.
Leider ist das Gegenteil der Fall.“
Andreas Scheuer, Bundesverkehrsminister
Worte des Tages
Der Autor ist Chefkorrespondent
im Ressort Unternehmen &
Märkte. Sie erreichen ihn unter:
Z
wei wichtige Ereignisse markierten in der
vergangenen Woche eine Art Umbruch in
der deutschen Biotech-Landschaft. So
verbuchte ausgerechnet Branchenpionier
Qiagen einen herben Kurseinbruch,
nachdem er seine Umsatzprognosen verfehlt, seine
Ambitionen in der DNA-Sequenzierungs-Technologie
beerdigt und zugleich den Rücktritt des langjährigen
Chefs Peer Schatz verkündet hatte.
Nur zwei Tage später vollzog die aufstrebende
Mainzer Biontech SE ihren seit Längerem geplanten
Sprung auf den Kapitalmarkt. Anlegern, die sich in
der deutschen Biotechbranche engagieren wollen,
bietet sich seither die Option, in ein Unternehmen
zu investieren, das besonders intensiv auf dem viel-
versprechenden Feld der Krebsimmuntherapie
forscht und dort etliche neuartige sowie möglicher-
weise revolutionäre Therapiekonzepte vorantreibt.
Zwar gelang das Börsendebüt letztlich nur mit eini-
gen Zugeständnissen bei Emissionsvolumen und
Preis. Dennoch startet das Mainzer Unternehmen
seine Börsenkarriere mit einer – auch im internatio-
nalen Vergleich – stolzen Anfangsbewertung von
rund drei Milliarden Euro.
Während der auf Diagnostik und DNA-Analytik fo-
kussierte Branchenprimus Qiagen erheblich Federn
lassen musste, kann sich der Krebsforschungsspezia-
list Biontech damit auf Anhieb unter den Schwerge-
wichten der deutschen Biotech-Szene etablieren.
Das spricht dafür, dass sich auch in der deutschen
Biotechbranche die Gewichte stärker in Richtung
Medikamentenentwicklung verlagern. Zugleich be-
stätigt der Biontech-IPO aber auch die wachsende
Bedeutung und Sogwirkung des US-Kapitalmarkts.
Denn die Aktien des jungen Mainzer Unternehmens
wurden nicht etwa im benachbarten Frankfurt ange-
boten, sondern nur im fernen New York an der ame-
rikanischen Technologiebörse Nasdaq.
Die Mainzer sind mit dieser Strategie beileibe kein
Einzelfall: Was Neuemissionen aus dem Biotechsek-
tor angeht, gilt der deutsche Kapitalmarkt für die
heimischen Firmen schon seit Jahren als so gut wie
tot. Wer trotzdem an die Börse strebt, muss sich
Richtung Euronext oder Nasdaq bewegen, wie es in
den letzten Jahren bereits eine Reihe von Firmen
vorführte, darunter etwa die Jenaer Inflarx oder die
Heidelberger Affimed. Auch die Münchener Morpho-
sys, die schon seit mehr als zwei Jahrzehnten in
Frankfurt notiert ist, nutzte für ihre letzte große Ka-
pitalerhöhung bezeichnenderweise ein zusätzliches
Listing an der Nasdaq, und dies mit großem Erfolg.
Der Börsengang von Biontech bestätigt insofern
einmal mehr die zwiespältige Situation, in der sich
die deutsche Biotechbranche bewegt. Die Firmen
sind zwar durchaus in der Lage, amerikanische und
internationale Investoren von der Qualität ihrer For-
schung und dem Potenzial ihrer Produktentwicklung
zu überzeugen. Aber sie sind – mangels heimischer
Kapitalmarktbasis – auch immer dringender auf den
US-Kapitalmarkt angewiesen. Der Biontech-Börsen-
gang ist unter diesem Blickwinkel zugleich ein Hoff-
nungs- als auch ein Warnsignal.
Das hat einerseits mit der Risikoaversion deut-
scher Anleger zu tun, andererseits mit wachsenden
Anforderungen im Pharmageschäft. Die Wissen-
schaft bietet zwar zahlreiche neue Möglichkeiten.
Aber es ergibt immer weniger Sinn, solche Konzepte
auf kleiner Flamme voranzutreiben. Vielmehr gilt
auch in der Biotechnologie zusehends die Devise
„klotzen, nicht kleckern“. Sowohl der Konkurrenz-
druck als auch das Tempo in der Forschung nimmt
zu. Ähnlich wie im IT-Sektor zeichnet sich zudem ab,
dass schnelle und kapitalstarke Pioniere uneinholba-
re Führungspositionen aufbauen. Der Pharmariese
Roche und nun auch Qiagen mussten sich so im Be-
reich der DNA-Sequenziertechnik dem US-Marktfüh-
rer Illumina geschlagen geben. Biontech wiederum
steht im Wettbewerb mit Konkurrenten wie der ame-
rikanischen Firma Moderna, die ebenso wie die
Mainzer eine neue Klasse von Immuntherapien auf
Basis von RNA-Wirkstoffen etablieren will und dabei
über noch deutlich größere Finanzreserven verfügt.
Die aggressive Expansion des Mainzer Krebsfor-
schers ist insofern auch ein Wegweiser für etliche an-
dere deutsche Biotechs. Die Biontech-Mannschaft um
Firmengründer Ugur Sahin konzentrierte sich zu-
nächst zwar voll auf die Grundlagenforschung, brach-
te anschließend jedoch ihre Projekte auf breiter Front
in die klinischen Tests und begann zugleich mit dem
Aufbau eigener Produktionsstandorte. Die Anlaufver-
luste addieren sich inzwischen bereits auf mehr als
300 Millionen Euro und werden vermutlich die Milli-
ardengrenze übersteigen, bevor überhaupt klar ist,
ob und wie gut die Medikamente wirken und die The-
rapiekonzepte des Unternehmens funktionieren.
Selbst mit kapitalstarken Financiers wie den Phar-
maunternehmern Strüngmann im Rücken ist eine
solche Strategie allein kaum zu stemmen. Ohne ame-
rikanisches Risikokapital, so zeigt sich, besteht of-
fenbar gar keine Chance mehr, aus deutscher For-
schung heraus noch einmal ein neues Pharmaunter-
nehmen aufzubauen.
Leitartikel
Zeitenwende in der
Biotech-Welt
Der wachsende
Finanzbedarf
drängt die deutsche
Biotechbranche
immer stärker
in Richtung
US-Kapitalmarkt,
beobachtet
Siegfried Hofmann.
Ohne
US-Risikoka -
pital, besteht of-
fenbar keine
Chance mehr,
aus deutscher
Forschung he-
raus ein neues
Pharmaunter-
nehmen aufzu-
bauen.
Der Autor ist Korrespondent in Frankfurt.
Sie erreichen ihn unter:
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Meinung
& Analyse
MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197