Handelsblatt - 14.10.2019

(Michael S) #1

ciation hatten sie bislang lediglich eine Absichtser-


klärung unterschrieben und die Teilnahmegebühr


von zehn Millionen Dollar noch nicht überwiesen.


Kommende Woche wird Facebook-Chef Mark Zu-


ckerberg nun selbst vor dem Finanzausschuss des


demokratisch geführten Repräsentantenhauses


aussagen. Marcus hatte dort bereits im Juli Abge-


ordneten und Senatoren Rede und Antwort gestan-


den, viele Sorgen aber nicht ausräumen können.


Vier Varianten


Neue Nahrung dürfte die Libra-Skepsis in Deutsch-


land durch eine Studie der DZ Bank erhalten, die


dem Handelsblatt vorliegt. Sie untersucht die kon-


kreten Folgen einer Libra-Verbreitung, je nachdem,


als wie einflussreich sich das noch nicht


scharf umrissene Projekt erweist. Die


Ökonomen des genossenschaftli-


chen Spitzeninstituts haben in


vier Varianten identifiziert, wie


weit Libra in bestehende Fi-


nanzmarktstrukturen eingrei-


fen könnte, und die mögli-


chen Folgen untersucht.


Variante eins: In diesem


Fall entwickelt sich Libra zu


lediglich einem von verschie-


denen Transaktionsmedien. Die


DZ-Ökonomen setzen beim Libra-


Versprechen an, „die Welt ein Stück


besser zu machen“, wie das Konsorti-


um seine Pläne in bestem Silicon-Valley-


Sprech bemäntelt. 1,7 Milliarden Erwachsene seien


weltweit vom Finanzsystem ausgeschlossen – zwei


Drittel von ihnen verfügten aber über Smart -


phones. Klassische, teure Zahlungsdienstleister wie


Western Union und Transferwise könnte Libra auf-


mischen. Aber: „Damit wäre Libra zunächst einmal


‚nur‘ ein Zahlungsdienstleister auf Basis einer neu-


en Kryptowährung und würde vorrangig einen


neuen Konkurrenten in einem bestehenden Markt


darstellen“, heißt es in der Studie. Die Wechsel-


kursrisiken und die volkswirtschaftlichen Auswir-


kungen dürften vernachlässigbar ausfallen.


Variante zwei: Mächtiger wäre Libra, wenn es


nicht nur für kurzfristige Geldtransaktionen Ver-


wendung fände, sondern „als Instrument der Wert-


aufbewahrung gerade für Menschen, die sich mit


einer schwachen nationalen Währung konfrontiert


sehen“. Für Schwellenländer hätte das negative
Folgen: Bürger würden Löhne und Guthaben in Li-
bra tauschen, die heimischen Währungen würden
weiter geschwächt. Gewinner des Kapitalexports
wären Starkwährungsräume wie die USA oder die
EU, da die Nutzergelder dem Libra-Reservefonds
zufließen würden, der mit Staatsanleihen und den
Währungen US-Dollar, Euro, Yen, britischem Pfund
und Singapur-Dollar gefüllt werden soll.
Variante drei: Sollte Libra als alltägliches Zah-
lungsmittel eingesetzt werden, „also beim Bezah-
len des Einkaufs, der Taxifahrt oder des morgend-
lichen Kaffees beim Bäcker“, dann würde die Wäh-
rung in eine andere Dimension wachsen, sagt die
DZ Bank. Über die Zeit könnte „sogar die Lohn-
und Preissetzung auf Libra-Basis erfol-
gen“. Für die betroffenen Zentralban-
ken wäre das „ein erhebliches
Problem“. „Verliert das heimi-
sche Geld im Zahlungskreislauf
an Bedeutung, hat dies Aus-
wirkungen auf die Schlagkraft
der Geldpolitik“, so die
Warnung. Die Geldmen -
gensteuerung könnte nicht
mehr ausreichend funktio -
nieren, womit den Notenban-
ken die Möglichkeit geraubt wä-
re, die Wirtschaft in einer Rezessi-
on zu stützen. Im Fall einer
Vertrauenskrise, etwa bei einem Daten-
skandal, könnte das Libra-System zusam-
menbrechen.
Variante vier: „Beim Einsatz im täglichen Ge-
brauch muss für Libra keineswegs Schluss sein“,
schreiben die Analysten. „So ist grundsätzlich auch
ein eigener Wirtschaftskreislauf mit Kredit- und Ka-
pitalmarkt oder auch der Abschluss von Versiche-
rungsleistungen denkbar.“ Dieses Ziel sei kein Hirn-
gespinst: Das Libra-Weißbuch gebe es explizit her,
indem es hohe Gebühren für Kredite kritisiere und
ein „neues Ökosystem“ im Finanzbereich fordere.
Sollte sich Letzteres durchsetzen, dürften die Kon-
sequenzen laut Studie gravierend ausfallen. „Im
Extremfall würden Zentralbanken irrelevant, und
die eigene Landeswährung würde gänzlich über-
flüssig. In einer Finanzkrise stünde dann kein (hei-
mischer) ‚Lender of Last Resort’ mehr zur Verfü-
gung“, der die Banken stützen könnte.

Interessanterweise schlussfolgern die Ökonomen
der DZ Bank nicht, dass Libra pauschal verboten
gehört. „Libra ist ein Ausdruck von Innovationen
im Finanzsektor“, so das Fazit. Notwendig seien
folglich „eine angemessene Regulierung“ und
„staatliche Konkurrenz“ – ein Thema, das inzwi-
schen auch die Notenbanker umtreibt.

Vom E-Euro zur Weltwährung?
Während Politiker Facebooks Pläne kritisch disku-
tieren, sind manche Notenbanker rund um den
Globus schon weiter – und formulieren eigene Ant-
worten auf Libra. Facebooks Vorpreschen hat sie
aufgeschreckt. Diskutiert wird nun über das Verbie-
ten, Regulieren, Einhegen – aber auch über eine ei-
gene Kryptowährung. Statt das Feld privaten Fir-
men wie Facebook zu überlassen, plädieren man-
che Notenbanker für staatliche Digitalwährungen,
um die öffentliche Kontrolle über den Geldkreis-
lauf sicherzustellen. Derlei Ansätze für digitales
Zentralbankgeld existieren schon länger, zunächst
als rein akademische Ideen technischer Research-
Papiere. Nun nimmt die Debatte indes an Fahrt
auf: So arbeitet laut einer Studie der Bank für Inter-
nationalen Zahlungsausgleich (BIZ) die Mehrheit
der Notenbanken an entsprechenden Projekten.
Die schwedische Notenbank forscht seit dem
Frühjahr 2017 an einer digitalen „E-Krona“, mit der
eines Tages auch Privatleute bezahlen könnten.
Bargeld verliert in Schweden seit Jahren an Bedeu-
tung, die Umstellung auf eine digitale Krone wäre
naheliegend. Doch bislang handelt es sich nur um
eine Trockenübung: Ob die elektronischen Kronen
tatsächlich eingeführt werden, steht nicht fest. Wei-
ter sind die Pläne in China gediehen. Die Volksre-
publik will unbedingt vermeiden, dass eine US-
Kryptowährung die staatliche Gestaltungsmacht
unterläuft – und könnte schon bald mit einem groß
angelegten Pilotversuch starten.
„Es könnte sein, dass es früher, als wir denken,
einen Markt gibt und wir in der Lage sein müssen,
digitale Zentralbankwährungen anzubieten“,
mahnte zuletzt auch Agustin Carstens, Präsident
der BIZ. Die „Notenbank der Notenbanken“ in Ba-
sel dient den Zentralbankern als Koordinationsgre-
mium. Und der Bedarf für Koordination ist enorm:
Kaum ein Notenbanker betritt dieser Tage das Po-
dium, ohne nach seiner Meinung zu Libra gefragt
zu werden. Das Thema kommt bei Vorträgen so si-
cher wie die Häppchen danach.
Die Schweiz, in der auch Facebooks Kryptochef
Marcus aufgewachsen ist, entwickelt sich dabei zu-
nehmend zum Ideen-Hotspot. So hat die BIZ vergan-
gene Woche in Zürich ein Innovationszentrum eröff-
net, in dem auch mit digitalem Zentralbankgeld ex-
perimentiert wird. Die Schweizer Nationalbank
(SNB) will in einem gemeinsamen Projekt mit der
Schweizer Börse Six herausfinden, wie eine digitale
Zentralbankwährung in das bestehende Abwick-
lungssystem der Notenbank eingebunden werden
könnte. Die Erkenntnisse wollen die Schweizer mit
anderen Notenbanken teilen, erklärte SNB-Präsident
Thomas Jordan. Er unterstrich, dass es bei dem Pro-
jekt ausdrücklich nicht um einen „digitalen Fran-
ken“ für jedermann gehe. Ausgelotet werden solle
vielmehr, inwiefern das digitale Geld für Geschäfte
von Banken untereinander benutzt werden kann.
Während die Notenbanker über nationale digita-
le Währungen nachdenken, sind Forscher noch ein
Stück weiter. „Im Idealfall könnten sich die großen
Zentralbanken der Welt zusammenschließen, um
eine eigene Kryptowährung anzubieten, die nicht
auf den Interessen von profitorientierten Unter-
nehmen basiert“, schlug etwa Katharina Pistor, Ju-
raprofessorin an der New Yorker Columbia Univer-
sity bei einer Anhörung vor dem US-Kongress vor.
Eine digitale Weltwährung als Reaktion auf einen
Facebook-Coin? Noch vor einem Jahr hätte das nie-
mand für möglich gehalten. Und bisher sind das
theoretische Gedankenspiele. Aber vielleicht geht
Libra zwar nicht als erste erfolgreiche private Digi-
talwährung in die Geschichte ein – sondern als
Stein, der eine Lawine ins Rollen brachte.

Großer Einfluss
Verbindung von Führungsleuten der Gründungsmitglieder der Libra Association zu Facebook

HANDELSBLATT Quelle: Wired, eigene Darstellung


Gruppe 2
Indirekte
Verbindung

Chris Dixon


Ben Horowitz


Yuri Milner


Partner bei Facebook-Investor (a16z)


Partner bei Facebook-Investor (a16z)


Partner bei Facebook-Investor (DST)


Mark Zuckerberg


Matt Cohler


Sheryl Sandberg


John Muller


Peter Thiel


David Marcus


Marc Andreessen


Facebook-Vorstand


Facebook-Ex-Vorstand


Facebook-Vorstand


Facebook-Vorstand


Facebook-Investor


Facebook-Vorstand


Facebook-Aufsichtsrat


Gruppe 1
Direkte
Verbindung

Gruppe 3
Erweiterter
Kreis

Wences Casares


Meyer Malka


Fred Wilson


Vorstand von xapo


Partner von Ribbit Capital


Partner bei USV


Verbindung über
mehrere Unternehmen
oder Personen

das Engagement der


großen Player aus der


Bezahlindustrie.


Warnung des Research-Hauses
Moffet Nathanson

Blockchain ist eine
Datenbank-Technik,
die nicht von einem
Buchhalter, sondern
dezentral verwaltet
wird. Ihre erste
Anwendung war die
Kryptowährung Bit-
coin, auch Libra soll
auf einer modifizier-
ten Variante basieren.

Libra steht für eine
private Kryptowäh-
rung, die 2020 starten
könnte. Sie ist als
„Stable Coin“ konzi-
piert, soll also an eine
Währungsreserve
gebunden sein. Diese
soll aus kurzlaufenden
Staatsanleihen und
aus Devisen von fünf
„starken“ Währungen
bestehen.

Libra Association
heißt der Genfer Ver-
ein, der die Reserven
verwalten soll. Zu den
Mitgliedern zählen
Firmen wie Uber,
Vodafone oder Spo-
tify. Bis zum offiziellen
Start sollen es 100
werden. Sie zahlen
zehn Millionen Dollar
Eintrittsgebühr. Viele
Mitgliedsfirmen sind
über personelle Ver-
flechtungen mit Face-
book verbunden
(siehe Grafik).

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MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197


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