Handelsblatt - 14.10.2019

(Michael S) #1
Peter Köhler, Robert Landgraf
Frankfurt

A


sien ist ein schwieri-
ger Markt gewor-
den. Den Investoren
macht der Dauer-
streit zwischen den
USA und China im Handel zu
schaffen. Auch wenn es hier eine
Lösung geben sollte, ist den meis-
ten Insidern klar, dass neue Rei-
bereien programmiert sind, etwa
beim Ringen um die Vorherr-
schaft im pazifischen Raum.
Gleichzeitig leiden immer mehr
Firmen und Geldgeber unter den
seit Monaten andauernden Pro-
testen in Hongkong, die sich ge-
gen eine zu starke Einflussnahme
Chinas richten.
In diesem Spannungsfeld passen
die Profianleger ihre Strategien an.
„Ganz klar, die Unruhen in Hong-
kong werden wahrscheinlich lang-
fristige Auswirkungen auf den Fi-
nanzstandort und das Vertrauen
der Anleger haben“, betont Tan
Chong Lee, der Europachef des
Staatsfonds Temasek aus Singapur,
im Gespräch mit dem Handels-
blatt. Was der 57-Jährige sagt, hat
Gewicht. Als ehemaliger Topmana-
ger bei Banken wie Goldman Sachs
und BNP Paribas ist er ein Binde-
glied zwischen westlicher und asia-
tischer Welt. Derzeit gilt Hongkong
noch als wichtige Drehscheibe in
der asiatischen Finanzwelt.
Aber Singapur wird ganz ein-
deutig von den Problemen Hong-
kongs profitieren, schreibt der
„Economist“. Schon Ende 2018
sei hier mehr Geld verwaltet wor-
den als in der ehemaligen Kron-
kolonie – also Monate vor Beginn
der Proteste. Temasek dürfte aus
den jüngsten Entwicklungen sei-
nen Vorteil ziehen. Er zählt be-
reits jetzt zu den wichtigsten
Staatsfonds weltweit. Nach den
Berechnungen des Informations-
anbieters Pitch Book verwalten
die Manager in den Staatsfonds
weltweit über acht Billionen Dol-
lar. Der größte sogenannte Sover-
eign Wealth Fund (SWF) ist der
norwegische Staatsfonds Norges,
der über eine Billion Dollar ma-
nagt. Große Spieler sind auch
Abu Dhabi Investment Authority

(ADIA) und Kuwait Investment
Authority (KIA). Und Saudi Ara-
biens Public Investment Fonds
(PIF) will mit dem geplanten Bör-
sengang des profitabelsten Kon-
zerns der Welt, dem Ölförderer

Saudi Aramco, in eine neue
Dimension vorstoßen.
Nach der Analyse von Pitch
Book machen die beiden Staats-
fonds aus Singapur, der GIC Priva-
te Limited (GIC) und Temasek,
den besten Job beim Managen der
Gelder von zusammen rund 800
Milliarden Dollar. Temasek allein
verfügt über einen Portfoliowert
von 227 Milliarden Dollar. Bei dem
Fonds liegt die jährliche Gesamt-
rendite seit der Gründung vor 44
Jahren im Schnitt bei 15 Prozent.
Singapur versucht derzeit den ei-
genen Haushalt mit der Hälfte der
erwarteten Gewinne der beiden
Staatsfonds aufzupolstern.

Beteiligung in Hongkong


Doch das wird schwieriger ange-
sichts der Handelsstreitereien in
einer Welt, die sich ohnehin in ei-
nem späten Konjunkturzyklus be-
findet. „Wir denken, dass die
Spannungen zwischen Peking und
Washington wahrscheinlich noch
einige Zeit anhalten werden“, er-

wartet Tan. Obwohl für ihn das
schwierige Verhältnis im Handel
ein „klarer Spannungspunkt“ ist,
sieht Temasek auch andere Fakto-
ren, die zu den Dissonanzen zwi-
schen den USA und China führen.
Als Beispiel nennt er den Zugang
zu Technologien.
Trotz der vielen Probleme sieht
Temasek als größter ausländischer
Finanzinvestor in China weiterhin
Möglichkeiten, in Unternehmen
zu investieren, die künftig vom in-
ländischen Konsum und von tech-
nischen Innovationen profitieren.
Titel, die stark vom Export abhän-
gig sind, werden dagegen weniger
stark gewichtet. „Wir haben uns
auch intensiv mit Biotech und der
Gesundheitsbranche beschäftigt“,
ergänzt Tan. Dabei hilft die Erfah-
rung von über 20 Jahren Invest-
ments in China. Zu den großen
Engagements gehört etwa die A.S.
Watson Group aus Hongkong. Sie
ist der weltweit größte Einzelhan-
delskonzern für Gesundheits- und
Schönheitspflege mit über 14 100

Geschäften weltweit, die mehr als
28 Millionen Kunden pro Woche
bedienen. Temasek hält hier einen
Anteil von 25 Prozent. „Die am
Binnenmarkt orientierten Unter-
nehmen in China dürften mittel-
fristig deutlich profitieren. Sie zie-
hen auch Vorteile aus der Neuaus-
richtung der Lieferketten, weil
inländische Anbieter stärker be-
rücksichtigt werden“, sagt Bin Shi,
Leiter für China-Aktien bei der
Großbank UBS.

Bayer als Chance
In Deutschland ist Temasek im
Agrarchemiekonzern Bayer inves-
tiert. Zufrieden kann der Staats-
fonds mit seinem Investment von
drei Milliarden Euro für einen An-
teil von gut vier Prozent nicht sein.
Seit dem Einstieg ging es mit dem
Kurs bergab. Doch der Fonds will
an dem Dax-Wert festhalten. „Wir
glauben daran, dass unsere Invest-
mentthese für Bayer nach wie vor
gültig ist“, sagt Tan. Die Singapu-
rer hatten Bayer als Chance gese-
hen, nach der Übernahme des US-
Saatgutherstellers Monsanto in
den Weltmarktführer im Pflanzen-
schutzsektor zu investieren. Die
Überlegung: Die verfügbare Acker-
fläche weltweit wächst nicht. Des-
halb wird Nutzpflanzenanbau bei
steigenden Bevölkerungszahlen in
den kommenden Jahrzehnten im-
mer wichtiger. Temasek denkt in
Generationen.
Für den Staatsfonds ist die „zu-
grunde liegende Performance des
Unternehmens nach wie vor stark,
ungeachtet der laufenden Rechts-
streitigkeiten“. In den USA klagen
Tausende wegen des Pflanzen-
schutzmittels Glyphosat, das mög-
licherweise Krebs auslöst. Die Kos-
ten werden von Analysten auf bis
zu zehn Milliarden Dollar ge-
schätzt. Bislang haben sich die Kla-
gen stark auf den Aktienkurs aus-
gewirkt. Deswegen ist auch der Ak-
tivist Elliott eingestiegen und
drängt beim Leverkusener Kon-
zern auf einen Vergleich mit den
Klägern. Entscheidend für die Sin-
gapurer ist laut Vermögensmana-
ger Tan, dass „der Aufsichtsrat
und das Management sich ver-
pflichtet haben, die Probleme an-
zugehen, mit denen das Unterneh-
men konfrontiert ist.“
Für die kommenden Jahre stellt
sich Temasek auf einen weltweit
zunehmenden Wettbewerb um lu-
krative Investments ein. „Die
Staatsfonds sind nach wie vor ein-
flussreich, aber die Konkurrenz
nimmt zu, da große private Ver-
mögensverwalter und Private-
Equity-Fonds ebenfalls einen lang-
fristigen Ansatz verfolgen“, gibt
Tan zu bedenken. „Temasek ist
sich darüber bewusst, dass wir
uns in einer Welt mit wenig Inflati-
on, niedrigen Zinsen, niedrigem
Wirtschaftswachstum und niedri-
ger Rendite befinden. Deshalb ge-
winnen etwa Private-Equity-Invest-
ments an Bedeutung, wenngleich
bei diesen Unternehmensbeteili-
gungen die Gefahr einer kurzfristi-
gen Blasenbildung besteht.“

Temasek


Singapurs Staatsfonds


setzt auf China


Europachef Tan bevorzugt Konsumwerte und Technologie


aus dem Reich der Mitte. Trotz Kursverlusten bleibt die


Bayer-Aktie ein wichtiger Baustein im Portfolio.


Tan Chong Lee: Der Anlageprofi rechnet mit langfristigen Auswirkungen durch die Proteste in Hongkong.


Bernd Roselieb für Handelsblatt

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Finanzen & Börsen


MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197


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