Handelsblatt - 14.10.2019

(Michael S) #1
D. Neuerer, M. Koch, S. Scheuer
Berlin, Düsseldorf

S


elten hat die Formulierung einer Ver-
waltungsvorschrift eine so kontroverse
Debatte ausgelöst, national wie interna-
tional. Noch vor einem Jahr haben die
Regeln für das Mobilnetz nur Fachleute
interessiert. Nun sind sie ein Politikum und be-
schäftigen das halbe Bundeskabinett. Die USA
schalten sich ein, die EU ebenso. Und natürlich
die Chinesen, schließlich geht es in der Debatte
um Huawei. Die Führung in Peking betrachtet
den Technologiekonzern als industrielles Kronju-
wel. Im Westen argwöhnen viele, die Huawei-
Technik könnte zum Einfallstor für chinesische
Spionage werden.
Die USA drängen ihre Verbündeten, auf chine-
sische Netztechnik zu verzichten. Japan, Austra-
lien, Neuseeland und Taiwan haben Sperrklau-
seln eingeführt. Die Bundesregierung geht einen
anderen Weg. In den nächsten Tagen wird die
Bundesnetzagentur einen aktuellen Entwurf der
Sicherheitsbestimmungen für das 5G-Netz veröf-
fentlichen, um ihn mit Unternehmen und Verbän-
den zu beraten. Ende dieses oder Anfang nächs-
ten Jahres soll das Regelwerk in Kraft treten.
Nach Handelsblatt-Informationen sieht der Ent-
wurf vor, dass Netzbetreiber wie die Telekom und
Vodafone die kritischen Bereiche ihrer Netzarchi-
tektur selbst identifizieren. Nur für diese soll dann
ein erhöhtes Sicherheitsniveau gelten. Dieses Vor-
gehen soll sicherstellen, dass die Zahl der kriti-
schen Kernkomponenten überschaubar und die
Sicherheitsprüfung praktikabel bleibt. Die Sicher-
heitsprüfung selbst übernimmt das Bundesamt
für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI),
das die Produkte der Netzwerkausrüster zertifi-
ziert.

Abgeschwächte Formulierung


Als die Bundesregierung im Frühjahr die Eck-
punkte der Bestimmungen für das ultraschnelle
Mobilnetz veröffentlichte, versprach sie „höchste
Sicherheitsstandards“ und kündigte an: „Systeme
dürfen nur von vertrauenswürdigen Lieferanten
bezogen werden.“ Diese Klausel wurde nun auf
Drängen des Kanzleramts und des Wirtschaftsmi-
nisteriums entscheidend abgeschwächt. Die Bun-
desregierung hätte Unternehmen, die wie Huawei
aus Ländern stammen, in denen Sicherheitsorga-
ne über weitreichende Eingriffsbefugnisse verfü-
gen, per se als nicht vertrauenswürdig einstufen
können. Stattdessen will sie sich nun damit be-
gnügen, von den Herstellern eine Vertrauenswür-
digkeitserklärung zu verlangen. Diese wird Hua-
wei selbstverständlich unterschreiben. Die Frage
ist, was solche Erklärungen wert sind.
Der Bundesregierung geht es vor allem darum,
ein Rechtsmittel gegen Unternehmen wie Huawei
in der Hand zu haben, sollte sich eines Tages
nachweisen lassen, dass ihre Produkte für Spiona-
ge oder Sabotage eingesetzt wurden. In diesem
Fall würde die Bundesregierung die Provider ver-

pflichten, Huawei-Technologie aus den Netzen zu
entfernen. Die Provider wiederum könnten Ent-
schädigungsansprüche bei Huawei geltend ma-
chen.
Bis zuletzt hatten die Amerikaner versucht, die
Bundesregierung von einem Verbot zu überzeu-
gen. Ajit Pai, Chef der US-Telekommunikationsbe-
hörde FCC, war dafür im September eigens nach
Berlin gereist. Vergeblich. Auch die Warnungen
des Auswärtigen Amts und die Risikoanalysen des
Bundesnachrichtendiensts reichten nicht. Ein
wichtiger Grund dafür ist, dass das für Fragen der
öffentlichen Sicherheit zuständige Innenministeri-
um wie Wirtschaftsministerium und Kanzleramt
die technische Lösung präferierte, die nun ver-
kündet werden soll. Dabei gibt es erhebliche Zwei-
fel daran, dass sich die Risiken im 5G-Netz mit
technischen Mitteln beherrschen lassen. 5G ist
stark Software-getrieben. Pai hatte dem Handels-
blatt erst kürzlich gesagt: „Es fällt sehr schwer,
sich vorzustellen, dass eine Regierungsbehörde,
egal wo, in der Lage wäre, jedes einzelne Update
in Echtzeit zu überprüfen, um Sicherheitsrisiken
aufzuspüren.“
Die 5G-Debatte beschäftigt auch die EU. Vergan-
gene Woche mahnte der zuständige Kommissar
Julian King: 5G anzuschaffen „ist nicht, wie ein
Auto zu kaufen, sondern einem Klub beizutre-
ten“. Die Bedeutung der Technik für Sektoren wie
Energie, Transport oder Industrie mache den Auf-
bau der 5G-Netze „zu einer wichtigen Frage der
nationalen Sicherheit“. In einem Risikoreport
warnt Brüssel: „Feindliche Staaten könnten Druck
auf 5G-Anbieter ausüben, um Cyberangriffe zu er-
möglichen, die ihren nationalen Interessen die-
nen.“
Im Bundestag regt sich Widerstand gegen die
Regierungsentscheidung, auch innerhalb der Ko-
alition. Norbert Röttgen, Vorsitzender des Aus-
wärtigen Ausschusses des Bundestags, fordert ei-
ne „intensive parlamentarische Debatte“. Für den
CDU-Politiker steht fest: „Es gibt in dieser Frage
keine technische Sicherheit, damit ist das Vertrau-
en das entscheidende Kriterium.“ Huawei ist nach
Röttgens Auffassung „maßgeblich staatlich ge-
lenkt“ und damit nicht vertrauenswürdig. Auch
Datenschützer sind besorgt: „Die Abhängigkeit
von Unternehmen von anderen geopolitischen
Akteuren ist gerade im Bereich der Informations-
technologie, in der Missbrauch und Manipulation
nur schwer zu verhindern sind, überaus proble-
matisch“, sagte der Hamburger Datenschutzbe-
auftragte Johannes Caspar.
Neben der Befürchtung, dass Huawei als verlän-
gerter Arm des chinesischen Regimes agieren
könnte, führen Gegner des Unternehmens auch
industriepolitische Erwägungen an. „Es ist wich-
tig, dass Europa in einem strategisch so bedeutsa-
men Bereich eigene Kompetenzen und Industrien
fördert“, sagt Nils Schmid, außenpolitischer Spre-
cher der SPD-Fraktion. Dieses Argument findet
auch in der Wirtschaft Anklang. „Die aktuellen
Diskussionen zeigen, wie wichtig es ist, dass wir
auch in Europa schnell die notwendigen Kompe-

Frage des Vertrauens


Deutschland setzt auf technische Maßnahmen, um das Risiko von Spionage


und Sabotage im 5G-Netz zu begrenzen. Damit ignoriert die Bundesregierung


Warnungen der Amerikaner und des Auswärtigen Amts vor Huawei.


Verzögerungsfrei,
verlässlich und
kapazitätsstark??
Über den
5G-Netzwerkaus-
bau wird national
wie internationall
AFP [M] heftig debattiert.

Es fällt schwer,


sich vorzustellen, dass


eine Regierungsbehörde


jedes einzelne Update in


Echtzeit überprüft.


Ajit Pai
Chef der US-Telekommunikationsbehörde FCC

Titelthema


Streit um Huawei


MONTAG, 14. OKTOBER 2019, NR. 197


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