Die Welt Kompakt - 15.10.2019

(nextflipdebug5) #1
POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,15.OKTOBER2019 SEITE 4

Prozent der Deutschen spielen
regelmäßig Computerspiele. Ist
es dann verwunderlich, dass ein
Attentäter zufällig zu dieser
Gruppe gehört? Es ist sogar
eher wahrscheinlich.

Im Zusammenhang mit den
Schulmassakern wurde das
geforscht. Gibt es Belege, die
Zusammenhänge zwischen
Spielen und Taten herstellen?
Die gibt es nicht. Es gibt eher
Erkenntnisse, dass kein hinrei-
chender Zusammenhang nach-
weisbar ist. Die übergroße
Mehrheit der Spieler kann sehr
wohl zwischen Fiktion in den
Spielen und der Realität unter-
scheiden. Es ist wirklich wie bei
Filmen. Wer aus einem Ac-
tionfilm kommt, hat noch lange
keine größere Neigung, sich da-
nach eine Verfolgungsjagd mit
der Polizei zu liefern.

Urteilt die Offline-Welt über
die Online-Welt, weil sie sie
nicht versteht?
Ein Stück weit ist das wohl so.
Es ist menschlich, dass man
versucht, schnell Schuldige zu
finden. Wir müssen aber als Po-
litiker aufpassen, dass wir uns
durch solche einfachen Schuld-
zuweisungen nicht aus der Ver-
antwortung stehlen. Wir müs-
sen im Zusammenhang mit der
Radikalisierung von Rechtsex-
tremisten schon genauer hinse-
hen und akzeptieren, dass die
Antworten und Lösungen kom-
plexer sind.

Gleichwohl, wenn sich auf
solchen Plattformen auch
Rechtsradikale tummeln,
muss Politik nicht dafür sor-
gen, dass sie auffliegen, etwa
indem Nutzer sie melden
können?

Über diese Fragen diskutieren
wir sehr intensiv. Wenn wir et-
wa über Chats reden, so wäre
es denkbar, dass wir Meldebut-
tons vorschreiben, über die
problematische Inhalte schnell
an den Plattformbetreiber ge-
meldet werden können. Wir
müssen insgesamt die Betrei-
ber noch stärker in die Pflicht
nehmen. Da denke ich nicht
nur an den Rechtsradikalismus.
Der Anschlag von Halle hat
auch eine stark frauenfeindli-
che Komponente, der Täter
verachtet Frauen. Aus eigener
Erfahrung und aus Berichten
weiblicher Bundestagsabgeord-
neter kann ich bestätigen, dass
wir Frauen es zunehmend mit
krassen Dingen zu tun haben.
Die Spitze des Eisbergs sind so-
genannte deep fakes, das sind
komplexe Videomanipulatio-
nen – da befinden wir uns erst
am Anfang der Entwicklung –,
in die hinein die Köpfe von be-
kannten Frauen, oft Politike-
rinnen, montiert werden.

Was wollen Sie unternehmen?
Wir müssen die Beweispflicht
umkehren. Bisher müssen die
Opfer oft mühsam nachweisen,
dass ihre Persönlichkeitsrechte
verletzt werden, erst dann wird
etwas gelöscht. Wir müssen die
Plattformbetreiber verpflich-
ten, proaktiv dagegen vorzuge-
hen. Auch Gerichte müssen sich
darauf einstellen und sich wei-
terbilden.

Worauf spielen Sie an?
Ich bin immer noch fassungslos
über das Gerichtsurteil gegen
Renate Künast, die sich weiter-
hin schlimmste Beleidigungen
im Netz gefallen lassen muss.
Solche Urteile sind ein Beitrag
zur Verrohung der Sprache und
des Umgangs, sie sind ebenfalls
dazu angetan, Radikalisierung
zu verstärken. Die Partei mit
den meisten frauenfeindlichen
Äußerungen ist dabei die AfD.
Auch das gehört zur Wahrheit:
Diese Partei leistet eben nicht
nur rechtsradikalen und antise-
mitischen Tendenzen Vor-
schub, sondern auch frauen-
feindlichen. Auch hiergegen
müssen sich die Parteien des
demokratischen Spektrums
entschieden zur Wehr setzen.

Wir brauchen als direkte Re-
aktion auf Halle also keine
neuen Überwachungsinstru-
mente?
Ich glaube, wir haben ausrei-
chende Überwachungsinstru-
mente. Ich habe Verständnis,
dass die Sicherheitsbehörden
der gegenteiligen Auffassung
sind. Aber für mich ist es eine
rote Linie, darüber zu diskutie-
ren, Kommunikation ohne Ver-
dacht zu überwachen. Die Ab-
wägung zwischen Freiheit und
Sicherheit ist schwierig, aber
wir säen ein grundsätzliches
Misstrauen in den Staat, wenn
man anlasslos die Kommunika-
tion der Bürgerinnen und Bür-
ger überwachen würde.

geistig weiterentwickelt. Auf die
Idee würde im Hinblick auf Fil-
me heute keiner mehr kommen.
Dabei wird in Filmen nun auch
alles Denkbare an Brutalität ge-
zeigt. Aber bei Computerspie-
len wiederholt sich die Debatte
immer wieder, ob nach Amo-
kläufen an Schulen oder jetzt.
Rechtsextremismus muss Ein-
halt geboten werden. Aber wir
machen nach schlimmen Taten
immer wieder den gleichen Feh-
ler, indem wir einfache, teils ba-
nale Antworten für die Frage
nach der Ursache geben.

Ist es nicht auffallend, wie
viele Attentäter der vergange-
nen Monate, ob nun in Kana-
da oder Neuseeland, der Ga-
merszene angehörten?
Die Attentäter haben auch alle
einen Führerschein oder am
Vortag Brot gegessen. Über 50

D

orothee Bär hat sich
sehr über Innenmi-
nister Horst Seeho-
fer (beide CSU) ge-
ärgert. Der hatte nach dem An-
schlag von Halle angekündigt,
die Computerspielszene stär-
ker zu überwachen. Ein solcher
Satz, so Bär, würde zunichte-
machen, was sie und ihre Partei
über Jahre aufgebaut hätten.
Und am eigentlichen Problem
komplett vorbeigehen.

VON THOMAS VITZTHUM

WELT: Frau Bär, Innenminis-
ter Horst Seehofer ist der Auf-
fassung, die Gamerszene wer-
de von Rechtsextremen ge-
nutzt, um sich zu vernetzen.
Liegen Ihnen dazu Erkennt-
nisse vor?
DOROTHEE BÄR: Digitale Platt-
ffformen werden für die unter-ormen werden für die unter-
schiedlichsten Dinge genutzt,
die meisten sind im Sinne des
Gesetzgebers, manche nicht.
Die Betreiber der Plattform sind
zurzeit lediglich verantwortlich,
diese Inhalte so schnell wie
möglich zu löschen. Und es
muss mit empfindlichen Strafen
belegt werden, wenn dies nicht
geschieht. Wenn man bestimm-
te Plattformen aber einfach
schließt, dann suchen sich die
Nutzer eben eine andere.

Nun macht Seehofer ja weni-
ger Plattformen verantwort-
lich als die Gamer. Sie halten
das für übertrieben?
Ich halte es nicht nur für über-
trieben, sondern für gefährlich,
Gamer unter Generalverdacht
zu stellen. Nur weil sich Extre-
misten in der Gamingszene he-
rumtreiben, kann man nicht
hergehen und die Szene als Gan-
ze unter Verdacht stellen. Eine
breite Überwachung der Gamer
halte ich für nicht angebracht
und unangemessen, und wer ei-
gentlich sind „die“ Gamer? Ge-
rade die CSU ist die Partei, die
in den vergangenen Jahren viel
fffür Games getan hat. Für dieür Games getan hat. Für die
Gamingszene als solches. Für
Entwicklungen made in Germa-
nnny. Für die Kultur- und Kreativ-y. Für die Kultur- und Kreativ-
szene. Wir haben die Entwick-
lung von Computerspielen mit
Geld unterstützt. Wir haben
Preise wie den deutschen Com-
puterspielpreis ausgelobt, ich
habe mehrfach die Gamescom
eröffnet, die Kanzlerin hat dort
gesprochen. Aber manchmal
reicht ein einzelner Satz eines
Politikers eben aus, um alles Er-
reichte wieder zunichtezuma-
chen. Das ärgert mich.

Sie weisen also jeden Konnex
zwischen Gaming und Radi-
kalisierung zurück?
Als zu Beginn des Kinozeitalters
in Chicago Morde passiert sind,
wwwurde danach gefragt, welcheurde danach gefragt, welche
Filme die Mörder zuvor gesehen
haben. Schon damals war der
VVVerdacht, dass Menschen das,erdacht, dass Menschen das,
was sie sehen, eins zu eins in die
Realität übersetzen könnten. Da
haben wir uns doch zum Glück

Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) bei der Eröffnung der Spielemesse Gamescom in Köln

DPA/ PA/ MALTE OSSOWSKI/ SVEN SIMON

„Gefährlich, Gamer


unter Generalverdacht


zu stellen“


Digitalstaatsministerin Dorothee Bär wehrt sich gegen


Pläne von Innenminister Horst Seehofer, nach dem


Anschlag von Halle Computerspieler in den Blick zu nehmen

Free download pdf