Die Welt Kompakt - 15.10.2019

(nextflipdebug5) #1
Stimmen für eine Mehrheit feh-
len. Und wie lang der Premier
überhaupt noch Premier sein
wird, darüber steht ebenfalls
ein Fragezeichen. Die Oppositi-
on wird möglicherweise schon
nächste Woche einen Misstrau-
ensantrag einbringen und könn-
te diesen durchaus gewinnen.
Weshalb die von der Queen
verlesene Gesetzesagenda aus
Johnsons Sicht vor allem eines
ist: ein Auftakt zum Wahl-
kampf. Der Konservative ließ
klar erkennen, auf welche The-
men er setzt. Mehr Geld für Bil-
dung und Gesundheit, schärfe-
re Strafen für Kriminelle. Ein
schärferes Einwanderungsge-
setz und mehr Investitionen in
Forschung und Wissenschaft.
Außerdem sollen der Klima-
schutz in Gesetze gegossen und
die heimische Infrastruktur
verbessert werden.
AAAlles Versprechen, die imlles Versprechen, die im
WWWahlkampf die Klientel der To-ahlkampf die Klientel der To-
ries an die Urnen bringen und
der Labour-Partei Stimmen
wegnehmen sollen. Der Wahl-
kampf wird unvermeidlich nach
dem 31. Oktober beginnen, wenn
die nächste Brexit-Frist verlän-
gert wurde – oder aber doch ein
Deal auf den letzten Metern zu-
mindest in Ansätzen gefunden
wwwurde. „Let’s get Brexit done“,urde. „Let’s get Brexit done“,
lautet die eingängige, gnadenlo-
se simple Parole von Boris John-
son. Kann er den EU-Ausstieg
tatsächlich bis zum 31. Oktober
erledigen? Drei Szenarien:

1. KEIN DURCHBRUCH IN
BRÜSSEL

Am Montag bereits war die am
vergangenen Freitag verbreite-
te Euphorie über einen mögli-
chen Deal wachsender Vorsicht
gewichen. „Ein Deal ist mög-
lich, er ist diesen Monat mög-
lich oder sogar diese Woche“,
sagte der irische Außenminister

Simon Coveney am Montag in
Luxemburg. „Aber wir haben es
noch nicht geschafft.“ Die
Nachrichtenagentur Reuters zi-
tierte einen ranghohen EU-Di-
plomaten mit den Worten: „Wir
sind nicht sehr optimistisch.“
Verhandlungen am Wochen-
ende in Brüssel hatten bis Mon-
tagnachmittag keinen Durch-
bruch gebracht. Der irische Mi-
nister Coveney betonte, es wer-
de nichts zu den Einzelheiten
des Streits gesagt, weil EU-Un-
terhändler Michel Barnier und
die britischen Verhandlungs-
partner Spielräume bräuchten.
Sollte sich trotz des Still-
schweigens kein Deal abzeich-
nen, muss Johnson beim Euro-
päischen Rat um eine Verlänge-
rung der Brexit-Frist bis zum 31.
Januar 2020 bitten. Dazu hatte
ihn sein eigenes Parlament An-
fffang September verurteilt. Fürang September verurteilt. Für
Johnson wäre das im heranna-
henden Wahlkampf schmerzhaft,
hatte er doch den Austritt für En-
de Oktober „auf Leben und Tod“
versprochen. Freuen könnte sich
hingegen Nigel Farage und seine
Brexit Party, die sich als einzig
echte EU-Gegner gerieren.

2. EIN HALBFERTIGER DEAL

Der Druck für eine Einigung
lastet auf London ebenso wie
auf Dublin. Irlands Regierung
hat jedes Interesse an einem ge-
ordneten Brexit. Kommt der
nicht zustande und stattdessen
der No Deal, muss das EU-Mit-
glied in der Folge selber die har-
te Grenze zu Nordirland auf-
bauen, die es so dringend hatte
vermeiden wollen. Der No Deal
würde Irland zudem wirtschaft-
lich sehr hart treffen. Premier
Leo Varadkar hatte sich vergan-
gene Woche nach einem Tref-
fen mit Johnson betont opti-
mistisch gezeigt, dass es „einen
Pfad Richtung Deal gibt“.

A

n der Seite ihres Soh-
nes Charles betrat die
Königin am Montag
um kurz nach halb
zwölf Ortszeit das Oberhaus.
Zum 65. Mal verkündete Eliza-
beth II. mit dem Vortrag der
Gesetzesagenda die offizielle
Eröffnung des Parlaments.

VON STEFANIE BOLZEN
LONDON

Das so oft durchgespielte, auf
jedes Detail abgestimmte Ritual
konnte aber nicht darüber hin-
wegtäuschen, dass diese
QQQueen’s Speech keine gewöhnli-ueen’s Speech keine gewöhnli-
che war. Sie kommt in einer Zeit
der großen Krise, in der jede
Stunde über den Kurs der Nati-
on entscheiden kann. Denn in
Brüssel sitzen britische Unter-
händler zusammen mit Vertre-
tern der EU-Kommission, um
den für den 31. Oktober fälligen
Brexit-Deal vielleicht doch noch
über die Ziellinie zu bringen.
Zudem trat Elizabeth II. am
Montag vor ein Parlament, dem
sie auf Antrag des amtierenden
Premierministers Ende August
eine Zwangspause verordnet
hatte. Ein Beschluss, den das
Oberste Gericht ihres Land
drei Wochen später als geset-
zeswidrig verurteilte.
Auch jetzt mag sich die zur
politischen Neutralität ver-
dammte Queen missbraucht
gefühlt haben. Fast zehn Minu-
ten lang verlas sie 26 Gesetzes-
vorhaben der Regierung von
Boris Johnson, der „die Chan-
cen nutzen will, die der Aus-
stieg aus der EU versprechen“,
wie es in der Einleitung hieß.
Dabei ist es vollkommen frag-
lich, wann und wie das König-
reich die Union verlassen wird.
Die Regierung Johnson könnte
derzeit ohnehin keine neuen
Gesetze durch die Kammer
bringen, weil ihr mehr als 40

Die EU-Staats- und Regie-
rungschefs könnten bei ihrem
Treffen am Donnerstag das Ab-
kommen zumindest technisch
abnicken. Johnson hat bereits
eine Sondersitzung des Unter-
hauses am Samstag anberaumt.
Dort würde er eine Abstim-
mung über den mit der EU ge-
schlossenen Vor-Deal abhalten.
Zwar hat er keine Mehrheit,
und weite Teile der Opposition
wollen den Brexit durch eine
fortgesetzte parlamentarische
Blockade verhindern. Doch bei
Labour gibt es zahlreiche Abge-
ordnete, die das Brexit-Drama
beenden wollen und Johnson
zustimmen könnten.
Gewinnt der Premier die Ab-
stimmung, könnte er als Sieger
den Brexit pro forma verkün-
den. Die Nation müsste ledig-
lich ein paar Monate warten bis
alle Details festgezurrt und die
nötige nationale Gesetzgebung
für den formalen Ausstieg abge-
schlossen ist.

3. MIT DEM KOPF DURCH DIE
WAND

Gelingt Johnson weder ein vol-
ler noch provisorischer Deal,
könnte er auf Totalkonfrontati-
on gehen. „Lieber liege ich tot
im Graben als um eine Verlän-
gerung zu bitten“, lautet sein
Schwur. Der Konservative
könnte den Antrag für eine neue
Brexit-Frist verweigern und als
Märtyrer der Brüssel-Gegner
nach London zurückkehren.
In der Folge würden Abgeord-
nete und andere Interessengrup-
pen die Gerichte anrufen, weil
der Regierungschef gesetzeswid-
rig den Auftrag des Parlaments
ignoriert. Selbst wenn Johnson
diese neuerliche juristische
Schlacht verlöre, brächte ihm
das bei Millionen Brexit-müden
Briten Respekt und sicherte
Stimmen bei der nächsten Wahl.

Gute Miene


Elizabeth II. verkündet im britischen Parlament das Regierungsprogramm


von Boris Johnson – dieser könnte bereits nächste Woche


durch einen Misstrauensantrag gestürzt werden. Drei Szenarien


Zurück aus der Zwangspause: Die erste Sitzung des britischen
Parlaments wird von Königin Elizabeth II. eröffnet. Neben ihr der
Thronfolger, Prinz Charles und dessen Ehefrau, Herzogin Camilla

REUTERS/ RICHARD POHLE

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/ MATT DUNHAM

REUTERS/ PAUL EDWARDS

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/ LEON NEAL

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/ LEON NEAL

6 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,15.OKTOBER


BUNDESTAG


Nahles-Nachfolger


umstritten


Anfang November scheidet
die frühere SPD-Vorsitzende
Andrea Nahles aus dem Bun-
destag aus. Das schrieb sie an
Bundestagspräsident Wolf-
gang Schäuble (CDU). Da-
nach will sich die 49-Jährige
beruflich neu orientieren. Sie
lebt in der Eifel und ist Mut-
ter einer Tochter. Eine Ent-
scheidung über ihre Nach-
folge im Bundestag steht
noch aus. Kandidat für das
Mandat von Nahles ist der
für Innovation und Tech-
nologie zuständige Abtei-
lungsleiter im rheinland-
pfälzischen Wirtschafts-
ministerium, Joe Weingarten.
In der SPD Rheinland-Pfalz
ist Weingarten allerdings
umstritten. Scharfe Kritik
löste er im vergangenen Jahr
mit der Einteilung von Ge-
flüchteten in drei Gruppen
aus: Asylsuchende, Arbeits-
suchende und „Gesindel“. In
einem Beitrag für das On-
linemagazin „Merkurist“
plädierte Weingarten kürzlich
dafür, mehr mit denjenigen
zu reden, „die rechts der
Mitte stehen und sich im
allgemeinen linksliberalen
Mainstream nicht mehr auf-
gehoben fühlen“.


TUNESIEN


Kais Saied wird


neuer Präsident


Der parteilose Jurist Kais
Saied wird aller Voraussicht
nach neuer Präsident in Tu-
nesien. Zwei Umfragein-
stitute sahen den 61-Jährigen
mit über 70 Prozent der
Stimmen klar vorne. Saied
dankte in einer Pressekon-
ferenz den Wählern und ver-
sprach, der Präsident aller
Bürger sein zu wollen. Der
pensionierte Juradozent
vertritt gesellschaftlich kon-
servative Positionen und
plant die Einführung eines
dezentralen, basisdemokrati-
schen Regierungssystems.


KOMPAKT


Mit einer ungewöhnlichen
Begründung hat die Düssel-
dorfer Polizei ein goldfarbe-
nes Autos aus dem Verkehr
gezogen. Der mit goldener
Folie überzogene Wagen sei
eventuell zu grell für den
Straßenverkehr, sagte ein
Polizeisprecher. Beamten war
der SUV bei einer Kontrolle
gegen „Autoposer“ nahe der
Königsallee aufgefallen. Ein
Gutachter soll nun klären, ob
die Folie eine „Blendeinwir-
kung“ haben könnte, die den
Straßenverkehr gefährdet.


SACK REIS


REUTERS

/ TOBY MELVILLE
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