Die Welt Kompakt - 15.10.2019

(nextflipdebug5) #1
E

sther Duflo tut es ein-
fach: Sie gibt Bettlern
am Straßenrand Geld


  • dabei gilt das un-
    ter vielen Volkswirten als
    verpönt, schließlich wür-
    den solche Spenden nur
    allzu oft für Alkohol aus-
    gegeben und damit un-
    gesunde Strukturen ze-
    mentieren. Duflo weiß
    das, die 46-Jährige ist
    Armutsforscherin und
    lehrt am renommierten
    Massachusetts Institute
    of Technology (MIT).
    „Ich sage nicht, dass das
    gut ist.“ Doch ihr Mitge-
    fühl und der Wunsch, ande-
    ren Menschen zu helfen, sei
    zu groß. Es sei ein emotionaler
    Impuls, sagt sie.


VON ANNE KUNZ

Dabei gehört Duflo der öko-
nomischen Zunft an, die lange
Zeit vor allem durch Ratio-
nalität geprägt war. Statt
individueller Schicksa-
le ging es vor allem
um Effizienz. Für
Duflo gilt das of-
fenbar nicht.
Trotzdem – oder
gerade deswegen


  • sind ihre For-
    schungsarbeiten
    wissenschaftlich
    hoch angesehen –
    und werden nun
    mit dem Wirt-
    schaftsnobelpreis
    ausgezeichnet.
    Damit ist die Ökonomin
    in vielerlei Hinsicht eine Aus-
    nahme. Sie ist erst die zweite
    Frau, die mit diesem Preis aus-
    gezeichnet wird. Im Gegensatz
    zu ihren meist amerikani-
    schen Vorgängern ist sie
    Französin und noch relativ
    jung. Für sie selbst ist der
    Wirtschaftsnobelpreisdaher
    eine große Überraschung. Sie
    hätte gedacht, dass man viel
    älter sein müsse, um sich den
    Preis zu verdienen, sagte die
    46-Jährige. Die Auszeichnung
    erfülle sie mit Demut. Sie hoffe,
    alle Wirtschaftswissenschaftle-
    rinnen repräsentieren zu kön-
    nen, und wolle Frauen dazu in-
    spirieren, ihrer Forschung wei-
    ter nachzugehen. Auch sollte
    ihre Auszeichnung viele weitere
    Männer dazu bringen, Frauen
    den Respekt zu zollen, den sie
    verdienten.
    Duflo wird gemeinsam mit
    ihrem Ehemann, dem indisch-
    stämmigen US-Forscher Abhijit
    Banerjee, und dem US-Wissen-
    schaftler Michael Kremer aus-
    gezeichnet. Die Forscher haben
    auf Basis zahlreicher Experi-
    mente die Auswirkungen von
    Entwicklungshilfe untersucht.
    Laut Einschätzung der Jury ist
    es ihnen dabei gelungen, kom-
    plexe Sachverhalte auf über-
    schaubare Fragen herunterzu-
    brechen. „Sie haben gezeigt,
    dass diese kleineren, präziseren
    Fragen dann oft am besten
    durch sorgfältig gestaltete Ex-


stimmte Maßnahmen zur Ar-
mutsbekämpfung, indem sie
beispielsweise zwei verschiede-
ne Gruppen betrachten. Eine
kommt in den Genuss der Hilfe,
die andere nicht. Auf Basis der
unterschiedlichen Ergebnisse
leiten sie ab, inwiefern die
Entwicklungsprogramme
sinnvoll sind.
Erste Experimente mach-
te Kremer bereits in den
90er-Jahre im Westen Keni-
as. Duflo und ihr Ehemann
taten sich in Indien mit ei-
ner lokalen NGO zusammen,
wo sie zufällig ausgewählte
Gemeinden näher untersuch-
ten.
So fanden sie zum Beispiel
heraus, dass Kinder in Entwick-
lungsländern sehr unter-
schiedliche Vorausset-
zungen mitbringen
und es daher sinnvoll
ist, sie nicht nach
Alter, sondern lie-
ber nach ihren
Fähigkeiten in
Klassen einzu-
teilen. Sonst sei-
en zu viele Kin-
der überfordert.
Die Forscher fan-
den zudem he-
raus, dass mehr
Geld für Schulbü-
cher kaum etwas
bringt, betonten dafür
aber die große Rolle von
Gesundheit. So ist es sehr
wichtig, dass die Kinder nicht
gestresst in die Schule kom-
men. „Es sind kleine Dinge, die
in der Entwicklungsarbeit spek-
takuläre Erfolge erzielen“, sagt
Frey.
Tertilt betont zudem eine
Studie der Nobelpreisträger,
die zeigt, dass geschenkte
Schuluniformen wirksam sind
im Kampf gegen HIV-Infektio-
nen. „Der Grund ist, dass Mäd-
chen, die zur Schule gehen, ei-
nen höheren Anreiz haben, eine
Schwangerschaft zu vermeiden


  • damit reduziert sich gleich-
    zeitig auch das HIV-Anste-
    ckungsrisiko.“
    Der Nobelpreis für Wirt-
    schaftswissenschaften wurde
    1969 erstmals verliehen und
    geht nicht wie die anderen fünf
    Nobelpreise auf das Testament
    des schwedischen Ingenieurs
    und Fabrikanten Alfred Nobel
    (1833–1896) zurück. Die Aus-
    zeichnung heißt offiziell „Eh-
    renpreis der schwedischen
    Reichsbank zum Andenken an
    Alfred Nobel“. Die Nobelstif-
    tung nennt den Preis auch in
    der Kurzform niemals offiziell
    Nobelpreis, sondern nur „Wirt-
    schaftspreis“.
    Seit den 90er-Jahren verlan-
    gen unter anderem Nobels Ur-
    enkel sowie Mitglieder der für
    den Literatur-Nobelpreises zu-
    ständigen Schwedische Akade-
    mie die Abschaffung des Wirt-
    schaftspreises. Sie begründen
    dies mit der Verletzung des
    Testamentes und einer daraus
    folgenden „Verwässerung“ der
    klassischen Nobelpreise.


Die Träger des Wirt-
schaftsnobelpreises 2019:
Abhijit Banerjee,
Esther Duflo und
Michael Kremer
(((von oben nachvon oben nach
unten)

WIRTSCHAFT DIENSTAG,15.OKTOBER2019 SEITE 8

Fluggäste der Lufthansa müs-
sen am Sonntag mit Streiks
der Flugbegleiter in Frankfurt
und München rechnen. Die
Gewerkschaft Ufo rief die Be-
schäftigten dazu auf, am 20.
Oktober von 6 bis 11 Uhr an
den beiden Standorten die Ar-
beit niederzulegen. Die Kabi-
nenmitarbeiter wehrten sich
dagegen, dass ihnen der Luft-
hansa-Konzern tarifliche
Selbstverständlichkeiten ver-
wehre, erklärte Ufo-Vizechef
Daniel Flohr. Lufthansa blo-
cke mit dem vorgeschobenen
Grund, der Gewerkschaft feh-
le die Vertretungsbefugnis.
Dagegen darf der Ferien-
flieger Condor vorerst weiter-
fliegen. Die EU-Kommission
hat den staatlichen Überbrü-
ckungskredit über 380 Millio-
nen Euro für die Flugsparte
des insolventen Thomas-
Cook-Konzerns bewilligt.


Am Sonntag:


Streik bei der


Lufthansa


Marktstimmung in Deutschland


WEuphorie WNiedergeschlagenheit
WBeschwingtheit WVerzweiflung
WGleichgültigkeit

gemessen am Angst-Index VDax


  • Aktuell -Vorheriger Handelstag


DAX
Name Schluss+/-52 Wochen
14.10.%HochTief
Adidas NA 280,90+0,25296,8178,
Allianz vNA 210,70 -1,13219,1170,
BASF NA 64,59 -0,4274,6155,
Bayer NA 65,61+0,6079,4752,
Beiersdorf 104,45+1,06117,380,
BMW St 64,91+0,2079,3858,
Continental 115,78+0,40157,4103,
Covestro 45,10 -0,7764,2037,
Daimler NA 47,07+0,0160,0040,
Deutsche Bank NA 6,85+0,819,975,
Deutsche Börse NA 143,85+1,37144,1102,
Deutsche Post NA 29,76+0,1331,3423,
Deutsche Telekom NA15,50+0,2615,8813,
E.ON NA 8,86+0,1810,268,
Fresenius 42,21 -0,0769,0238,
Fresenius M. C. St. 59,82 -0,4086,0055,
HeidelbergCementHeidelbergCement 63,58+0,4173,5251,
Henkel Vz. 93,48+0,43104,180,
Infineon NA 16,64 -1,3921,6213,
Linde PLC 176,00 -0,87184,8130,
Lufthansa vNA 14,81+0,2723,6612,
Merck 104,15+0,24105,985,
MTU Aero EnginesMTU Aero Engines 244,30 -0,45257,2155,
Münch. Rück vNA 240,20 -0,50241,9181,
RWE St. 27,23+0,8928,8116,
SAP 114,76 -0,80125,083,
Siemens NA 99,18+0,05108,884,
Volkswagen Vz. 161,84+0,21164,0131,
Vonovia NA 46,56+0,1148,9338,
Wirecard 140,00 -1,44181,886,


FINANZMÄRKTE
DATEN VON


DaxPunkte Euro-Stoxx-50Punkte
14.10.12486,5614.10.3556,2614.10.12486,5614.10.3556,2614.10.12486,5614.10.3556,


Dow JonesPunkte Gold$/Feinunze
14.10.26839,1914.10.1491,7914.10.26839,1914.10.1491,7914.10.26839,1914.10.1491,


Name Schluss+/-52 Wochen
14.10.%HochTief


Name Schluss+/-52 Wochen
14.10.%HochTief
+0,25296,8178,
-1,13219,1170,
-0,4274,6155,
+0,6079,4752,
+1,06117,380,
+0,2079,3858,
+0,40157,4103,
-0,7764,2037,
+0,0160,0040,
+0,819,975,
+1,37144,1102,
+0,1331,3423,
+0,2615,8813,
+0,1810,268,
-0,0769,0238,
-0,4086,0055,
+0,4173,5251,
+0,43104,180,
-1,3921,6213,
-0,87184,8130,
+0,2723,6612,
+0,24105,985,
-0,45257,2155,
-0,50241,9181,
+0,8928,8116,
-0,80125,083,
+0,05108,884,
+0,21164,0131,
+0,1148,9338,
-1,44181,886,


14.10.%HochTief
+0,25296,8178,
-1,13219,1170,
-0,4274,6155,
+0,6079,4752,
+1,06117,380,
+0,2079,3858,
+0,40157,4103,
-0,7764,2037,
+0,0160,0040,
+0,819,975,
+1,37144,1102,
+0,1331,3423,
+0,2615,8813,
+0,1810,268,
-0,0769,0238,
-0,4086,0055,
+0,4173,5251,
+0,43104,180,
-1,3921,6213,
-0,87184,8130,
+0,2723,6612,
+0,24105,985,
-0,45257,2155,
-0,50241,9181,
+0,8928,8116,
-0,80125,083,
+0,05108,884,
+0,21164,0131,
+0,1148,9338,
-1,44181,886,

perimente in Ver-
bindung mit den Menschen be-
antwortet werden können, die
davon am meisten betroffen
sind“, hieß es. Zu den Ergebnis-
sen zählten Verbesserungen für
mehr als fünf Millionen indi-
scher Schulkinder sowie Fort-
schritte in der Gesundheitsver-
sorgung in vielen Ländern.
„Die drei Preisträger haben
die Entwicklungsforschung auf
eine ganz neue qualitative Ebe-
ne gebracht mit innovativer
Theorie und neuen Konzep-
ten“, sagte Gabriel Felbermayr,
Präsident des Instituts für
Weltwirschaft Kiel.
Michèle Tertilt, Wirtschafts-
professorin an der Uni Mann-
heim, nannte die ausgezeichne-
ten Ökonomen Pioniere in der
Entwicklungsforschung. Sie

waren die Ersten,
die in den Ländern
selbst die Wirkungs-
weise der Hilfsprogram-
me systematisch durch Ex-
perimente untersuchten. „Ba-
nerjee, Duflo und Kremer sind
die Vorreiter von Feldexperi-
menten in Entwicklungslän-
dern“, sagt Tertilt. Aktuell leb-
ten weltweit mehr als 700 Mil-
lionen Menschen unter der Ar-
mutsgrenze. „Der Ansatz der
diesjährigen Nobelpreisträger
hat gezeigt, wie man dieses Pro-
blem in viele Teilprobleme zer-
brechen und somit die Ursa-
chen besser erforschen kann“,
so die Wirtschaftswissenschaft-
lerin. Damit hätten sie einen
wichtigen Beitrag zur Armuts-
bekämpfung geleistet.
Der Schweizer Ökonom Bru-
no Frey sagte: „Diese Forscher
behaupten nicht nur einfach et-
was, sondern untersuchen sehr
sorgfältig konkrete Fragestel-
lungen.“ So bewerten sie be-

Kämpfer


gegen die


globale Armut


Esther Duflo ist die zweite Frau,


die den Wirtschaftsnobelpreis


bekommt. Sie erhält ihn für ihre


Entwicklungsforschung gemeinsam


mit ihrem Ehemann und


einem Amerikaner


PA/ DPA

/ L.BARRY HETHERINGTON;

PA/ DPA

/ PETER TENZER

; CENTER FOR GLOBAL DEVELOPMENT
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