Süddeutsche Zeitung - 15.10.2019

(Chris Devlin) #1

Aus heutiger Perspektive sah Ferrodraco


lentoniziemlich ungewöhnlich aus: Der


Kopf ist im Vergleich zu den kurzen Beinen


und dem Rumpf recht groß geraten. Zwei


Reihen kleiner, spitzer Zähne zieren den


schlankenKiefer,unddieAugenliegenseit-


lich am Kopf wie bei einem Vogel. Fliegen


wie ein Vogel konnte der Dinosaurier auch.


Seine Flügel hatten eine beeindruckende


Spannweite von vier Metern.


Paläontologen um Adele Pentland be-

richten im FachblattScientific Reportsvon


dieser bislang unbekannten Flugsaurier-


art. Überreste eines Exemplars hatte ein


Viehzüchter 2017 im australischen Out-


back entdeckt. Benannt wurde die Art


nach dem eisenhaltigen Gestein, in dem


das Skelett die vergangenen 90 Millionen


Jahre überdauert hat (ferro), dem lateini-


schen Wort für Drachen (draco) und dem


ehemaligen Bürgermeister der Stadt Win-


ton, Graham Thomas Lenton (lentoni).


Winton liegt unweit des Ortes, an dem

der Saurier vor zwei Jahren im Bundes-


staat Queensland entdeckt wurde, Lenton


war ein treuer Unterstützer des örtlichen


Dinosauriermuseums. Die Überreste des


Tiers umfassen große Teile des Schädels,


einige Wirbelknochen sowie 40 Zähne.


Damit bilden sie das am besten erhaltene


Skelett eines Flugsauriers, das in Australi-


enjemalsgefundenwurde.Flugsaurierleb-


ten etwa zur selben Zeit wie die landleben-


denDinosaurier und waren dieerstenWir-


beltiere, die fliegen konnten. Ferrodraco


lentoni überwand mit seinen Flügeln wohl


sogar die Ozeane der Urzeit, denn DNA-


Analysen zeigen, dass das Tier genetisch


mit einer Flugsaurierart verwandt ist, die


in England gefunden wurde. Beide Tiere


haben charakteristische Hügel in ihrem


Ober- und Unterkiefer.


Trotzdem begründet das in Australien

ausgegrabene Tier eine neue Spezies. Das


machen die Paläontologen unter anderem


an Besonderheiten im Gebiss fest. Zudem


istFerrodraco eins derjüngsten Mitglieder


der Anhanguera-Gruppe, einer Gattung


der Flugsaurier, die sich durch einen lan-


gen, schlanken Schädelund kurzen Rumpf


auszeichnet. Sie starb am Ende des Ceno-


maniumzeitalters vor ungefähr 90 Millio-


nen Jahren aufgrund von Klimaverände-


rungen aus. noed


von tin a baier

E


r ist einen halben Meter lang, hat
messerscharfe Zähne und ver-
schlingtalles, was ihm vor sein riesi-
gesMaulschwimmt.DerNördliche Schlan-
genkopf-Fisch (Channa argus) ist eigent-
lich im Süden und Osten Chinas heimisch,
dochseiteinigenJahrenmachterauchTei-
che und Seen in den USA unsicher. Jetzt
wurde er erstmals im Bundesstaat Georgia
entdecktunddieAnweisungenderzustän-
digen Behörde an Angler und andere Men-
schen, die diesem Fisch je begegnen soll-
ten, sind deutlich: „Töten Sie ihn sofort!“

Und weil das offenbar noch nicht reicht:
„Frieren Sie ihn ein! Denken Sie daran, er
kann an Land überleben!“
Tatsächlich kann der Schlangenkopf,
dersoheißt,weilerwegenseinesabgeplat-
tetenKopfs den Schuppenkriechtieren äh-
nelt, kurze Strecken an Land zurücklegen.
Dabei stellt er seine Seitenflossen senk-
recht und robbt über den Boden – immer
auf der Suche nach etwas Fressbarem. So
unsympathisch das alles klingt: Menschen
kanndas Tiernichtwirklichgefährlichwer-
den. Auch wenn auf diversen Internetsei-
ten für Aquarianer vor der Aggression der
Tieregewarntwird.Wichtigsei,dasAquari-

um fest mit einem Deckel zu verschließen,
damit „der Ausbruchkünstler“ nicht ent-
wischt. Ein weiteres Problem scheint zu
sein, dass sich Schlangenköpfe „schlecht
vergesellschaften“ lassen. Im Klartext: Sie
fressen alle anderen Fische auf, die mit ih-
nen im Aquarium schwimmen. „Unruhige
Fische, die nicht ins Maul passen, machen
wiederum die Schlangenkopf-Fische ner-
vös“, steht auf my-fish.org.
Die Gefräßigkeit des Schlangenkopfs ist
auch das, was den amerikanischen Behör-
den Sorge macht. Channa argus ver-
schlingt vor allem andere Fische, aber
auch andereTierewie Frösche und Lurche.

Da er selbst keine natürlichen Feinde hat
und sich zudem rasend schnell vermehrt,
kann der Fisch ein Gewässer regelrecht
leer fressen.
Erst kürzlich hat ein Team aus 43 Wis-
senschaftlern, darunterauch Expertendes
Umweltbundesamts in Berlin, den Nördli-
chen Schlangenkopf als eine der weltweit
acht gefährlichsten invasiven Arten einge-
stuft. Als „invasiv“ bezeichnen Biologen
Tiere und Pflanzen, die Menschen in eine
Region eingeschleppt haben, in der sie ei-
gentlich nicht vorkommen und die sich
dort auf Kosten heimischer Arten ausbrei-
ten. Beispiele in Deutschland sind der aus

den USA stammende Kalikokrebs, der ge-
schützte Amphibien und Libellen vertilgt.
Außerdem die aus Südostasien stammen-
de Asiatische Hornisse (Vespa velutina),
die fast zweieinhalb Zentimeter lang wird
undHonigbienenfrisst.DasInsekthatsich
in Deutschland zwar noch nicht fest eta-
bliert, wird aber immer häufiger gesichtet.
Nach Informationen des Naturschutzbund
Deutschland (Nabu) sind mindestens 168
invasive Tier- und Pflanzenarten in
Deutschland bekannt. In der gesamten EU
gehen Experten von rund 12000 gebiets-
fremdenSpeziesaus.Glücklicherweisebe-
drohen nur etwa 15 Prozent davon heimi-
sche Ökosysteme. Der Großteil der Neuan-
kömmlinge gliedert sich problemlos ein
und richtet keinen Schaden an.

Die meisten „Neobiota“ gelangen mit
Containerschiffen von einer Weltregion in
eineandere.PflanzenwiedieschwereAller-
gien auslösende Ambrosia oder das unter
Gartenbesitzern gefürchtete Drüsige
Springkraut werden oft über den Garten-
bau eingeschleppt. Invasive Amphibien
und Reptilien sind häufig Nachkommen
von Exemplaren, die irgendwann aus ei-
nem Terrarium entkommen sind. Das gilt
auch für die geschätzt 150000 Python-
schlangen, die in Florida ihr Unwesen trei-
bensollen.1992sindeinigedersüdostasia-
tischen Würgeschlangen aus einer Zucht-
farm entwischt und haben sich seitdem
stark vermehrt.
Der Schlangenkopf-Fisch ist ebenfalls
mithilfe des Menschen aus China in die
USA gelangt. In China gelten die Tiere als
Delikatesse undwerden als Speisefische in
Aquakulturen gezüchtet. In den USA wur-
de das erste Exemplar in freier Wildbahn
im Jahr 2002 entdeckt. Ein Feinschmecker
soll den Fisch in der New Yorker China-
townbestellthaben,wollteihndannoffen-
bar aber doch nicht essen und setzte ihn in
einemTeich aus.Umdiesenersten Schlan-
genkopf zu fangen, legten die Behörden
den Teich, den der Fisch zu diesem Zeit-
punkt schon fast leergefressen hatte, ein-
fach trocken. Seitdem wurden Schlangen-
kopf-Fische unter anderem in Kalifornien,
Maryland, North Carolina und Florida ent-
deckt. Nicht immer weiß man so genau,
wie sie dort hingekommen sind.
Den jetzt in Georgia entdeckten Schlan-
genkopfhateinAnglerausdemWasserge-
zogen. Das Tier kam ihm merkwürdig vor,
er fotografierte es und warf es zurück in
den Teich. Ein Biologe, dem er das Foto
zeigte, erkannte die Bestie sofort und alar-
miertediezuständigeBehörde.Mittlerwei-
lewurdenindemTeichweitereSchlangen-
köpfe ausfindig gemacht: ein großer und
drei Jungtiere. Alle sind inzwischen sicher
eingefroren.

Weltweit gehen nach einem UN-Bericht 14


Prozentder Lebensmittel verloren, bevor


sie im Handel landen. Solche Verluste zu


verhindern würde die Produktivität för-


dern sowie den Ausstoß von klimaschädli-


chen Treibhausgasen reduzieren, heißt es


indemBericht,dendieUN-Agrarorganisa-


tion FAO am Montag in Rom vorstellte.


GründefürdieVerluste seienfalscheErnte-


zeiten, klimatische Bedingungen, falsche


Erntetechniken, schlechte Lagerung und


schlechter Transport. In den Supermärk-


ten und Haushalten gehen ebenfalls große


Mengen Lebensmittel verloren, etwa weil


Verbraucher sie leichtfertig wegwerfen.


Bessere Kühllagerung und Verpackung


könnten den Lebensmittelmüll reduzie-


ren, so die FAO. dpa


Skelettfunde belegen,dassdieerstenFrüh-
menschen vor vielleicht sechs Millionen
Jahren im östlichen Afrika erstmals den
aufrechten Gang übten. Dafür sprechen
KnochenfragmentedessechsMillionenal-
ten Orrorin oder das berühmte Skelett der
Australopithecus-afarensis-Frau „Lucy“,
die vor mehr als 3,2 Millionen Jahren in
der Region lebte. Bislang gingen Forscher
davon aus, dass es dort damals so ähnlich
ausgesehen haben dürfte, wie heute: eine
Savannenlandschaft. Doch diese Vorstel-
lung korrigieren wollen nun drei amerika-
nischePaläoökologen.Sieglauben:Diefrü-
hen Menschen lernten wohl eher im Wald
das Laufen, als auf einer Wiese.
Wo heute weite Savannen das Land-
schaftsbild prägen, standen vor sieben
Millionen Jahren vermutlich viel mehr
Bäume und Sträucher, legt das Team um
denArchäologenTylerFaithvomNaturhis-
torischenMuseuminSaltLakeCityimWis-
senschaftsjournalPNASdar. Zu diesem
Schluss kommen die drei Forscher, nach-
demsieDatenzurKörpergrößeundErnäh-
rung sowie den Verdauungsmechanismen

zahlreicher urzeitlicher Säugetiere ausge-
wertet haben. Dabei stellten sie fest, dass
bis vor 4,5 Millionen Jahren besonders
viele große Pflanzenfresser lebten. Und
um zu überleben brauchten diese Tiere
große Mengen Pflanzenmaterial, die sie
jeden Tag verputzen konnten. So kamen
die Paläoökologen auf die Theorie mit der
baumreicheren Ur-Landschaft.
Konkret zeigte sich in ihrer Analyse,
dass auffällig viele der damals lebenden
Tiere in die Gruppe der Megaherbivoren
fielen – also außergewöhnlich großen
Säugetiere, die mehr als eine Tonne wie-
gen und sich ausschließlich von Pflanzen
ernähren. Dazu zählen heute nur noch
wenige Arten, wie Elefanten oder manche
Nashörner. Doch in der Vergangenheit gab
es sehr viele und sehr viel mehr verschie-
dene große Pflanzenfresser, schreiben die
Wissenschaftler. Sie prägten die Welt um
sieherumnichtnuraufgrundihrerKörper-
größe, sondern vor allem wegen ihres ho-
hen Futterverbrauchs. „Megaherbivoren
sindwieverdauendeFließbänder“,sagtTy-
ler Faith. Manche dieser Riesenvegetarier

konnten seiner Meinung nach innerhalb
kürzester Zeit ganze Bäume kahl fressen.
StevenGoldbergvomMax-Planck-Insti-
tut für Menschheitsgeschichte in Jena fin-
det diese Erkenntnis wichtig: „Es gibt in
der Urzeitforschung eine lange Debatte
darüber, ob sich Menschen eher im Wald
oder in der Savanne entwickelt haben –

aber die Studie zeigt, dass wir einfach die
falsche Frage gestellt haben.“ Die neue
Untersuchung zeige, dass Ökosysteme für
den Großteil der letzten sieben Millionen
Jahre ganz anders funktionierten als
heute. „Die Interaktionen zwischen Tieren
und Pflanzen waren wahrscheinlich ganz
anders; das können wir uns eigentlich gar
nicht vorstellen“, sagt Goldberg. „Mit einer
Savanne oder einem Wald, wie wir sie
heute kennen, hatten sie jedenfalls wenig
zu tun.“

Mittlerweile ist die Savanne der am
weitesten verbreitete Landschaftstyp in
Ostafrika. Heute prägen weite, ebene
Gras- und Weideflächen die Region. Bäu-
me und Sträucher gibt es nur wenige und
die, die es gibt, wachsen weit voneinander
entfernt. Hier leben und grasen vor allem
Wiederkäuer wie Kühe und Antilopen.
Doch wie erklären sich Faith und seine
Kollegen, dass es in Afrika heute so anders
aussieht als zur Zeit der großen Pflanzen-
fresser? Zum einen lässt sich mithilfe von
Ablagerungen auf dem Meeresboden die
Niederschlagsentwicklung der Urzeit re-
konstruieren. Diese Untersuchungen deu-
ten darauf hin, dass das Klima vor unge-
fähr einer Million Jahren zunehmend tro-
ckener wurde. Eine interglaziale Warmzeit
begann und setzte vor allem die Gruppe
der Megaherbivoren unter Druck. Denn
das Angebot an Blättern und Zweigen ist
währendderTrockenzeitwohldeutlichzu-
rückgegangen,sodassdiegroßenPflanzen-
fresser ihren Hunger nicht mehr stillen
konnten. Zum anderen belegen Kohlen-
stoffisotope im Boden, dass sich Gras- und

Weideflächen seit dem späten Miozän im-
mer weiter ausgebreitet haben. Und weil
sich wiederkäuende Tiere darauf beson-
ders wohlfühlen, dominieren Kühe und
Antilopen mittlerweile große Teile der
ostafrikanischen Landschaft.
Während der letzten sieben Millionen
Jahre hat sich auf der Erde viel verändert.
Deshalb sei es häufig irreführend, Ver-
gleiche mit der Gegenwart aufzustellen,
sagt Faith. „Wenn wir weiterhin Ur-Land-
schaften anhand moderner Ökosysteme
rekonstruieren, vernachlässigen wir eine
FülleananderenMöglichkeiten.“Dochsein
Team betont auch,dass derart umfassende
Projekte wie seines, das einen Zeitraum
von sieben Millionen Jahre umspannt, bis
vor Kurzem noch gar nicht möglich gewe-
sen sei. Gerade deshalb ist auch Steven
Goldberg vom Max-Planck-Institut von
der Studie seiner amerikanischen Kollegen
beeindruckt: „Sie haben eine gigantische
Menge an Daten analysiert. Somit liefern
die daraus gewonnenen Erkenntnisse ei-
nen wichtigen Beitrag zur Erforschung der
Menschheitsgeschichte.“ nor a eder er

Vergleiche zwischen urzeitlichen


Landschaften undheutigen
Ökosystemen sind irreführend

Vorsicht Fisch!


Der Schlangenkopf frisst ganze Teiche leer und kann auch an Land überleben.


In den USA breitet sich die gefürchtete invasive Art immer weiter aus


Lebensmittel


für die Tonne


Der erste


Drache


Australischer Viehzüchter
entdeckt neue Flugsaurierart

Mehr Wald als Wiese


Eine neue Studie bricht mit alten Vorstellungen: Frühmenschen entwickelten sich wahrscheinlich in einer baumreichen Landschaft


In China gelten die Tiere als


Delikatesse und werden in


Aquakulturen gezüchtet


(^14) WISSEN Dienstag,15. Oktober 2019, Nr. 238 DEFGH
Der aus China stammende Nördliche Schlangenkopf-Fisch gilt als eine der gefährlichsten invasiven Arten. FOTO: AFP
Weite Flügel, viele Zähne, Augen seitlich:
Ferrodracolentoni. ILLUSTRATION: TRAVIS TISCHLER
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