Süddeutsche Zeitung - 15.10.2019

(Chris Devlin) #1
Allein der Farben wegen möchte man so-
fortdorthin: an den lila wirkenden Abend-
strand von Deauville, zu den von der Ebbe
freigelegten Algen bei Étretat, auf denen
ein smaragdrot gekleidetes Paar posiert.
Und natürlich zu den so typischen creme-
farbenen Charolais-Kühen. Es ist ein Ur-
laubs-Frankreich,dasNicoleStrasserinih-
remBildband„Normandie“porträtiert.Ei-
nes ohne Gelbwesten, ohne den Ruß über
Rouen, ohne die in den Städten allgegen-
wärtigen Kampfhunde. Strassers Hunde
sindsoknuffigwiedieSchafevor denKlip-
penbeiYport.MansiehtRassepferde,Frau-
en beim Harfespielen, den Vater mit Hips-
terbart vor der Strandbar in Deauville, die
Badende ebendort im leichten Sommer-
kleid, den Hausherrn des Château de Bou-
céel, der samt Sohn versonnen aus dem
Fensterblickt. EinFrankreichausdem Bil-
derbuch, ein Frankreich der Wohlhaben-
den, das es in dieser Reinform nie gab, das
aber so eben auch existiert. Ein schönes,
sommerleichtes Frankreich. Und derSom-
mer kommt wieder, darf man hoffen. mai

Nicole Strasser: Normandie. Mare Verlag, Ham-
burg 2019. 132 Seiten, 58 Euro.

Christian Seiler:
AllesGute. Die Welt
als Speisekarte.
Echtzeit Verlag, Basel 2019.
816 Seiten, 43 Euro.

Ein Frankreich aus


dem Bilderbuch


von hans gasser

D

ieSzene,wiesichderbaumlan-
ge Christian Seiler in Leder-
schuhen, langem Arm- und
Beinkleid heftig schwitzend
im 40 Grad heißen Souk von

Marrakesch verirrt und sich schließlich,


gegen alle Peinlichkeitsbedenken, in eine


kühlende Dschellaba kleidet – darunter


nichts –, sagt einiges aus über die Art, wie


dieser Christian Seiler über die Welt


schreibt, die bei ihm vor allem eine Welt


desgutenEssensist.Endlichindaskutten-


artige Stoffgewand gehüllt, lässt er sich


durch das Gewusel treiben, isst gefülltes


Fladenbrot und hört dem Muezzin zu, in


derGewissheit,dasseshiersichernieman-


den gibt, der an seiner offensichtlichen


Verkleidung Anstoß nehmen könnte. Doch


dann legt ihm einer seine Hand auf die


Schulter und fragt: „Bist du’s, Seiler?“


„Was hätte ich antworten sollen? Ich

war s.“ Der österreichische Graf sagte:


„Was soll ich sagen ... sieht gut aus.“ „Sag


nichts, sagte ich.“ Um der Peinlichkeit zu


entgehen, fragt er den Grafen nach einem


guten Restaurant, mit dem dieser dienen


kann. Es folgt ein Essgelage im „Al Fassia“,


bei dem sich Seiler und der Graf von der


„Batterie an Vorspeisen“ über Huhn mit


Oliven und Zitrone („das Wiener Schnitzel


der marokkanischen Küche) und Lamm-


schultermitMandeln biszumsüßenCous-


cous vorarbeiten: „Der Graf schlug seine


Zähne in das Lamm.“


Christian Seiler schreibt mindestens in

ironischer, oft auch in selbstironischer


Weise über das Essen und das Reisen, mit


Schmäheben,underhebtsichdamitwohl-
tuendabvonso vielenanderenGastrokriti-
kern, die mit Bierernst und pädagogi-
schemEiferüberdieneuestenEntwicklun-
gen der Kochwelt dozieren. Dabei ist es
keineswegs so, dass Seiler sich damit nicht
auskennt, imGegenteil, erist besessen von
der Materie, nicht nur, dass er Kochbücher
verschlingt wie andere Romane und schon
bei den meisten stilprägenden Köchen ge-
gessen hat; zudem kocht und experimen-
tiert er selbst, was seinem Urteil und
seinen Rezeptvorschlägen ein bodenstän-
diges, stabiles Fundament verleiht.
In „Alles Gute. Die Welt als Speisekarte“
versammelt der Wiener Autor und Kolum-
nist auf opulenten 800 Seiten mehr als
50 Reisereportagen, deren Hauptthema
dasEssenist,allerdingsmeistsounterhalt-
sam verpackt, dass man en passant auch
noch einiges über die Länder selbst lernt
und über die Menschen, die Seiler dort

trifft. Ergänzt werden die langen Reporta-
gen von Kolumnen, die Seiler seit Jahren
für das SchweizerMagazinschreibt. Er
befasstsichdarinexemplarischmitPhäno-
menen des Essens und Trinkens, ob das
nun die Verarbeitung von Bittergemüse
ist, das Rezept für ein Estragonhuhn oder
die Kunst, sich einen Rausch anzutrinken.
DerspieltinvielenTexteneinegewichti-
ge Rolle, das Rauschhafte, Maßlose ist ei-
nes seiner liebsten Stilmittel. Er betrachte,
schreibt er im Vorwort, Essen und Trinken
„zutiefst als sinnlichen Ausdruck von Kul-
tur und Zivilisation“. In ihrer stilistischen
und kulinarischen Pointiertheit übertref-
fen seine Texte das meiste, was an Gastro-
kolumnen sonst auf dem Markt ist. Seilers
Essenskolumnen erklären die Welt der
Lebensmittel und ihrer Verarbeitung auf
sehr grundlagenbasierte Art. Die häufig in
die Texte eingestreutenRezeptesinddabei
kaum einmal so aufwendig, dass man

schon nach einem Blick auf die Zutatenlis-
tedie Segelstreicht.SeilernimmtAnleihen
bei von ihm verehrten Köchinnen und Kö-
chen wie Samin Nosrat, Yotam Ottolenghi
oder Marcella Hazan und erweitert
dadurch den kulinarischen Horizont: ein
Gewinn für jeden ambitionierten Esser
und Alltagskoch.
Manchmal gehen mit ihm die Pferde
durch, will heißen: Er erliegt ganz gezielt
dem Größenwahn. So isst er an einem Tag
inzweiDrei-Sterne-LokaleninSanSebasti-
án. Und wer die Reportage über seine –
manmussdassosagen:orgiastischeFress-
tour – von Los Angeles nach San Francisco
liest, bekommt es mit konservativ ge-
schätzten 120 Gerichten zu tun, die er in
diversen Hipster-Lokalen zu sich nimmt.
Kostprobe aus dem „Manhattan House“ in
L.A.: „Ich aßzum Anfangen ein Gericht na-
mens Carrotology, eineso präzise Deklina-
tion von wohlschmeckenden Karotten
durch alle möglichen Konsistenzen, dass
ich mir sofort noch einmal die Karte brin-
gen ließ, um nachzulegen (...) Ich bestellte
alle Vorspeisen,die esgab.Die mitMascar-
pone, Parmesan und einer Sauerampfer-
creme gefüllte Kürbisblüte war schlicht
der Hammer. Die Burrata war echt, haus-
gemacht und köstlich. Die Bällchen aus
gehacktem Lammfleisch kamen vom Grill
und gehören in ein Museum für Comfort
Food. Der Burger war mir eigentlich schon
zu viel, aber ich aß ihn trotzdem.“
Das ist für den hungrigen Leser Folter,
für den weniger Hungrigen manchmal et-
was too much. Allerdings gelingt es Seiler,
selbst solche Fressorgien, zu denen meist
auch ordentlich Wein fließt, mit witzigen

ErlebnissenundBeobachtungenzugarnie-
ren,sodasses seltenermüdend wird. Etwa,
wie er einen Auffahrunfall auf dem High-
way in L.A. hat und, als er aussteigt und an
die Scheibe des Unfallgegners klopft,
einen Vampir vorfindet. Keinen echten
zwar, aber einen Schauspieler, der „die
ganze Nacht lang in einem Low-Budget-
Horrorfilm eine Leiche verkörpert hatte“.
Man folgt dem Ich-Erzähler gerne auf
seinen Ess-Kapaden in alle Welt. Denn
während man sich dabei gut unterhält,
gibt es auch meist etwas zu lernen oder
zum Nachmachen. Ob das nun die besten
Adria-Scampi sind, denen er in
Mošćenička Draga, Kroatien, bei lebendi-
gem Leib den Kopf abreißt, um ihr süßes
Fleischzuverzehren;odereinBesuchbeim
schottischenKochJockZonfrilloinAustra-
lien ist, der ihm die Speisen der Aborigines
mit sauren grünen Ameisen und Känguru-
Shoyu näherbringt; oder er auf den Azoren
täglich zwei heimische Ananasse isst und
mit einem befreundeten Koch einen Topf
mitfünfKilogrammFleischineinemTher-
malwasserloch gart: Seiler ist immer auf
der Suche nach solch unvergesslichen
Geschmackserlebnissen, die für ihn die
Währung persönlichen Glücks sind.
Falls dieses sich einmal nicht einstellt,
weil etwa Hüttenköche in Bad Gastein ihm
Mikrowellen-Käsespätzle auftischen oder
vegane Köche in Kalifornien ihm Büffel-
Mozzarella aus Nusscreme vorsetzen,
kann er auch mal ansatzweise böse wer-
den, natürlich auf eine sehr witzige Art. Es
bleibt also festzuhalten: Wer gutes Essen,
schöne Sprache und das Reisen liebt, wird
von Seiler aufs Vortrefflichste bedient.

Langsam beruhigt sich Dulamah wieder.
Er hattegeschimpft, dass diese Tabletten
schädlich seien für den Körper, überdies
verboten im Islam – und was Miriam sich
überhaupt einbilde, Drogen einzuführen.
Dulamahs Bruder Wassim dolmetscht
zwischen den zweien, der Deutschen und
dem Marokkaner. Irgendwann wird den
beiden jungen Männern klar, dass Miriam
Spies, die ihnen bei einem früheren Be-
such in Marokko zur Freundin geworden
ist,dochnicht schachtelweise Speed dabei
hat. Sondern Koffeintabletten.
Die drei fahren durch die Nacht, sind
müde. Die Tabletten sollen Dulamah, der
am Steuer sitzt, helfen, wach zu bleiben.
„Erst gluckstees nurleise,vonKopfschüt-
teln begleitet, aus ihnen heraus“, schreibt
Spies in ihrem amüsanten Buch „Im Land
der kaputten Uhren“, als sich die Situation
entspannt.BisdieBrüderschließlich„laut-
hals lachend mit den Köpfen auf Lenkrad
und Armaturenbrett lagen und sich
Tränen aus den Augen wischten“. Kaffee
inTablettenformzupressen,stattihnauf-
zubrühen und seine Aromen zu genießen,
so etwas Verrücktes könnten sich nur
Europäer ausdenken.
Es ist eine von vielen Szenen aus dem
Buch über einen Roadtrip der Autorin
durch Marokko, die von mannigfachen
kulturellen Differenzen handeln. Wobei
Miriam Spies, die Konfrontationen nicht
scheut, nie aus einem Gefühl der Über-
legenheitherausargumentiert.Zwarstrei-
tet sie immer wieder mit etlichen der
FreundeundBekannten,denen sieaufder
Reise neuerlich begegnet. Einem wirft sie
vor, er entschuldige mit seiner religiösen
Ergebenheit, wonach es angeblich egal
sei, was er tue oder lasse, da ohnehin Allah
alles richte, lediglich sein Phlegma. Sie
hält ihren Atheismus aber nicht per se für
fortschrittlicher oder aufgeklärter als den
Gottesglaubender meistenjungenMarok-

kaner, mit denen sie verkehrt. Und dass
sie für ihre Koffeintabletten ausgelacht
wirdundihreFreundedarineinDekadenz-
Phänomen sehen, leuchtet ihr ein.
„Zum Glück verfügten die Jungs über
genügend Humor, um meine fehlende
Diplomatie auszugleichen“, schreibt die
AutorinaneinerStelle.Sieistdurchausan-
griffslustig, sie verteidigt ihre Ungläubig-
keit, ihr Nicht-Verheiratetsein. Und sie
ärgertsichüberdiemaßloseUnpünktlich-
keit vieler Marokkaner, die mitunter auch
eine Unzuverlässigkeit ist. So scheitern
Pläne – jedenfalls nimmt Miriam Spies
das so wahr. Für Marokkaner bedeute ein
geplatztesTreffen aber„keinScheiternim
eigentlichen Sinn, sondern lediglich eine
Planänderung“.

Toleranz bedeutet für Miriam Spies,
sich auf das Fremde einzulassen, sich mit
ihm auseinanderzusetzen. Aber nicht not-
wendigerweise, alles, vor allem das Ärger-
liche – und womöglich sogar noch aus
einer falsch verstandenen Nachsicht her-
aus – immer klaglos zu akzeptieren. „Die
sind halt so“ – das kann und will sie nicht
gelten lassen, zumal das eine unzulässige
Verallgemeinerung wäre. Sie verlangt, als
Frau respektvoll behandelt zu werden in
einer Gesellschaft, in der das nicht immer
gegeben ist. Sie kämpft dafür, sich nicht

ausnutzen zu lassen als Fremde von Taxi-
oder Busfahrern und anderen potenziel-
len Neppern.
Sie bringt diesen Respekt aber selbst
auch auf.FürihreGastgeber,für dievielen
ihr unbekannt bleibenden Menschen, die
ihr über die kleinen und auch größeren
Tücken des Alltags hinweghelfen. Und
eines wird ziemlich deutlich: Sie fühlt sich
deutlich wohler im Kreis von Marokka-
nern als bei den Europäern, unter die sie
auch immer wieder gerät. Weil sie unter
den anderen Reisenden ein aufrichtiges
Interesse an den Menschen, die sie besu-
chen, sehr häufig vermisst. Und genervt
ist von einem verbreiteten Habitus einer
Aussteigerexistenz, obwohl der vermeint-
liche Ausstieg sich lediglich auf die Dauer
eines Jahresurlaubs erstrecke.
„Im Land der kaputten Uhren“ erzählt
keine Abenteuer- und keine Aussteiger-
Geschichte.EsgehtindiesemBuchum die
Reibungen, die erzeugt werden, wenn
jemand wie die Autorin, westlich geprägt,
mit wachem Verstand in Milieus ein-
taucht, zu denen sie durch ein ähnliches
Alter und gemeinsame Interessen zwar
einen Zugang hat. In denen sie jedoch nie
aufgehen wird. Dazu hat sie als Deutsche
zu viele Privilegien, genießt und bean-
spruchtsieFreiheiten,diesichihremarok-
kanischen Freunde alle erst erkämpfen
müssten.
Spies ist interessiert an der Energie, die
bei dieser Reibung entsteht. Nicht selten
befeuert die ihren Humor. Es ist eine
Kunst, Situationen so zu schildern, dass
sich deren Komik auch jenen erschließt,
die nicht dabei waren. Miriam Spies
beherrscht sie vortrefflich. Deshalb wird
eine grauenvolle Busfahrt, auf der sich
mehrere Passagiere übergeben müssen,
zur fulminanten Slapstick-Nummer. An
deren Ende der erste Eindruck mal wieder
nicht der richtige war. stef an fischer

Eigentlich geht es im neuen Buch von Hel-


ge Timmerberg um gerade mal neun Tage


in Kathmandu. Neun ziemlich miese Tage


obendrein,indenenderMonsundemWel-


tenbummler aufs Gemüt prasselt, er auf


schlammigen Schlaglochstraßen die Ori-


entierung verliert oder in Taxis durchge-


schütteltwirdund eineAtemschutzmaske


braucht,umimSmognichtdraufzugehen.


In Kathmandu sieht es für ihn nicht so aus


„wie in der märchenhaften Hauptstadt ei-


nes Himalaja-Königreichs, sondern wie in


jedemDrecksloch Asiens“.Aberdas istdas


neue Buch von Helge Timmerberg, und


deshalb gerät der anstrengende Kurzauf-


enthaltindiesernochvomjüngsten Erdbe-


ben geschädigten, unter einer beißenden


Dunstglocke liegenden Metropole zum


schillernden Abenteuer. Das archaische


Muster, nach dem alle guten Geschichten


gestrickt sind, offenbart der Autor seinen


Lesern selbst: „Man nennt es den Mythos


des Helden. Erst gammelt er rum, dann


kommt die Aufgabe, und er geht los. Als


Nächstes hat er es mit Prüfungen zu tun,


eine schwerer als die andere, und wenn er


sie besteht, fickt er die Prinzessin.“


Zunächst gammelt er also herum, im

Haus einer Freundin, die als Hippie geal-


tertistwieerselbst,der nunmehr67-Jähri-


ge. Als Reisender ist er auf der ganzen


Welt unterwegs, als Autor in den Grenzbe-


reichen von Journalismus und Literatur.


In seiner Jugendtrampte Timmerberg auf


dem Landweg nach Indien und entdeckte


das Schreiben als Finanzierungsquelle für


den vagabundierenden Lebensstil. Heute


trägt er Haare und Bart noch immer lang


undsiehtsichselbstvonaußen„wieJesus,


aber dicker“. Doch hinter allen markigen


Worten,hinterallenSätzen,dieererstlan-


ge feilt, bevor er sie so hingehämmert wir-


ken lässt wie Faustschläge, scheint immer


der feine Beobachter durch, der Timmer-


berg auch ist. Es wäre ein Leichtes, ihn als


unterhaltsamen Typen zu lesen, dessen
analoger Erlebnishunger und eher klas-
sisch maskuline Art ihn als Fossil aus den
Vorzeiten politisch korrekten Verhaltens
kennzeichnen. Seine so gesehen altmodi-
sche Art wirkt vor dem photogeshoppten
HintergrundgeflimmerderInstagram-Po-
ser absolut erfrischend. Mit radikal sub-
jektiven stilistischen Vorbildern aus den
Siebzigerjahren wie Charles Bukowski
und Hunter S. Thompson steht er immer
noch auf gutem Fuß. Und dass er kein
Langweiler ist, bedeutet ja nicht, dass er
nichts Substanzielles zu sagen hat.
UnterdenBestsellerautoren,dievonun-
terwegs berichten und sich dabei selbst in
die Seele blicken, ist er der große Sympa-
thieträger. Man folgt ihm einfach gerne,

weil er das, was er macht, so übertrieben,
so dramaturgisch geschickt, so philoso-
phischundballaballadarstellt,undweiler
sich selbst immer wieder dabei be-
schreibt, wie er auf die Fresse fällt. Im Hi-
malaja,inGötternähe, istjeder Fallbeson-
derstief. Zweifel melden sich bei Timmer-
berg immer wieder, an der Richtigkeit sei-
nes Tuns oder ob überhaupt noch jemand
wissenwill, was er tut: „Der Buchmarkt ist
ein romantisches Schiff mit zerfetzten
Segeln und morschen Planken, umgeben
von den Superjachten der neuen Medien“,

schreibt er. Mit eigenen Widersprüchen
kommt er halbwegs klar: „Mittlerweile
glaube ich nicht mehr an Reinkarnation,
abersobaldich hierbin, geht es wieder los.
Ichwilldasnicht.Aber ichgenießedas Ge-
fühl.“ Und damit wären wir auch schon bei
der Aufgabe, die er sich gestellt hat: einen
Yogi zu finden, der ihm vor 15 Jahren ein
Mantra gegen die Angst anvertraute.
Diese Zauberworte halfen ihm seitdem
gegenalles,wasihmFurchteinflößt:Hun-
de, Türsteher, Talkshows, Leser und Poli-
zisten.UndweileroftnachdemMantrage-
fragtwird,aberdenkt,eskönnteseineWir-
kung verlieren, wenn er es verrät, will er
den Yogi um Erlaubnis bitten, seine For-
mel zu offenbaren. Aber erst einmal hat er
es mit den Prüfungen zu tun: dem
Schlamm,demRegenundeinerPanikatta-
cke,nachdemermiteinemzufällig getrof-
fenenFankifft,derdasHaschischgroßzü-
gig „von einer Art Schwarzbrot“ abschnei-
det.VorallemaberfindetTimmerbergsei-
nen Yogi nicht, nur einen anderen Yogi,
der ihm sagt, er werde den Yogi niemals
finden. Und dass das angebliche Mantra
gar keines ist, sondern ein gewöhnlicher
GrußandenElefantengott,denin Nepalje-
der kennt. Diese Erkenntnis lässt den Hel-
den in einen inneren Abgrund schauen, er
denkt über seine Spiritualität nach, über
den Willen und seinen Weg, den Unter-
schied von „nicht aufgeben“ und „nicht
loslassen“, Begriffe, die für ihn den Polen
Heldentum und Idiotie entsprechen.
Wenn ereinenGlaubennachdem anderen
verliert, warum nicht gleich den Glauben
an die Ängste? So geht es in seinen Gedan-
ken, bis dieses Buch, das dann natürlich
noch eine Hammer-Überraschung bereit-
hält und dadurch so durchkonstruiert
wirkt, aber auch so hübsch funktioniert
wie ein buddhistisches Gleichnis, ein
glückliches Ende findet. Eine Prinzessin
gibt es auch. jochen t emsch

Miriam Spies: ImLand
der kaputten Uhren. Mein
marokkanischer Roadtrip.
Con Book Verlag,
Neuss 2019. 284 Seiten,
14,95 Euro.

Gepresst, nicht gebrüht


Miriam Spies reibt sich freudig an marokkanischen Lebensgewohnheiten


Im Rausch


der Karotte


Immer dem guten Geschmack nach:


Christian Seiler isst sich um die Welt


Helge Timmerberg:Das
Mantra gegen die Angst
oder Ready for everything.
Neun Tage in Kathmandu.
Malik Verlag, München


  1. 176 Seiten, 20 Euro.


Der Held von Kathmandu


In Nepal ergründet Helge Timmerberg das Geheimnis magischer Worte


FOTO: NICOLE STRASSER

24 V2 LITERATUR REISEBUCH SZ SPEZIAL– Dienstag, 15. Oktober 2019, Nr. 238 DEFGH

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