München– Derparteilose Jurist Kais Saï-
ed wird neuer Präsident Tunesiens. Der
61-jährige Konservative erreichte im zwei-
ten Wahlgang eine überwältigende Mehr-
heit:Saïed habe72,71ProzentderStimmen
bekommen,teiltedietunesischeObereun-
abhängigeWahlbehördeISIE amDienstag-
abendmit. Saïedversprach,Präsidentaller
Bürgerseinzuwollen.Derpensionierte Ju-
ra-Dozent vertritt konservative, islamisch
angehauchtePositionen und plant die Ein-
führungeinesbasisdemokratischenRegie-
rungssystems. Saïeds Wahlerfolg im Ge-
burtsland des „Arabischen Frühlings“
überrascht.DerpensionierteProfessor hat-
te den Wahlkampf ohne eigene Partei und
mitsehreinfachenMittelngeführt. Die Tu-
nesier hätten der Welt eine Lektion erteilt,
sagte er nun. „Es ist eine Revolution im
Rahmen einer demokratischen Verfas-
sung und in völliger Legalität.“
Wie im ersten Wahlgang, in dem Saïed
18,4Prozent erhalten hatte, stimmten in
der Stichwahl vor allem junge Wähler für
ihn. Saïed hatte versprochen, die Refor-
men des „Arabischen Frühlings“ von 2011
wiederzubeleben: „Wir müssen das Ver-
trauen zwischen Volk und Regierung er-
neuern.“ Sein Gegenkandidat Nabil Karoui
kaminderStichwahl lautvorläufigemamt-
lichen Endergebnis auf 27,29 Prozent der
Stimmen. Der Medienunternehmer, hatte
seit August wegen Korruptionsvorwürfen
in Untersuchungshaft gesessen und kam
erst am Mittwoch frei. Er kritisierte, ihm
seieinfairerWahlkampfverwehrtworden.
Das Urteil im Prozess steht aus.
Saïed hat keine Partei hinter sich und
keine praktische politische Erfahrung. Er
hat keine klassische Kampagne geführt,
sondern auf Plakataktionen, Großveran-
staltungen und Spindoktoren verzichtet
und nicht einmal die staatliche Wahl-
kampfhilfeangenommen.SeinenStraßen-
wahlkampf,beidemermitwenigenUnter-
stützerndurchs Landtourte,in billigenHo-
tels schlief und das direkte Gespräch mit
den Wählern suchte, hatte er ausgesetzt,
als Karoui in Untersuchungshaft saß, um
die Chancengleichheit zu wahren.
Saïeds Erfolg als einer von 26 Kandida-
tenüberrascht umsomehr,als erwederer-
fahren noch charismatisch ist. Wegen sei-
ner monotonen Sprechweise und seines
spröden Auftretens nennen ihn viele „Ro-
bocop“. Unter den Gegnern in der ersten
Wahlrunde waren Sozialisten, ein singen-
derImamundeineVertreterindesaltenRe-
gimes,welchedienach2011erfolgteDemo-
kratisierung zurückdrehen wollte. Selbst
der Premier- und der Verteidigungsminis-
ter schieden mit beschämenden Ergebnis-
sen aus. Der Verfassungsrechtler präsen-
tiertesichalskonservativer, gegenKorrup-
tion immuner Anti-Politiker. Er ist gegen
die Legalisierung der Homosexualität, ge-
gen eine Normalisierung der Beziehungen
zuIsrael,fürdieTodesstrafeundfüreinko-
rankonformes Erbrecht.
NachderNiederlagewiederholteKaroui
den Vorwurf, ihm sei ein fairer Wahlkampf
unmöglich gemacht worden. Er akzeptiere
die Niederlage aber. Damit ist eine politi-
sche Krise abgewendet. Nach dem Tod von
StaatspräsidentBejiCaidEssebsi EndeJuli
übernahm Parlamentspräsident Moha-
med Ennaceur dessen Rolle, sein Mandat
läuftjedochEndeOktoberaus.HätteMedi-
enunternehmerKarouiwegenseinerInhaf-
tierungdenRechtswegeingeschlagen,hät-
tesichSaïedsVereidigungüberEndeOkto-
ber hinaus ziehen können: Tunesien wäre
ohne Staatschef dagestanden.
Die Kompetenz des Präsidenten liegt
weniger im Tagesgeschäft, aber Tunesien
steht vor einer komplizierten Regierungs-
bildung.AnfangOktoberhattendieTunesi-
ereinParlamentgewählt. Diemoderatisla-
mistische Ennahda wurde stärkste Kraft
mit 24Prozent, Karouis Qalb Tounes –
Herz Tunesiens – kam mit 17,5 auf Platz
zwei. Diese Parteien wollen aber nicht koa-
lieren. Falls mit Hilfe Unabhängiger eine
Regierung gebildet werden kann, wird sie
entsprechend instabil sein.
moritz baumstieger
München –DasErgebnishatselbstdieop-
timistischeren Erwartungen der Oppositi-
on übertroffen. Umfragen, je nachdem,
wie regierungsnah das ausführende Insti-
tut war, hatten dem Oppositionskandida-
ten auf das Amt des Oberbürgermeisters
von Budapest eine sehr knappe bis recht
deutlicheNiederlagegegendenAmtsinha-
ber von der Regierungspartei Fidesz vor-
ausgesagt. Doch Gergely Karácsony, 44
Jahrealt,Soziologeund gemeinsamerKan-
didat der bis dato zersplitterten Oppositi-
on, hat die Abstimmung vom Sonntag
nicht nur gewonnen, sondern deutlich ge-
wonnen: mit 50,1 Prozent gegenüber
44,1Prozent für den Fidesz-Mann. Er er-
zielte die Mehrheit auch in Stadtteilen, die
als besonders konservativ gelten. Nicht
nur Budapest wird künftig eine linksgrüne
Insel im Land von Viktor Orbáns „illibera-
ler Demokratie“ bilden, auch in weiteren
siebenStädtenhatsichdasjeweiligeOppo-
sitionsbündnis durchgesetzt. In Eger um-
fasst es auch die Rechtsaußen-Partei Job-
bik.
Die Wahlkämpfer von Fidesz setzten
auf eine Kombination aus Schmähungen
der Herausforderer und sehr körperlichen
Wohlfühl-Botschaften: In Teilen der
Hauptstadt brachten sie Kartoffelsäcke
mit angehefteten Porträts ihres Kandida-
ten sowie traditionellen Kochrezepten un-
ters Volk. Am Ende nützte es ihnen nichts:
Das von Fidesz kultivierte Image als Wah-
rer christlich-abendländischer Werte be-
kam etwa dadurch neue Risse, dass ein Vi-
deo kursierte, in dem der Fidesz-Bürger-
meister der Stadt Györ, Zsolt Borkai, als
sehr konkreter Akteur einer Orgie auf ei-
ner Yacht vor der kroatischen Adria zu se-
hen ist. In Györ selbst gewann Borkai zwar
noch mit eineinhalb Prozentpunkten Vor-
sprung–dochdieEnthüllungkosteteAna-
lysten zufolge Fidesz auch jenseits von Gy-
ör Stimmen, besonders in der traditionell
liberaler geprägten Hauptstadt.
Gergely Karácsony, der Budapester
Wahlsieger, hatte seine Strategie selbst als
„linken Populismus“ bezeichnet. Er war
nach Istanbul gereist, um sich vom dorti-
gen neuen Bürgermeister inspirieren zu
lassen: Im Juni hatte sich der Oppositions-
kandidatEkremİmamoğlugegendenKan-
didaten der Regierungspartei AKP durch-
gesetzt.Die„politischeMaschinerie“inUn-
garn ähnele inzwischen jener in der Türkei
stark, erklärte Karácsony: „Istanbul zeigt,
dass David gegen Goliath gewinnen kann.“
Das klang zu dem Zeitpunkt nach
Zweck-Optimismus:SelbstKarácsonysAn-
hänger äußerten in Umfragen mehrheit-
lich die Einschätzung, Fidesz würde wie-
der gewinnen. Nach seinem Sieg sagte Ka-
rácsony nun: „Wie haben allen eine Lekti-
on in Demokratie erteilt.“ Premier Orbán
freute sich derweil über die ungebrochene
Stärke vonFideszaußerhalbderGroßstäd-
te: „Wir können auf Ungarns ländlichen
Raum zählen, und Ungarns ländlicher
Raum kann auf uns zählen.“ t obias zick
London–AufdemWegzurQueenversuch-
te Boris Johnson ein paar Worte mit Jere-
my Corbyn zu wechseln. Doch der Labour-
Chef hatte offensichtlich keine Lust auf
Small Talk mit dem Premierminister; er
blickte stur geradeaus. So blieb Johnson
nicht viel mehr übrig, als den Mund zu
halten und neben Corbyn das House of
Lords zu betreten, wo Königin ElizabethII.
schon auf dem Thron wartete, um sogleich
die „Queen’s Speech“ zu verlesen.
Die Monarchin hat darin eine gewisse
Übung. Die Rede am Montag war für sie
bereits die 65. dieser Art. Im Vereinigten
Königreich ist eine Queen’s Speech stets
etwas Besonderes, denn die Zeremonie
dient nicht zuletzt der Selbstvergewisse-
rungeines Landes, in dem althergebrachte
Rituale auch in unruhigen Zeiten gepflegt
werden. Der Brexit mag das Land ge-
spalten haben, doch die Eröffnung einer
neuen Sitzungsperiode des Parlaments
folgt noch immer klaren Regeln, die in
dieser Form seit 1852 gelten.
UndsoließsichdieQueen andiesemver-
regneten Londoner Montag wie gewohnt
vom Buckingham Palace zum Parlament
kutschieren.DievergoldeteDiamondJubi-
lee State Coach wurde von sechs weißen
Pferdengezogen.EskortiertvomWachregi-
ment der Household Cavalry kam sie um
kurz vor halb zwölf Uhr am Westminster
Palace an. Prinz Charles und seine Ehefrau
Herzogin Camilla begleiteten die Königin.
Im Oberhaus verlas sie schließlich im
Beisein der Abgeordneten des Unterhau-
ses die Regierungserklärung des Premier-
ministers. Auf deren Inhalt nimmt die
QueenkeinenEinfluss.CorbynhatteJohn-
son schon vor der Rede vorgeworfen, den
Auftritt der Königin zu Wahlkampfzwe-
cken zu missbrauchen. Der Premierminis-
terentgegnete,dassseineRegierungambi-
tionierte Gesetzesvorhaben geplant habe,
die mit einer Queen’s Speech gewürdigt
werden müssten. Johnson will mehr Geld
für das Gesundheitswesen investieren,
Straßen und Breitbandnetze ausbauen
und dafür sorgen, dass die Kriminalität
besser bekämpft wird. Es waren die übli-
chen Ankündigungen, die er seit seinem
Amtsantritt immer wieder vorgetragen
hatte. Nun durfte das die Queen für ihn
übernehmen.
Doch all der Prunk konnte nicht dar-
über hinwegtäuschen, dass Johnson der-
zeitüberkeineMehrheitimParlamentver-
fügt. All die Pläne, die Königin ElizabethII.
verlas, dürften also – wenn überhaupt –
erst nach Neuwahlen umgesetzt werden
können. Insofern war es nicht überra-
schend, dass der erste Satz der Queen’s
SpeechdemBrexitgalt.VomgeplantenEU-
Austritt hängt alles andere ab. Die Königin
also sagte im Auftrag von Boris Johnson:
„Die Priorität meiner Regierung war es
immer, einen Austritt aus der Europäi-
schen Union am 31. Oktober zu sichern.“
Die Regierung wolle auf eine „neue Part-
nerschaft mit der EU hinarbeiten, die auf
freiem Handel und freundschaftlicher
Zusammenarbeit beruhen soll“.
Doch wie schwer das ist, zeigten am
Montag erneut die Brexit-Verhandlungen.
In Brüssel stritten die Unterhändler weiter
über die Frage, ob Nordirland dem briti-
schen Zollregime unterliegen kann, wenn
esinderPraxisauchEU-Zollregelnanwen-
det.SowillJohnsoneineharteGrenzezuIr-
land vermeiden. Die Zeit, um eine Lösung
zu finden, ist knapp. Bereits am Donners-
tagtreffensichdieStaats-undRegierungs-
chefs zu ihrem EU-Gipfel. Dann wird es
zumSchwurkommen:Gibtes dochnochei-
nen Deal zwischen Brüssel und London?
Johnson zeigte sich am Montag jeden-
falls fest dazu entschlossen, denn nur so
kann er das Versprechen einlösen, sein
Land am 31. Oktober aus der EU zu führen.
Gelingt es dem Premier beim Gipfel nicht,
eine Einigung zu erzielen, ist er gesetzlich
verpflichtet, eine Verlängerung der Aus-
trittsfristzubeantragen.Johnsonhataller-
dings mehrmals betont, dass er dies nicht
tun werde. Für den Tag nach dem Gipfel ist
bereits eine Sondersitzung des Unterhau-
sesgeplant.SollteeseinenDealgeben,wür-
de dann wohl darüber abgestimmt – mit
ungewissem Ausgang. Kein Wunder, dass
es schon Spekulationen über einen weite-
ren Brexit-Gipfel kurz vor dem 31. Okto-
ber gibt. ale xand er mühla uer
Robocop im Präsidentenpalast
Bei denWahlen in Tunesien gewinnt ein islamisch-konservativer Professor, der ebenso dröge wie prinzipienfest ist
Erfolge der Opposition
in Ungarns Städten
von th omas ur ban
Madrid–ImumstrittenenMadriderSepa-
ratistenprozess hat das Oberste Gericht
Spaniens harte Urteile verkündet: Neun
der angeklagten Führer der katalanischen
Unabhängigkeitsbewegung sollen zwi-
schen neun und dreizehn Jahren ins Ge-
fängnis. Drei weitere Katalanen wurden zu
Geldstrafen verurteilt. Die Urteile bezie-
hen sich auf die Rolle der Angeklagten
beim Referendum über die Unabhängig-
keit der wirtschaftsstarken Industrie- und
Tourismusregionvom1. Oktober2017.Das
Verfassungsgericht hatte die Abstimmung
zuvor für illegal erklärt. Als die damalige
katalanische Führung wenig später den-
noch die Unabhängigkeit ausrief, wurde
sie von der Zentralregierung in Madrid ab-
gesetzt.DasRegionalparlamentinBarcelo-
na wurde aufgelöst, Katalonien unter
Zwangsverwaltung gestellt. Der damalige
Regionalpräsident Carles Puigdemont
stand nicht vor Gericht, denn er war im
Herbst2017 zusammenmitanderenPoliti-
kernvor einerFestnahmeinsExilnachBel-
gien geflohen. „Insgesamt 100 Jahre Haft.
EineBarbarei“,twitterteeralsersteReakti-
on auf den Richterspruch.
Die harten Urteile waren in Madrid er-
wartet worden. Kommentatoren nannten
das Verfahren das wichtigste seit dem
Übergang zur Demokratie nach dem Tod
des Diktators Franco im Jahr 1975. Die
Richter sahen im früheren katalanischen
Vizepremier Oriol Junqueras den Rädels-
führerbeiHandlungenderFührunginBar-
celona,diegegendieVerfassungdesKönig-
reichsSpanienverstießen.Junqueras,Vor-
sitzenderder RepublikanischenLinkenKa-
taloniens (ERC) und früheres Mitglied der
FraktionderGrünenimEuropaparlament,
soll13JahreinHaft. Erwurdebei derEuro-
pawahl im Mai zum Abgeordneten ge-
wählt, aber die Wahlkommission in Ma-
drid hat sein Mandat blockiert. Die Anwäl-
te Junqueras haben dagegen geklagt, die
Entscheidung steht aus. Wie acht seiner
Mitstreiter befindet sich Junqueras seit
Herbst 2017 in Untersuchungshaft.
Ex-Parlamentspräsidentin Carme For-
cadell wollen die Richter elfeinhalb Jahre
hinter Gittern sehen. Den meisten der An-
geklagten wurde auch Veruntreuung öf-
fentlicher Gelder vorgeworfen. Dies zielte
aufAusgaben fürdasReferendum;keinem
der Angeklagten konnte aber nachgewie-
sen werden, dass er Geld veruntreut hat.
Während es bei den politischen Amtsträ-
gern fraglos ist, dass sie gegen Spaniens
Verfassung verstoßen haben, ist die Verur-
teilung der Aktivisten Jordi Sànchez und
Jordi Cuixart höchst umstritten. Sànchez
standanderSpitzederKatalanischenNati-
onalversammlung (ANC), Cuixart führte
die Kulturvereinigung Òmnium; beide Or-
ganisationen streben zwar die Abspaltung
Kataloniens von Spanien an, doch sehen
die Verteidiger der „beiden Jordis“, wie sie
in Katalonien genannt werden, deren Pro-
gramme durch das Recht auf Meinungs-
und auf Versammlungsfreiheit gedeckt.
DieRichterwarenaberderArgumentati-
on der Staatsanwaltschaft nicht gefolgt,
wonachdieAngeklagtensich derRebellion
schuldig gemacht hätten. Dieser Tatbe-
stand setzt Gewaltanwendung voraus. Zu
dieser war es am 1. Oktober 2017 aber nur
von Seiten der spanischen Polizei gekom-
men, die von der damaligen Regierung in
Madrid angewiesen worden war, die Ab-
stimmung zu verhindern. Die Richter
musstenden Tatbestandauchdeshalbver-
werfen, weil dies zuvor Gerichte in der
Schweiz, in Schottland, in Belgien und in
Deutschland getan hatten. Die Behörden
dieser Staaten hatten außer Landes geflo-
hene katalanische Separatisten aufgrund
eines Ersuchens Madrids festgenommen.
Im letzten dieser Fälle war es das
Oberlandesgericht von Schleswig-Hol-
stein, dass die Auslieferung des früheren
katalanischen Regierungschefs Puigde-
mont wegen Rebellion abgelehnt hatte.
Puigdemontversucht nun,vonBelgien aus
Einfluss auf das Geschehen zu nehmen.
Beieiner Einreise nachSpanien würde ihm
die Festnahme drohen.
Puigdemonts Nachfolger an der Spitze
der katalanischen Regionalregierung,
Quim Torra, erklärte nach der Urteilsver-
kündung: „Wir lehnen diese Urteile als un-
gerecht und undemokratisch ab.“ Man ge-
be das Ziel einer souveränen Republik Ka-
talonien nicht auf. Der spanische Fußball-
meister FC Barcelona, dessen Stadion als
Hochburg der Separatisten gilt, forderte
auf seiner Homepage die Freilassung der
Verurteilten.IndemTexthießes:„Gefäng-
nis ist nicht die Lösung.“ Der Konflikt sei
nur durch „politischen Dialog“ zu lösen.
Im Zentrum Barcelonas formierten sich
nachVerkündungderUrteileersteSolidari-
tätskundgebungen für die Verurteilten.
Die katalanische Regionalpolizei hatte be-
reitsinderNachtdenFlughafenvonBarce-
lona sowie wichtige Bahnhöfe der Region
gesichert. Separatistische Aktivisten hat-
ten angekündigt, Verkehrsknotenpunkte
zu blockieren. In Madrid wird spekuliert,
ob die Urteile die bevorstehenden nationa-
len Wahlen beeinflussen werden.
Washington –Der Kampfum die Präsi-
dentschaftskandidatur der Demokraten
wird immermehrzu einem Duellzwischen
Joe Biden und Elizabeth Warren. Vor der
vierten Fernsehdebatte, die an diesem
Dienstag in Westerville, Ohio stattfindet,
haben sich der frühere Vizepräsident und
die Senatorin aus Massachusetts deutlich
vom Rest des Feldes abgesetzt. Im Durch-
schnitt der landesweiten Umfragen, den
dieInternetseiteReal Clear Politicserrech-
net, liegen Biden und Warren derzeit mit
knapp28 respektive26ProzentanderSpit-
ze.SiehabendamiteinenzweistelligenVor-
sprung auf den Drittplatzierten, Senator
Bernie Sanders. Dieser kommt in Umfra-
gen nur noch auf einen Stimmenanteil von
gut 15 Prozent. Alle anderen Kandidaten
erreichen nur einstellige Werte.
Dass Sanders zurückzufallen beginnt,
dürfte unter anderem mit zwei Dingen zu
tun haben. Der 78 Jahre alte Senator aus
Vermont, der sich selbst als „demokrati-
schen Sozialisten“ bezeichnet, ist zwar nur
wenig älter als Biden, 76, und Warren, 70.
Aber er hatte vor Kurzem einen Herzin-
farktundmussteseinenWahlkampfunter-
brechen. Das könnte etliche Wähler dazu
gebracht haben, ihre Unterstützung für
ihn zu überdenken.
Vor allem aber hat sich Warren klar als
die Anführerin des linksliberalen Flügels
derDemokratenetabliert,dergrundlegen-
de, sozialdemokratische Reformen for-
dert.Warrenhatin denvergangenenMona-
ten eine ganze Reihe von Reformvorschlä-
gen vorgelegt, die – sollten sie, was freilich
unwahrscheinlich ist, jemals Realität wer-
den –, die USA politisch weit nach links rü-
cken würden. Anders als vor vier Jahren,
als Sanders in den parteiinternen Vorwah-
len überraschend erfolgreich gegen Hilla-
ry Clinton antrat, hat das linke Lager in
Warren daher nun eine glaubwürdige Be-
werberin, die zudem tatsächlich der Partei
angehört. Sanders hingegen ist ein unab-
hängigerSenator,demimdemokratischen
Parteiestablishment auch viel Misstrauen
entgegenschlägt.
Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass
Sanders bald aufgibt: Im dritten Quartal
2019 hater mehr als 25Millionen Dollar an
Spenden eingenommen – genug, um noch
lange weiterzumachen.
Die linke Bannerträgerin Warren kann
sich dagegen nun darauf konzentrieren,
den politisch eher moderaten Biden zu be-
siegen. Dieser zehrt vor allem von seinem
Ruf, ein gemäßigter Demokrat zu sein, der
vielleicht die linken Anhänger der Partei
nicht wirklich begeistert, dafür aber Wäh-
ler aus der politischen Mitte und der unte-
ren weißen Mittelschicht für sich gewin-
nenkönnte, die 2016 fürDonaldTrumpge-
stimmthaben.BidensProgrammistlängst
nicht so radikal wie Warrens. Im Kern ver-
spricht der ehemalige Vizepräsident, die
Politik von Barack Obama fortzusetzen.
Biden hatte das Bewerberfeld lange Zeit
solide angeführt. In den vergangenen Wo-
chen hat Warren in den landesweiten Um-
fragendeutlichjedochaufgeholt.Indenex-
trem wichtigen Bundesstaaten Iowa und
New Hampshire, in denen Anfang nächs-
ten Jahres die ersten beiden, eventuell
vorentscheidenden Vorwahlen der Demo-
kratenabgehaltenwerden,liegtWarrenin-
zwischen sogar vor Biden. Dieser führt da-
für deutlich im Südstaat South Carolina,
dem dritten frühen und ebenfalls sehr
wichtigen Vorwahlstaat. Das liegt vor al-
lem daran, dass dort der Anteil schwarzer
Wählersehrhochist,dietraditionelldemo-
kratisch wählen, allerdings oft konservati-
vereAnsichtenhabenalsdielinkenAktivis-
ten vom Warren-Flügel.
Dennochistunübersehbar,dassWarren
Rückenwind hat: Im dritten Quartal sam-
melte sie fast 25 Millionen Dollar an Wahl-
spenden ein. Das waren satte zehn Millio-
nen mehr als Biden. Zudem hat das Im-
peachment-Verfahren gegen Trump dazu
geführt, dass auch viel über die zum Teil
undurchsichtigen Geschäfte von Bidens
Sohn Hunter in der Ukraine und China be-
richtet wird. Das hilft Joe Biden nicht.
Die zwei größten Überraschungen im
restlichen Feld, positiv wie negativ, sind
wohl die Bewerber Pete Buttigieg und Beto
ORour ke: Buttigieg, der moderate, offen
homosexuelle Bürgermeister der Klein-
stadt South Bend in Indiana, hält erstaun-
lich gut mit der Spitzengruppe mit und
empfiehlt sich dadurchals möglicherVize-
kandidat. ORourk e, ein ehemaliger Kon-
gressabgeordneter aus Texas, galt hinge-
gen einst als politisches Großtalent und
Jungstar der Demokraten. Derzeit kommt
er in den Umfragen aber kaum an die zwei
Prozent heran. hubert wetzel
DEFGH Nr. 238, Dienstag, 15. Oktober 2019 (^) POLITIK HF3 7
Johnsons Worte aus dem Munde der Queen
ElizabethII. trägt zur Parlamentseröffnung das Programm des Premiers vor – auch zum Brexit war nichts Neues dabei
Lange Haft für Kataloniens Separatisten
Spaniens Richter urteilen ungewöhnlich hart über neun politische Amtsträger der Unabhängigkeitsbewegung.
Der im Exil lebender Regionalpräsident Puigdemont nennt die Urteile „eine Barbarei“
Der Demokrat Joe Biden liegt knapp vor
seiner weiterlinks positionierten Kon-
kurrentin in Elizabeth Warren. FOTO: DPA
Protest gegen den Madrider Richterspruch: Bürger halten Porträts der katalanischen Separatistenführer hoch, nachdem diese vom Obersten Gericht Spaniens zu unge-
wöhnlich langen Haftstrafen verurteilt worden waren. FOTO: PAU BARRENA / AFP
Königin ElizabethII. wurde von Kronprinz Charles begleitet, als sie zum 65. Mal im
Oberhaus vom Thron die „Queen’s Speech“ verlas. FOTO: TOBY MELVILLE/AFP
Wichtigster Richterspruch
seit dem Ende
der Franco-Diktatur
Zwei setzen sich
an die Spitze
Warren und Biden führen im
Kandidatenrennen der Demokraten