Dietmar Neuerer Berlin
I
n der Großen Koalition ist ein
Streit über die Überwachung
von Messengerdiensten ent-
brannt. Auslöser sind Forde-
rungen aus der Union, nach
dem rechtsterroristischen Angriff auf
eine Synagoge in Halle den Sicher-
heitsbehörden mehr Befugnisse im
Internet zuzugestehen.
In einem Eckpunktepapier, das
der CDU-Bundesvorstand am Montag
beschlossen hat, skizzieren die
Christdemokraten ihre „Handlungs-
offensive gegen rechtsextremisti-
schen Ter ror “. Dazu zählen sowohl
Maßnahmen für eine Stärkung der
Sicherheitsbehörden als auch Verbes-
serungen der Präventionsarbeit ge-
gen Extremismus und Antisemitis-
mus. Besonders im Fokus steht die
Radikalisierung und Vernetzung von
Rechtsextremisten im Internet. „Wir
brauchen adäquate Möglichkeiten für
Ermittlungen der Behörden im Dark -
net, bei der Überwachung von Mes-
sengerdiensten (wie WhatsApp und
Telegram, Anm. d. Red.), der Spei-
cherung und Analyse relevanter Da-
ten sowie bei Online-Durchsuchun-
gen“, heißt es in dem Papier.
In der SPD stoßen die Pläne auf
energischen Widerstand. „Wer eine
bewusste Schwächung der Kommuni-
kation fordert, nimmt in Kauf, Schä-
den für unbescholtene Nutzerinnen
und Nutzer herbeizuführen“, sagte
der digitalpolitische Sprecher der
SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zim-
mermann, dem Handelsblatt. Nicht
ohne Grund werde seit Monaten eine
intensive Diskussion über die Sicher-
heit der 5G-Netze in Deutschland ge-
führt. „Jetzt hier selbst die Axt anzu-
legen ist potenziell fahrlässig.“
Das Papier der CDU deckt sich mit
den Plänen von Bundesinnenminis-
ter Horst Seehofer (CSU). Dieser hat-
te bereits im Frühjahr einen Gesetz-
entwurf zur „Harmonisierung des
Verfassungsschutzrechts“ in die re-
gierungsinterne Ressortabstimmung
gegeben. Dort hängt der Entwurf fest
- dem Vernehmen nach, weil das
Bundesjustizministerium dagegen ist,
dem Inlandsgeheimdienst dieselben
Befugnisse zu geben, die das Bundes-
kriminalamt heute schon hat. Die
Union sieht nach dem Terroran-
schlag in Halle aber eine neue Lage
und drückt aufs Tempo. Ziel des See-
hofer-Entwurfs sei keineswegs eine
Überwachung „mit dem Schlepp-
netz“, sagte der Vorsitzende des Par-
lamentarischen Kontrollgremiums,
Armin Schuster (CDU). Vielmehr soll-
ten die Sicherheitsbehörden die Mög-
lichkeit erhalten, bei bestimmten Ver-
dachtsmomenten aktiv zu werden.
Zugriff auf Computerdaten
SPD-Politiker Zimmermann wendet
ein: „Wer jetzt die Kommunikation
von Millionen Bürgerinnen und Bür-
gern bewusst unsicherer machen
will, muss zumindest erklären kön-
nen, warum dies im Fall des Atten-
tats in Halle geholfen hätte.“ Der Tä-
ter sei offenbar weder im Visier der
Behörden gewesen noch sei bisher
etwas über eine Kommunikation per
WhatsApp bekannt, betonte der Bun-
destagsabgeordnete.
Geht es nach Seehofer, dann soll
der Verfassungsschutz mutmaßliche
Extremisten künftig besser ausspä-
hen können. Konkret geht es um die
Erlaubnis für Online-Durchsuchun-
gen. Darunter versteht man den ver-
deckten Zugriff auf Computer,
Smartphones und andere IT-Geräte,
deren Daten dann ausgelesen werden
können. Außerdem soll dem Nach-
richtendienst in bestimmten Fällen
die sogenannte Quellen-TKÜ gestattet
werden. Sie ermöglicht es, auch ver-
schlüsselte Chats und Sprachnach-
richten abzuhören.
Beschließen soll die Große Koaliti-
on zudem, wie Seehofer der
„Bild“-Zeitung sagte, dass Internet-
provider strafbare Inhalte, insbeson-
dere solche, die unter Hasskriminali-
tät fallen, an das BKA melden müs-
sen. Das müsse auch die zugehörigen
IP-Adressen erhalten.
Die CDU-Spitze will zudem die
Löschfristen von Daten auffälliger
Personen ausdehnen, „um zu verhin-
dern, dass Extremisten unter dem
Radar verschwinden, nur weil sie für
eine gewisse Periode „unauffällig“
seien. „Wir brauchen klare Antwor-
ten der Gesellschaft und des Staates
auf Menschenhass und Terror und
wirksame Instrumente gegen deren
Akteure und Netzwerke“, heißt es in
dem CDU-Papier. Seehofer will das
nicht nur für die analoge Welt ver-
standen wissen. „Rechtsextremisten,
aber auch Terroristen und Kriminelle
kommunizieren heute zunehmend
über das Internet“, betonte der Mi-
nister. „Unsere Sicherheitsbehörden
müssen das Verbrechen in der digita-
len Welt mit denselben Mitteln be-
kämpfen wie in der analogen.“
Die digitale Wirtschaft sieht in die-
ser Hinsicht vor allem die geplante
Messenger-Überwachung mit Sorge.
Wer meine, er könne für mehr Si-
cherheit sorgen, indem er durch den
Einbau von Hintertüren „Technolo-
gien unsicherer macht, irrt“, sagte
Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bern-
hard Rohleder. „Solche Schwachstel-
len sind nicht dauerhaft kontrollier-
bar und zugleich eine Einladung an
Cyberkriminelle und ausländische
Nachrichtendienste.“
Kommentar Seite 14
Messengerdienste
Streit über Zugriff auf
Mit einem Bündel an Maßnahmen will die Union gegen rechten Terror vorgehen.
Vor allem die Pläne für den Verfassungsschutz gehen der SPD deutlich zu weit.
Unsere
Sicherheits -
behörden
müssen das
Verbrechen
in der digitalen
Welt mit den -
selben Mitteln
bekämpfen wie
in der
analogen.
Horst Seehofer
Bundesinnenminister
Horst Seehofer:
Der Innenminister
will die Kompeten-
zen der Sicherheits-
behörden stärken.
ddp images/Alexander Flocke
5G-Netze
Regierung
verteidigt
Entscheidung
Donata Riedel Berlin
D
ie Bundesregierung will mit
Blick auf den Aufbau der
neuen, schnellen 5G-Mobil-
funknetze grundsätzlich kein Unter-
nehmen von vornherein ausschlie-
ßen – auch nicht den chinesischen
Telekommunikationshersteller Hua-
wei. „Aber wir stellen einen Katalog
erweiterter strenger Sicherheitsanfor-
derungen auf. Dem muss jeder, der
beteiligt werden will, Folge leisten“,
sagte Regierungssprecher Steffen Sei-
bert am Montag. Die Einhaltung die-
ser Sicherheitsanforderungen werde
regelmäßig überprüft. Seibert vertei-
digte damit die Entscheidung der
Bundesregierung, keine Lex Huawei
zu schmieden.
Das Handelsblatt hatte zuvor über
einen von der Bundesnetzagentur er-
stellten Entwurf für die Sicherheits-
anforderungen beim Netzausbau be-
richtet. Im Vergleich zu einer frühe-
ren Eckpunktefassung vom März
dieses Jahres ist ein entscheidender
Punkt abgeschwächt worden: So
heißt es nicht mehr, dass Lieferanten
vertrauenswürdig sein müssen. Viel-
mehr müssen Unternehmen ihre Ver-
trauenswürdigkeit nur versprechen
und darüber eine Erklärung abge-
ben. Explizit ausgeschlossen war al-
lerdings auch in der ersten Fassung
kein einzelnes Unternehmen.
Wenn es bei dem Entwurf bleibt,
würde die Bundesregierung Sicher-
heitsbedenken der US-Regierung
nach einem Ausschluss Huaweis
ignorieren. Die USA verlangen dies
aus Angst vor Spionage, sie sehen
den Konzern als verlängerten Arm
der chinesischen Regierung. Beweise
für etwaige Hardwarehintertüren in
der Huawei-Technik gibt es allerdings
nicht; der Konzern aus Shenzhen be-
tonte auch stets, unabhängig von der
chinesischen Regierung zu sein.
Trotzdem wird die Sorge der USA
auch von Außen- und Sicherheitspo-
litikern der Koalition geteilt. „Es ist
ein schwerer Fehler, Huawei ins
5G-Netz zu integrieren“, sagte der
SPD-Außenpolitiker Nils Schmid.
Und Norbert Röttgen (CDU), Vorsit-
zender des Auswärtigen Ausschus-
ses, mahnte, dass „eine Frage von
solcher strategischen Bedeutung
nicht auf Verwaltungsebene entschie-
den werden darf “.
Denn die Rolle des Entscheiders
bekommt nach dem Entwurf das
Bundesamt für Sicherheit in der In-
formationstechnik (BSI). Es prüft die
eingesetzten Komponenten und zer-
tifiziert sie. Die Konkurrenten Hua-
weis bei 5G sind der US-Konzern Cis-
co und die europäischen Anbieter
Ericsson und Nokia.
5G-Netz: Sicherheitsexperten sehen
Komponenten von Huawei kritisch.
Wirtschaft & Politik
DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198
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