„Es ist möglich für eine Frau, erfolgreich zu
sein und für diesen Erfolg Anerkennung
zu erfahren.“
Esther Duflo, französische Ökonomin, empfindet wegen
ihrer Ehrung mit dem diesjährigen Wirtschaftsnobelpreis
„unglaubliche Demut“.
Worte des Tages
Sicherheitspolitik
Gefährlicher
Aktionismus
D
as Muster ist immer das -
selbe: Auf einen Terroran-
schlag wie in Halle folgen
große Betroffenheit und der Ruf
nach gesellschaftlicher Geschlos-
senheit. Parallel werden bereits ers-
te Gedankenspiele zu möglichen si-
cherheitspolitischen Konsequenzen
in die Welt gesetzt. Im günstigsten
Fall sind hilfreiche Vorschläge da-
bei, oft sind es aber die üblichen
Reflexe, Forderungen, die in letzter
Konsequenz dann doch mehr Scha-
den als Nutzen anrichten.
Wenn Innenminister Horst See-
hofer jetzt dem Verfassungsschutz
mehr Kompetenzen zubilligen will,
damit die Geheimdienstler künftig
einfacher verschlüsselte Nachrich-
ten mitlesen können, ist das ein si-
cherheitspolitischer Dammbruch.
Die sogenannte „Quellen-TKÜ“, Da-
tenschützer sprechen von einem
„Staatstrojaner“, ist bislang dem
Bundeskriminalamt in engen Gren-
zen vorbehalten. Dass gilt auch für
die Online-Durchsuchung, bei der
die Ermittler sämtliche Daten
durchforsten dürfen. Mit der Troja-
ner-Software können gezielt Chats
mitgelesen und Sprachnachrichten
abgehört werden, die über Dienste
wie WhatsApp und Telegram ver-
schlüsselt versendet werden.
Macht nun auch der Verfassungs-
schutz davon Gebrauch, kommt das
einer Entgrenzung zwischen poli-
zeilichen und nachrichtendienst -
lichen Befugnissen gleich. Eine sol-
che Aufgabenvermischung ist ver-
fassungsrechtlich problematisch.
Aus gutem Grund liegen beim Bun-
desverfassungsgericht derzeit gleich
mehrere Beschwerden gegen den
Staatstrojaner vor. Außerdem be-
deutet der Einsatz solcher Instru-
mente einen tiefen Eingriff in die
Grundrechte auch von Menschen,
die sich nichts zu Schulden haben
kommen lassen.
Sinnvoller wäre, die Behörden
mit mehr qualifiziertem Personal
auszustatten, um Terroraktivitäten
im Netz aufzuspüren. Das hat sei-
nen Preis: IT-Personal gibt es nicht
umsonst. Der Staat sollte die Besol-
dungsregeln anpassen, damit er mit
der Privatwirtschaft konkurrieren
kann. Das sollte uns unsere Sicher-
heit wert sein.
Eine Überwachung von
Messengerdiensten bringt
mehr Schaden als Nutzen,
meint Dietmar Neuerer.
Der Autor ist Korrespondent im
Hauptstadtbüro.
Sie erreichen ihn unter:
N
a zdrowie, prost Polen! Das Ergebnis
der Polenwahl kann sich nur schöntrin-
ken, wer glühender Fan populistischer
Sprüche ist. Dass die rechtsnationale
Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS)
siegen würde, war allerdings lange vor dem Urnen-
gang klar. Dass sie ihre Stimmenzahl deutlich ausge-
baut und eine klare absolute Mehrheit der Mandate
errungen hat, ist verständlich und vielleicht sogar
verdient.
Denn Polen ist wirtschaftlich das erfolgreichste
Land Europas, es verzeichnet das höchste Wirt-
schaftswachstum und seit Jahren starke Lohnzu-
wächse. Polen ist mittlerweile der sechstgrößte Han-
delspartner Deutschlands, es gibt kaum ein bedeu-
tendes deutsches Außenwirtschaftsunternehmen,
das nicht in Polen produzieren, dort Daten verwal-
ten oder Software entwickeln lässt, seine Produkte
dort verkauft oder über Logistikzentren an Weichsel
und Oder versenden lässt. Das schafft Wachstum
und Arbeitsplätze, wie gerade Mercedes mit einer
neuen Fabrik in Jawor.
Das rechnen Polens Wähler ihrer Regierung zu,
und deutsche Unternehmer sehen positive Rahmen-
bedingungen. Aber nach dem PiS-Sieg dürften sich
die Wege von Wählern und Investoren trennen – vor
allem wegen der sozialen Versprechen der national-
konservativen Regierung. Der wirtschaftliche Erfolg
des Landes solle nicht mehr nur bei den Firmen an-
kommen, sondern bei den Menschen. Das ist richtig
und verständlich. Die Wähler setzen auf den „dobra
zmiana“, den angeblich „guten Wandel“, den die PiS
im Wahlkampf versprochen hat.
Aber ob der Wandel wirklich gut wird? Ob Polen
mit der versprochenen Verdoppelung des Mindest-
lohns auf umgerechnet 930 Euro binnen vier Jahren
den richtigen Weg geht oder ob es bei allem berech-
tigten Anspruch auf soziale Teilhabe am wirtschaftli-
chen Erfolg die Firmen völlig überfordert, das sind
naheliegende Fragen. Es ist sicher richtig, dass die
Löhne in Polen weiter steigen müssen. Nicht zuletzt,
da vom 1. März 2020 an Deutschland mit einem neu-
en Fachkräfteeinwanderungsgesetz auch Ukrainer
gen Westen lockt. Bisher arbeiten zwei Millionen
Ukrainer in Polen, gleichen den im Boom entstande-
nen Fachkräftemangel dort aus. Nun herrscht Sorge
über Abwanderung westwärts.
Aber es könnten eben nicht nur Arbeitskräfte ab-
wandern, sondern wegen sich drastisch verschlech-
ternder Rahmenbedingungen gleich ganze Unter-
nehmen: Produzenten, die wegen viel manueller Ar-
beit Angst vor drastischen Lohnkostensteigerungen
haben, könnte es ostwärts in die Ukraine ziehen.
Und Firmen, die auf mehr Rechtssicherheit setzen
und deren Lohnkostenanteil nicht allzu hoch ist,
nach Ostdeutschland.
Polens Regierung steckt in einer Zwickmühle. Und
Populismus ist dabei ein schlechter Ratgeber. Vor al-
lem Premierminister Mateusz Morawiecki, ein ehe-
maliger Banker und ausgewiesener Wirtschaftsex-
perte, weiß das. Doch das Sagen in der PiS hat unan-
gefochten der 70 Jahre alte, gefährliche Populist
Jaroslaw Kaczynski. Wer bei ihm nicht spurt, fliegt
raus. Wie Morawieckis Vorgängerin Beata Szydlo.
Bemerkenswert war bisher, wie auch deutsche In-
vestoren wie Daimler, VW, Bosch-Siemens-Hausgerä-
te und andere den rasanten Abbau von Rechtssicher-
heit durch das Schleifen von Justiz und Pressefrei-
heit mit ihren Investitionen in Polen honoriert
haben. Die als „dobra zmiana“ verklärte Rolle rück-
wärts der PiS ist in Wirklichkeit ein Generalangriff
auf die Werte und die 1989 in Polen für ganz Europa
erkämpfte Freiheit.
Die EU und westeuropäische Staaten werden sich
weiter auf harte Auseinandersetzungen mit dem
wichtigsten Gegenspieler in Europas Osten einstel-
len müssen. Sie müssen sich vor allem fragen, ob die
EU-Förderpolitik, von der Polen der größte Nutznie-
ßer war, so fortgeführt werden soll. Oder ob Brüsse-
ler Fördermilliarden nicht an Rechtsstaatsprinzipien
und Klimaschutzkriterien gekoppelt werden müssen.
Vor allem soll der neue polnische EU-Agrarkom-
missar dafür sorgen, dass noch mehr EU-Geld nach
Polen fließt und dort die PiS-kritische Bauernpartei
erledigt wird. Die PiS-Herrschaft soll – wie auch Po-
lens Setzen auf die Kohleverstromung – mit EU-Geld
dauerhaft zementiert werden. Das ist weder sinnvoll
noch Wählern im Westen zu erklären. Es wird den
Europaskeptikern neuen Auftrieb geben.
Noch ist Polen nicht verloren, so lautet die Natio-
nalhymne des größten osteuropäischen EU-Mit-
glieds. Und es stimmt: Mit wirtschaftlicher Vernunft
und einer Korrektur der EU-Förderpolitik lässt sich
Schaden von Polen und Europa auch nach dem PiS-
Sieg abwenden. Wichtig ist es, die vernünftigen Kräf-
te in Polen – die es auch in der PiS gibt – gegen die
ideologischen Kreuzzügler zu stärken, und zwar
durch ein klares Bekenntnis zu Freiheit, Demokratie
und Marktwirtschaft.
Na zdrowie – wohl bekomm’s, Polen! Auf dass Ver-
nunft über Ideologie obsiegt und sich das Land nicht
an dem PiS-Irrweg verschluckt.
Leitartikel
Noch ist Polen
nicht verloren
Der klare Sieg der
Rechtspopulisten
ist eine große
Gefahr für den
Wirtschaftsstand -
ort und auch für
deutsche Firmen,
warnt Mathias
Brüggmann.
Wichtig ist es,
die vernünfti-
gen Kräfte
in Polen – die es
auch in der PiS
gibt – gegen die
ideologischen
Kreuzzügler zu
stärken.
Der Autor ist International Correspondent.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
Meinung
& Analyse
DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198
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