Handelsblatt - 15.10.2019

(やまだぃちぅ) #1

„Ein Deal ist möglich, er ist


diesen Monat möglich


oder sogar diese Woche.“


Simon Coveney, irischer Außenminister,
hofft auf eine Brexit-Einigung mit
Großbritannien.

„Das Problem heißt


Rechtsextremismus,


nicht Gamer oder sonst


was.“


Lars Klingbeil, SPD-Generalsekretär,
kritisiert Innenminister Horst Seehofer
(CSU) für dessen Aussage zur Gamer-Szene
nach dem Terroranschlag von Halle.

Stimmen weltweit


Die liberale dänische Tageszeitung „Politiken“
kommentiert die Lage nach dem türkischen
Einmarsch in Syrien:

D


ie türkische Invasion im Norden Syriens
ist auf verschiedene Weise tragisch. Es ist
eine Tragödie für die Kurden, die mutige
Verbündete gewesen sind und jetzt im Stich ge-
lassen werden. In weniger als einer Woche koste-
te der Einmarsch mindestens 150 Leben und hat
100 000 in die Flucht getrieben. Die Kurden ha-
ben keine andere Wahl, als eine Allianz mit dem
Assad-Regime einzugehen, um den Schutz zu be-
kommen, den (US-Präsident Donald) Trump
plötzlich entzogen hat.
Das wird Assad stärken und seinen brutalen
Griff an der Macht festigen. Die Botschaft an an-
dere Autokraten ist glasklar: Es zahlt sich aus, al-
le denkbaren Mittel einzusetzen, um sich an der
Macht zu halten. Zugleich kann die Invasion dem
IS neue Stärke verleihen.
Und auch der türkische Präsident (Recep Tay -
yip) Erdogan ist erfreut: Die goldene Chance zur
Invasion nach dem plötzlichen US-Rückzug kam
genau dann, als er zum ersten Mal in seinen 16
Jahren an der Macht internen Gegenwind erhal-
ten hat.

Die linksliberale polnische Zeitung „Gazeta
Wyborcza“ schreibt zum Sieg der
nationalkonservativen Regierungspartei PiS
bei der Parlamentswahl in Polen:

W


enn die PiS tatsächlich allein regieren
kann, dann muss man sich darauf ein-
richten, dass sie ihre „nationale Revo-
lution“ vollenden wird, ohne die der autokrati-
sche Herrschaftsstil von ( Jaroslaw) Kaczynski
nicht vollständig ist.
Der Angriff wird sicherlich zuerst auf die Me-
dien erfolgen – und dann auf die Gerichte und
die Kommunalverwaltungen. Die Spitze der PiS
glaubt nämlich, dass ihr erneuter Wählerauftrag
sie zur Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit und
AP (2), dpazum Bruch der Verfassung berechtigt.

Auch der Londoner „Guardian“ beschäftigt sich
mit dem militärischen Vorgehen der Türkei in
Nordsyrien:

D


ie (von der Kurdenmiliz YPG angeführten)
Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF)
haben im Bodenkrieg gegen die Terroror-
ganisation Islamischer Staat (IS) Tausende ihrer
Kämpfer verloren. Und sie haben seitdem die Be-
wachung von Gefangenen übernommen.
Die Kontrolle war jedoch stets fragil; die Lager
waren nie eine langfristige Lösung. (...) Der frü-
here US-Verteidigungsminister James Mattis
warnt vor dem Wiederaufleben des IS. Diese Ge-
fahr ist ein Grund mehr, Druck auf die Türkei
auszuüben, damit sie diese tödliche Offensive
einstellt. Ebenso wie die Tatsache, dass die kur-
dischen Anführer offen über Vereinbarungen mit
Russland und dem Regime von Baschar al-Assad
sprechen.
Das verhängnisvolle Telefongespräch Donald
Trumps mit dem türkischen Präsidenten vor ge-
rade mal einer Woche hat immer mehr Konse-
quenzen. Totales Desaster? Es hat gerade erst be-
gonnen.

D


onald Trump liebt Erfolgsmeldungen, die er sei-
nen Anhängern präsentieren kann. „Wir haben
den Islamischen Staat besiegt“ ist einer der Sät-

ze, für den er sich stets auf Kundgebungen feiern ließ.


Doch jetzt brechen IS-Terroristen in Nordsyrien aus Ge-


fängnissen aus, weil Trump über Nacht amerikanische


Soldaten abziehen ließ und eine türkische Invasion ge-


gen die Kurden ermöglichte.


Von einem Sieg gegen den IS spricht Trump nun


nicht mehr. Stattdessen preist er seine Kehrtwende in


der Syrienpolitik als entscheidenden Fortschritt auf


dem Weg zum Ziel, die USA aus teuren und tödlichen


Konflikten heraushalten zu wollen. Dabei drängten sei-


ne Berater bis zuletzt darauf, eine amerikanische Trup-


penpräsenz in der Region sei vorerst unabdingbar. Ge-


gen Trumps Impulsivität waren sie am Ende machtlos.


Trump scheint in seiner Außenpolitik gefangen zwi-


schen zwei Ideologien: Einerseits setzt er auf maximale


Abschreckung, etwa durch eine massive Aufstockung


des Militärbudgets und über aggressive Drohungen. An-


dererseits bedeutet sein Versprechen von „America


first“ auch, jegliches internationales Engagement zu
drosseln. Diese beiden Ansätze stehen sich diametral
entgegen. Trump hat weder im Verhältnis zum Iran
noch aktuell in der Syrienpolitik vermocht, diesen Wi-
derspruch aufzulösen.
Gut ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen hat er
sich in Syrien für einen Alleingang entschieden und die
ohnehin fragile Balance zerstört. Die Konsequenzen
werden noch lange zu spüren sein, und sie könnten am
Ende auch Trumps Wahlkampfkalkül torpedieren.
Denn kaum ein Thema kann so viel diffuse Angst auslö-
sen wie die Vorstellung freilaufender Terroristen, die
auf Rache an den USA sinnen.
Auch geopolitisch beweist die US-Regierung unter
Trump erneut, dass sie ein gefährliches Machtvakuum
in Kauf nimmt, ohne Rücksicht auf Verluste. Wenn die
Kurden, einstige Verbündete der USA, nun die Hilfe As-
sads und Russlands in Anspruch nehmen wollen, ist das
eine dramatische Entwicklung. Es droht ein Konflikt
zwischen türkischen und syrischen Truppen. Trump
hat mit seiner Entscheidung zudem den Iran gestärkt,
obwohl er dessen Einfluss doch eigentlich zurückdrän-
gen wollte.
Selbst die angekündigten Sanktionen gegen die Tür-
kei wirken in diesem Kontext nicht wie eine selbstbe-
wusste Aktion der mächtigsten Nation der Welt, son-
dern wie eine Verzweiflungstat. Anstatt seinen Radius
der Macht auszuweiten, hat Trump ihn selbst verschul-
det eingeengt. Bislang verfügten die USA immerhin
über Spielraum in der Region – jetzt schaut Washington
vom Seitenrand zu.

Nahostpolitik


Trumps riskanter Alleingang


Im Verhältnis zu Iran und Syrien ist
der US-Präsident gefangen
zwischen zwei Ideologien. Am Ende
könnte er sich damit selbst schaden,
meint Annett Meiritz.

Die Autorin ist Korrespondentin in Washington.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198


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