Handelsblatt - 15.10.2019

(やまだぃちぅ) #1

Joachim Hofer München


F

ür Sanjay Mehrotra ist eins
völlig klar. „Die USA und
China müssen einen Weg
finden, um ihren Konflikt
zu lösen.“ Der Handels-
streit der beiden größten Volkswirt-
schaften würde der ganzen Welt scha-
den, sagte der Chef des Halbleiterkon-
zerns Micron dem Handelsblatt.
Vor allem aber leidet Micron – und
das in vielerlei Hinsicht. Der weltweit
viertgrößte Chipproduzent darf sei-
nen chinesischen Großkunden Hua-
wei wegen der von US-Präsident Do-
nald Trump verhängten Sanktionen
nur noch eingeschränkt beliefern.
„Das kostet uns Umsatz“, so Mehr -
otra. Langfristig noch viel bedrohli-
cher dürfte sein, dass die Volksrepu-
blik nun unter Hochdruck Alternati-
ven zu den US-Chips entwickelt.
Dabei ist Micron selbst einer der
Gründe, warum sich Trump mit Chi-
na zofft. Zumindest sieht das der Prä-
sident so. „Micron wurde untersagt,
seine Produkte in China zu verkau-
fen“, behauptete Trump vergange-
nen Monat in einer Rede vor den Ver-
einten Nationen. „Aber wir wollen
Gerechtigkeit.“
Für Trump ist Micron ein Beispiel,
wie die Chinesen geistiges Eigentum
der Amerikaner klauen. Demnach
hätten sie erst das Know-how von Mi-
cron gestohlen, um dann darauf ein
Patent zu beantragen. Anschließend
sei dem US-Konzern der Verkauf die-
ser Produkte in dem Land untersagt
worden. Trump bezieht sich auf eine
Klage, die der Konzern schon Ende
2017 gegen den chinesischen Wettbe-
werber Fujian Jinhua sowie einen
Taiwaner Anbieter eingereicht hat.

Das amerikanische Justizministerium
schloss sich den Vorwürfen an.
„Natürlich muss geistiges Eigentum
in China respektiert werden“, unter-
strich Mehrotra. Gleichzeitig sei das
Geschäft mit Huawei aber sehr wich-
tig. Der Technologiekonzern ist der
drittgrößte Kunde der gesamten
Halbleiterindustrie. Insgesamt gehö-
ren vier chinesische Firmen zu den
global zehn umsatzstärksten Abneh-
mern von Chips: Neben Huawei sind
das den Marktforschern von Gartner
zufolge Lenovo, BBK Electronics und
Xiaomi. Micron hat daher bei den
US-Behörden Lizenzen beantragt,
um Huawei weiterhin beliefern zu
dürfen. Bislang erfolglos.
Das Geschäft für Micron wäre auch
ohne den Streit der Großmächte he-
rausfordernd genug. Denn die Preise

für Speicherchips sind in den vergan-
genen Monaten regelrecht eingebro-
chen. Das zeigt sich in den jüngsten
Zahlen der Firma aus Idaho. Im vier-
ten Quartal des Geschäftsjahrs, es en-
dete am 29. August, ging der Umsatz
um mehr als 40 Prozent auf 4,9 Milli-
arden Dollar zurück.
Es ist typisch für das Geschäft mit
Speicherchips, dass es kräftig auf und
ab geht. Neu bei Micron ist: Die Fir-
ma ist trotzdem noch profitabel. So
stürzte zwar der Gewinn gegenüber
dem Vorjahr von 4,3 Milliarden Dol-
lar auf 637 Millionen ab. In früheren
Jahren aber mussten die Amerikaner
stets einen Verlust im Abschwung
ausweisen.
Die Flaute spüren in diesen Tagen
auch die größten Konkurrenten von
Micron, die südkoreanischen Herstel-
ler Samsung und SK Hynix. Beim
Elektronikkonzern Samsung ist der
operative Gewinn im zweiten Quartal
um mehr als die Hälfte gesunken; das
lag vor allem an der schwachen Halb-
leitersparte. Smartphones, Fernseher
und Hausgeräte konnten das Minus
bei den Chips nicht ausgleichen.
Die Marktforscher von Gartner ge-
hen davon aus, dass die Preise der
weitverbreiteten DRAM-Speicher-
chips dieses Jahr gegenüber 2018 um
43 Prozent sinken werden. Grund da-
für sei eine schwache Nachfrage bei
nahezu unverändertem Angebot.
Vor allem die Smartphone-Herstel-
ler kaufen den Experten zufolge
nicht mehr so viel ein. Zum Ver-
gleich: Vergangenes Jahr sind die
Preise für die Halbleiter noch um ein
Viertel geklettert, 2017 sogar um
mehr als 60 Prozent.

Solche Schwankungen gibt es in
der Industrie seit Jahrzehnten. Um
das Geschäft etwas weniger anfällig
für die Höhen und Tiefen zu ma-
chen, sucht Micron intensiv Abneh-
mer außerhalb der Computer- und
Mobilfunkbranche. Autohersteller
und Industriekunden sollen dafür
sorgen, dass das Geschäft künftig
gleichmäßiger verläuft. Mehrotra
setzt dabei stark auf Deutschland. In
München etwa arbeitet der Konzern
eng mit BMW zusammen.
Vor großen chinesischen Konkur-
renten werde Micron wohl noch ein
paar Jahre Ruhe haben, glaubt Mehr -
otra. „Die Eintrittsbarrieren in unser
Geschäft sind hoch.“ In der Tat: Das
Geschäft ist enorm kapitalintensiv. Das
sorgte über die Jahre für eine gnaden-
lose Auslese.
1990 existierten dem deutschen
Elektronikverband ZVEI zufolge welt-
weit 31 Konkurrenten. Zehn Jahre spä-
ter blieben nur noch 17 übrig. 2010
schließlich schrumpfte die Zahl der
Wettbewerber auf 15. Inzwischen sind
es nur noch fünf: Samsung und Hynix
aus Südkorea, die US-Hersteller Mi-
cron und Western Digital und Toshiba
aus Japan.

Huawei ist in der Einigung
bislang außen vor

Nicht zuletzt angesichts der Verkaufs-
verbote von Donald Trump hat sich
China darangemacht, eine eigene
Chipindustrie aufzubauen. Mehrotra
fürchtet zumindest kurzfristig aber
keine Konkurrenz aus der Volksrepu-
blik. „In unserem Geschäft braucht es
die nötige Größe, um kosteneffizient
zu produzieren“, betonte Mehrotra.
Zudem seien die Produktionsprozes-
se hochkomplex, hier habe Micron
mehr als 40 Jahre Erfahrung. Ob Chi-
na das schaffe, sei noch völlig unklar.
Im Handelsstreit zeichnete sich
unterdessen am Wochenende eine
leichte Entspannung ab. US-Präsi-
dent Trump verkündete, er habe
sich auf ein Teilabkommen mit Chi-
na geeinigt. Micron freilich hat da-
von erst einmal wenig. Der US-Han-
delsbeauftragte Robert Lighthizer
sagte, die Übereinkunft befasse sich
nicht mit Huawei: „Das ist ein sepa-
rater Prozess.“
Der CEO von Micron bleibt denn
auch vorsichtig. Zwar steige die
Nachfrage momentan stärker als das
Angebot, sagte er. Dennoch prognos-
tiziert der Manager für das laufende
Quartal einen Umsatz von nur rund
fünf Milliarden Dollar, gut ein Drittel
weniger als im selben Zeitraum des
Vorjahrs. Es wäre das vierte Quartal
in Folge mit einem Minus von mehr
als 20 Prozent.
Die jüngsten Ergebnisse seien ent-
täuschend, urteilten die Analysten
von Credit Suisse. Es sei jedoch er-
mutigend, dass Micron erstmals am
Tiefpunkt eines Bran chenzyklus
noch profitabel sei. Außerdem be-
fänden sich die Lagerbestände der
Kunden jetzt wieder auf einem nor-
malen Level. Der Speichermarkt
scheine sich in die richtige Richtung
zu bewegen, meinen die Experten
von Barclays. Ein perfekter Auftakt
für die Erholung sehe allerdings an-
ders aus.
Das sehen die Investoren ähnlich.
Seit Mehrotra die Zahlen für das vier-
te Quartal Ende September präsen-
tierte, ist der Aktienkurs zeitweise
um mehr als zehn Prozent zurückge-
gangen. Gegenüber dem Jahrestief-
stand im Juni beträgt das Plus jedoch
noch immer gut ein Drittel. Offenbar
bewerten die Investoren die Chan-
cen durch steigende Speicherpreise
höher als die Risiken aus dem Streit
von Präsident Trump mit China.

Micron


US-Chipriese leidet unter


dem Handelsstreit


Trump zitiert die Benachteiligung des Speicherchipherstellers Micron als


Grund für Sanktionen gegen China. Im Interview zeigt sich Micron-Chef


Sanjay Mehrotra aber alles andere als erfreut.


Micron-Werk
in Südkorea:
Im Handelsstreit
gerät der Kon-
zern zwischen
die Fronten.

Bloomberg

Sanjay Mehrotra:
Der Micron-Chef
bleibt beim Ausblick
vorsichtig.

ddp/San Jose Mercury News/MCT/Sipa U

Micron
Aktienkurs in US-Dollar

44,92 US$


HANDELSBLATT

1.1.2019 14.10.


Quelle: Bloomberg

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Unternehmen & Märkte
DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198

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