Handelsblatt - 15.10.2019

(やまだぃちぅ) #1

Tarifstreit


Lufthansa soll am Sonntag bestreikt werden


Die angeschlagene Kabinen-


Gewerkschaft UFO sucht den


Befreiungsschlag. Die Airline


will dennoch nach Plan


fliegen.


Jens Koenen Frankfurt


D


er Dauerstreit zwischen der
Gewerkschaft UFO und der
Lufthansa eskaliert. Die kri-

sengeschüttelte Arbeitnehmervertre-


tung ruft das Kabinenpersonal der


Fluggesellschaft an den beiden Dreh-


kreuzen Frankfurt und München für


den kommenden Sonntag zwischen


sechs und elf Uhr zu Arbeitsniederle-


gungen auf. „Weitere Streikankündi-


gung auch für andere Flugbetriebe


von Lufthansa können ab diesem


Zeitpunkt jederzeit folgen“, sagte Da-


niel Flohr, der stellvertretende Vorsit-


zende des Interimsvorstands der


UFO, in einer Botschaft auf Youtube.


Für die Fluggäste von Europas


größter Airline bedeutet das eine gro-


ße Unsicherheit. Denn es ist kaum


abzuschätzen, inwiefern die UFO-Mit-


glieder dem Aufruf folgen werden.


Die Auseinandersetzung an der UFO-


Spitze und der Streit zwischen der


UFO und Lufthansa hat viele Kabi-


nenmitarbeiter ermüdet.


Die Gewerkschaft versucht mit dem


Streikaufruf den Befreiungsschlag. Sie


befindet sich nach Misswirtschaft und


einem Führungsstreit in einer heiklen


Situation. Die finanziellen Mittel sind


knapp, gleichzeitig geht ein Riss durch


die Arbeitnehmervertretung. Die ei-


nen wollen einen Neubeginn mit ei-


ner völlig neuen Führung. Sie werfen


den bisher handelnden Personen vor,


den Kabinenmitarbeitern einen kaum


zu durchschauenden Tarifvertrag ein-


gebrockt zu haben.


Die anderen setzen weiter auf die


bekannten Namen – allen voran den


früheren UFO-Chef Nicoley Baublies,


viele Jahre das Gesicht der Gewerk-


schaft. Der ist zwar nicht mehr im


Vorstand der UFO aktiv und wurde


mittlerweile als Flugbegleiter von


Lufthansa gekündigt. Doch Baublies


zieht als Berater der UFO aktuell wie-


der die Fäden im Hintergrund.


Die Lufthansa will der UFO den
Wind aus den Segeln nehmen, die
Passagiere sollen von dem Arbeits-
kampf so gut wie nichts mitbekom-
men. Das geht aus einem Schreiben
des Arbeitgeberverbands Luftverkehr
(AGVL) an die UFO-Vorständin Sylvia
De la Cruz hervor, das dem Handels-
blatt vorliegt. „Lufthansa wird die ak-
tuelle Situation signifikant anders
handhaben als in der Vergangenheit,

denn wir werden planerisch alles
tun, um den regulären Flugplan ein-
zuhalten und alle Gäste planmäßig zu
befördern“, heißt es dort. Der AGVL
verhandelt für Lufthansa die Tarifan-
gelegenheiten.
Gleichzeitig baut die Konzernspit-
ze Druck in Richtung der Kabinen-
mitarbeiter auf. So wird in dem
Schreiben der AGVL dezidiert ge-
warnt, dass die UFO-Spitze die eige-

nen Mitglieder mit einem Streikauf-
ruf in eine heikle Situation bringe.
Die Lufthansa hat erhebliche Zwei-
fel am Gewerkschaftsstatus der UFO
und lässt diesen derzeit gerichtlich
prüfen. Gleichzeitig bezweifelt das
Management, dass der Interimsvor-
stand ordnungsgemäß besetzt wur-
de und deshalb nicht „vertretungs-
berechtigt“ ist. Damit sei ein Streik
rechtswidrig.

Lufthansa droht


„In einer solchen juristischen Situati-
on gutgläubige Mitglieder, die auf Sie
als Organisation und auf Sie als han-
delnde Personen vertrauen, zum
Streik aufzurufen, ist schlicht nicht
zu verantworten“, warnt das AGVL-
Schreiben. Lufthansa werde alle
Streikaktivitäten dokumentieren,
Teilnehmern des rechtswidrigen
Streiks das Gehalt individuell kürzen
und auch eventuell weitere Konse-
quenzen einer Teilnahme an einem
solchen Ausstand prüfen. Zudem
droht das Management von Europas
größter Fluggesellschaft der UFO mit
Schadensersatzklagen, sollte der
Streik gerichtlich für illegal erklärt
werden.
Flohr kritisierte die von Lufthansa
angekündigten Maßnahmen als „per-
sönlichen Angriff auf die Mitarbeiter“
und forderte die Mitglieder auf, sich
nicht von Arbeitsniederlegungen ab-
halten zu lassen: „Erst wenn ein Ge-
richt etwas anderes sagen sollte, kön-
nen wir davon ausgehen, dass der
Streik nicht rechtens ist. Bis dahin ist
er rechtens.“ Der Lufthansa warf er
vor, mit dem Verzicht auf einen bei
Streiks sonst üblichen Notfallflugplan
„russisches Roulette mit den Passa-
gieren“ zu spielen.
Auch ein Grund für die nun recht
kurzfristig anberaumten Streiks: Mit
der Dienstleistungsgewerkschaft Ver-
di drängt eine große Gewerkschaft in
die Kabine der Lufthansa-Gruppe.
Die Gewerkschaft dient sich den frus-
trierten Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern in dem Bereich als Alternati-
ve an. Laut Flohr soll es sogar schon
mit der Verdi fertig ausgehandelte Ta-
rifverträge geben. Lufthansa will das
nicht kommentieren.

Ferienflieger


EU genehmigt Staatskredit für Condor


Brüssel hat den Weg für die


Finanzhilfe frei gemacht. Die


Airline muss ihren


Liquiditätsbedarf nun


wöchentlich nachweisen.


Jens Koenen Frankfurt


A


ufatmen in der Zentrale des
Ferienfliegers Condor in
Frankfurt: Die EU-Kommissi-

on hat den staatlichen Überbrü-


ckungskredit für die Airline am Mon-


tag genehmigt. Nach Ansicht der EU-


Kommission verzerren die vom Bund


und Land Hessen zugesagten Finanz-


hilfen nicht übermäßig den Wettbe-


werb. Damit kann Condor auf einen


auf sechs Monate angelegten Kredit


in Höhe von 380 Millionen Euro zu-


greifen und hat Zeit gewonnen für


die Suche nach einem Investor.


Die Genehmigung ist an strenge
Auflagen geknüpft. So wird die Sum-
me in Raten ausbezahlt, Condor
muss seinen Liquiditätsbedarf wö-
chentlich nachweisen, erklärte die
EU-Kommission. Deutschland habe
zudem zugesichert, dafür zu sorgen,
dass Condor den Kredit entweder
nach sechs Monaten vollständig zu-
rückzahlt oder eine umfassende Um-
strukturierung durchführt, um wie-
der rentabel zu werden.
Condor war unverschuldet durch
die Insolvenz der Muttergesellschaft
Thomas Cook in Schwierigkeiten ge-
raten. Einnahmen der Airline aus
dem profitablen Sommergeschäft lie-
gen gebunden beim Insolvenzverwal-
ter in London. Damit fehlt Condor
Geld, um über den reiseschwächeren
Winter zu kommen. Der Überbrü-
ckungskredit gibt der Fluggesell-
schaft nun den nötigen Spielraum.

Auch wenn Condor-Chef Ralf Teck-
entrup nun aufgrund der Staatshilfe
zuversichtlicher in die Zukunft schau-
en kann, einfach wird es für den er-
fahrenen Airline-Manager nicht. Con-
dor befindet sich im sogenannten
Schutzschirmverfahren. Es ist eine
Sonderform der Insolvenz in Eigen-
verwaltung, bei der ein Generalbe-
vollmächtigter und ein Sachwalter
über die Geschäftsführung wachen,
die im Amt bleibt. Damit kann sich
Condor vor möglichen Forderungen
etwa des Insolvenzverwalters der
Mutter Thomas Cook schützen.
Doch es zeigt sich langsam, dass
dieser Schutz nicht uneingeschränkt
funktioniert. So musste die Airline
am Freitag zwei Flüge nach Djerba in
Tunesien absagen. Dort hatte wohl
ein Hotelier versucht, Zugriff auf
Flugzeuge von Condor zu bekom-
men, um seine Forderungen gegen-

über Thomas Cook durchzusetzen.
Zwar sieht Condor keine rechtliche
Handhabung für eine Pfändung der
Jets. Weil das Condor-Management
dennoch befürchtete, dass die Flug-
zeuge vor Ort festgesetzt werden
würden, sagte man die Verbindung
zunächst ab. Sie wurde am Samstag
nachgeholt. Dafür beauftragte Con-
dor allerdings Tuifly und Lufthansa.
Der Fall zeigt, dass Condor mög-
lichst bald eine klare Zukunftsper-
spektive braucht. Informationen
über mögliche Investoren sind aber
noch rar. Genannt wird in der Bran-
che der auf Airlines spezialisierte Fi-
nanzinvestor Indigo. Auch die bri-
tisch-spanische Airline-Holding IAG
soll sich angeblich die Bücher an-
schauen. Zudem hatten die Reisever-
anstalter Schauinsland und DER Tou-
ristik ein Engagement nicht ausge-
schlossen.

380


MILLIONEN


Euro beträgt der
auf sechs
Monate angelegte
Überbrückungskredit
für Condor.

Quelle: Unternehmen


UFO-Streik 2012: Die
Gewerkschaft ist
durch einen langen
Machtkampf
geschwächt.

Getty Images News/Getty Images

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DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198


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