Libra
Zu früh zum
Scheitern
S
o war das nicht geplant. Am
Montag traf sich der Verein,
der die Kryptowährung Libra
steuern wird, zur Gründungssit-
zung in Genf. Doch nur wenige Tage
vorher springen wichtige Mitglieder
ab. Visa, Mastercard, Paypal und
Stripe waren die großen Spieler aus
der Bezahlbranche, weltweit aner-
kannt, mit besten Beziehungen zu
Banken und Aufsehern. Die sollten
dem von Facebook maßgeblich kon-
zipierten Projekt eigentlich Legiti-
mität verleihen und mit Expertise
helfen. Doch die Unternehmen sind
abgesprungen, auch weil es zuvor
Druck aus der Politik gab.
Für Libra ist es ein schwerer
Rückschlag. Doch es verschlimmert
nur ein ohnehin schon bestehendes
Problem: Wenn die scharfe Kritik
von Staatschefs, Aufsehern und No-
tenbankern weltweit anhält, dann
wird die digitale Währung schei-
tern, egal ob mit oder ohne Visa
und Co. Um das Projekt komplett
einzustellen, ist es jedoch zu früh.
Allerdings ist jetzt kein guter Zeit-
punkt. Facebook hat zu viel Zeit
und Geld in das Projekt gesteckt, in
der Öffentlichkeit zu stark dafür ge-
worben, zu viele Unternehmen hin-
ter sich geschart.
Libra ist ein Herzensprojekt von
Mark Zuckerberg, Facebooks er-
folgsverwöhntem Chef, der am 23.
Oktober persönlich zu einer Anhö-
rung nach Washington zitiert wur-
de, um das Projekt zu rechtfertigen.
Jetzt nachzugeben würde auch an
anderer Stelle nicht gut aussehen.
Facebook ist wegen seiner Rolle im
US-Präsidentschaftswahlkampf im
Visier der Politik. Zudem laufen kar-
tellrechtliche Untersuchungen ge-
gen das soziale Netzwerk sowie ge-
gen andere große Tech-Konzerne.
Jetzt Schwäche zu zeigen wäre un-
passend.
Immerhin: Libra hat die interna-
tionalen Finanzregulierer aufgerüt-
telt. Nie war die Motivation, ge-
meinsam Regeln für Kryptowährun-
gen zu finden, so hoch wie seit der
Ankündigung des Facebook-Vorha-
bens im Juni. Selbst in Deutschland
wird über einen E-Euro diskutiert.
Dafür sollten wir Facebook dankbar
sein, ganz egal, wie das Projekt Li-
bra endet.
Facebooks Kryptowährung hat
kaum eine Chance, doch sie hat die
Aufseher wachgerüttelt, sagt
Astrid Dörner.
„Angesichts der sozioökonomischen
Auswirkungen einer so drastischen Kürzung
schlagen wir (...) eine geringere Senkung der
Fangmenge als die von der Kommission
vorgeschlagenen 71 Prozent vor.“
Julia Klöckner, Bundesagrarministerin, mit Blick auf den Heringsfang in
der westlichen Ostsee
Worte des Tages
Die Autorin ist Korrespondentin in
New York.
Sie erreichen sie unter:
N
un ist auch Dyson gescheitert. Nach
zwei Jahren Arbeit und hohen Investi-
tionen gibt der Hausgerätehersteller
aus England seine Pläne für ein Strom-
auto auf. Zwar habe das Team ein „fan-
tastisches Elektroauto“ entwickelt, tröstete Firmen-
gründer James Dyson seine Leute. Doch unter dem
Strich sehe er keine Möglichkeit, das Auto gewinn-
bringend bauen und verkaufen zu können. Immer-
hin: Die Firma könne die gewonnenen Erkenntnisse
in Batterietechnik und Steuerungselektronik für die
Entwicklung von neuen Staubsaugern und Haar-
trocknern nutzen.
Dyson ist kein Einzelfall. Reihenweise straucheln
ambitionierte Quereinsteiger mit ihrem Vorhaben,
mit vermeintlich einfach zu entwickelnden Elektro-
antrieben in das große Autogeschäft einzusteigen.
Google tüftelt schon seit Jahren an einem eigenen
Auto, beschränkt sich aber mittlerweile mit seiner
Konzernschwester Waymo auf das Entwickeln einer
Software für das autonome Fahren. Apple beschäf-
tigte Hunderte von Spezialisten mit seinem Projekt
„Titan“, zog dann aber die Reißleine. Das von chine-
sischen Internetmilliardären finanzierte Start-up
Faraday Future verspricht immer wieder den Bau ei-
nes Elektro-SUVs, produziert aber bislang nur Milli-
ardenverluste. Die Geschichte des Stromautos ist bis-
lang vor allem eine Geschichte der geplatzten Illusio-
nen.
Einzig der Multiunternehmer Elon Musk hat mit
Tesla eine Serienproduktion laufen. Doch auch nach
dem Start der Massenfertigung bleibt Tesla ein Pro-
jekt mit ungewissem Ausgang. Zwar schafft es Musk,
seine Kunden für seine Stromer zu begeistern, wirt-
schaftlich ist das Unterfangen Stand heute ein Desas-
ter. Weder läuft die Produktion nach Plan, noch
stimmen die Kosten. Auf jeden Tesla-Angestellten
entfiel im vergangenen Jahr ein Verlust von rund
8 500 Euro. Zum Vergleich: Trotz Dieselkrise machte
jeder Audi-Mitarbeiter in derselben Zeit 56 000 Euro
Gewinn, bei Porsche liegt der Wert bei 123 000 Euro.
Daten wie diese haben James Dyson zweifeln lassen,
ob die Zukunft seiner Firma im Autobau liegt.
Sicher ist: Der Enthusiasmus der Quereinsteiger
im Autogeschäft ist vorbei. Sprach vor einigen Jahren
noch alles dafür, dass nach dem Handel und der Fi-
nanzindustrie auch die Autobauer Opfer disruptiver
Entwicklungen werden, so wendet sich das Blatt
jetzt. Immer mehr Newcomer verabschieden sich
von dem Glauben, der Einstieg ins Autogeschäft sei
jetzt einfach.
Natürlich, auf dem Papier bietet der relativ simple
Aufbau eines Elektroautos grundsätzlich Chancen
für Branchenfremde. Und tatsächlich schaffen ge-
schickte Unternehmer wie der Aachener Street-
Scooter-Gründer Günther Schuh, mit speziellen Pro-
dukten wie einem Elektro-Lieferwagen Lücken zu
füllen, die den etablierten Adressen in Wolfsburg
oder Stuttgart nicht lohnenswert scheinen.
Doch das sind Nischen. Für das Massengeschäft
mit Endkunden gelten andere Gesetze. Hier reicht es
nicht, ein paar gut designte Prototypen auf die Büh-
ne zu stellen und risikofreudige Investoren zum Ein-
stieg zu bewegen. Zwischen Messeauftritten und den
Mühen der Massenproduktion liegen Welten. Wer
wirklich am Markt bestehen will, muss seine Produk-
tion schnell, kostengünstig und zu ordentlicher Qua-
lität skalieren können. Auch bei einem Elektroauto
stammt ein Großteil der Komponenten von Zuliefe-
rern, deren Koordination eine der zentralen Kompe-
tenzen eines Autoherstellers ist. Das Gleiche gilt für
den Betrieb und die Logistik der kapitalintensiven
Fertigungsanlagen. Wer dieses Zusammenspiel nicht
beherrscht, fährt geradewegs in jene „Produktions-
hölle“, die Tesla-Chef Elon Musk bei der Fertigung
seines „Model 3“ beklagt.
Für die etablierten Autohersteller von Volkswagen
bis Daimler sind das zunächst einmal beruhigende
Erkenntnisse. Ihr Untergang ist vorerst abgesagt.
Nachdem sich viele Newcomer die Finger am Strom-
auto verbrannt haben, stellen sich die etablierten
Spieler auf die nächste Runde ein. Mehr noch: Schon
bald dürfte nicht mehr Tesla, sondern Volkswagen
der größte Treiber des Stromautos sein. Mit Hoch-
druck rüstet der Konzern seine Fabriken auf die Pro-
duktion der Stromer um. Bis 2030 soll der Anteil der
E-Autos auf vierzig Prozent des Gesamtabsatzes stei-
gen, das wären mehr als vier Millionen Stück pro
Jahr. Volkswagen ist damit der „Big Fast Follower“
der Autoindustrie.
Eine Lebensversicherung ist das nicht. Denn bis-
lang ist es noch niemandem gelungen, mit der Mas-
senherstellung von Elektroautos Geld zu verdienen.
Die immer noch geringe Reichweite, die fehlende
Ladeinfrastruktur und die enorm teuren Batterien
machen die Stromautos bislang zu Ladenhütern.
Doch während Google weiter an seinen Suchmaschi-
nen verdient und Dyson weiter Staubsauger bauen
kann, sind die traditionellen Autobauer wie Volkswa-
gen und Co. wegen der Klimaschutzauflagen in der
EU und in China zum Erfolg mit Stromautos ver-
dammt. Garantiert ist der allerdings nicht.
Leitartikel
E-Auto kann
nicht jeder
Ein Quereinsteiger
nach dem
anderen scheitert
am Elektroauto.
Für die etablierten
Hersteller ist das
aber nur bedingt
eine gute
Nachricht, glaubt
Markus Fasse.
Wer am Markt
bestehen will,
muss seine
Produktion
schnell,
kostengünstig
und zu
ordentlicher
Qualität skalieren
können.
Der Autor ist stellvertretender Ressortleiter.
Sie erreichen ihn unter:
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Meinung
& Analyse
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DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198
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