Handelsblatt - 15.10.2019

(やまだぃちぅ) #1

„Wir erwarten keine


Verschlechterung der


Marge.“


Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender
VW, über die Umstellung auf Elektroautos

„Die aktuelle Konjunktureintrübung


sollte allerdings noch nicht als


nachhaltiger Abschwung interpretiert


werden.”


Uwe Berghaus, Firmenkundenvorstand DZ Bank


U


nsere Mobilfunknetze werden zur digitalen Le-
bensader. Mit dem Echtzeitstandard 5G werden
noch mehr sensible Daten aus der Wirtschaft

und aus unserem Alltag mobil übertragen. Daher muss


unsere Infrastruktur so sicher wie möglich sein. Muss


deswegen ein chinesischer Anbieter wie Huawei pau-


schal ausgeschlossen werden? Nein, sagt die Bundesre-


gierung. Damit hat sie recht. Gleichzeitig sollte sie drin-


gend vier Schwachpunkte im neuen Entwurf der Si-


cherheitsbestimmungen nachbessern.


Schwachpunkt 1: Deutschland will zwar künftig Netz-


ausrüstung genau kontrollieren. In sensiblen Bereichen


müssen etwa Komponenten von Huawei vom Bundes-


amt für Sicherheit in der Informationstechnik geprüft


werden. Doch noch ist nicht klar, ob die Behörde auch


die ausreichenden Kapazitäten dafür hat. In immer kür-


zeren Zyklen werden Produkte und Software überarbei-


tet. Um in diesem Wettlauf mithalten zu können, brau-


chen Behörden ausreichend Personal und technische


Möglichkeiten, Schwachstellen zu entlarven. Hier muss


dringend aufgestockt und aufgerüstet werden.


Schwachpunkt 2: Die Regierung will den Netzbetrei-
bern selbst überlassen, welche Bereiche sie als sensibel
einstufen. Damit drückt sich Berlin vor der Verantwor-
tung, klare Regeln für unsere Infrastruktur aufzustellen.
Aber es wäre fatal, wenn jede Firma selbst entscheidet,
in welchen Bereichen sie reguliert wird. Hier muss Ber-
lin klare Vorgaben machen.
Schwachpunkt 3: Die Regierung will von den Netzbe-
treibern eine Vertrauenswürdigkeitserklärung verlan-
gen. Dabei ist den Politikern völlig klar, dass eine solche
Erklärung wenig wert ist. Sollte etwa Peking den chine-
sischen Ausrüster Huawei zur Mithilfe bei Spionage
zwingen, würde auch eine Erklärung in Deutschland
daran nichts ändern. Die Zusicherung könnte zwar Re-
gressansprüche möglich machen. Ob sich die aber
durchsetzen ließen, ist höchst umstritten.
Schwachpunkt 4: Abhängigkeiten bestehen weiter.
Zwar sieht Berlin vor, dass Netzbetreiber wie Deutsche
Telekom, Vodafone und Telefónica mehr als einen Aus-
rüster einsetzen dürfen. Sie schreibt jedoch nichts zu
Anteilen vor. So bleibt eine große Abhängigkeit beste-
hen. Berlin hätte vorschreiben können, dass jeder Be-
treiber mindestens drei Ausrüster einsetzen muss, oder
Maximalanteile von Komponenten einzelner Ausrüster
definieren können, damit die Abhängigkeit begrenzt
bleibt. Diese Chance ist bislang jedoch vertan worden.
Es ist noch nicht zu spät. Der Entwurf der Sicher-
heitsanforderungen ist noch nicht final. Berlin sollte die
Regeln nachschärfen. Unser Mobilfunk ist zu wichtig,
als dass Deutschland sich mit einer Minimallösung be-
gnügen sollte.

5G-Mobilfunk


Regeln nachschärfen


Es ist richtig, dass die
Bundesregierung Huawei nicht
aussperrt. Aber nur, wenn die
Kontrollen auch wirksam sein
können, fordert Stephan Scheuer.

Der Autor ist Redakteur im Ressort Unternehmen &
Märkte. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Berlin


sollte


Maximal-


grenzen


definieren.


Sonst sind


Betreiber von


einzelnen


Ausrüstern


abhängig.


dpa (2), Peter Juelich / DZ Bank AG

Cum-Ex-Skandal


Auftrag


verfehlt


I


n Deutschland gilt das Legali-
tätsprinzip. Danach müssen Er-
mittlungsbehörden jede straf-
bare Handlung, von der sie erfah-
ren, verfolgen. Besteht ein Anfangs-
verdacht, leitet die Staatsanwalt-
schaft ein Ermittlungsverfahren ein.
Die Hürden dafür sind niedrig.
So weit die Theorie. In der Praxis
arbeiten Staatsanwaltschaften quer
durch die Republik nach diesem
Prinzip den größten Fall von Steuer-
kriminalität in der deutschen Ge-
schichte auf. Es geht um Aktienge-
schäfte der Marke Cum-Ex. Ge-
schätzt zwölf Milliarden Euro fehlen
in der Staatskasse, weil Banken und
Investoren sich mittels trickreichen
Aktienhandels Kapitalertragsteuern
„erstatten“ ließen, die sie gar nicht
abgeführt hatten.
Die steuerliche und strafrechtli-
che Behandlung dieser komplizier-
ten Geschäfte ist mühsam, aber sie
schreitet voran. Finanzrichter be-
zeichnen Cum-Ex als „kriminelles
Glanzstück“, zwei erste Anklagen
sind geschrieben, ein Prozess am
Landgericht Bonn hat begonnen. In
Frankfurt, München, Stuttgart, Düs-
seldorf und vor allem in Köln wird
ermittelt. Bundesweit gibt es mehr
als 70 Verfahrenskomplexe mit
rund 500 Beschuldigten.
Auch die HSH Nordbank mischte
mit bei Cum-Ex. Die ehemalige
Hamburger und Schleswig-Holstei-
nische Landesbank musste in der
Finanzkrise mit Milliarden vom
Steuerzahler gerettet werden –
trotzdem machte sie dann Geschäf-
te auf deren Kosten. Anfang 2014
räumte die Bank selbst ein, zu Un-
recht 112 Millionen Euro Steuern
kassiert zu haben.
Was machte die Staatsanwalt-
schaft Hamburg? Sie stellte Vorprü-
fungen an, um sie dann ohne Folge
zu beenden. Kein Einzelfall. Vier
Mal begannen die Hanseaten mit
solchen Vorprüfungen, vier Mal
blieb es dabei. Dieselben Fälle, die
bei der Staatsanwaltschaft Köln zur
Einleitung von Verfahren führten,
führten in Hamburg zu nichts. Man
fragt sich, ob die nordischen Beam-
ten mit dem Legalitätsprinzip weni-
ger vertraut sind als ihre Kollegen.
Im Cum-Ex-Skandal jedenfalls ha-
ben sie ihren Auftrag verfehlt.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg
verharmlost den größten
Steuerskandal der Republik,
kritisiert Volker Votsmeier.

Der Autor ist Reporter im
Investigativ-Team.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


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DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198


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