Handelsblatt - 15.10.2019

(やまだぃちぅ) #1

Robert Landgraf, Peter Köhler Frankfurt


E

s war nicht ganz das Ergebnis, das
sich der Star der deutschen Biotech-
Szene, das Mainzer Unternehmen Bi-
ontech, bei seinem Debüt an der New
Yorker Technologiebörse Nasdaq vor-
gestellt hatte. 150 Millionen Dollar konnte die Fir-
ma in den USA einsammeln. Firmenchef und
-gründer Ugur Sahin musste deutliche Abstriche
beim Ausgabepreis zugestehen, um Erfolg zu ha-
ben. Mit 15 Dollar landete er ein Viertel unter den
maximalen Preisvorstellungen. Trotz dieser Ent-
täuschung, die vor allem am unsicheren IPO-Um-
feld nach dem gescheiterten Börsengang von We-
work lag, ist Biontech damit nun auch von den
Märkten offiziell als Einhorn geadelt worden. Da-
mit sind Start-ups mit einer Bewertung von mehr
als einer Milliarde Dollar gemeint. Das auf perso-
nalisierte Immuntherapien vor allem gegen Krebs
spezialisierte Unternehmen kommt auf einen ak-
tuellen Wert von 3,4 Milliarden Dollar.
Biontech ist nur das bislang letzte Beispiel in ei-
ner immer größer werdenden Zahl von Start-ups
aus Deutschland mit solch hohen Bewertungen,

die den Schritt an die Börse wagen. Erst Ende
September gelang Teamviewer der bislang größte
Börsengang des Jahres in Deutschland. Der aus
Göppingen stammende Softwarekonzern wird
mittlerweile sogar mit mehr als fünf Milliarden
Euro bewertet. Mit Flix Mobility, Auto1 und Get -
yourguide stehen mehrere Unternehmen bereit,
die bei einem IPO ebenfalls viel Geld einsammeln
dürften. Insgesamt sind in den vergangenen Jah-
ren immer mehr Einhörner in Deutschland he-
rangewachsen. Nach Berechnungen des Beraters
GP Bullhound sind es insgesamt elf junge, heimi-
sche Unternehmen, die in diese Kategorie fallen.
Grund für den Boom in Deutschland ist auch
das zunehmende Interesse von Risikokapitalin-
vestoren an deutschen Firmen. In Deutschland
floss nach Berechnungen des Beraters KPMG im
dritten Quartal mit 2,29 Milliarden Dollar in rund
90 Deals so viel Geld wie nie zuvor in einem
Quartal. Der Großanteil ging mit 564 Millionen
Dollar an Flix Mobility, gefolgt von Finanzdienst-
leister N26 (470 Millionen Dollar). Die beiden Fir-
men gehören damit zu den „Top Ten“ der Invest-

ments global in Wagniskapital. Weltweit waren es
in den ersten neun Monaten dieses Jahres laut
KPMG knapp 178 Milliarden Dollar. Das ist so viel
wie im gesamten Jahr 2017. Den Grund für den
Aufschwung in Deutschland sieht Tim Dümi-
chen, Partner bei KPMG, in den wirtschaftlichen
Herausforderungen in Branchen wie Autozuliefe-
rern und Banken. „Sicherlich ist diese Entwick-
lung auch ein maßgeblicher Grund für die nam-
haften Investments in Start-ups aus diesen Berei-
chen. Ich denke, dass wir in Zukunft noch einige
interessante Entwicklungen zu erwarten haben“,
sagt er.
Der Aufschwung bei Wagniskapital in Deutsch-
land ist besonders beachtenswert, da deutsche
Investoren im internationalen Vergleich eher
Mangelware sind. Das gilt insbesondere, wenn
größere Summen investiert werden müssen. Die
Deutschlandchefin von JP Morgan, Dorothee
Blessing, klagt deshalb: „Im Vergleich zu anderen
Ländern gibt es in Deutschland zu wenig Wagnis-
kapital. Das muss sich ändern.“ Sie fordert, jun-
gen Unternehmen Kapital zur Verfügung zu stel-

Begehrte Gründer


Immer mehr junge, deutsche Unternehmen erhalten eine Milliardenbewertung und


wagen den Schritt an die Märkte. Viel Geld stecken vor allem ausländische


Wagniskapitalfirmen in die Start-ups. Firmen wie Flix Mobility, Auto1 und


Getyourguide gelten als nächste Kandidaten für einen Börsengang.


Bulle und Bär in Frankfurt:
Viele Start-ups arbeiten auf
einen Börsengang hin.

Oliver Ruether/laif

Ausländische


Investoren


konzentrieren


sich auf


ausgereifte


Geschäfts-


modelle.


Peter Lennartz
EY

Finanzen


& Börsen


DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198


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