Handelsblatt - 15.10.2019

(やまだぃちぅ) #1

Börsenbilanz


Anleger wurden


oft enttäuscht


D


er Erfolg des Silicon Valley wäre ohne
Börsengänge undenkbar gewesen. Alle
großen Namen wie Facebook, Alphabet,
Microsoft oder Amazon wurden mit Venture-Ca-
pital aufgepäppelt, bevor sie dann den Sprung
an die Märkte wagten. Im Gegensatz zu
Deutschland setzen die Vereinigten Staaten bei
der Altersvorsorge auf den Kapitalmarkt, die
Pensionskassen stecken sehr viel höhere Anteile
ihrer Mittel in Aktien und Wagniskapital als
deutsche Versorgungswerke und Versicherun-
gen. Und mit der Technologiebörse Nasdaq und
den chinesischen Börsenplätzen haben die US-
Wagnisfinanzierer und die Geldgeber aus dem
Reich der Mitte gut funktionierende „Exit“-Ka-
näle für ihre reifen Beteiligungen. Deutschland
hat sich dagegen nie richtig vom Niedergang
des Neuen Markts nach dem Platzen der Dot-
com-Blase erholt.
Als weiteres Problem entpuppte sich in den
vergangenen Monaten die überaus schlechte Per-
formance der Newcomer an der Deutschen Bör-
se. Der Softwarekonzern Teamviewer notiert ge-
genüber dem ersten Kurs beim milliardenschwe-
ren Initial Public Offering (IPO) um elf Prozent
im Minus, auch die Internetunternehmen Global
Fashion Group, Westwing sowie der Telefon-
dienstleister Nfon enttäuschten die Anleger auf
ganzer Linie. Ein komplettes Desaster erlebten
die Aktionäre von home24. Das virtuelle Einrich-
tungshaus aus dem Einflussbereich von Rocket
Internet ist binnen eines Jahres um fast 90 Pro-
zent abgestürzt.
Die enttäuschende Zwischenbilanz ist für Anle-
ger ein Grund mehr, in die Vereinigten Staaten zu
schauen. Dort und in China wurden im dritten
Quartal dieses Jahres teils kräftige Kursgewinne
erzielt. In Asien betrug das Kursplus der Börsen-
neulinge am ersten Handelstag sogar 51 Prozent,
auf den amerikanischen Märkten wurde immer-

hin ein Zuwachs von 16 Prozent registriert. In
Europa lag das Plus hingegen lediglich bei drei
Prozent.
Die Börsengänge in den Vereinigten Staaten
entwickelten sich auch nach der Emission posi-
tiv – im Schnitt brachten sie 2019 ein Plus gegen-
über dem Emissionspreis von fast 14 Prozent.
Nach Teamviewer rechnen die Experten in den
Investmentbanken und Beratungsgesellschaften
erst im kommenden Jahr wieder mit einer spür-
baren und breiten Belebung des deutschen IPO-
Markts. „Die Hoffnungen für mehr Bewegung in
Deutschland ruhen auf 2020“, sagt Carsten Stä-
cker, Leiter Equity Advisory bei PwC Deutsch-
land. Sollten die geopolitischen Belastungen wie
etwa der Brexit und die Handelskonflikte im
kommenden Jahr keine große Rolle mehr spie-
len und gleichzeitig die Emissionsbanken mode-
rate Preisspannen festlegen, dann könnte 2020
ein besserer Jahrgang für die Anleger werden.
Peter Köhler, Robert Landgraf

len und einen Weg aufzuzeigen, wie sie mit ihren


erfolgversprechenden Zukunftstechnologien an


die Börse gehen können. Sie sieht sonst das Risi-


ko, „dass Innovationen, Talente und Arbeitsplät-


ze abwandern“.


Größere Deals


Inzwischen geht ohnehin die Schere zwischen


sehr großen und kleinen Deals auseinander. „Aus-


ländische Investoren konzentrieren sich auf aus-


gereifte Geschäftsmodelle und sind bereit und in


der Lage, hohe Summen zu investieren“, beob-


achtet Peter Lennartz, Partner bei der Beratung


EY. Entsprechend steige die Anzahl der Einhörner


und Start-ups, die als potenzielle Einhörner gel-


ten, was die Attraktivität des Standorts Deutsch-


land für internationale Investoren weiter steigere.


Ein großer Erfolg war beispielsweise der Bör-


sengang von Teamviewer für den Finanzinvestor


Permira. Der Vorstand mit CEO Oliver Steil des er-


folgreichsten deutschen Softwareunternehmens


hatte im September offenbar vor allem die angel-


sächsischen Anleger von der Qualität überzeugen


können. Als 380 Mitarbeiter von Teamviewer in


T-Shirts des Unternehmens den ersten Kurs der


Aktie von 26,25 Euro auf dem Parkett der Frank-


furter Börse Ende September mit Applaus quit-


tierten, löste die Firma den Lkw-Hersteller Traton


von Volkswagen als größtes IPO des Jahres ab. Al-


lein die Aktien aus dem Börsengang waren 2,21


Milliarden Euro wert. Permira konnte sein Ein-


stiegskapital von 870 Millionen Euro von vor fünf


Jahren damit versechsfachen.


Während Teamviewer aus Göppingen stammt,


konzentriert sich die Start-up-Szene hierzulande


inzwischen auf Berlin. Die Hauptstadt entwickele


sich schnell zum Gegenspieler von San Francisco


und London, urteilt Lenka Rabatinova vom Fi-


nanzdatendienstleister Preqin. Die Gründe hier-


für: „Die verstärkte Digitalisierung hat kreative


Menschen hervorgebraucht, die Innovationen vo-
rantreiben, neue Trends setzen, Unternehmen
gründen und eine digitale Wirtschaft aufbauen“,
urteilt die Expertin. Es wird Geld und Talent an-
gezogen.
Um welche Summen es geht, machen Berech-
nungen von EY deutlich. Im ersten Halbjahr flos-
sen bei 131 Finanzierungsrunden insgesamt 2,1
Milliarden Euro in die Hauptstadt. Berlin steht
für mehr als zwei Drittel des im ersten Halbjahr
in Deutschland in Start-ups investierten Kapitals.
Dazu zählen die Online-Reiseplattform Getyour-
guide und auch das Fintech N26. Der Erfolg der
Einhörner sieht allerdings gemischt aus. Das gilt
gerade dann, wenn sie aus dem E-Commerce-Be-
reich stammen. Für Jahre nach dem Börsengang
des Online-Modehändlers Zalando in Frankfurt,
der aus dem Imperium des Internetinvestors
Rocket Internet stammt, hat sich für Anleger das
Investment in die Aktie gelohnt. Anders sieht es
für Rocket Internet selbst aus. Im Vergleich zum
Ausgabekurs hat sich der Kurs der Aktie etwa
halbiert. Das Unternehmen kommt inzwischen
nicht einmal mehr auf einen Wert von vier Milli-
arden Euro.

Aussichtsreiche Börsenkandidaten


Trotz der teils schwachen Kursentwicklung (siehe
auch nebenan), erwarten Beobachter bei mehre-
ren Einhörnern aus Deutschland einen Börsen-
gang. Als besonders aussichtsreiches Unterneh-
men zählt dabei Auto1. Der Autogroßhändler aus
Berlin ging bereits 2012 an den Start. Zunächst war
das Start-up eine Händlerbörse für Gebrauchtwa-
gen und unter dem Namen PKW1.net unterwegs.
Anfang vergangenen Jahres stieg der Tech-Kon-
zern Softbank mit 460 Millionen Euro ein. Infor-
mationen aus Finanzkreisen zufolge beträgt der
Anteil der Japaner am Unternehmen damit 20 Pro-
zent. Der Wert des Internethändlers liegt auf der
Basis des Deals Schätzungen aus Finanzkreisen zu-
folge bei knapp drei Milliarden Euro.
Ein weiterer Börsenkandidat ist Flix Mobility,
wozu Flixbus gehört. Allein im Juli dieses Jahres
hatte sich der Vermittler von Busreisen in der Fi-
nanzierungsrunde F noch einmal 472 Millionen
Euro an frischem Kapital bei Investoren wie
Holtzbrinck-Ventures und der Europäischen In-
vestmentbank eingeholt, die schon lange dabei
sind. Es kamen zudem Neuinvestoren wie VC Per-
mira und Silicon Valley VC hinzu. Im August wur-
de die Finanzierungsrunde noch einmal aufge-
stockt, um die Expansion in neue Länder und in
den Mitfahrdienst Flixcar zu finanzieren. Die Be-
wertung liegt auf Basis der Finanzierungsrunden
nach der Einschätzung von Bankern bei rund 2,5
Milliarden Euro.
Die Bewertung von einer Milliarde Euro über-
schritt die Berliner Reiseplattform Getyourguide
mit der Finanzierungsrunde Serie E. und befin-
det sich damit jetzt in der Riege der Einhörner,
von denen ein Börsengang im nächsten Jahr
für möglich gehalten wird. Rund 433 Millio-
nen Euro hatte das Buchungsportal im Mai
dieses Jahres bekommen. Angeführt wurde
die Finanzierungsrunde von der Softbank.
Ebenfalls beteiligt waren große Namen wie
der Staatsfonds Temasek aus Singapur,
Lakestar von Gründer Klaus Hommels,
der europäische VC Korelya und
Heart core Capital aus Berlin. Bei der
2009 gegründeten Getyourguide
können Reisende Tickets für Touris-
tenattraktionen wie Museen und
Stadtführungen online buchen.
Mit neuem Kapital will die Platt-
form ihr Angebot ausweiten, den
Buchungsprozess verbessern
und weitere Vermarktungs-
kanäle erschließen.

Bevorzugte Börsenplätze 2019*


nach Zahl der IPOs für Unternehmen, die nicht
aus dem Heimatmarkt stammen


10


25


14


4 4


Nasdaq
Hongkong

Nyse
Australien

Singapur


Geldregen für Gründer


Finanzierungsvolumen je Sektor in Mio. Euro
im 1. Halbjahr 2019 in Deutschland


HANDELSBLATT *Erste neun Monate • Quelle: EY


704 Mio. 


659


385


303


08


Fintech/Insurtech


Mobilität


Software


Gesundheit


E-Commerce


Biontech-Chef
Ugur Sahin:
Das Mainzer
Unternehmen
ist mehr als
drei Milliarden
Dollar wert.

Bernd Roselieb für Handelsblatt

51


PROZENT


betrug das Kursplus der asiatischen
Börsenneulinge am ersten Handelstag
im dritten Quartal 2019.

Quelle: Unternehmensberatung EY


Finanzen & Börsen


DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198


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