Handelsblatt - 15.10.2019

(やまだぃちぅ) #1
Sönke Iwersen, Volker Votsmeier
Düsseldorf

D

ie Hamburg Commer-
cial Bank hat dem
deutschen Steuerzah-
ler viel zu verdanken.
Drei Milliarden Euro
frisches Kapital steckte der Fiskus
2009 in das Geldinstitut, das damals
noch eine Landesbank war und un-
ter dem Namen HSH Nordbank agier-
te. Für zehn Milliarden Euro über-
nahm der Staat Garantien.
Dankbar waren ihre Mitarbeiter
dem Steuerzahler trotzdem nicht –
jedenfalls nicht alle. Nach Informatio-
nen des Handelsblatts ermittelt die
Staatsanwaltschaft Köln gegen zwei
frühere Verantwortliche wegen des
Verdachts auf schwere Steuerhinter-
ziehung. Demnach waren die Mana-
ger in umstrittene Aktiengeschäfte
verwickelt, während der Staat die
Bank durch die Krise schleppte.
Die Verdächtigen verfuhren dabei
nach dem Verfahren Cum-Ex. Beim
Handel von Aktien mit (cum) und oh-
ne (ex) Dividendenanspruch gaukel-
ten sie und ihre Geschäftspartner
den Finanzämtern vor, es gebe meh-
rere Eigentümer ein und derselben
Aktie. Einer von ihnen führte dann
eine Kapitalertragsteuer ab, mehrere
ließen sie sich erstatten.
Cum-Ex gilt als größter Steuerskan-
dal Deutschlands – mehr als 130 Ban-
ken sind verdächtig. Im Ganzen soll
der Schaden für den Steuerzahler
zwölf Milliarden Euro betragen. In-
zwischen sind Staatsanwaltschaften
in ganz Deutschland aktiv.

Bekanntes Prinzip


Stefan Ermisch, dem Vorstandsvorsit-
zenden der Hamburg Commercial
Bank, ist das Prinzip Cum-Ex gut be-
kannt. Er arbeitet zwar erst seit 2012
in der Hansestadt – da waren die Ge-
schäfte auf Kosten der Steuerzahler
gerade gebannt. In der Hochphase
der Cum-Ex-Masche allerdings, bis
Mitte 2008, waltete Ermisch bei der
Hypo-Vereinsbank (HVB). Sie steht
im Mittelpunkt des ersten Cum-Ex-
Strafprozesses in Deutschland. Seit
Anfang September machen vor dem
Landgericht Bonn zwei ehemalige
Aktienhändler der HVB tagelange
Aussagen.
Die Angeklagten Martin S. und
Nick D. sind „vollumfänglich koope-
rativ“, wie ihre Anwälte es nennen.
Die HVB selbst hat auch schon eini-
ges zur Aufklärung beigetragen. Gut
100 Millionen Euro gab die Bank für
Anwälte und Berater aus, 9,8 Millio-
nen musste sie als Geldbuße bezah-
len. Auf weitere 180 Millionen Euro,
vor allem bedingt durch Steuerrück-
zahlungen, beziffert die HVB den
Schaden, der durch misslungene
Cum-Ex-Geschäfte entstand – und
verklagte drei frühere Vorstände vor
dem Landgericht München auf ent-
sprechenden Schadensersatz.

Ermisch gehört weder zu der Grup-
pe, die die Staatsanwaltschaft beschul-
digt, noch zu jener, die von der Hypo-
Vereinsbank verklagt wurde. Er sei
selbst nicht an der Abwicklung von
Cum-Ex-Geschäften beteiligt gewesen,
heißt es in einem internen Bericht,
den die Tochter der italienischen
Großbank Unicredit bei der Kanzlei
Skadden Arps Slate Meagher & Flom
in Auftrag gegeben hatte. Es sei aber
„nicht auszuschließen“, dass die Män-
ner, von denen die HVB Geld fordert,
ihrerseits Ermisch „den Streit verkün-
den“. Es sei möglich, dass die verklag-
ten Manager sich diesbezüglich ihrer-
seits an Ermisch wenden.
Ein Anwalt der Bank betonte, Er-
misch sei an der Abwicklung von
Cum-Ex-Geschäften nicht beteiligt ge-
wesen. Zwar habe Ermisch als Chief
Operating Office im Bereich Markets
und Investmentbanking agiert, dort
aber die Themen IT- und Personal ver-
antwortet. Auch der Bericht der Kanz-
lei Skadden Arps habe Ermisch nicht
belastet.
Nach Angaben der Angeklagten in
Bonn war auch das damals noch als

HSH Nordbank firmierende hanseati-
sche Geldinstitut tief in Cum-Ex-Ge-
schäfte involviert. Die HSH Nordbank
sei regelmäßig als Käufer von Aktien
aufgetreten, die für Geschäfte auf
Kosten der Steuerzahler missbraucht
wurden. Sie habe Steuern auf Divi-
dendenkompensationen erhalten,
die gar nicht abgeführt wurden. Ein
Angeklagter nannte die HSH einen
„Big Player“ in Cum-Ex.
Sie wurde aber auch ein reumütiger
Spieler. Viel früher als manch andere
Bank begann die HSH damit, ihre
Cum-Ex-Vergangenheit aufzuarbeiten.
2013 beauftragte die Bank auch auf
Betreiben des damaligen Finanzvor-
stands Ermisch die Kanzlei Clifford
Chance mit einer gründlichen Unter-
suchung. Das Projekt lief unter dem
Codewort „Saturn“ und lieferte ein-
deutige Ergebnisse: Die Landesbank
hatte zu Unrecht kassiert.
In der Folge zahlte die HSH 126 Mil-
lionen Euro an die Staatskasse, davon
„rund 112 Millionen für gegebenenfalls
zu Unrecht erfolgte Steueranrechnun-
gen und rund 14 Millionen für Zinsen“,
wie sie formuliert. „Etwaige zulasten

der Finanzkasse im Zusam menhang
mit sogenannten Cum-Ex-Aktienge-
schäften erlangte Steueranrechnun-
gen hat die HSH damit ausgeglichen“,
betonte ein Sprecher.
Die Bank hätte gern auch mit den
Strafverfolgungsbehörden eine Lö-
sung gefunden, schließlich war die
öffentliche Aufregung groß. „Die be-
schriebenen Geschäfte erfüllten ohne
jeden Zweifel den objektiven und
subjektiven Tatbestand der Steuer-
hinterziehung“, sagte der damalige
schleswig-holsteinische FDP-Abge-
ordnete Wolfgang Kubicki – und die
HSH wollte die Verantwortlichen
nicht schonen. Auch bei der Staats-
anwaltschaft Hamburg lag der Fall
auf dem Tisch. Doch die hanseati-
schen Beamten schlossen nach einer
Vorprüfung die Akten.
Auch bei der Bankenaufsicht regte
sich wenig. Volle vier Jahre lang lag
der Bericht der Kanzlei Clifford bei
der Bundesanstalt für Finanzdienst-
leistungsaufsicht, ohne dass dort je-
mand den zahlreichen Indizien für
Steuervergehen nachging.

Kölner Sondereinheit


Dass die ehemaligen Manager der
Hamburg Commercial Bank sich nun
doch strafrechtlich für ihre Cum-Ex-
Vergangenheit verantworten müssen,
liegt an der Staatsanwaltschaft Köln.
Dort arbeitet sich seit Jahren eine ei-
gens gegründete Sondereinheit
durch Deutschlands größten Steuer-
skandal. 56 verschiedene Untersu-
chungskomplexe sind inzwischen
identifiziert, die meisten davon un-
tereinander verwoben.
Das macht Köln zur Speerspitze
der Aufklärung. Oberstaatsanwältin
Anne Brorhilker wurde jüngst vom
nordrhein-westfälischen Justizminis-
ter Peter Biesenbach überschwäng-
lich für ihre Leistungen gelobt. Es sei
ihr gelungen, aus Beschuldigten
Kronzeugen zu machen und hoch-
komplexe Vorgänge zu entschlüsseln.
Das ganze System Cum-Ex liege nun
offen. Der begonnene Prozess in
Bonn sei als Blaupause für zahlreiche
weitere Prozesse. Biesenbach: „Das
geht wie am Fließband.“
Weiter nördlich scheint solcher Ar-
beitseifer fremd zu sein. Weder bei
der Hamburg Commercial Bank sa-
hen die hanseatischen Staatsanwälte
einen Grund zum Handeln noch bei
der ebenfalls in Cum-Ex-Geschäfte
verstrickten Traditionsbank M. M.
Warburg. Warburg weist zwar die
Vorwürfe zurück, steht aber eben-
falls in Köln auf der Liste. So wie die
junge Varengold Bank und ein weite-
res Institut.
Erste Arbeitsschritte gab es wohl,
bestätigt eine Sprecherin der Ham-
burger Staatsanwaltschaft. Aber da-
mit war es auch gut: „Es gab bei uns
vier Prüfverfahren. In keinem Fall
wurde ein förmliches Ermittlungsver-
fahren eingeleitet.“


Kommentar Seite 27



Steuerskandal


Die Altlasten der


Ex-Landesbank


Die frühere HSH Nordbank beteiligte sich an mutmaßlich


kriminellen Aktiendeals. Die Hamburger Staatsanwälte


legten den Fall zu den Akten. Doch jetzt ermittelt Köln.


Schriftzug der HSH
Nordbank: Mittlerwei-
le firmiert das Institut
unter dem Namen
Hamburg Commercial
Bank.

imago/Lars Berg

Die


beschriebenen


Geschäfte


erfüllten ohne


jeden Zweifel


den objektiven


und subjektiven


Tatbestand der


Steuerhinter -


ziehung.


Wolfgang Kubicki
FDP-Politiker

Finanzen & Börsen


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DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198


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