Airbus/Boeing
EU will
Zollstreit noch
abwenden
Till Hoppe Brüssel
D
ie Europäische Union drängt
die US-Regierung, auf die an-
gekündigte Zuspitzung im
Streit über den Flugzeugbauer Airbus
zu verzichten. „Zölle sind nicht gut
für die Wirtschaft, nicht gut für die
Verbraucher, nicht gut für die Impor-
teure“, sagte EU-Handelskommissa-
rin Cecilia Malmström am Montag.
Sie werde „bis zur letzten Minute“
versuchen, die USA zu überzeugen,
eine gütliche Einigung zu finden.
Washington hatte Anfang Oktober
angekündigt, ab kommendem Frei-
tag Strafzölle auf Einfuhren aus den
EU-Staaten im Volumen von 7,5 Milli-
arden Dollar pro Jahr zu erheben.
Zehn Prozent sollen ab dann auf
Flugzeuge anfallen, 25 Prozent etwa
auf Wein aus Frankreich, Kameralin-
sen aus Deutschland oder Pullover
aus Großbritannien. Die Welthandels-
organisation hatte die Maßnahmen
als Wiedergutmachung für illegale
Staatshilfen einiger EU-Staaten für
den Flugzeugbauer Airbus erlaubt
und sogar Zölle in Höhe von 100 Pro-
zent autorisiert.
Die beiden Handelspartner streiten
seit 2004 über die Hilfen für die je-
weiligen Flugzeugbauer. Damals
wandte sich die US-Regierung an die
WTO, weil sie in den Darlehen
Deutschlands und der anderen Air-
bus-Länder für die Entwicklung neu-
er Modelle illegale Staatshilfen sah.
Im darauffolgenden Jahr revan-
chierten sich die Europäer und riefen
wegen US-Hilfen für Boeing über
Steuererleichterungen und Rüstungs-
aufträge die Welthandelsorganisation
an. Die Genfer Streitschlichter haben
auch die US-Subventionen bereits für
illegal erklärt, allerdings noch nicht
die Höhe der erlaubten Vergeltung
festgelegt. Diese Entscheidung wird
in gut einem halben Jahr erwartet.
Keine „Hintertür“ für Hilfen
In einem Brief an den US-Handelsbe-
auftragten Robert Lighthizer warnte
Malmström erneut, den Streit nun
durch Zölle zu eskalieren. „Dies wür-
de eine Verhandlungslösung er-
schweren, und es wird die EU dazu
bewegen, eigene Gegenmaßnahmen
zu ergreifen, sobald die Zeit dafür
beim parallelen Boeing-Fall gekom-
men ist“, schreibt Malmström. Die
EU sei weiter bereit, über strengere
Regeln für die jeweiligen Hilfen für
die Flugzeugbauer zu sprechen.
Die USA fänden eine Verhand-
lungslösung über das Ende aller nicht
mit den WTO-Regeln vereinbarten
Subventionen besser als Strafzölle,
sagte der amerikanische WTO-Bot-
schafter Dennis Shea. Dafür müsse
aber sichergestellt werden, dass die
EU tatsächlich sämtliche Airbus-Sub-
ventionen streiche und diese auch
nicht durch die Hintertür wieder ein-
führe. Die EU habe sich 15 Jahre lang
auf keine ernsthaften Diskussionen
darüber eingelassen.
Die EU-Kommission hatte in Per-
son der Generaldirektorin für Han-
del, Sabine Weyand, bereits im Juli
ein detailliertes Angebot überbracht.
Demnach sollten etwa Entwicklungs-
darlehen marktüblich verzinst wer-
den. Im nächsten Schritt sollten sich
EU und USA um international gültige
Regeln für die Branche bemühen.
Queen Elizabeth II.:
Unfreiwillige
Wahlwerbung für
Boris Johnson.
Tolga Akmen/REUTERS
Ruth Berschens, Carsten Volkery
Brüssel, London
D
er Pomp war so präch-
tig wie jedes Jahr: Die
imperiale Krone wurde
in einer Kutsche zum
Westminster Palace ge-
fahren, Uniformierte mit Hellebarden
standen Spalier, schließlich fuhr
Queen Elizabeth II. persönlich in ei-
nem Sechsspänner vor. Am Montag
eröffnete die Monarchin die neue Sit-
zungsperiode des Parlaments und
verkündete das Regierungsprogramm
ihres Premierministers Boris Johnson
in der „Queen’s Speech“. Oberste
Priorität ihrer Regierung bleibe es,
die EU am 31. Oktober zu verlassen,
las die Königin von ihrem Zettel ab.
Die royale Show war an diesem
Tag nur das Nebenprogramm. Die
echte Politik wurde in nüchternen
Sitzungsräumen in Brüssel gemacht.
Hier verhandeln die Teams von
Brexit-Minister Stephen Barclay und
EU-Chefunterhändler Michel Barnier
über Änderungen des EU-Ausstiegs-
vertrags.
Ende vergangener Woche war kurz
Hoffnung aufgekommen, dass man
sich doch noch bis zum EU-Gipfel an
diesem Donnerstag einigen könne.
Johnson hatte seinen ursprünglichen
Vorschlag für die irische Grenze ab-
gemildert. Er will offenbar eine Zoll-
grenze in der Irischen See akzeptie-
ren und besteht nicht mehr darauf,
dass die nordirische DUP ein Veto
über das künftige Zoll-Regime in der
britischen Provinz hat.
Den Europäern reicht dies nicht
aus. Es gebe noch eine „große Lü-
cke“ in der Zollfrage, erklärte Barnier
am Sonntagabend den 27 EU-
Botschaftern in Brüssel. Laut EU-
Kommission muss die Regelung zur
EU-Außengrenze in Irland rechtlich
wasserfest sein und drei Kriterien er-
füllen: Eine harte Grenze müsse ver-
mieden, der europäische Binnen-
markt geschützt und die ökonomi-
sche Kooperation zwischen dem
Norden und dem Süden Irlands si-
chergestellt werden.
Es ist unklar, ob es diese Woche ei-
ne Einigung geben wird. „Es könnte
klappen, aber ich würde nicht wa-
gen, darauf zu wetten“, sagte ein EU-
Diplomat. Am Dienstag will Barnier
den Europa ministern der EU-Staaten
einen Zwischenbericht zum Verhand-
lungsstand geben. Einen veränderten
Austrittsvertrag absegnen könnten
die Chefs auf dem Gipfel nur, wenn
beide Seiten sich bis spätestens Mitt-
woch auf eine neue Vertragsversion
einigen, hieß es in Brüssel. Sonst blei-
be nicht mehr genug Zeit, um die nö-
tigen Formalitäten vor dem Gipfel zu
erledigen.
Nach Informationen von EU-Diplo-
maten könnten die Verhandlungen
auch nach dem Gipfel noch weiterge-
hen. In Brüssel wurde daran erin-
nert, dass die Türkei eine Zollunion
mit der EU eingegangen ist. Das be-
deutet, dass die Türkei keine eigenen
Handelsverträge abschließen kann.
Eine Zollunion mit der EU lehnt Lon-
don bislang ab und hat stattdessen ei-
ne Zollpartnerschaft zwischen Nord-
irland und der EU-27 vorgeschlagen.
Die Frage ist nur, ob diese die Min-
destbedingungen der Europäer erfül-
len kann.
Johnson fährt eine doppelte Strate-
gie. Während er in Brüssel noch ver-
handelt, bereitet er in London längst
Neuwahlen vor. So will er sich ein
Mandat holen, den Brexit notfalls
auch ohne Deal durchzuziehen. Die
„Queen’s Speech“ diente ihm als
Wahlwerbung. Fast zwei Dutzend Ge-
setzesvorhaben ließ er die Königin
verkünden – von der Verschärfung
des Strafrechts bis hin zu einer Pfle-
gereform. Wahrscheinlich wird kei-
nes davon bald umgesetzt. Der Brexit
verdrängt alles andere von der Tages-
ordnung, und Neuwahlen würden
die Legislaturperiode beenden.
Die Opposition sprach daher von
einer „Farce“. Der Premier missbrau-
che die Rede der Königin als „partei-
politischen Rundfunk“, kritisierte La-
bour-Chef Jeremy Corbyn. Wahr-
scheinlich wird das Unterhaus das
Regierungsprogramm nicht einmal
absegnen. Seitdem Johnson im Sep-
tember 21 proeuropäische Abweich-
ler aus seiner konservativen Fraktion
ausgeschlossen hat, regiert er ohne
Mehrheit. Normalerweise ist eine Re-
gierung am Ende, wenn sie ihr Pro-
gramm nicht durch das Parlament
bringen kann. Doch Johnson würde
wohl nicht zurücktreten, und die Op-
position will ihn noch nicht zum
Rücktritt zwingen.
Ebenso fraglich ist, ob Johnson ei-
nen veränderten Ausstiegsvertrag
durch das Unterhaus bringen könnte.
Im Fall einer Einigung in Brüssel will
er die Abgeordneten schon am Sams-
tag abstimmen lassen. Es wäre der
vierte Anlauf, nachdem das Unter-
haus Theresa Mays Deal bereits drei-
mal abgelehnt hatte. May war an den
Hardlinern in den eigenen Reihen ge-
scheitert. Johnson hofft, diese nun zu
überzeugen. Als entscheidend gilt die
Unterstützung der nordirischen DUP.
Sie hatte in der Vergangenheit eine
Seegrenze in der Irischen See strikt
abgelehnt. Zuletzt war sie offener für
Warenkontrollen – doch alles hinneh-
men wird sie wohl nicht. Am Ende
könnte Johnson vor dem gleichen Di-
lemma stehen wie seine Vorgängerin
May: Ein Deal, dem die Europäer zu-
stimmen, findet keine Mehrheit im
Unterhaus – und umgekehrt.
Brexit
Londons unklare
Strategie
In Brüssel verhandelt Boris Johnson um einen neuen
Brexit-Deal, daheim bereitet der britische Premier
Neuwahlen vor. Selbst die Queen spannt er dabei ein.
Die Priorität
meiner Regie -
rung war stets
der Austritt
des König -
reichs aus
der EU am
- Oktober.
Regierungserklärung
Boris Johnsons
Europa
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DIENSTAG, 15. OKTOBER 2019, NR. 198
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