Frankfurter Allgemeine Zeitung - 18.10.2019

(avery) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Medien FREITAG, 18. OKTOBER 2019·NR. 242·SEITE 13


EinSchlachtfeld voller toter Körper, in
Bleu-Blanc-Rouge gekleidet: Am Mor-
gen nach der Schlacht bei Waterloo steh-
len Plünderer Ringe und Schuhe von Lei-
chen. Die Zeit: 1815, Napoleon ist am
Ende, die Revolution lange vorbei und
ihre Erkenntnisse bald wieder verges-
sen. Nicht vergessen aus dieser Zeit je-
doch, und zahllose Male gespielt, ver-
filmt, gesungen: die Geschichte Jean Val-
jeans und der „Misérables“, der Elenden
und Armen im Paris des frühen 19. Jahr-
hunderts.
Im Serienformat der BBC zeichnen
acht Folgen in etwas mehr als sechs Stun-
den den Jahrhundertroman Victor Hu-
gos nach. In ihm geht es um Jean Valje-
an, das ultimative Vexierbild des „bad
boy/good guy“ der französischen Ro-
mantik. Weil er ein Stück Brot gestohlen
hatte, saß er fast zwanzig Jahre in Haft.
Als er entlassen wird, ist er ein gebroche-
ner Mann. Die Handlungsstränge, die
bei Hugo in Kapiteln aufeinanderfolgen,
laufen in der von Andrew Davies ge-
schriebenen und von Tom Shankland in-
szenierten Serie parallel ab: Während
Valjean (Dominic West) durch die Be-
gegnung mit einem Bischof den Glau-
ben an das Gute im Menschen wiederer-
langt, wird die Näherin Fantine (Lily
Collins) von ihrem Liebhaber verführt,
dann mit der kleinen Tochter Cosette sit-
zengelassen. Einige Jahre später hat Val-
jean es zum angesehenen Bürgermeister
und Wohlstand gebracht. Javert (David
Oyelowo), sein ihm übelgesinnter Ge-
fängniswärter, der nun Polizeioffizier
ist, bleibt ihm auf der Spur. Fantine über-
lässt ihre Tochter der geldgierigen Fami-
lie Thénardier zur Obhut. Bald verkauft
sie ihre Haare, dann ihren Körper. Nach
Fantines Tod nimmt sich Valjean Coset-
tes an und zieht mit ihr nach Paris, wo er
immer noch von Javert gesucht wird und
sich Cosette nach einem weiteren Zeit-
sprung als junge Frau verliebt. In zusam-
mengeraffter Form geht es um Liebe,
Tod, Verlust und Menschlichkeit.
Valjean und Javert, West und Oyelo-
wo, sind interessante Gegenspieler, ob-
wohl Drehbuch und Inszenierung ihnen
wenig Spielraum geben. Javert, selbst
Sohn eines Kriminellen, ist überzeugt,
dass Kriminelle allein aus Boshaftigkeit
handeln. Valjean bezeugt das Gegenteil.
Er, der für eine kleine Tat drakonisch be-
straft wurde, sieht sich als Niemand, kei-
ner Liebe würdig – und gibt selbst so viel
davon. Die künstlichen Sprechpausen in
den Begegnungen, die Verfolgungsjag-
den durch die dunkle Hauptstadt, die me-
lodramatische Streichermusik und die
vielen Tode: Auf einem Kitsch-Spek-
trum von „Les Misérables“, das sich vom
Roman bis zur neuesten Musical-Verfil-
mung Tom Hoopers erstreckt, ist die Se-
rie – zwar ohne Gesang – sicher im obe-
ren Teil zu vermerken. Und wenn sie
sich gegen Ende keinem Happy End nä-
hert, regnet es in Strömen.
Paris scheint hier aus einem Platz, ei-
ner Kirche, zehn Straßen und hundert

Statisten zu bestehen: eine Kleinstadt,
in der sich Gut und Böse klarer zeichnen
lassen. Priester und Nonnen sind aus-
nahmslos gütig, Polizisten herzlos. Gut
und Böse spiegeln sich in den beiden Fi-
guren: Valjean tat das Falsche, ist aber
ein guter Mensch, während sich Javert
moralisch überlegen wähnt, in Wahrheit
aber von Bosheit bestimmt ist. Am Ende
gelangt er zu der Einsicht, dass er sich in
Valjean getäuscht hat. Das alles ist in
Schwarzweiß gezeichnet, wer auf Ambi-
valenzen hofft, wartet vergebens.
Die Hauptdarsteller sprechen in die-
ser BBC-Produktion britisches Englisch
in verschiedenen Dialekten. Um sie her-
um parlieren alle Französisch. So wer-
den die Darstellerinnen und Darsteller
zu Touristen in ihrer eigenen Geschich-
te, die ab und an Ausrufe in ihrer ver-
meintlichen Muttersprache mit engli-
schem Akzent vortragen.
Das wenige Licht, das die düstere Sze-
nerie beleuchtet, kommt von Öllampen
oder Kerzen. Die Baracken, Fabriken,
Holzhäuser und Straßenzüge sind
hübsch verdreckt und die Pariser Kanali-
sation ein Moloch. „Les Misérables“
zeichnet die Armut allzu idyllisch, aber
unterhält als konventionell erzähltes Ge-
schichtsdrama. Eine Geschichte über so-
ziale Klassen, über Auf- und Abstieg in
einer Welt, in der Großzügigkeit ein
Zeitvertreib für jener ist, die es sich leis-
ten können. Das sind die wenigen Mo-
mente, in denen die Serie zeitgemäß
wirkt: in der nicht unermüdlichen Beto-
nung der Ungerechtigkeit, der himmel-
schreienden Unterschiede zwischen
Arm und Reich. Das Noble und das Dre-
ckige, das Hugo beschrieb, sind hier et-
was heruntergebrochen: dort der Samt
und hier der Schmutz. LILI HERING
Les Misérablesist auf dem Kanal Starzplay bei
Amazon Prime verfügbar.

A


m Mittwochnachmittag be-
gann in einschlägigen Foren
das große Rätselraten: Das
Datennetzwerk Share-On-
line.biz war nicht mehr erreichbar. Lag
es an technischen Problemen, wie es
sie ab und an schon einmal gibt? Oder
steckte mehr dahinter? Es steckte mehr
dahinter – die Zentral- und Ansprech-
stelle Cybercrime NRW (ZAC NRW)
der Staatsanwaltschaft Köln. Die ließ
nämlich, wie sie tags darauf mitteilte,
gerade „mehrere Wohn- und Geschäfts-
objekte in den Niederlanden, in Frank-
reich und in Deutschland“ durchsu-
chen und stellte „umfangreiche Beweis-
mittel“ sicher. Das Ermittlungsverfah-
ren richte sich gegen drei Tatverdächti-
ge im Alter von vierzig, 48 und 54 Jah-
ren. Ihnen werde vorgeworfen, durch
ihre Filesharing-Plattform Beihilfe zur
unerlaubten Verwertung urheberrecht-
lich geschützter Werke begangen zu ha-
ben: Kinofilme, Serien, Erotik und Mu-
sik seien zum Download angeboten
worden. Dabei handelte es sich um
Raubkopien, die Nutzer auf der Platt-
form hochluden – wofür sie Geld beka-
men. Den Umsatz mit dem Raubkopier-
geschäft beziffert die Staatsan-
waltschaft für den Zeitraum von April
2008 bis Oktober 2017 auf fünfzig Mil-
lionen Euro.
Bei dem Schlag gegen die Online-Pi-
raterie handelt es sich also um eine kapi-
tale Angelegenheit. Die Justiz geht hier
gegen den wohl größten Player der Sze-
ne seit Kim „Dot-
com“ Schmitz und
seinem 2012 ge-
schlossenen Por-
tal „Megaupload“
vor. Nach gegen-
wärtigen Erkennt-
nissen, schreibt
die Staatsanwalt-
schaft Köln, han-
dele es sich um
„den größten in
Deutschland be-
triebenen File-
hoster“.
Um wen genau
es sich dabei han-
delt, sagt die Staats-
anwaltschaft frei-
lich nicht. Das
übernahm an ihrer
Stelle die Gesell-
schaft zurVerfolgung von Urheberrechts-
verletzungen (GVU): Am Mittwoch, 16.
Oktober 2019, sei das Angebot von
Share-Online.biz von der Justiz vom
Netz genommen worden. Schon 2017
hätten Mitarbeiter der GVU Strafantrag
gegen dessen Betreiber gestellt und die
Behörden bei den Ermittlungen seither
unterstützt. Nun habe man einen bahn-
brechenden Erfolg erzielt.
Bahnbrechend ist die Aktion in mehr-
facher Hinsicht. Die Aktivität eines
„Filehosters“, der eine Website betreibt,
auf der Daten hochgeladen, geteilt und
gestreamt werden können, ist an sich
nämlich nicht illegal. Datenpakete zu
schnüren und zu verschicken, wie es
etwa Dropbox unternimmt, kann ein
durch und durch sauberes Geschäft sein.
Illegal wird es, wenn Raubkopien von
Werken unterwegs sind, an denen derje-
nige, der sie hochlädt, keine Rechte be-
sitzt. Dem „File-“ oder „Sharehoster“
muss man nachweisen, dass er Kenntnis
davon hat, dass bei ihm mit Raubkopien
gehandelt wird. Und genau das, schreibt
die GVU, habe man getan.
Ein von der Gesellschaft beauftrag-
ter Dienstleister habe 2017 mehr als
acht Millionen Löschaufforderungen an
die Betreiber von Share-Online.biz ver-
schickt. Diese hätten sich zwar koopera-
tiv gezeigt, nach kurzer Zeit aber seien
die betreffenden Inhalte schon wieder
verfügbar gewesen. Das ist ein Indiz da-
für, dass zwar die jeweiligen Links zu il-
legalen Inhalten, die ein Rechteinhaber
gemeldet hat, gelöscht werden, das Nut-
zerkonto desjenigen aber, der die Daten
bei Share-Online.biz eingestellt hat, be-
stehen bleibt. Das macht es umso leich-
ter, die illegalen Inhalte postwendend
unter neuen Links zu verbreiten. Da
können Rechteinhaber sich im „Notice
and takedown“-Verfahren noch so oft
melden, das Rennen zwischen Hase
und Igel können sie nicht gewinnen,
denn der illegale Handel mit ihren Wer-
ken geht weiter.
Wenn es so hin und her läuft, wie die
GVU mit Blick auf Share-Online.biz be-
richtet, ist das auch ein deutlicher Hin-
weis darauf, dass ein Betreiber weiß, wo-
mit diejenigen, die bei ihm Inhalte hoch-
laden, handeln – mit illegalen Inhalten.

Für diese Inhalte wurden die Liefe-
ranten, wie die Staatsanwaltschaft
schreibt, von dem Online-Portal nach
einem ausgeklügelten Punktesystem be-
zahlt. Wer besonders gefragte Inhalte
einstellte – Kino-Blockbuster zum Bei-
spiel –, profitierte finanziell mehr da-
von als derjenige, der Arthouse-Filme
im Angebot hatte. Die zuschauenden
Nutzer von Share-Online.biz wieder-
um, also diejenigen, die Inhalte herun-
terladen oder sich im Streaming anse-
hen, wurden durch langsamen Daten-
transfer bei besonders populären Inhal-
ten dazu angehalten, einen Premium-
Zugang zu kaufen, der pro Monat mit
zehn Euro zu Buche schlägt. Obendrein
verdiente Share-Online.biz an auf der
Seite geschalteter Werbung – was ein
fahles Licht auf diejenigen wirft, die in
diesem Umfeld Reklame buchen, erst
recht, wenn sie von Rechteinhabern
darauf aufmerksam gemacht worden
sind, bei wem sie da eigentlich werben.
Was die Größenordnung des Falls an-
geht, weiß wiederum die Staatsanwalt-
schaft Köln: Die Betreiber hätten bin-
nen zehn Jahren fünfzig Millionen
Euro umgesetzt. Seit 2010 habe der
Hauptbeschuldigte bei einem niederlän-
dischen Provider Serverkapazitäten an-
gemietet, die zuletzt im zweistelligen
Petabyte-Bereich lagen. Ein Petabyte
sind eine Milliarde Bytes. Zum Ver-
gleich: Die fünfzehn Millionen digita-
len Objekte, welche die amerikanische
Library of Congress 2016 in ihrem Digi-
talarchiv „The American Memory“ vor-
hielt, machten eine Datenmenge von
sieben Petabytes aus. Die Seite von
Share-Online.biz habe, teilt die Gesell-
schaft für Urheberrecht mit, sechs bis
zehn Millionen Besucher monatlich ver-
zeichnet. Es wird geschätzt, dass Share-
Online im Bereich der Kino- und Seri-
enpiraterie im Netz in Deutschland ei-
nen „Marktanteil“ von fünfzig Prozent
hatte.
Spektakulär ist der Schlag gegen
Share-Online.biz aber nicht nur ob der
Größenordnung, um die es bei ihm
geht, und der Inhaftungnahme eines Da-
tenanbieters für die Inhalte, die bei ihm
hoch- und heruntergeladen werden. Be-
merkenswert ist auch die geleistete De-
tektivarbeit. Offi-
ziell firmiert
Share-Online mit
Verweis auf ein
Unternehmen na-
mens Xlice in Be-
lize. Dabei dürfte
es sich jedoch um
nichts anderes
als um eine Brief-
kastenfirma han-
deln. Die Betrei-
ber, denen eine
Rechercheurin
der „Zeit“ vor Jah-
ren schon einmal
auf der Spur war,
sitzen in Wirk-
lichkeit direkt
vor der Haustür –
in Aachen. Sie
scheinen sich
sehr sicher gefühlt zu haben.
„Erstmals“, sagt die Geschäftsführe-
rin der GVU, Evelyn Ruttke, stünden
hier die Betreiber einer Filehosting-Sei-
te im Zentrum strafrechtlicher Ermitt-
lungen, weil sie Seiten und Portale wie
„DDL-Warez, Boerse, Movie-Blog und
MyGully durch Partnerprogramme und
Provisionszahlungen unterstützt und fi-
nanziert haben sollen“. Auf den genann-
ten Portalen tauchten Links zu den In-
halten auf, die bei Share-Online zu ha-
ben waren.
Die Ermittlungen dauerten an, teilt
die Cybercrime-Stelle der Staatsanwalt-
schaft Köln mit. Sie könnten sich auch
gegen die Nutzer von Share-Online.biz
richten. Man werde schauen, ob man
auch gegen Up- und Downloader vorge-
hen könne, sagte der zuständige Staats-
anwalt Christoph Hebbecker im Ge-
spräch mit dieser Zeitung. Würden im
Rahmen der Datenauswertungen insbe-
sondere Uploader identifiziert, gelte
es, auch gegen diese zu ermitteln. Da-
bei werde man „abgeschichtet“ vorge-
hen und sich auf die Top-Uploader kon-
zentrieren. Die drei bislang beschuldig-
ten Betreiber von Share-Online.biz
sind derweil auf freiem Fuß, ein Haftbe-
fehl gegen sie wurde nicht beantragt,
doch wurden Vermögenswerte be-
schlagnahmt. Bei einer Verurteilung
drohen den Tatverdächtigen bis zu fünf
Jahre Haft.
Dass nicht nur Share-Online.biz vom
Netz ist, sondern sich die weiteren Er-
mittlungen der Staatsanwaltschaft auch
gegen dessen Nutzer richten könnten,
dürfte in der Szene, die sich an die Nut-
zung illegal verbreiteter Inhalte im Netz
gewöhnt hat, für Verunsicherung sor-
gen. Die Piraterie im Netz, der massen-
hafte Verstoß gegen Urheberrechte, er-
hält so zwar einen spürbaren Dämpfer,
doch lässt sich auch beobachten, dass,
seitdem die Meldung die Runde mach-
te, Share-Online werde dichtgemacht,
ähnliche Portale wie wild um die „Kun-
den“ der Aachener werben. Den Staats-
anwälten von der Zentral- und An-
sprechstelle Cybercrime NRW geht die
Arbeit nicht aus. MICHAEL HANFELD

Wozu braucht eine Reproduktionsmagd bei-
de Augen? Im Alten Testament, aus dem
bei der zeremoniellen Vorbereitung des
Akts der Dienstherr die Verse über Rahels
Verdorrtheit und ihre großmütige Bereit-
stellung der Magd Bilha als Gefäß des Erz-
vatersamens Jakobs vorliest, steht nichts
dergleichen. Für die in Gilead staatlich an-
geordnete Bilha-Nachfolge der Magd sind
funktionierende Eierstöcke und eine robus-
te Gebärmutter hinreichende Vorausset-
zung. Davon abgesehen, sind Mägde in der
Republik, die sich durch Umweltzerstörung
und daraus folgende Unfruchtbarkeit an
den Rand der Selbstauslöschung gebracht
hat, nur Mittel zum Zweck. Eine Magd ist
ein Ding, über das verfügt wird. Beneidet
von unfruchtbaren Ehefrauen und einfa-
chen Haushilfen („Marthas“ genannt), ver-
sklavt, gezeichnet mit einer numerierten
Ohrmarke und einem fremden besitzanzei-
genden Namen. Solange sie schwanger
wird und keine „Unbabys“, mangelhafte
Ware, ausliefert, ist ihr Überleben Pflicht.
Also, wozu zwei Augen? Die Entfernung
des halben Lichts als Strafe für Unbotmä-
ßigkeit ist gnädig, genau wie das Instru-
ment der Gruppenvergewaltigung, denn of-
fen Rebellierende werden zum Giftmüllent-
sorgen in die Kolonien gebracht, ein siche-
res Todesurteil. „Normal ist nur das, woran
man gewöhnt ist“, bläut die Aufseherin Tan-
te Lydia (Ann Dowd) den Novizinnen im
Umerziehungszentrum Rotes Haus ein.
Normal ist, dass der Sprachaustausch der
Mägde nur mittels vorgeschriebener Wort-
hülsen stattfinden darf. Dass sie zu knien
haben und sich zu schrubben vor dem still
hinzunehmenden Gewaltakt. Dass sie ih-
rem Herrn nicht ins Gesicht blicken dürfen.
Dass sich ihr Kopf im Rhythmus des Be-
fruchters auf dem Schoß der Ehefrau hin
und her bewegt, während die Gatten sich in
bizarrer Dreisamkeit in die Augen schauen.
Dass überall „Augen“ lauern, eine Art Ge-
stapo. Und dass Deckenlampen entfernt
werden, an denen sich Mägde dem Miss-
brauch durch Erhängen entziehen. Irgend-
wo existiert das freie Kanada und kämpfen
Aufständische um ein freies Amerika. Ir-
gendwo, erfährt Desfred (Elisabeth Moss)
von Desglen (Alexis Bledel), gibt es ein Un-
tergrundnetzwerk zur Befreiung.
Aus der mit bildmächtiger Souveräni-
tät dargestellten Normalitätsbehauptung

der gewaltsamen Normierung ergibt sich
die kritische Sprengkraft der Dystopie
von Gilead, die Margaret Atwood vor
mehr als dreißig Jahren veröffentlicht
hat. Inzwischen ist „The Handmaid’s
Tale“ (Der Report der Magd) Schullektü-
re und Abiturthema im deutschen Eng-
lischunterricht. 1990 wurde das Werk
von Volker Schlöndorff unter dem Titel
„Die Geschichte der Dienerin“ verfilmt.
Desfreds Leidensweg und Widerstand in
einem totalitären Pilgerväter-Puritaner-
land, in Nonnentrachtentpersönlichung
und unter „Lebensborn“-Umständen,
könnte inzwischen schlecht gealtert sein
wie manche anderen feministischen Ma-
nifeste. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Die neuerliche Verlebendigung von At-

woods phantasiereicher, gelegentlich iro-
nischer Kopfgeburt liegt in erster Linie
an der Serie „The Handmaid’s Tale“, von
der inzwischen drei Staffeln mit 36 Fol-
gen vorliegen. Dem produzierenden
Streaming-Dienst Hulu hat sie nicht nur
den ersten „Emmy“ und „Golden Globe“
eingebracht, sondern einen Preisregen.
Auch in diesem Jahr erhielt ihr Hauptau-
tor Bruce Miller wieder den „Emmy“ als
bester Drehbuchschreiber. Viele halten
„The Handmaid’s Tale“ für eine der bes-
ten Serien überhaupt. Es ist auf jeden
Fall eine, von der man nicht allzu viel ver-
raten sollte, denn das allmähliche Aufde-
cken der Lebensumstände in Gilead
durch ihre Hauptfigur Desfred – grandios
von Elisabeth Moss gespielt – gehört zu
ihren überzeugenden Stärken. Margaret
Atwood wurde gerade für die Fortset-
zung der Geschichte, den Roman „The
Testaments“ (Die Zeuginnen), mit dem
britischen Booker-Preis ausgezeichnet.
In der ersten Folge der Serie hat sie einen
denkwürdigen Cameo-Auftritt.
In Deutschland war „Der Report der
Magd“ in gut synchronisierter Fassung bis-
lang beim Telekom-Ableger Magenta-TV
zu sehen. Nun zeigt Tele 5 die ersten beiden
Staffeln im frei empfangbaren Fernsehen.
Zu sehen ist ein Horror, der über die vergan-
genen Jahre näher gerückt ist und vor der
Haustür sich häuslich einzurichten scheint.
Patriarchalische Theokratie, fundamentalis-
tische Religionsinterpretation, sich ver-
schärfende gesellschaftliche Spaltung, Aus-
höhlung der Bürgerrechte, Bekämpfung
des freien Wortes, der Zusammenhang von
Klimakatastrophe und verseuchungsbe-
dingter Sterilität großer Teile der Mensch-
heit (obwohl zurzeit eher Überbevölkerung
ein Thema ist) scheinen weniger denn je
bloßes Menetekel an der Wand.
Was aber die Serie genial macht, ist ihre
ungewöhnlich zielsichere Spannungsdrama-
turgie. Wenn Mägde auf dem Heimweg
vom klinisch aufgeräumten Supermarkt auf
einer Bank neben baumelnden Erhängten
(einer schwul, einer Katholik, einer Abtrei-
bungshelfer) ungerührt über das Wetter
plaudern; wenn sie bei sogenannten „Parti-
zikutionen“ zur gezielten Aggressionsab-
fuhr Verurteilte tottreten dürfen, macht sie
uns zu Augenzeugen. Wir haben zwei Au-
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gehen unter


Grüne Zeiten für Hochschulen
Mit einem Pfandsystem für Coffee-to-
go-Becher ist es nicht getan. Wie Unis
nachhaltiger werden möchten.

Die ZDF-Journalistin Gundula Gause er-
hält den Mainzer Medienpreis für nachhal-
tiges mediales Wirken. Im vergangenen
Jahr war der Fußballtrainer Jürgen Klopp
ausgezeichnet worden, 2017 der Kabaret-
tist und Fastnachtsredner Herbert Bone-
witz. Über die Vergabe des Preises entschei-
det eine Jury von Mainzer Bürgern. Für das
Preisgeld von 4000 Euro erstellt ein Künst-
ler eine Druckgraphik der Ausgezeichne-
ten. In diesem Jahr hat dies die Mainzer
Zeichnerin Nikola Jaensch übernommen.
Die Drucke gehen an den Preisträger, die
Druckplatte an das Mainzer Gutenberg-Mu-
seum. Der Preis wird heute bei einem Fest-
akt im Mainzer Dom übergeben. F.A.Z.

Gut


und Böse


Eine Serie nach Victor


Hugos „Les Misérables“


Die tunesische Investigativjournalistin
Hanène Zbiss hat auf der Frankfurter
Buchmesse den Raif Badawi Award erhal-
ten. Sie wurde von der Friedrich-Nau-
mann-Stiftung, die den Preis zum fünften
Mal vergab, für ihren mutigen Einsatz in
Tunesien und dem Irak geehrt. „Da, wo
wir herkommen, müssen wir jeden Tag be-
weisen, was Freiheit bedeutet“, sagte die
Journalistin Düzen Tekkal in ihrer Lauda-
tio auf Hanène Zbiss. Als Mitarbeiterin
der „Arab Reporters for Investigative Jour-
nalism“ und Autorin des unabhängigen
Mediums „Inkyfada“ deckte Zbiss Miss-
stände in Tunesien und im Irak auf. 2013
erforschte sie, als Kindergärtnerin ge-

tarnt, wie Kleinkinder in Tunesien in Ko-
ranschulen ähnlichen Kindergärten indok-
triniert werden. Sie beschrieb das Leben
jesidischer Familien im Nordirak nach
dem Genozid durch die Terrorgruppe IS
und berichtete, wie IS-Anhänger versu-
chen, nach Tunesien zurückzukehren. Ha-
nène Zbiss gebe den Frauen und Kindern
auf der Opfer- wie auf der Täterseite eine
Stimme, sagte Düzen Tekkal. In Tunesien,
sagte die Preisträgerin, sei die Meinungs-
und Pressefreiheit seit der Revolution von
2010 ein essentielles Gut, das aber in Ge-
fahr sei. „Ich möchte von keiner kurzen
Episode der Meinungsfreiheit sprechen,
ich möchte daran glauben, dass sie andau-
ert“, sagte Hanène Zbiss. Den Raif Bada-
wi Award vergibt die Naumann-Stiftung
zu Ehren des saudischen Bloggers, der
seit 2012 in Haft sitzt. lihe.

Gundula Gause
Mainzer Medienpreis für Moderatorin

Sie blickt dem Grauen ins Gesicht


Die Serie „The Handmaid’s Tale“ nach Margaret Atwood wirkt erschütternd aktuell


„Les Misérables“-Ensemble Foto Amazon


Share-Online ist offline. Foto Screenshot


Hanène Zbiss
Ehrung für tunesische Reporterin

Wie soll ich mich versichern?
Berufsanfänger bekommen viele
Policen angeboten. Dabei sind nur drei
Risiken wirklich relevant.

Ihr Schicksal ist besiegelt: Elisabeth Moss spielt June, eine der „Handmaids“. Foto Intertopics


Die Staatsanwaltschaft


Köln hat die Website


Share-Online.biz vom


Netz genommen. Dort


wurde in großem Stil


mit illegalen Inhalten


gehandelt. Für die


Upload-Szene ist das


ein schwerer Schlag.

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