Frankfurter Allgemeine Zeitung - 18.10.2019

(avery) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft FREITAG, 18. OKTOBER 2019·NR. 242·SEITE 17


tag.MAINZ. 17. Oktober. Der Zorn des
amerikanischen Präsidenten Donald
Trump hat die deutschen Winzer erreicht.
Ein Viertel mehr Steuern müssen sie von
heute an beim Export ihrer Weine nach
Amerika bezahlen. Die „Strafsteuer“ ha-
ben die Amerikaner wegen angeblich un-
zulässiger Subventionen der EU für Air-
bus erlassen. Das Deutsche Weininstitut
(DWI) in Mainz, die Marketingorganisati-
on der Winzer, befürchtet einen „spürba-
ren Schaden“ für die Exporteure, zumal
Amerika der wichtigste Exportmarkt für
deutsche Weine sei. Dass mit Blick auf die
Airbus-Historie nur deutsche, französi-
sche und spanische Weine mit der Straf-
steuer belegt würden, nicht aber Italiener,
Griechen oder Österreicher, verzerre zu-
dem den Wettbewerb.
Scharfe Kritik kommt auch vom Ver-
band der Prädikatsweingüter VDP. Die
Lasten der fehlgeleitete Industriepolitik
würden auf dem Rücken der Landwirt-


schaft ausgetragen. Philipp Wittmann,
Winzer und Vize-Präsident des VDP, be-
zeichnet die Steuer als „Vollkatastrophe
für eine kleine Gruppe von Winzern, die
sich auf Amerika spezialisiert haben“. Die
Steuern blieben aber für alle Winzer ein
ernstzunehmendes Thema, es habe schon
„großvolumige Stornierungen“ gegeben.
Die Weinbauern exportierten nach An-
gaben des DWI im Vorjahr etwa 10 Pro-
zent ihrer Weine. Grob gesagt wurden
1000 Millionen Liter Wein in Deutschland
produziert, davon 100 Millionen expor-
tiert, 17 Millionen im Wert von 71 Millio-
nen Euro gehen nach Amerika. Damit
sind die Vereinigten Staaten deutlich vor
den Niederlanden, Großbritannien und
Norwegen der wichtigste Exportmarkt.
Amerika gilt wegen seines hohen Preis-
niveaus als attraktiv. Zudem hat der Wein-
konsum dort seit 1990 um die Hälfte zuge-
nommen, allerdings in etwa demselben
Maße auch die eigene Produktion. Trump

selbst hat 2011 ein Weingut in Virginia ge-
kauft. Um die „Trump Winery“ kümmert
sich sein Sohn Eric.
Wegen des Wettbewerbs haben die
Deutschen im vergangenen Jahr Marktan-
teile verloren. Die Strafzölle sind nicht
nur für die exportorientierten VDP-Win-
zer ein zusätzliches Problem. „Alle Erzeu-
ger sind in Sorge“, sagt Albrecht Ehses
von der IHK Koblenz. In diesen Kammer-
bezirk fallen nach seinen Schätzung zwei
Drittel aller betroffenen Exportweine.
Das liege zum einen daran, dass Riesling
von der Mosel in Amerika traditionell ge-
fragt sei. Zum anderen, weil dort viele gro-
ßen Kellereien ihren Sitz hätten, zudem
die Moselland Genossenschaft, der größte
Rieslingproduzent der Welt. Nach Ehses
Worten sind alle Erzeuger in Gesprächen,
um Preiserhöhungen für die amerikani-
schen Verbraucher so gering wie möglich
zu halten, und um im Geschäft zu bleiben,
bis die Zölle wieder abgeschafft werden.

Der Vertrieb nach Amerika ist teuer,
weil gleich drei Zwischenhändler mitver-
dienen. In der Regel verkaufen Winzer
an einen Generalimporteur, der an einen
in einem Bundesstaat sitzenden Distribu-
tor, und dieser dann erst an den Händler.
Viele Betriebe versuchten nun alle Glie-
der dieser Kette zu Preiszugeständnissen
zu veranlassen. VDP-Winzer Wittmann
will das nicht tun, sagt er. Sein Betrieb
sei breit aufgestellt und er nicht bereit,
seine Weine billiger zu verkaufen. Die-
sen Stolz können sich freilich nicht alle
leisten.
Theoretisch gebe es einen Ausweg.
Die Strafsteuern betreffen nämlich „nur“
Weine mit einem Alkoholgehalt unter 14
Grad. Spanier und Franzosen könnten
deshalb versuchen, einige ihrer ohnehin
gehaltvollen Rotweine auf 14 Prozent zu
bringen, sagt Ehses. Diese Alternative
hätten die Riesling-Erzeuger aus
Deutschland allerdings nicht.

hmk.BRÜSSEL, 17. Oktober. Bundes-
kanzlerin Angela Merkel (CDU) will in
den anstehenden Verhandlungen über
das künftige Budget der Europäischen
Union einen Rabatt für Deutschland
durchsetzen. Der Vorschlag der Europäi-
schen Kommission für den mehrjährigen
Finanzrahmen der EU belaste Deutsch-
land „übermäßig stark“, sagte Merkel in
ihrer Regierungserklärung zum Herbstgip-
fel der EU am Donnerstag im Bundestag.
„Deshalb müssen wir auch über eine faire
Lastenteilung auf der Finanzierungsseite
und einen Rabatt für Deutschland spre-
chen.“ Als einen Grund für den erwarte-
ten Anstieg der deutschen Beiträge nann-
te Merkel den bevorstehenden Austritt
Großbritanniens, das momentan noch zu
den Hauptbeitragszahlern der EU gehört.
Auf dem bevorstehenden Gipfel in Brüs-
sel erwarte sie leider noch keine Einigung


auf den Finanzrahmen, der eine Art Ober-
grenze für die jährlichen Haushalte setzt.
Nach internen Berechnungen des Bun-
desfinanzministeriums, über welche die
F.A.Z. am Donnerstag als Erste berichtet
hatte, steigen die Nettobeiträge Deutsch-
lands nach dem Kommissionsvorschlag
für den Finanzrahmen sprunghaft an. Bis
zum Jahr 2027 würde der Betrag auf 30
Milliarden Euro im Jahr steigen, wenn
sich Haushaltskommissar Günther Oettin-
ger mit seinem Vorschlag durchsetzt. Zu-
letzt betrug der deutsche Nettobeitrag
13,5 Milliarden Euro. Auch das ist schon
der mit Abstand höchste Beitrag. Auf
Rang zwei folgt Frankreich mit einem Net-
tobeitrag von sechs Milliarden Euro. Der
Nettobeitrag ist die Differenz zwischen
Abgaben an und Fördergeldern von der
EU. Er gibt vereinfacht gesagt an, wie viel
ein Land die Gemeinschaft „kostet“.

Die Staats- und Regierungschefs der
EU wollen am zweiten Tag des Gipfels an
diesem Freitag über den Finanzrahmen re-
den. Mehr als eine Einigung über den wei-
teren Verlauf der Verhandlungen wird da-
bei aber nicht erwartet. Diplomaten rech-
nen erst mit einer Einigung unter deut-
scher Ratspräsidentschaft in der zweiten
Hälfte 2020. Die Differenzen zwischen
den Mitgliedstaaten sind bisher schlicht
zu groß. Dabei geht es auch um die von
Deutschland und einigen anderen Län-
dern geforderten Beitragsrabatte. Oettin-
ger will solche Rabatte nach dem Vorbild
des von Margaret Thatcher durchgesetz-
ten Briten-Rabatts ganz streichen und
wird darin von Frankreich und der Mehr-
heit der anderen Staaten unterstützt. Es
geht aber auch um die Höhe des Budgets.
Die Kommission hatte im vergangenen
Jahr vorgeschlagen, den Finanzrahmen

von bisher 1 Prozent der Wirtschaftsleis-
tung auf 1,11 Prozent anzuheben. Begrün-
det hatte sie den Anstieg mit dem Brexit
und neuen Aufgaben wie der Sicherung
der Außengrenzen oder Klimawandel.
Deutschland dringt bisher darauf, den
Haushalt weiter auf 1 Prozent zu begren-
zen. Andere Staaten wie Ungarn und Po-
len wollen sogar noch über den Kommissi-
onsvorschlag hinausgehen. Das EU-Parla-
ment, das dem Haushalt ebenfalls zustim-
men muss, fordert gar einen Anstieg auf
1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung. Um-
stritten ist auch der Vorschlag Oettingers,
die Vergabe von EU-Mitteln künftig auch
an den Stand der Rechtsstaatlichkeit im je-
weiligen Mitgliedsland zu knüpfen. Polen
und Ungarn lehnen das ab. Merkel unter-
stützte den Vorschlag hingegen. Es gebe in
der EU nicht nur Freiheiten, sondern auch
Pflichten, sagte sie in Berlin.

dc.BERLIN, 17. Oktober. Mit den Sozi-
alwahlen dürfen Arbeitnehmer alle
sechs Jahre ihre Vertreter in den Selbst-
verwaltungsgremien der Sozialkassen
wählen. Doch machen nur wenige dabei
mit – und nun gerät die von Union und
SPD lange geplante Einführung einer ver-
einfachenden Online-Wahl ein weiteres
Mal auf die lange Bank. Wie Sozialstaats-
sekretärin Kerstin Griese (SPD) am Don-
nerstag vor Sozialkassenvertretern an-
kündigte, will Bundessozialminister Hu-
bertus Heil (SPD) vorerst keinen Gesetz-
entwurf dazu vorlegen. Es sei „richtig,
dass wir über Online-Wahlen sprechen“,
sagte sie. Um aber nicht andere Reform-
bausteine durch Bedenken gegen dieses
Vorhaben zu gefährden, „wollen wir das
trennen“, kündigte sie an. Da die Wahl-
vorbereitung Vorlauf benötigt, dürfte da-
mit der digitale Fortschritt von 2023 auf
frühestens 2029 verschoben sein. Schon
in der alten Wahlperiode hatten Union
und SPD eine Reform vereinbart, um die
Wahlbeteiligung von zuletzt 30 Prozent
zu erhöhen, doch hatten sie damit die So-
zialwahl 2017 verpasst. Der CDU-Abge-
ordnete Thomas Heilmann widersprach
allerdings dem von Griese vermittelten
Eindruck, dass einer Online-Sozialwahl
verfassungsrechtliche Bedenken des In-
nenministeriums im Weg stünden. Dem
pflichtete Jörg Ide, Sozialwahlfachmann
der Techniker Krankenkasse (TK), bei:
„Die Fallstricke liegen ausschließlich im
Sozialministerium “, betonte er.

hw.BERLIN, 17. Oktober. Bäckereien
mit Cafébetrieb dürfen auch sonntags
Brötchen verkaufen. Das hat der Bundes-
gerichtshof am Donnerstag entschie-
den. Die Wettbewerbszentrale hatte
eine Bäckerei mit zwei Filialen in Mün-
chen abgemahnt, weil diese vermeint-
lich gegen die gesetzlichen Laden-
schlusszeiten verstießen. Damit ist die
Selbstkontrollinstitution der Wirtschaft
nun auch in letzter Instanz gescheitert.
Denn Bäckereien mit Café fallen un-
ter das Gaststättenrecht, befanden die
Richter wie schon die Vorinstanz. Dage-
gen spricht nach Ansicht des Ersten Se-
nats nicht, dass im selben Raum auch
Brötchen über die Theke gehen. Auch
wenn die Kunden sich selbst bedienen
müssen, sei eine Bäckerei noch als Gast-
stätte anzusehen. Brötchen würden von
den Menschen als gebackene, also „ess-
fertig gemachte“ Lebensmittel angese-
hen. Das gelte, obwohl Brotlaibe ge-
schnitten, bestrichen und belegt werden
können, stellte das höchste deutsche Zi-
vilgericht klar. Die Bäckerei muss ihrem
Namen zum Trotz auch nicht in ihren
Räumen backen. Voraussetzung ist aller-
dings, dass der Betreiber der Gaststätte


  • der Bäckerei – annehmen darf, dass
    die Brötchen „im Wesentlichen zum so-
    fortigen Verbrauch“, also zum Aufessen,
    erworben werden. Davon habe die be-
    klagte Bäckerei aber angesichts der Art
    und Menge der Waren ausgehen dürfen.


Amerikas Strafsteuern treffen deutsche Winzer hart


Wettbewerb im Absatzmarkt nimmt ohnehin zu / Alle Teile der Vertriebskette müssen Zugeständnisse machen


Online-Sozialwahl wohl


frühestens im Jahr 2029


Merkel fordert Rabatt auf EU-Beiträge


Kanzlerin: Der Vorschlag der Europäischen Kommission belaste Deutschland „übermäßig stark“


Karlsruhe rettet


das Sonntagsbrötchen


WASHINGTON, 17. Oktober. Die Regie-
rungsmaschine ist startklar. Ziel sind die
Vereinigten Staaten. Olaf Scholz wird auf
der Jahrestagung des Internationalen
Währungsfonds (IWF) erwartet. Im Flug-
zeug wird er wie üblich freundlich be-
grüßt: „Guten Tag, sehr geehrter Herr Mi-
nister, meine Damen und Herren, Flug-
zeugkommandant Major Lens und seine
Besatzung begrüßen Sie an Bord unseres
Luftwaffen-Airbus A340 auf dem Flug
nach Washington. Die Flugreisezeit wird
9 Stunden und 15 Minuten betragen.“ Es
wirkt wie immer, wenn der SPD-Politiker
zu Treffen mit seinen Amtskollegen auf-
bricht. Auf der Agenda stehen dieses Mal
Themen wie die Weltwirtschaft, die sich
infolge von Handelskonflikten und dro-
hendem harten Brexit spürbar abge-
schwächt hat, die Besteuerung internatio-
naler Konzerne wie Google sowie die von
Facebook geplante private Währung na-
mens Libra – und doch ist es alles andere
als eine ganz normale Dienstreise. Denn
vermutlich jeder an Bord stellt sich die Fra-
ge, ob es möglicherweise die letzte dieser
Art für den Finanzminister und Vizekanz-
ler ist.
Scholz hängt auf seinem Trip nach Ame-
rika in jeglicher Hinsicht in der Luft. Nach-
dem Andrea Nahles Anfang Juni von ei-
nem Tag auf den anderen alles hinge-
schmissen hatte, den Vorsitz von Partei
und Fraktion, sucht die SPD immer noch
nach ihrer neuen Führung. Zunächst hatte
Scholz eine Kandidatur ausgeschlossen.
Mit seiner Regierungsarbeit sei diese Auf-
gabe nicht zu vereinbaren, argumentierte
er. Dann ist er schließlich doch angetre-
ten, im Duo mit der Brandenburgerin Kla-
ra Geywitz, die selbst die allermeisten
SPD-Mitglieder bis dahin nicht gekannt
haben dürften.
Der Sinneswandel kam nicht von unge-
fähr: Auf einmal sah es so aus, als wenn
sich die ganze erste Liga der Partei um die
Verantwortung drücken wollte, da es er-
fahrungsgemäß ein Himmelfahrtskom-
mando ist. Zudem drohte plötzlich eine
neue Parteispitze, die auf ein schnelles
Ende der schwarz-roten Koalition hinar-
beiten könnte. Dann stünde Scholz ganz
schnell politisch vor dem Nichts. Nun
kann er, der wie kein anderer der Kandida-
ten für die Zusammenarbeit mit der Uni-
on steht, nur noch hoffen, dass die Basis
ihm so viel Vertrauen schenkt, dass er
noch etwas länger weitermachen kann.
Es ist eine merkwürdige Zeit. Sechs Wo-
chen ist der Politiker mit all den anderen
Kandidaten durch das Land getingelt. Der
Marathon ist endlich vorüber, nun läuft
die Befragung der Mitglieder. Das Ergeb-
nis soll erst am 26. Oktober verkündet wer-
den. Scholz warb so nüchtern, wie es seine
Art ist, für sich, sein Politikverständnis
und die Arbeit der Bundesregierung. Da
kann er so oft beschwören, wie er will,
dass er ein „truly“ Sozialdemokrat sei, der
kühle Hamburger spricht das Hirn an,
nicht das Herz.


Der gelernte Jurist wird von seiner Par-
tei bestenfalls respektiert, nicht aber wirk-
lich geliebt, ähnlich wie es Helmut
Schmidt in seiner aktiven Zeit erging. Wie
einst dieser gilt er als ein sachkundiger Ma-
cher, nicht als Mann mit Visionen. Der äl-
tere Hamburger hat es gleichwohl vorge-
macht, dass es geht: das Kanzleramt zu er-
obern – ohne Parteivorsitz. Den hatte er
Willy Brandt gelassen, der fotogene Cha-
rismatiker, dessen Bild mit lässig hängen-
der Zigarette und Klampfe am Lagerfeuer
immer noch Küchen und Büros von SPD-
Mitgliedern schmückt. Doch nach langen
Jahren des Regierens, teils als Seniorpart-
ner, teils als Juniorpartner, unterbrochen
nur durch eine Legislaturperiode in der
Opposition, ist man in der SPD des ewi-
gen Kompromisseschmiedens müde.
Der Finanzminister ist zwar reichlich
links in sein politisches Leben gestartet,
aber nunmehr gilt er als Realo, wie je-
mand, wie er bei der Grünen genannt wür-
de. Zwar wirbt er schon länger für einen
höheren Mindestlohn und eine Grundren-
te ohne Bedürftigkeitsprüfung, aber
gleichzeitig verteidigt er die „schwarze
Null“ im Bundeshaushalt zumindest für
die Zeit, in der die Beschäftigung stabil
auf hohem Niveau ist und die Wirtschaft
nicht einbricht. Weil der Etatausgleich
neue Wohltaten und weitere Investitionen
erschwert, verspielt er mit dieser Position
Sympathien. Auch deshalb gilt er vielen
als Personifizierung der ungeliebten „Gro-
ko“ – wie die einst tatsächlich große Koali-
tion, die über die Jahre mehr und mehr
Rückhalt im Bundestag und im Bundesrat
verloren hat, nicht immer liebevoll verkür-
zend genannt wird.

Scholz erinnert gern und ausführlich an
sein soziales Tun, etwa an die Zeit, in der
er als Fachanwalt für Arbeitsrecht gewirkt
hat. In der er vor einem Jahrzehnt auf dem
Höhepunkt der Finanzkrise als Arbeitsmi-
nister die Kurzarbeiterregelung erweitert
hat, damit die Unternehmen sich trotz lee-
rer Auftragsbücher nicht von ihren Mitar-
beitern trennen müssen. In der er als Ers-
ter Bürgermeister seiner Heimatstadt
Hamburg den Wohnungsbau angekurbelt
und die Kinderbetreuung ausgebaut hat.
Ob das reicht? Mehr Applaus bekamen
auf den insgesamt 23 Regionalkonferen-
zen zumeist die anderen. Die Kombi aus
Ex-Landesfinanzminister Norbert Walter-
Borjans und der Bundestagsabgeordneten
Saskia Esken hat den mit Abstand mitglie-
derstärksten Landesverband im Rücken
plus die Jungsozialisten. Christina Kamp-
mann und Michael Roth verbreiten jugend-
liche Aufbruchstimmung, was in einer Par-
tei, die neidisch auf die nunmehr erfolgrei-
cheren Grünen schielt, nicht ganz unwich-
tig ist. Der niedersächsische Innenminis-
ter Boris Pistorius und die sächsische Inte-
grationsministerin Petra Köpping sind
nicht nur wie Scholz/Geywitz eine West-
Ost-Verbindung eingegangen, sondern ver-
suchen auch mit kommunalpolitischen
Positionen zu punkten. Der SPD-Gesund-
heitsexperte Karl Lauterbach, der mit der
Umweltpolitikerin Nina Scheer um Stim-
men wirbt, sorgt mit seiner Kritik an der
großen Koalition für Stimmung. Gesine
Schwan und Ralf Stegner könnten eben-
falls auf unzufriedene SPD-Mitglieder
überzeugend wirken. Scholz und seine Un-
terstützer setzen auf den Amtsbonus, auf

sein Macherimage. Keiner kann heute ab-
schätzen, ob das bei der Basis wie erhofft
ankommt. Was ist, wenn er nur zweiter Sie-
ger wird? Oder gar, wenn er es nicht ein-
mal in die Stichwahl schaffen sollte?
In Washington wartet auf den zuletzt
als Finanzminister in Teilzeit wirkenden
Scholz das volle Programm: Direkt nach
der Landung gibt es erst ein paar bilatera-
le Treffen, dann ein Arbeitsessen in der
Gruppe der zwanzig wichtigen Industrie-
und Schwellenländer. Am Freitagmorgen
geht es um 6 Uhr 45 weiter, mit Bundes-
bankpräsident Jens Weidmann unterrich-
tet er die Pressevertreter. Es folgt die erste
IWF-Sitzung. Dann steht eine Rede beim
„Council On Foreign Relations“ auf dem
Programm. Anschließend spricht er auf
der Dachterrasse des IWF-Hochhauses
ein paar Sätze in die Kameras für das hei-
mische Publikum. Nachmittags wartet das
Lenkungsgremium des IWF. Weitere Ge-
spräche schließen sich an bis in die späten
Abendstunden. Am Samstag muss er noch
einmal zum IWF. Dann noch die Runde
der Finanzminister gegen den Klimawan-
del, bevor der Konvoi mit Blaulicht gen
Flughafen braust. Landung in Berlin ist
für Sonntag 6 Uhr geplant.
Dann heißt es: Willkommen zurück in
der Innenpolitik – mit bangem Warten auf
das Ergebnis der Mitgliederbefragung.
Wenn kein SPD-Duo die absolute Mehr-
heit bekommen sollte, wird es vom 19. bis


  1. November eine Stichwahl zwischen
    den beiden bestplazierten Teams geben.
    Der Sieger im Stechen soll auf dem Bun-
    desparteitag am 6. Dezember in Berlin for-
    mal gewählt werden. Es bleibt nicht nur
    für Scholz spannend.


hw.BERLIN, 17. Oktober. Die deut-
schen Datenschutzbehörden haben sich
auf ein Konzept zur Berechnung von
Geldbußen geeinigt. Über dieses Papier
diskutieren Juristen und Datenschützer
schon lange, jetzt haben die Behörden
es bekanntgegeben – und lassen paneu-
ropäische Ambitionen erkennen. Daten-
schutzverstöße können durch die seit
Mai 2018 greifende Datenschutzgrund-
verordnung zu erheblichen Sanktionen
führen. Spürbare Strafen, aber auch eine
einheitliche Rechtsanwendung gehör-
ten zu den Versprechen des umstritte-
nen Regelwerks. Besonders hohe Buß-
gelder gab es bisher jedoch vor allem in
Frankreich: Dort soll Google 50 Millio-
nen Euro zahlen. In Deutschland blieb
es bei überschaubaren Bußen in Höhe
von einigen hunderttausend Euro.
Das könnte sich nun ändern. Mit dem
Geldbußenkonzept wollen die Daten-
schützer nach eigenen Angaben nun
„eine systematische, transparente und
nachvollziehbare Bemessung von Geld-

bußen“ gewähren. Dazu sollen alle deut-
schen Behörden sich an fünf Schritte hal-
ten: die Größenklasse des Unterneh-
mens bestimmen, den Jahresumsatz, ei-
nen „wirtschaftlichen Grundwert“, ei-
nen Faktor für die Schwere der Tat und
schließlich eine Anpassung auch mit
Hinblick auf den Täter. Etwas kryptisch
verweisen die Behörden auf den europäi-
schen Abstimmungsprozess, in dem die
Entwurffassung „eine Rolle gespielt“
habe. Zuvor war Kritik laut geworden,
weil die Behörden das Konzept zwar in
Bußgeldbescheiden testeten, aber nicht
offenlegten – mutmaßlich aus takti-
schen Erwägungen mit Blick auf die
EU-Verhandlungen. Die Anwältin Su-
sanne Werry aus der Kanzlei Clifford
Chance meint, es gehe darum, dem als
wenig nachvollziehbar empfundenen
Modell der französischen Datenschutz-
behörde CNIL etwas entgegenzusetzen.
Die Anwältin warnt: Nun sei mit häufi-
geren und höheren Bußgeldern zu rech-
nen.

loe.BERLIN, 17. Oktober. Angesichts
der gegenwärtigen Wirtschaftsschwäche
senkt die Bundesregierung ihre Konjunk-
turprognose für das kommende Jahr. Sie
rechnet nun nur noch mit einem Wirt-
schaftswachstum von 1,0 Prozent statt
der im Frühjahr erwarteten 1,5 Prozent.
Für dieses Jahr bleibt die Prognose unver-
ändert bei 0,5 Prozent Wachstum. Bun-
deswirtschaftsminister Peter Altmaier
(CDU) stellte die Zahlen am Donnerstag
in Berlin vor. Die F.A.Z. hatte schon am
Mittwoch über sie berichtet.
Von einer drohenden Rezession woll-
te Altmaier nicht sprechen. „Das sind
theoretische Diskussionen“, sagte er.
Auch wenn die Aussichten aktuell ge-
dämpft seien, befinde sich Deutschland
nicht in einer Konjunkturkrise. „Aber
richtig ist auch, dass dieses Wachstum
nicht dasjenige ist, das wir uns wün-
schen.“ Im zweiten Quartal war die deut-
sche Wirtschaft leicht geschrumpft. Ex-
perten erwarten, dass es auch im dritten
Quartal ein Minus gegeben hat. Dann
wäre Deutschland in einer sogenannten
technischen Rezession. Auch am Don-
nerstag gab es wieder schlechte Nach-
richten aus der Wirtschaft: Der Autozu-
lieferer Brose will 2000 Stellen in
Deutschland streichen. Die Arbeit soll in
Länder mit niedrigeren Löhnen verla-
gert werden.
Altmaier warnte indes davor, die wirt-
schaftliche Lage schlechter zu reden als
sie sei. Dadurch verunsichere man nur
Verbraucher und Unternehmen. Er
wehrt sich auch gegen Forderungen vor

allem aus der SPD, vom Grundsatz der
schwarzen Null, dem ausgeglichenen
Haushalt, abzurücken. „Würde man die
schwarze Null drangeben, wären wir
nicht alle plötzlich reich“, sagte Altmai-
er, „sondern die Spielräume wären sehr
begrenzt und nach der nächsten Sitzung
des Koalitionsausschusses auch schon
wieder ausgeschöpft.“ Es gehe nicht um
die schwarze Null, sondern um die im
Grundgesetz verankerte Schuldenbrem-
se, die er „für absolut richtig und notwen-
dig“ halte. Diese lässt nur eine begrenzte
Schuldenaufnahme zu.
Ursprünglich war sein Ministerium
für dieses Jahr von 1,8 Prozent Wachs-
tum ausgegangen. Altmaier erklärt die
Abkühlung vor allem mit den internatio-
nalen Handelskonflikten und dem Bre-
xit. Die Binnenkonjunktur sei weiterhin
intakt. Bis Ende 2020 werde die Zahl der
Erwerbstätigen in Deutschland auf 45,
Millionen steigen. Die Nettolöhne stie-
gen um 3,1 Prozent. An Arbeitsminister
Hubertus Heil (SPD) appellierte er, ange-
sichts der Rücklagen in der Arbeitslosen-
versicherung die Beiträge um 0,3 oder
0,4 Prozentpunkte zu senken.„Wir hof-
fen, dass die Konjunktur zu Beginn des
nächsten Jahres wieder an Fahrt auf-
nimmt“, sagte Altmaier. Im internatio-
nalen Handel werde die Talsohle bald er-
reicht sein. Mit Blick auf den Konflikt
zwischen den Vereinigten Staaten und
Europa über die Autozölle sagte er, das
Verhältnis werde sich wohl „nicht kon-
fliktfrei, aber in einem berechenbaren
Rahmen“ entwickeln.

wvp.WASHINGTON, 17. Oktober. Im
Zeichen von Konjunkturschwäche und
schwelender Handelskonflikte hat das
Jahrestreffen von Weltbank und Interna-
tionalem Währungsfonds (IWF) in Wa-
shington begonnen. Der IWF reduzierte
seine Wachstumsrate für die Weltwirt-
schaft auf 3 Prozent, die Weltbank hatte
schon im Juni die Prognose auf 2,6 Pro-
zent gesenkt. Ein Wachstum von 2,5 Pro-
zent wertet der IWF als Rezession.
Weltbank-Präsident David Malpass
wies darauf hin, dass die Handelskonflik-
te Investoren verunsicherten. Gerade
arme Länder litten an der Investitions-
schwäche. Kristalina Georgieva, die
neue Chefin des IWF, hob die Bedeutung

des Handels als Motor für Wachstum her-
vor und lobte die partielle Handelseini-
gung zwischen China und den Vereinig-
ten Staaten. Doch aus dem Waffenstill-
stand müsse echter Frieden werden, for-
derte die Bulgarin. Sie wies darauf hin,
dass in 90 Prozent der Länder das Wachs-
tum zurückgehe. Die Notenbanken müss-
ten die Volkswirtschaften stützen, ohne
die Stabilitätsrisiken niedriger Zinsen
aus den Augen zu verlieren. Für Länder
mit finanziellem Spielraum sei nun die
Zeit gekommen, zu investieren. Georgie-
va nannte Deutschland nicht nament-
lich, im jetzt veröffentlichten World Eco-
nomic Outlook werden Deutschland und
die Niederlande aber genannt.

Neue Berechnung von Geldbußen


Datenschützer legen Konzept offen


Altmaier: Ohne die schwarze Null


wären wir nicht plötzlich reich


Der Wirtschaftsminister erwartet keine Rezession


Noch einmal nach Amerika mit Olaf Scholz


Die Reise nach Washington im Kopf:Ein nachdenklicher Olaf Scholz (Mitte) am Donnerstagmorgen im Bundestag Foto AFP


Trübe Aussichten


Auftakt der Jahrestagung von IWF und Weltbank


Der SPD-Politiker fliegt zur


IWF-Jahrestagung. Seine


Zukunft entscheidet sich aber


demnächst in Deutschland.


Von Manfred Schäfers

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