Frankfurter Allgemeine Zeitung - 18.10.2019

(avery) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Finanzen FREITAG, 18. OKTOBER 2019·NR. 242·SEITE 25


maf. FRANKFURT, 17. Oktober. Die
Emissionen von Hybridanleihen europäi-
scher Unternehmen haben in den vergan-
genen Monaten deutlich an Fahrt aufge-
nommen. Das liegt nicht nur an der Deut-
schen Bahn, die kürzlich zwei Milliarden
Euro der zwischen Fremd- und Eigenka-
pital eingeordneten Schuldtitel zu histo-
risch günstigen Konditionen plazieren
konnte. Auch andere Unternehmen wie
zum Beispiel der Halbleiterhersteller Infi-
neon, die britische Mobilfunkgesell-
schaft Vodafone oder der Darmstädter
Pharmakonzern Merck haben sich für
diese Finanzierungsform entschieden.
Nach Angaben der Ratingagentur Sco-
pe belaufen sich die neuen Hybridanlei-
hen europäischer Unternehmen im lau-
fenden Jahr auf ein Volumen von mehr
als 24 Milliarden Euro. Das sei das höchs-
te Jahresemissionsvolumen seit dem Jahr


  1. Scope-Analyst Azza Chammem
    führt diese Entwicklung auf die jüngste
    Entscheidung der Europäischen Zentral-
    bank (EZB) zurück, ihre Anleihekäufe
    wieder aufzunehmen sowie ihre „ultra-lo-
    ckere“ Geldpolitik fortzusetzen. Die Kom-
    bination aus historisch niedrigen, oft so-
    gar negativen Zinsen, und weiter robus-
    ten Aktienmärkten böten kapitalintensi-
    ven Unternehmen einen starken Anreiz,
    hybride Instrumente zu begeben. Als ka-
    pitalintensiv gelten Versorger, Telekom-
    munikationskonzerne und Immobilienun-
    ternehmen. Hybride Papiere liegen zwi-
    schen Eigen- und Fremdkapital, was für
    den Investor im Insolvenzfall ein höheres
    Ausfallrisiko im Vergleich zu einer ge-
    wöhnlichen Anleihe darstellt. Dieses Risi-
    ko wird allerdings mit einem höheren
    Zins vergütet.
    Hybridanleihen sind in der Regel mit
    sehr langen Laufzeiten ausgestattet. Ent-
    scheidend ist aber der erste Kündigungs-
    termin. Die Bahn hat ihre beiden Hybrid-
    anleihen mit unendlichen Laufzeiten aus-
    gestattet, die eine ist nach fünfeinhalb,
    die andere nach zehn Jahren kündbar. Un-
    ternehmen können mit Hybridanleihen
    ihre Finanzierungskonditionen verbes-
    sern. Die Ratingagenturen Stan-
    dard & Poor’s und Moody’s erkennen Hy-
    bridanleihen bis zum ersten Kündigungs-
    termin zu 50 Prozent als Eigenkapital an.
    Wird die Hybridanleihe nicht zum ersten
    Kündigungstermin gekündigt, entfällt die-
    ser Vorteil. Zudem wird der Titel für das
    Unternehmen aufgrund der höheren Zin-
    sen zu einem vergleichsweise teuren Fi-
    nanzierungsinstrument.


sibi.FRANKFURT, 17. Oktober. Feuer
und Rauch am Golf: Rund einen Monat
ist es jetzt her, dass Ölanlagen in Saudi-
Arabien nach einem Drohnenangriff in
Flammen aufgingen. Und erst eine Wo-
che ist es her, dass eine Explosion auf ei-
nem iranischen Öltanker, die angeblich
von einem Raketenangriff hergerührt ha-
ben soll, für Aufsehen in aller Welt sorg-
te. Viele Ölanalysten hatten daraufhin ge-
meint, von nun an werde Öl mit einem
kräftigen Preisaufschlag für geopolitische
Risiken gehandelt: Die Angst vor einem
Krieg in der Golfregion könnte den Öl-
preis fest in den Griff bekommen.
Doch im Augenblick ist das nicht zu be-
obachten. Der Ölpreis der Nordseesorte
Brent, der nach dem Drohnenangriff in
Saudi-Arabien kurzzeitig auf mehr als 70
Dollar je Barrel (Fass zu 159 Liter) gestie-
gen war, ist in dieser Woche auf deutlich
weniger als 60 Dollar gefallen. Auch vom
Fortschritt der Brexit-Verhandlungen
zeigte er sich am Donnerstag wenig beein-
druckt, sondern rutschte vielmehr unter
59 Dollar.
Auch Sprit an den Tankstellen in
Deutschland ist wieder billiger geworden:
Auf Wochensicht noch mal um 1,2 Cent
auf durchschnittlich 1,384 Euro je Liter
für Super E10 und um 0,1 Cent auf 1,264
Euro je Liter für Diesel, wie der Autoklub
ADAC berichtet. Gegenüber Mitte Sep-
tember ist das ein deutlicher Rückgang.
Heizöl ist trotz der beginnenden Heiz-
saison zumindest günstiger als nach den
Drohnenangriffen. Damals zahlte man
rund 71 Euro, jetzt 65 Euro für 100 Liter
bei der Abnahme von 3000 Litern, wie
das Internetportal Heizoel24 berichtet,
an das 500 Ölhändler ihre Preise melden.
Was ist da los? Haben die Analysten,
die wegen der geopolitischen Risiken
jetzt für längere Zeit mit teurem Öl ge-
rechnet hatten, die Sorgen um die Golfre-
gion überschätzt? Oder gibt es gewichtige
andere Gründe für das günstige Öl?
Die wachsende Furcht vor einer globa-
len Rezession kappe die Gewinnaussich-
ten beim Ölpreis, meint Giovanni Stauno-
vo, Ölanalyst der Schweizer Bank UBS.
„Offensichtlich spielt die Sorge um Kon-
flikte im Nahen Osten momentan tatsäch-
lich keine so große Rolle mehr“, glaubt
auch Frank Schallenberger, Ölanalyst der
Landesbank Baden-Württemberg. Der
Produktionsausfall in Saudi-Arabien auf-
grund der Anschläge scheine auch rück-


blickend nicht ganz so gravierend gewe-
sen zu sein, wie teilweise befürchtet wor-
den sei: „Die Ölförderung ermäßigte sich
von 9,8 Millionen Barrel im August auf
8,4 Millionen Barrel am Tag im Septem-
ber – und für Oktober wurden bereits vor
ein paar Wochen wieder 9,8 Millionen
Barrel je Tag als Zielmarke ausgegeben“,
sagt Ölfachmann Schallenberger.
Damit sind die Konjunktursorgen und
die schwächere Dynamik der Ölnachfra-
ge wieder in den Vordergrund gerückt.
Die Lagerbestände stiegen und die Schät-
zungen für die Nachfrage würden kontinu-
ierlich nach unten revidiert, sagt Schallen-
berger: „Zuletzt haben das Ölkartell
Opec, die amerikanische Energy Informa-
tion Administration und die internationa-
le Energieagentur als wichtigste Marktbe-
obachter unisono in ihren Oktober-Re-
ports ihre Schätzungen für die Ölnachfra-
ge 2019 und 2020 reduziert.“
Naheliegend wäre unter diesen Um-
ständen, dass die Opec versucht, mit zu-
sätzlichen Förderkürzungen den Ölpreis
zu stabilisieren. Allerdings hat das Ölkar-
tell in den vergangenen zwölf Monaten
die Förderung schon um 2,8 Millionen
Barrel gesenkt, bereinigt um die Auswir-
kungen der Anschläge in Saudi-Arabien.
„Ich halte es daher für wenig wahrschein-

lich, dass die Opec vom aktuell recht nied-
rigen Produktionsniveau aus kurzfristig
noch weitere Kürzungen beschließen
wird“, sagt Ölfachmann Schallenberger:
„Ich rechne daher für 2020 mit einem
Überangebot am Ölmarkt von durch-
schnittlich 0,8 Millionen Barrel je Tag –
damit dürfte der Ölpreis tendenziell noch
weiter nachgeben.“
Aus den Vereinigten Staaten, Brasilien
und der Nordsee sei sogar noch eine
„neue Welle des Ölangebots“ zu erwar-
ten, berichten die Analysten der Com-
merzbank unter Berufung auf die Interna-
tionale Energieagentur. Die Agentur
sieht die Opec und ihre Verbündeten im
nächsten Jahr vor einer großen Herausfor-
derung, das Ölpreisniveau auf einem für
die Länder komfortablen Niveau zu hal-
ten. Als Grund nennt sie eine mögliche
weitere Verlangsamung des Nachfrage-
wachstums und eine Welle neuen Ange-
botswachstums. „An einer weiteren Pro-
duktionskürzung führt daher unseres Er-
achtens kein Weg vorbei“, schreiben die
Commerzbank-Analysten.
„Ich würde eher sagen, dass die Risiko-
prämie gestiegen ist, aber der Basispreis
aufgrund der schlechteren weltwirtschaft-
lichen Perspektiven gefallen ist“, sagt Cy-
rus de la Rubia, Chefvolkswirt der Ham-

burg Commercial Bank: „Mit anderen
Worten: Ohne den Angriff auf die Ölanla-
gen in Saudi-Arabien läge der Ölpreis
heute wahrscheinlich noch niedriger.“
Saudi-Arabien habe es in jedem Fall
gut verstanden, auch vor dem Hinter-
grund eines möglichen Börsengangs des
Ölunternehmens Saudi Aramco den Ein-
druck zu vermitteln, dass das Land trotz
der Anschläge lieferfähig sei. „Offensicht-
lich hat man Lieferverträge teilweise
durch Ölimporte aus Drittländern erfüllt,
so dass es nicht zu den befürchteten
Schlagzeilen kam, Saudi Aramco könne
seine Verpflichtungen nicht einhalten“,
sagt de la Rubia. Auch wenn die Produk-
tion sicherlich wesentlich stärker zurück-
gegangen sei als dargestellt, seien es die
Ölausfuhren, die viele Marktteilnehmer
interessierten. „Insofern dürfte die Risiko-
prämie weniger gestiegen sein, als das bei
einem stärkeren Rückgang der Ausfuhren
der Fall gewesen wäre“, meint der Öko-
nom. Bemerkenswert sei es dennoch,
dass die Marktteilnehmer scheinbar non-
chalant über die geopolitischen Spannun-
gen hinwegsähen – so etwa die Meldung,
der iranische Öltanker sei angegriffen
worden. „Die Nachfragesorgen scheinen
einfach wieder die Oberhand gewonnen
zu haben“, resümiert de la Rubia.

FRANKFURT,17. Oktober. Der euro-
päische Technologie-Sektor führt aus
technischer Sicht im Regelfall die Auf-
wärtsbewegungen und technischen
Haussen an den europäischen Aktien-
märkten an. Auch diesmal weist der Sek-
tor wieder eine moderate relative Stärke
sowohl im Vergleich zu den anderen Sek-
toren als auch gegenüber den Standard-
werteindizes auf. Bei der Einteilung in
technische Gruppen finden sich in Grup-
pe 1, den technischen Zukäufen, zurzeit
zum Beispiel SAP, ASML und Dassault
Systemes. In Gruppe 2, den spekulativen
technischen Zukäufen, findet sich etwa
United Internet. In der dritten Gruppe,
die der technischen Haltepositionen, sind
aktuell Amadeus IT, Ericsson, Nokia und
Infineon anzutreffen. Die Gruppe 4 mit
technischen Tauschkandidaten umfasst
wiederum die britischen Werte Micron
Focus International und Sage Group.
Der Stoxx Technology umfasst zurzeit
28 europäische Technologie-Aktien aus
dem Stoxx 600. Dieser Sektorindex, ein
Kursindex, startete Ende Oktober 1991
genau wie der Stoxx 600 bei 100 Punkten.
Aus langfristiger technischer Sicht weist
dieser Index seit dem Start des laufenden
technischen Hausse-Zyklus im März 2009
eine deutliche relative Stärke gegenüber
dem Gesamtmarktindex, aber auch gegen-
über den Standardwerte-Indizes wie dem
Stoxx 50 und dem Euro Stoxx 50 auf. Seit
den Kurstiefs bei 125,4 Punkten befindet
sich der Sektor in einer Hausse-Bewe-
gung. Hierbei hat sich seit Mitte 2013 und
dem Kursniveau um 235 ein zentraler
Hausse-Trend herausgebildet, dessen
Trendlinie bei ungefähr 400 angekom-
men ist. Ausgehend von dem Zwischen-
hoch um 507 im Juni 2018 (Widerstands-
zone) hat sich – weiter innerhalb des zen-
tralen Hausse-Trends – eine technische
Korrektur mit einem trendbestätigenden
Charakter (nach oben) herausgebildet.
In den vergangenen Monaten ist der
Sektor wieder bis an die Widerstandszo-
ne gestiegen, wobei sich in den letzten
Wochen eine Trading-Range ergeben
hat. Da jetzt eine kurz- und mittelfristig
neutrale technische Lage entstanden ist,
überrascht es nicht, dass der Sektorindex
abermals an einem neuen Investment-
Kaufsignal (Sprung über die Wider-
standszone) arbeitet. In dem Sektor deu-
tet sich damit die Fortsetzung der relati-
ven Stärke im europäischen Sektorver-
gleich an. Der nächste mittelfristige Auf-
wärtsschub sollte bei diesem Index als
technisches Etappenziel die Kursetablie-
rung oberhalb von 550 Punkten liefern.


Der Software-Konzern SAP ist nach
der Marktkapitalisierung im Streubesitz
mittlerweile nicht nur die größte Aktie in
Deutschland, sondern auch im Euroraum
und im Euro Stoxx 50, wobei zuletzt der
französische Öl- und Gaskonzern Total
überholt wurde.SAPbefindet sich seit
Oktober 2008 und Kursen um 20,70 Euro
in einer technischen Hausse, mit deren
Hilfe die vorherige jahrelange Seitwärts-
pendelbewegung, die seit dem Jahr 2000
bestand, nach oben verlassen wurde. Seit
dem Jahreswechsel 2008/2009 hat sich
bei SAP ein zentraler Hausse-Trend her-
ausgebildet, dessen Trendlinie aktuell bei
ungefähr 90 Euro angekommen ist. Inner-
halb dieses Trends besteht unverändert
das Wechselspiel aus (Investment-)Kauf-
signalen, mittelfristigen Aufwärtstrends
und technischen Konsolidierungen/Kor-
rekturen.
Insgesamt liefert auch diese Technolo-
gie-Aktie eine etwas höhere Schwan-
kungsintensität als andere Standardwer-
te. SAP ist zuletzt sowohl mit guten Ge-
schäftszahlen als auch mit einem Wech-
sel an der Konzernspitze aufgefallen.
Die Aktie hat ihr bisheriges Allzeithoch
von 125 Euro im Juli (Widerstandszone)
erreicht und bewegte sich in den vergan-
genen Monaten in einer normalen Kor-
rektur. Nach den neuen Unternehmensin-
formation ist der Aktienkurs nun mit ei-
nem neuen Kaufsignal angesprungen, so
dass zunächst ein Test der Widerstands-
zone am Allzeithoch anstehen sollte. Auf-
grund der guten technischen Gesamtlage
sollte das technische Kurspotential aber
deutlich höher liegen. Deshalb empfiehlt
sich SAP zum Kauf.

Die Aktie der niederländischen ASML
Holding NV ist mittlerweile nach Markt-
kapitalisierung im Streubesitz die zweit-
größte Aktie im Stoxx Technologie und
zusätzlich im Euro Stoxx 50 vertreten.
ASML, deren Geschäftsaktivitäten die
Entwicklung, Produktion sowie globale
Vermarktung und Verkauf von Halbleiter-
fertigungsausrüstung ist, gehört unverän-
dert zu den technischen Marathonläu-
fern in Europa. Das sind Aktien, die sich
in sehr langfristigen Aufwärtsbewegun-
gen befinden. ASML, die seit März 1995
an den europäischen Aktienmärkten ge-
listet ist, befindet sich seitdem in einer
Hausse-Bewegung. Seit Oktober 2008
(Start bei 9,90 Euro) liegt ein zentraler
Hausse-Trend (Trendlinie zurzeit bei un-
gefähr 160 Euro) vor. Innerhalb dieses
übergeordneten Trends hat ASML zum
Jahresanfang die trendbestätigende Kor-
rektur vom zweiten Halbjahr 2018 (Kurs-
rückgang vom Allzeithoch um 189,50
Euro auf 130,10 Euro) mit einem Kaufsi-
gnal nach oben verlassen und einen neu-
en mittelfristigen Aufwärtstrend eta-
bliert. Mit dem Sprung über die Zone um
189,50 Euro sorgte dieses neue Invest-
ment-Kaufsignal für die Wiederaufnah-
me der technischen Neubewertung und
eine ausgeprägte, relative Stärke im Euro
Stoxx 50. Da die technische Gesamtlage
bei ASML, die aktuell bei ungefähr 240
Euro notieren, als nächstes, technisches
Hausse-Ziel den Bereich von 260 Euro
bis 265 Euro andeutet, bleibt dieser klas-
sische, technische Wachstumswert wei-
ter ein Kauf.
Der Autor leitet den Bereich Technische Analyse &
Index Research der Commerzbank.

Ölpreis sinkt trotz Krisen und Anschlägen am Golf


Hybridanleihen


sind in Mode


Vorsprung dank Technologie-Aktien


ASML und SAP setzen Aufwärtstrend fort / Die Technische Analyse von Achim Matzke


Rohöl

Super E10

Diesel

1 Barrel = 159 Liter.
Quellen: Bloomberg;
clever-tanken.de
Foto dpa / F.A.Z.-Grafik Piron

Drohenangriff auf
die größte Ölraffinerie
in Saudi-Arabien
vor einem Monat

70

September 2019 Oktober 2019

Sorte Brent in Dollar je Barrel

55

60

65

1,42

September 2019 Oktober 2019

in Euro je Liter

1,36

1,38

1,40

1,28

September 2019 Oktober 2019

in Euro je Liter

1,22

1,24

1,26

Finanzen


400

450

507
464

379

294

235

261

Indexpunkte (Skala logarithmisch, K=Kaufsignal, V=Verkaufssignal, TP= Gewinnmitnahmesignal)

Stoxx Technology: Relative Stärke im europäischen Sektorvergleich

300

250

350

400

450

500

550

20142013 2015 2016 2017 2018 2019
Quelle: Commerzbank F.A.Z.-Grafik Kaiser

200-Tage-Linie


K


K


V


K K


TP K


Hausse-Trend


Neues Signal erwartet


Ungeachtet internationaler


Konflikte fällt der Ölpreis


deutlich auf weniger als


60 Dollar – und auch Benzin


wird wieder billiger.


Zum Artikel „Mehr rein englischsprachi-
ge Studiengänge“ (F.A.Z. vom 14. Okto-
ber): Wenn der bayerische Wissenschafts-
minister Sibler (CSU) allen Präsidenten
der Hochschulen im Freistaat empfiehlt,
englischsprachige Bachelorstudiengänge
ohne Einschränkung einzurichten, fragt
man sich natürlich, was sein Chef, der
bayerische Ministerpräsident Markus Sö-
der, mit der „vollkommenen Internationa-
lisierung des technischen Bereichs der
Hochschulen“ im Freistaat beabsichtigt.
Führt dies dann auch zu einer monatli-
chen Kabinettssitzung auf Englisch?
Die eigentliche Internationalisierung
erfolgte ja bereits durch den weitgehen-
den Ersatz des deutschen Diplomstudien-
gangs durch Bachelor- und Magisterstu-
diengänge und die entsprechende Anpas-
sung von Lehrplänen und Lerninhalten.
Dass Doktoranden, Dozenten und Profes-
soren, wenn sie international wahrgenom-
men werden wollen, auf Englisch publizie-
ren, ist inzwischen auch zur Selbstver-
ständlichkeit geworden. Dass deutsche
Wissenschaftler, wenn sie zur Spitzen-
gruppe in ihrem Bereich zählen, problem-
los auf Lehrstühlen, in Forschungslabo-
ren oder Kliniken im Ausland landen –
oft zum Leidwesen deutscher Universitä-
ten –, wird niemand bestreiten wollen.
Schließlich konnten auch bislang eng-
lischsprachige Professoren für deutsche
Universitäten gewonnen werden, ohne
dass dafür ganze Studiengänge auf Eng-
lisch angeboten werden mussten. Wozu
also nun englischsprachige Studiengän-
ge?
Etwa zur Steigerung der Attraktivität
für ausländische Studierende? Wie man
in diesen Tagen im Bayerischen Rund-
funk hören konnte, hat sich die Zahl der
ausländischen Studierenden im Laufe der
Jahre mehr als verdoppelt – auch ohne
ein nennenswertes Angebot rein engli-
scher Studiengänge. Entscheidend ist also
offensichtlich die Qualität von Wissen-
schaft und Lehre in Bayern, die Auslän-
der auch vor der sicher nicht leichten deut-
schen Sprache nicht zurückschrecken
lässt.
Etwa zur Steigerung der Qualität der
Studiengänge im technischen Bereich?
Da auch deutsche Wissenschaftler wie
auch Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens sich dezidiert für Deutsch als
Wissenschaftssprache aussprechen und

im Rahmen eines „Mehrsprachigkeits-
konzepts in der Wissenschaft“ fordern,
Deutsch zu lehren und englischsprachige
Abschlussarbeiten durch eine deutsche
Zusammenfassung zu ergänzen, drängt
sich der Eindruck auf, die Staatsregie-
rung könnte sich hier auf dem Holzweg
befinden.
Dieser Eindruck wird für mich noch
durch die persönliche Erfahrung bei Fort-
bildungsveranstaltungen für Anglisten an
der LMU München verstärkt: Obwohl die
Professoren der englischen und amerika-
nischen Literatur wie auch die teilneh-
menden Englischlehrer aus bayerischen
Gymnasien nicht im Verdacht standen,
das für das Studium nötige C2-Niveau
nach Europäischem Referenzrahmen im
Englischen zu verfehlen, bestanden die
Veranstalter auf einer Diskussion in
Deutsch, da die Diskussion nach ihrer Er-
fahrung „ansonsten sehr schnell verflacht
und bald ins Stocken gerät“.
Dass diese sogenannte Internationali-
sierung zu einer gravierenden Fehlent-
wicklung nicht nur für den Wissenschafts-
betrieb, sondern auch für die deutsche
Wirtschaft führt, zeigte mir auch eine Be-
gegnung mit ausländischen Studenten.
Arabische Studierende aus den Emiraten
und Ägypten, die ein Studium an der TU
München in einem englischsprachigen
Studiengang Elektronik beziehungsweise
Informationstechnologie oder Fernmelde-
technik mit Erfolg absolviert hatten, wa-
ren nach vier Jahren in Deutschland nicht
in der Lage, ein verständliches Gespräch
auf Deutsch zu führen. Die Konversation
auf Englisch ergab dann, dass sie noch
nie eine deutsche Zeitung, geschweige
denn ein Buch auf Deutsch gelesen hat-
ten und auch sonst keinen Kontakt zu
Deutschen pflegten.
Wenn ein Studium in Deutschland nor-
malerweise auch dazu führen soll, dass
der ausländische Absolvent in seinem Hei-
matland den Kontakt zu Deutschland
oder zu deutschen Firmen aufrechterhält
und damit unter Umständen auch zu ei-
nem „Türöffner“ für deutsche Technolo-
gie und deutsche Produkte in seiner Hei-
mat wird, so war dieser englischsprachige
Studiengang an der TU München ein glat-
ter Fehlschlag. Quod erat demonstran-
dum: rein englischsprachige Studiengän-
ge – eine Schnapsidee!
WILLI BÄTZ, ISMANING

Zu dem Artikel „In Hochgeschwindigkeit
von Dortmund nach London“ in der
F.A.Z. vom 27. September: 25 Jahre nach
Eröffnung des Kanaltunnels wird nun
endlich die von Anfang an naheliegende
Idee publiziert, diesen nicht nur für die
Relationen Paris/Brüssel–London, son-
dern auch für das potentiell hohe Ver-
kehrsaufkommen von und nach Deutsch-
land zu nutzen. Das ist sehr erfreulich,
sind doch durchgehende Kanaltunnelzü-
ge Richtung Deutschland überfällig, wo-
bei es prinzipiell egal ist, ob dies per
TGV, Thalys, Eurostar oder ICE erfolgt.
Neben der von der F.A.Z. genannten
Anbindung des Ruhrgebiets („Dort-
mund“) – allerdings ohne eine Schnell-
fahrstrecke – sollte aber keinesfalls außer
Acht gelassen werden, über die bestehen-
den Schnellstrecken Köln–Frankfurt/
Mannheim–Stuttgart (beziehungsweise
Ulm ab Ende 2022) auch weitere Bal-
lungsräume einzubinden. Ob ein neues
Bahnunternehmen aus französischer
SNCF und dem Bahnbetreiber „Thalys“
aber auch für dieses Ziel geeignet ist? Es
dient doch offensichtlich nur den Interes-
sen unserer beiden Nachbarstaaten, die
damit im deutschen Eisenbahn-Fernver-
kehr Fuß fassen würden.
Bevor hier „Nägel mit Köpfen gemacht“
werden, sollte die Deutsche Bahn AG sich
mit Unterstützung der Verkehrspolitik um
eine Beteiligung an diesem Konstrukt be-
mühen, um die Kanaltunnel-Anbindung
nach Deutschland nicht vom Wohlwollen
und den Interessen Frankreichs und Bel-
giens beziehungsweise deren staatlichen
Eisenbahnen abhängig zu machen. Vor
nicht allzu langer Zeit wurden mit dem
deutschen ICE bereits Testfahrten durch
den Tunnel bis London durchgeführt, und
zwar technisch erfolgreich. Das Projekt,
ICE-Verbindungen zwischen Frankfurt/
Köln und London einzuführen wäre also
realisierbar gewesen, war allerdings Teil
des von der Tunnel-Betreibergesellschaft
geplanten mittelfristigen Austauschs der
seit 25 Jahren fahrenden Eurostar-Züge

durch neue, auf der ICE-Flotte basierende
Triebzüge. Letzteres scheiterte jedoch am
Widerstand Frankreichs, ausgehend von
Alstom als Produzent des Eurostar. War-
um auch einzelne ICE Richtung Deutsch-
land nicht verwirklicht wurden, da dies in
keinem wirklichen technischen Zusam-
menhang mit dem Fahrzeugaustausch
stand, ist rätselhaft.
Meines Erachtens wäre der nun offen-
bar vorgesehene Ersatz der Eurostar-Züge
London–Paris/Brüssel durch TGV und
den technisch ähnlichen Thalys kein Hin-
dernis für eine deutsche Beteiligung an
dem oben genannten neuen Betreiberun-
ternehmen und auch nicht am Einsatz des
ICE in der Verbindung London–Deutsch-
land. Da es sich um ein wahrhaft „europäi-
sches“ Projekt handelt, könnte sich
Deutschland gegebenenfalls auch um Un-
terstützung bei der EU bemühen, um sei-
ne verkehrlichen Interessen zu wahren.
JÜRGEN KEMPF, GERMERING

Zu dem Artikel „Gescheiterter Spagat“ in
der F.A.Z. vom 10. Oktober: Eine Eini-
gung der EU-Staaten zur Verteilung der
Migranten ist trotz ständiger Solidaritäts-
appelle offensichtlich unmöglich. Da das
Problem sicher einen ähnlichen Stellen-
wert für ganz Europa hat wie die Emissi-
onsreduzierung, wäre es doch einer Über-
legung wert, hierfür einen EU-Haushalt
zu schaffen.
Für jeden Migranten könnte der auf-
nehmende Staat aus diesem EU-Topf ei-
nen Betrag X erhalten, dessen Höhe sich
an den Lebenshaltungskosten des jeweili-
gen Landes orientieren müsste. Dies wür-
de sicher die Aufnahmebereitschaft des ei-
nen oder anderen Mitgliedstaats erhöhen
und die quälenden Klein-klein-Diskussio-
nen um jeden Mittelmeer-Migranten zu-
mindest reduzieren.
THOMAS PASCH, KARLSRUHE

Zu „Wer gebietet über Regen und Sonnen-
schein in der EU?“ von Michael Stabe-
now und Michaela Wiegel (F.A.Z. vom


  1. Oktober): Wem hilft es in der christde-
    mokratischen Familie, wenn die EVP
    Frankreich, dem französischen Präsiden-
    ten und der deutschen EU-Kommissions-
    präsidentin eins auswischt, indem sie die
    Kandidatin Frankreichs, Sylvie Goulard,
    ablehnt? Wem nutzt diese Aktion?
    Dem Parlament ganz sicher nicht. Es
    war ja schon vorher nicht in der Lage,
    sich auf einen gemeinsamen Spitzenkan-
    didaten zu einigen. Die Abgeordneten wa-
    ren verlegen ob ihrer eigenen Schwäche.
    Der EVP nutzt es auch nicht, denn was
    soll ihr der Ärger mit von der Leyen brin-
    gen, die aus der eigenen politischen Fami-
    lie stammt? Der EU auch nicht, weil die
    einzig verbliebene gestaltende Persönlich-
    keit, Macron, dadurch geschwächt wird.


Dem EVP-Fraktionsvorsitzenden Man-
fred Weber? Von ihm wusste man in Paris
und Berlin schon vor der Europawahl,
dass er für den EU-Kommissionsvorsitz
nicht geeignet ist. Macron hat nur laut aus-
gesprochen, was alle dachten. Webers Ver-
halten bringt ihm aber auch nichts, denn
jeder sieht, er hat nur nachgetreten. Viel-
leicht dem CSU-Vorsitzenden Markus Sö-
der? Käme ihm Ärger in der Union und
auf europäischer Ebene im unionsinter-
nen Rennen um die Kanzlerkandidatur zu-
gute? Schwer vorstellbar, denn jeder sieht
auch, er hat seinen Parteifreund Weber
nicht im Griff.
Übrig bleibt ein unsäglicher Umgang
der EVP mit Sylvie Goulard, für den man
sich als Christdemokrat einfach nur schä-
men kann.
KLAUS BERNHARD HOFMANN, KÖLN

Briefe an die Herausgeber


Aus dem EU-Haushalt


Wem soll das nutzen?


Eine Staatsregierung auf dem Holzweg


Mit Hochgeschwindigkeit nach London

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