Frankfurter Allgemeine Zeitung - 18.10.2019

(avery) #1

SEITE 28·FREITAG, 18. OKTOBER 2019·NR. 242 Sport FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


D


er Gruß: Das ist eine Geste des
Respekts. Eine symbolische
Verbeugung vor dem anderen. Ein
Signal, dass man ihn per se achtet,
eine Umgangsform, die es möglich
macht, miteinander ins Gespräch zu
kommen, auch zu streiten und ohne
Übereinstimmung zu scheiden. Der
ehrliche Gruß lässt Spielraum für
Differenzen, für Meinungen und
Haltungen. Was ist daraus geworden
in diesen Tagen auf dem Fußball-
platz?
Aus der Affäre Gündogan (siehe
Interview auf dieser Seite) ist eine
Aufregung entstanden, die inzwi-
schen das Fußballland zu erfassen
scheint. Aus allen Winkeln der Repu-
blik tauchen namenlose Fußballspie-
ler mit türkischen Wurzeln auf, die
den Moment des Torerfolgs in der
Tiefe der Provinz für eine Demons-
tration nutzen: für den militärischen
Gruß. Soll er eine politische Bot-
schaft sein? Eine Unterstützung der
türkischen Armee, die völkerrechts-
widrig Nordsyrien unter Feuer legt?
Oder sollen Soldaten gewürdigt wer-
den, die den Kopf hinhalten müssen
für eine menschenverachtende Poli-
tik ihres Führers?
Solange niemand den Menschen
in die Köpfe schauen kann, bleibt es
ein Geheimnis, ob die Grüße politi-
scher, freundschaftlicher oder puber-
tärer Natur sind. Ob eine Zustim-
mung zu einem Foto mit salutieren-
den Fußballprofis im Vorübergehen
oder ganz absichtlich geschah. Si-
cher ist nur, dass diese Grußbotschaf-
ten provozieren, dass sie in der sich
weiter aufladenden Atmosphäre in
dieser Gesellschaft zu Ausbrüchen
führen. Die Meldungen vom Don-
nerstag erwecken den Eindruck von
einer großen Überforderung des or-
ganisierten Sports. Verbandsrichter
des Amateur-Fußballs rüsten zu
großangelegter Verfolgung. Jeder mi-
litärische Gruß auf dem Fußball-
platz wird als verbotene politische
Botschaft bewertet und soll geahn-
det werden. Jeder.

Ob solche Gesten von der Mei-
nungsfreiheit gedeckt sind, wie es
aus der Türkei nach Deutschland mit
Hinweis auf das Grundgesetz geru-
fen wird, oder politische Botschaften
den Sportraum vergiften, wird nicht
mal im Ansatz diskutiert. Die Fron-
ten sind verhärtet. „Wir lassen uns“,
ließ ein Verbandsfunktionär wissen,
„nicht auf der Nase rumtanzen und
von Minderheiten kaputtmachen.“
Nicht nur der Generalsekretär des
Deutschen Fußball-Bundes, Fried-
rich Curtius, berichtet von der ver-
bindenden Wirkung des Fußballs,
von der Kraft des Sports, über das
Spiel zueinander zu finden, zumin-
dest Achtung zu entwickeln und viel-
leicht auch einmal Perspektiven aus-
zutauschen. Die jüngste Entwick-
lung zeigt leider, wie sich diese Chan-
ce in wenigen Tagen verflüchtigen
kann und wie viel Klugheit nötig
sein wird, das Spiel wieder unter
Kontrolle zu bringen. Denn die Ant-
wort auf die Frage, was geworden ist
aus dem Gruß auf dem Fußballplatz
ist leider wahr: ein Schlagabtausch.

Mit freundlichen


Grüßen


Von Anno Hecker


Der Nationalmannschaftsmanager Oli-
ver Bierhoff hat das „Liken“ eines Bil-
des durch Ilkay Gündogan und Emre
Can, das türkische Nationalspieler beim
Salutieren zeigt, am Montag als Fehler
bezeichnet. Warum hat der DFB sich
nicht sofort nach Veröffentlichung dieses
„Grußes“ an die in Nordsyrien eingefal-
lene türkische Armee abgegrenzt?


Nach Bekanntwerden der Likes haben
die Spieler in Tallinn noch vor dem An-
pfiff selbst Stellung bezogen. Und mit
dem direkten Zurücknehmen der Likes
haben sie darüber hinaus eine deutliche
Distanzierung zum Ausdruck gebracht.
Oliver Bierhoff hat am Montag früh dann
noch mal explizit von klaren Fehlern ge-
sprochen und mit seinen Aussagen unter-
strichen, für welche verbindenden Werte
der Verband steht.


Hat so ein Fehler Konsequenzen?


Ist das Zurücknehmen eines Likes
nicht das viel stärkere Bekenntnis? Sie ha-
ben beide klar gesagt, dass sie gegen
Krieg sind und gegen jede Form von Ge-
walt. Ich glaube, das hat in der Türkei
sehr viel mehr Aufmerksamkeit erzeugt,
als wenn sie geschwiegen hätten.


Wie es Mesut Özil lange nach der heftig
kritisierten Übergabe eines Trikots an
Staatspräsident Erdogan 2018 tat und
der DFB zunächst versuchte, das Pro-
blem zu ignorieren ...


Diesmal ist nicht geschwiegen worden.
Es war wichtig, dass beide Spieler sofort
Stellung bezogen haben.


Dass ein intelligenter Spieler wie Gündo-
gan die politische Dimension nach dem
Vorfall 2018 nicht erkannt haben will,
schürt Skepsis an der nachträglichen
Darstellung, das „Liken“ sei beiläufig
geschehen. Verstehen Sie das?


Ich verstehe die große Emotionalität
bei diesem Thema. Wir haben danach
auch mit beiden Spielern gesprochen.
Mich haben ihre Erklärungen überzeugt.


Sie wollen starke Persönlichkeiten?


Selbstverständlich, wir wünschen uns
Spieler, die neben ihren sportlichen Fähig-
keiten einen starken Charakter entwi-
ckeln. Dazu gehört auch die Teilnahme
an politischen Diskursen. Eine solche
Entwicklung fordern und fördern wir.
Wir erwarten aber, dass Äußerungen un-
sere demokratischen Werte zur Grundla-
ge haben. Nationalspieler sind Vorbilder.


Der Wertekanon ist nicht in jeder Gesell-
schaft der gleiche.


Das muss man respektieren. Zumal
Fußballer als Kinder von Migranten häu-
fig Verwandtschaft im Ausland haben,
die möglicherweise eine andere Perspekti-
ve hat. Aber bestimmte Fragen müssen
wir aus der Sicht des DFB mit Blick auf
unsere Werte beantworten und entspre-
chend handeln. Ich würde nie behaupten,
dass unsere Sicht immer der Weisheit letz-
ter Schluss ist. Aber diese Erkenntnis spie-
gelt vor allem die Komplexität unseres Zu-
sammenlebens. Wir sehen uns als Integra-
tionsmotor. Und auch deshalb müssen
wir auf diese Themen Antworten finden.
Damit wir die Kraft des Fußballs im Sin-
ne unserer gesellschaftlichen Verantwor-
tung nutzen können.


Sollten Arenen frei sein von politischen
Botschaften?


Das große Programm der Uefa gegen
Rassismus gehört zum Beispiel in den
Raum des Sports. Dazu zählt für mich
auch, Gewaltverherrlichung oder Extre-
mismus konsequent entgegenzustehen.
Das ist eine Verantwortung, die der DFB
und seine Vereine wahrnehmen und ent-
schlossen wahrnehmen müssen. Unsere
Botschaften müssen dabei immer die Wer-
te unserer Grundordnung transportieren.

Erlebt der DFB die größte Umwand-
lungsphase seit seinem Bestehen?
Ja. Und das ist auch meine Verantwor-
tung. Als lernende Organisation entwi-
ckeln wir uns ständig weiter. Wir haben
uns beim Bundestag zu einer klaren Tren-
nung des wirtschaftlichen Geschäftsbe-
triebs vom ideellen Bereich entschlossen.
Wichtige Arbeitsfelder des DFB e.V. wer-
den in die DFB GmbH übergehen: Die Na-
tionalmannschaften, die dritte Liga, der
DFB-Pokal, die DFB-Akademie. Das hat
zum einen steuerliche sowie Haftungs-
gründe. Aber auch die Umsetzung einer
Good Governance mit einer klaren Ver-
antwortungszuordnung spielte bei den
Überlegungen eine wichtige Rolle. An die-
sem Schritt kommt man nicht vorbei,
wenn man eine Modernisierung und
mehr Transparenz erreichen will. Hier set-
zen wir neue Standards.

Ist es richtig, dass Sie auch der GmbH
vorstehen werden?
Die Überlegungen gehen dahin, dass
der hauptamtliche Generalsekretär auch
der GmbH vorstehen soll.

Führt diese Konstellation nicht zu Inter-
essenkonflikten?
Wir haben ein gemeinsames Interesse.
Und sind eine Mannschaft für einen star-
ken DFB. Wenn der Geschäftsführer des
DFB e. V. auch die Geschäfte der hundert-
prozentigen Tochter führt, dann werden
die Interessen des e. V. immer berücksich-
tigt. Ich erhalte mein Gehalt vom DFB
und diene keinem anderen Herrn. Ich
sehe deshalb keinen Interessenkonflikt.

Was versprechen Sie sich von der Um-
strukturierung?
Wir wollen den gesamten DFB wirt-
schaftlich und sportlich voranbringen. Da-
mit wir unserer gesellschaftlichen Verant-
wortung auch in Zukunft gerecht werden
können. Vor allem daran wird man uns
messen, und das muss auch so sein. Die
GmbH soll mit einer schlanken Struktur
in der Geschäftsleitung optimale Ergeb-
nisse erreichen. Wir werden dafür auch
neue Vermarktungsfelder finden müssen.

Weil die Einnahmequellen des Fußballs
nicht so weitersprudeln werden wie zu-
letzt?
Die Annahme, dass die Erlöse mit dem
Verkauf der TV-Rechte weiter steigen, hal-
te ich für sehr ambitioniert. Ich rechne
eher mit einer Phase der Konsolidierung.
Wir brauchen also neue Geschäftsfelder.

Welche sollen das sein?
Wir versprechen uns zum Beispiel von
der Ausrichtung der Europameisterschaft
2024 zusätzliche Einnahmen. Der DFB
hat sich zudem für den Einstieg in den
E-Football entschieden. Unsere Organisa-
tion ist darüber hinaus als internationale
Marke noch ausbaufähig auf den Märkten

in Japan, Indien oder China. Dazu soll die
neue Struktur beitragen. Das Knowhow
des DFB soll international noch mehr ge-
fragt sein.

Ist E-Football für Sie Sport?
E-Football ist für mich eine Ausprä-
gung des Fußballs. Der DFB muss als
Dach des Fußballs in Deutschland dieses
Feld besetzen. Ich sehe hier mittelfristig
auch die Chance, damit Geld zu verdie-
nen.

Wie?
Über Sponsoren. Wir wissen, dass gro-
ße Unternehmen verstärkt in den E-Sport
gehen. Die junge Generation verbringt
unglaublich viel Zeit mit mobilen Endge-
räten.

Sie binden E-Football aus rein kommer-
ziellen Gründen ein?
Nicht nur. Es gab zahlreiche Anstöße
von der Basis, zusätzliche Angebote zu
schaffen für die Kids. Wir dürfen den Kon-
takt zu den jungen Generationen nicht
verlieren. Das haben viele Vereine an uns
herangetragen.

Sie sagen, der DFB brauche mehr Erlö-
se, damit die Frauen- und Männer-Na-
tionalmannschaften auch 2030 noch
wettbewerbsfähig sein können. Ist das
Geschäft gegenwärtig rückläufig?
Es ist hier und da behauptet worden,
dem DFB liefen die Sponsoren weg, dabei
haben wir nach wie vor die gleiche An-
zahl. Gleichzeitig haben wir von 2018 auf
2019 eine signifikante Erlössteigerung im
Sponsoring erzielt. Das war ein riesiger
Schritt. Und die Verträge sind langfristig
angelegt. Wir brauchen das Geld, weil wir
unseren vielfältigen gesellschaftlichen
Aufgaben weiter nachkommen und den
Kredit für die Finanzierung eines Teils un-
seres Neubaus schnell zurückzahlen wol-
len. Übrigens können wir den Kostenplan
für dieses einmalige Projekt (150 Millio-
nen Euro/d. Red.) nach Stand der Dinge
einhalten. Und wir werden wohl auch im
vierten Quartal 2021 einziehen können,
also alles wie geplant.

Was versprechen Sie sich vom Jahrhun-
dertprojekt des deutschen Fußballs?
Wir müssen Innovationen in den Fuß-
ball bringen. Es geht nicht nur um die
Spielanalyse, sondern auch um die ganz-
heitliche Betrachtung der Spieler, um die
Belastungssteuerung. Man befasst sich
mit Fragen, warum beispielsweise ein
Spieler der amerikanischen Basketball-
Liga in der Lage ist, rund 110 Spiele in
der Saison zu absolvieren, während im
Fußball nach zwei Begegnungen inner-
halb von drei Tagen diskutiert wird. Natür-
lich gibt es hier Unterschiede zwischen
den Sportarten, aber es geht um die
grundsätzlichen Fragen, warum das so ist
und welche Schlüsse man aus den Resulta-
ten ziehen kann.

Es geht um die Optimierung mit Hilfe
hochprofessioneller wissenschaftlicher
Methoden?
Den Engländern ist es unter anderem
auch mit der Diversifizierung ihrer Be-
treuung junger Spieler gelungen, heraus-
ragende Erfolge zu erzielen. Früher oder

später wird das bei ihnen zu entsprechen-
den Resultaten des A-Teams führen. Wer
auf diesem Gebiet nicht investiert, der ver-
schläft die Zukunft.

Sie müssen als höchster hauptamtlicher
Funktionär den DFB auf allen wichtigen
Feldern steuern. Was bleibt denn für den
neuen Präsidenten Fritz Keller übrig?
Unglaublich viel. Ich bin sehr froh,
dass Fritz Keller diese Aufgabe übernom-
men hat. Er ist als Präsident das Gesicht
des DFB, und es ist wichtig, einen so inte-
gren Mann an der Spitze des Verbandes
zu wissen. Er hat den GmbH-Prozess zur
Chefsache gemacht, indem er sich sofort
entschlossen dahintergestellt hat und die-
sen Schritt als zwingend zur weiteren Pro-
fessionalisierung des DFB sieht. Er
schätzt den Mannschaftsgedanken, sieht
sich als Teil des Teams und hält nichts
von einer One-Man-Show.

Sie sind für das erfolgreiche Funktionie-
ren des DFB verantwortlich und der Prä-
sident für die Repräsentation?
Fritz Keller ist eine sehr starke Persön-
lichkeit mit vielen Ideen, genau das, was
wir an der Spitze des Verbandes haben
wollten. Die Führung des DFB erschöpft
sich nicht in der Leitung der Präsidiums-
sitzungen oder Delegation der A-Natio-
nalmannschaft. Der DFB wird Antworten
geben müssen, zum Beispiel auch in den
großen gesellschaftlichen Themen wie
Nachhaltigkeit und Umwelt.

Sie sehen den Beginn einer neuen Ära?
Ich habe den sehnlichsten Wunsch,
dass der Verband in eine ruhigere Phase
kommt. Wir haben Fehler gemacht, teil-
weise zu Recht viel Kritik erfahren, aber
wir haben auch bereits sehr viel verän-
dert, die Struktur von rechts auf links ge-
dreht. Im Kopf habe ich ein schönes Bild:
dass wir mit dem Umzug in das neue Ge-
bäude den DFB auch von innen gewan-
delt haben in eine neue, moderne Organi-
sation, die mit Fritz Keller an der Spitze
das verlorengegangene Vertrauen zurück-
gewinnt.
Das Gespräch führteAnno Hecker.

„Eine


deutliche


Distanzierung“


Friedrich Curtius Foto Imago


E


s ist nicht so, dass der Offenbacher
Fußball keine Trends mehr setzt.
Allerdings haben sie nicht nur
beim Hessischen Fußball-Verband die Be-
fürchtung, dass deshalb nach diesem Wo-
chenende jede Menge Arbeit auf die Ver-
bandssportgerichte wartet. Dass der Sa-
lut-Jubel der türkischen Nationalspieler
endgültig in den deutschen Amateurligen
ankommt. So wie es in Offenbach schon
vergangenen Sonntag beim Kreisligaspiel
des örtlichen Türkischen SC gegen die
zweite Mannschaft des VfB Offenbach ge-
schehen war, als in der 90. Minute der
Ausgleichstreffer zum 2:2 fiel und drei
Spieler und ein Betreuer an der Seitenli-
nie freudig salutierten. Also warnen die
Landesverbände vor Wiederholungen,
längst nicht nur in Hessen. Drohen ange-
sichts der „politischen Botschaft“ des Sa-
luts mit Geldbußen, Punktabzügen, Sper-
ren. Als Erster hatte der Bayerische Fuß-
ball-Verband angekündigt, jeden einzel-
nen Nachahmer zu verfolgen. „Null-Tole-
ranz-Politik“ verspricht der Fußball- und
Leichtathletik-Verband Westfalen. Die


Wortwahl wirkt nicht, als wäre sie zur De-
eskalation geeignet – etwa wenn Hans-
Otto Matthey, Vorsitzender des Kreisfuß-
ballverbands Recklinghausen, der Deut-
schen Presse-Agentur sagt: „Wir lassen
uns nicht auf der Nase rumtanzen und
von Minderheiten kaputtmachen.“
Ali Kemal Aydin, Botschafter der Re-
gierung Erdogan in Berlin, nimmt Vorla-
gen dankbar auf. „Antitürkische Stim-
mung“ herrsche in Deutschland, die an
„Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung
und Rassismus“ grenze. Das Verbot des
„ganz normalen, menschlichen“ Grußes
zu Ehren türkischer Soldaten auf dem
Fußballplatz sei schwer nachvollziehbar.
Der oberste Dienstherr gibt die Richtung
vor: Der Salut sei Ausdruck „nationaler
Sichtweise“, sagt Erdogan. Bei den türki-
schen Nationalspielern war er in Mode ge-
kommen, seit die türkische Armee vergan-
gene Woche nach allgemeiner Auffas-
sung völkerrechtswidrig in den Norden
Syriens einmarschiert ist.
Auch in der Bundesliga haben die Ver-
eine mit türkischen und türkischstämmi-
gen Profis ihre Spieler „sensibilisiert“,

aber im Gegensatz zu der Unruhe, die in
den Amateurverbänden herrscht, ist der
Ton im Top-Fußball entspannt. Kaan Ay-
han, Abwehrchef von Fortuna Düssel-
dorf, hatte am Montag im Stade de
France gegen Frankreich den Ausgleich
für die Türkei geköpft – und anschließend
trotz des Drängens etlicher Mitspieler
und zum Missfallen vieler in der Türkei
nicht salutiert. Das Tor? „Phantastisch“,
sagte Fortuna-Trainer Friedhelm Funkel
vor dem Spiel gegen Mainz am Wochenen-
de. Ayhan und Mannschaftskollege Ke-
nan Karaman hätten gezeigt, dass sie
„ganz wichtige Spieler“ für die türkische
Nationalmannschaft seien, sagte Funkel.
„Alles andere zählt für mich ohnehin
nicht.“ Alte, auf die schlichten Botschaf-
ten des Spiels reduzierte Trainer-Schule.
Angesichts allgemeiner Nervosität si-
cher nicht falsch, aber weitestgehend
ohne Einfluss auf das, was über den mili-
tärischen Gruß eben auch auf den Ama-
teurplätzen verhandelt wird – wie im ver-
gangenen Jahr, als das Foto mit Erdogan
schließlich zum Rücktritt von Mesut Özil
aus der deutschen Nationalmannschaft

führte, weil dieser sich vor rassistischen
Anfeindungen nicht ausreichend in
Schutz genommen sah. Der Profi des FC
Arsenal in London sagte nun dem On-
line-Magazin „The Athletic“, Rassismus
sei in Deutschland nicht länger ein The-
ma der Rechten, sondern „in der Mitte
der Gesellschaft angekommen“. Das Foto
sei „als Entschuldigung genutzt“ worden,
ihn auszuleben. Özil, bei dessen Hochzeit
Erdogan im Juni nach Darstellung der
staatlichen Agentur Anadolu als Trauzeu-
ge fungierte, bezog sich in dem Gespräch
nicht auf den militärischen Torjubel, son-
dern darauf, dass seine Mitspieler in der
deutschen Nationalmannschaft nicht
„Hey, stopp. Das ist unser Spieler. Das
geht so nicht“ gesagt hätten: „Ich wurde
rassistisch angegangen, selbst von Politi-
kern und bekannten Persönlichkeiten.“
Er fordere keine Liebe für sich. „Aber die
Leute sollten dafür, was ich für Deutsch-
land geleistet habe, Respekt zeigen.“
Und nun geht es beim Streit um den Ju-
bel auch wieder um Fragen des Respekts.
Und die Frage, ob unterschiedliche
Maßstäbe an unterschiedliche Spieler an-

gelegt würden. Der Berliner AK, Regio-
nalliga Nordost, tritt am Samstag im Leip-
ziger Umland beim ZSC Meuselwitz an.
Präsident Mehmet Ali Han will seinen
Spielern den Salut-Jubel nicht verbieten
und verweist auf die Meinungsfreiheit
und darauf, dass sie schließlich „keine
Straftat“ begingen. Spieler anderer Natio-
nalmannschaften hätten schließlich auch
schon salutiert. Schon am Mittwoch hatte
Recep Tayyip Erdogan den französischen
Stürmer Antoine Griezmann als Beweis-
mittel angeführt, der vor Staatspräsident
Macron salutiert hatte. „Eine herrliche
Aktion“, urteilt der türkische Präsident
heute. Allerdings ging dem Weltmeister-
schaftsfinale kein Einmarsch Frankreichs
in ein Nachbarland voraus.
„Warum dürfen es die anderen ma-
chen?“, fragt Han nach Angaben der dpa.
„Wenn es die Türken machen, ist es ein
Problem. Schade, dass sich die Politik ein-
mischt.“ Sollten seine Spieler sich von der
Freigabe des Präsidenten zum Salutieren
angeregt fühlen, dürfte sich allerdings als
Erstes der Nordostdeutsche Fußballver-
band einschalten. (chwb.)

Friedrich Curtius, Generalsekretär des Deutschen


Fußball-Bundes, über die Wirkung


zurückgenommener Likes auf die Türkei,


seinen Verband als Integrationsmotor –


und warum Ilkay Gündogan und Emre Can


ihn überzeugt haben.


Salutieren


inder


Kreisliga


Landesverbände drohen


mit Geldbußen,


Punktabzügen und Sperren.


Eine Geste greift um sich


Es bleibt offen, ob das
Salutieren politischer,
freundschaftlicher oder
pubertärer Natur ist.

„Nationalspieler sind Vorbilder“– Emre Can im Tunnel Foto GES

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