Blickpunkt Film Magazin - 21.10.2019

(C. Jardin) #1

DIE WOCHE


FOTO

JULIANE A. AHRENS

Sie waren Teilnehmerin des ersten
FFF-Drehbuchcamps, das Inspiration
für bayerische Stoffe liefern soll.
Was haben Sie erlebt?
Wir sind auf unserer Reise durch Unterfran-
ken den unterschiedlichsten Menschen in
ihren Heimatorten und Wirkungsstätten
begegnet und haben dabei in kurzer Zeit
viel Spannendes erlebt. Mich hat die Viel-
falt der Region völlig in ihren Bann gezo-
gen. Ich war fasziniert von der Herzlichkeit
und Offenheit der Menschen, ob Bäcker
oder Braumeister, Kapitän oder Winzerfa-
milie – ein Kosmos großartiger Geschichten.
All die Anekdoten und persönlichen Erfah-
rungen sind ein wahres Geschenk für Auto-
ren, auf manche Dinge kommt man in sei-
nem Schreibkämmerchen nun mal nicht. Ich
habe während unserer Fahrt oft gedacht:
Wenn ich das ins Drehbuch schreibe, glaubt
mir das keiner! Und doch ist es wirklich
passiert. Einzutauchen in solch reale Be-
gegnungen und neue Welten ist das Beste,
was man machen kann, um tolle Geschich-
ten zu finden. Ein riesiges Kompliment und
Dankeschön ans wunderbare Team des FFF
Bayern, der Film Commission und Bayern
Tourismus Marketing GmbH für diese inspi-
rierende Reise!


Müssten Angebote dieser Art
noch verstärkt werden?
Das Drehbuchcamp veranschaulicht auf
großartige Art und Weise, wie viel Potential
in den unterschiedlichsten Geschichten
steckt, wenn man sich die Zeit nimmt, ihre
Eigen- und Besonderheiten in Hinblick auf
Menschen und Orte zu entdecken. Jede Ge-
schichte wurde schon einmal auf die ein
oder andere Weise erzählt. Neu an jeder Ge-
schichte ist doch aber ihr Ansatz, ihre Figu-
ren und ihre Form, die sie einzigartig ma-
chen. Um die zu finden, kann meiner
Meinung nach gar nicht genug in Stoffent-
wicklung und Recherche investiert werden.
Sonst wiederholen sich Geschichten und Fi-


guren, wirken leblos oder werden zum Kli-
schee. Eine gelungene Stoffentwicklung
braucht Zeit und kostet Geld – Geld, das
den Autoren bezahlt werden sollte, wenn
man Filme möchte, die reale Lebenswelten
künstlerisch verdichten. Ich habe das Ge-
fühl, dass dank verschiedener Initiativen
und Diskurse der letzten Zeit das Bewusst-
sein hierfür wächst, wie wichtig es ist, in
Stoffentwicklung zu investieren. Das Dreh-
buchcamp ist in jedem Fall ein wichtiges
und richtiges Signal, um die immense Be-
deutung der Stoffentwicklung im gesamten
Prozess hervorzuheben.

Welchen Stellenwert haben lokal verortete
Geschichten für das Publikum?
Ich denke, für das Publikum ist es einerseits
wichtig, sich in den Geschichten wiederzu-
finden und andererseits auch, Neues entde-
cken zu können. Wenn wir als Beispiel un-
sere Reise durch Unterfranken nehmen, so
gibt es in der Region die unterschiedlichs-
ten Orte und damit verbundene Sehnsüch-
te und Sorgen, von denen man als Außen-
stehender oft nur wenig weiß. Das finde ich
interessant zu entdecken. Dennoch taucht

die Frage nach Herkunft, Identität und den
eigenen Wurzeln überall auf, egal, wohin
man schaut. Eine Frage, mit der auch die
Mehrheit der Zuschauer viel anfangen
kann, glaube ich. In Bezug auf bayerische
Geschichten haben viele Zuschauer erstmal
Bilder vom südlichen Bayern im Kopf. Umso
spannender ist es doch, wenn sie ein ande-
res, ihnen weniger bekanntes Bayern ken-
nenlernen können. Das gilt ja im Übrigen
genauso für alle anderen Teile Deutsch-
lands. Ich finde es schön zu wissen, dass es
noch viele Regionen zu entdecken gibt und
wir dadurch noch viele Geschichten zu er-
zählen haben.

Sie haben Regie an der HFF München
studiert. Dennoch arbeiten Sie mehr als
Drehbuchautorin. Was reizt Sie daran?
Ich habe während meines Regiestudiums
schon immer auch geschrieben, allein oder
mit anderen. Zusätzlich habe ich noch ei-
nen Abschluss in Produktion und Medien-
wirtschaft gemacht, was mir ermöglicht
hat, die Perspektive des Produzenten ken-
nen- und schätzen zu lernen. In dieser
Kombination hat mich Stoffentwicklung
stets in all ihren Facetten begleitet und zu
meinem ersten Drehbuchauftrag geführt.
Daraus folgten weitere Projekte, bei jedem
einzelnen lerne ich viel dazu, auch in Hin-
blick auf die Regie. Was mich am Schreiben
reizt, ist zum einen die Recherche, die es
mir erlaubt, in mitunter völlig neue Welten
einzutauchen. Zum anderen mag ich beim
Schreiben den Moment, in dem alles ent-
steht, Figuren ihre Stimmen bekommen
und eine neue Welt beginnt zu existieren.
Ebenso liebe ich es, genau diese Welt le-
bendig werden zu lassen, weshalb ich mich
darauf freue, auch wieder verstärkt als Re-
gisseurin zu arbeiten. Von mir aus könnte
der Tag 48 Stunden haben, um all die Ge-
schichten aufzuschreiben und zu inszenie-
ren, die mich interessieren. Dank des Dreh-
buchcamps gleich doppelt so viele! BAS

NACHGEFRAGT


»Wichtiges und richtiges Signal«


Judith Westermann erzählt über ihre Erfahrungen beim


Drehbuchcamp des FFF Bayern und warum es so wichtig ist, in


Stoffentwicklung und Recherche zu investieren.


JUDITH
WESTERMANN
arbeitet als Regis-
seurin und Dreh-
buchautorin sowohl
für Film als auch
Fernsehen. Sie
studierte an der HFF
München Kino- und
Fernsehregie,
Produktion und
Medienwirtschaft.
Free download pdf