Blickpunkt Film Magazin - 21.10.2019

(C. Jardin) #1

In den nächsten zwei Monaten veröffent-
lichen Sie über Filmwelt fünf Netflix -
Filme jeweils zwei Wochen, bevor sie
gestreamt werden. Warum gehören diese
Filme ins Kino?
Noch habe ich nicht alle Filme gesehen,
aber ich kenne die Trailer, die Besetzung
und die Regisseure. Nach allem, was ich
weiß, gesehen und gehört habe, zählen
diese Filme zu den Top 50 in diesem
Jahr. Diese Produktionen werden fast
weltweit im Kino gezeigt, und ich finde,
sie gehören auch in Deutschland auf die
Leinwände. Filme wie Martin Scorseses
The Irishman sind aufwendig produziert
und perfekt mit Dolby Atmos abge-
mischt. Man sollte sie im Kino sehen
können. Es gibt wohl kein Land, in dem
es nicht Proteste gegen Netflix-Filme
im Kino gibt, und wir nehmen diese
Einwände nicht auf die leichte Schulter.
Aber es gibt sehr gute Argumente, dass
das Publikum diese Filme im Kino sehen
können sollte.


Erwartet nicht auch ein Großteil des
Publikums diese Filme im Kino?
Wenn man sich in den sozialen Medien
die Kommentare unter den Trailern an-
sieht, liest man immer wieder Sätze wie:
»Hoffentlich läuft der auch bei uns im
Kino!« Netflix-Filme werden von den
Kinozuschauern als selbstverständlicher
Teil der Filmlandschaft wahrgenommen.
Sie gehören inzwischen zu den High-
lights auf Festivals, werden dort von der


Kritik überschwänglich gelobt und sind
aussichtsreiche Oscar-Kandidaten. Das
Publikum erwartet diese Filme im Kino
und bemüht sich herauszufinden, wo sie
laufen. Solche Filme im Kino nicht mehr
zu zeigen und das Publikum auf das
Fernsehen oder die Streamingplattfor-
men zu verweisen, widerstrebt mir im
Innersten. Denn ein guter Film gehört
ins Kino! In den Open-Air-Kinos laufen
jeden Sommer Filme, die längst auf DVD
erschienen sind. Und trotzdem sind die
Veranstaltungen gut besucht, weil das
Publikum spannende, dramatische,
lustige Geschichten gemeinsam erleben,
gemeinsam sehen will. Das ist ein Event,
ein Happening. Jedes Bundesligaspiel
läuft im Fernsehen, und trotzdem gehen
Fußballfans ins Stadion.

Fast 800 Filme laufen dieses Jahr im
Kino: Bedrohen die fünf Filme von
Netflix die herkömmliche Auswertung?
Das glaube ich nicht. Gerade im Art-
house-Markt auf Filme zu verzichten, die
so viel Aufmerksamkeit u.a. bei Festivals
bekommen, die durch ihre erzählerische
Kraft, ihre inhaltliche Originalität und
die Virtuosität ihrer Gestaltung Zuschau-
er*innen begeistern können, halte ich für
den falschen Weg. Der Kinomarkt ist ja
doch ein freier Markt. Das Publikum
kommt für einen ganz bestimmten Film,

auf den es aufmerksam geworden ist,
und das braucht sehr oft drei bis vier
Wochen. Mir war es wichtig, dass diese
Netflix-Filme sechs Monate fürs Kino zur
Verfügung stehen. Die Kinos bekommen
sie zu einem fairen Prozentsatz und sind
im Vergleich zu einer regulären Erstauf-
führung viel freier in der Wahl ihrer
Anfangszeiten und der Gesamtzahl an
Vorstellungen. Selbst Roma kann man
noch bis Ende Oktober im Kino spielen.
Ich hatte mich hier um eine Verlänge-
rung bemüht, weil ich dachte, dass er ein
schönes Open-Air-Event im Sommer sein
könnte. Die meisten Open Airs haben
dann aus den bekannten Gründen – dem
Netflix-Boykott – nicht gespielt. Dafür
spielen sie Filme, die es auf DVD gibt
oder schon im Fernsehen gelaufen sind.
Das kann ich nicht ganz nachvollziehen.
Als Kinobetreiber möchte man seinem
Publikum doch das Beste zeigen können,
was es aktuell gibt.

Gibt es denn Erfahrungen aus der Roma-
Auswertung, wie es sich auswirkt, wenn
der Film auch auf dem Streamingportal
abrufbar ist?
Das hatte keine großen Auswirkungen.
Positive Effekte gab es dafür durch die
vielen Oscarnominierungen und den
Oscargewinn. Viele Kinos haben danach
andere Filme, die auch einen Oscar
gewonnen haben, wieder eingesetzt,
obwohl sie schon auf DVD erschienen
waren. Bei Roma haben sie auf einen

NETFLIX IM KINO


»Ein guter Film gehört


ins Kino!«


Fünf herausragende, auf Festivals begeistert aufgenommene Netflix Originals


dürfen in den kommenden Monaten auch in deutschen Kinos gezeigt werden.


Christoph Ott hat viele gute Gründe, warum sie dort auch laufen sollten.


KINO

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