Le Monde Diplomatique Germany - 10.2019

(Martin Jones) #1

12 LE MONDE^ diplomatique^ | Oktober 2019


Südafrikas

ungelöste


Landfrage


von Cédric Gouverneur

25 Jahre nach dem Ende der Apartheid
lässt die versprochene Umverteilung von
Grund und Boden immer noch auf sich
warten. Das liegt an der Furcht vor den
wirtschaftlichen Konsequenzen einer
Enteignung. Aber auch am fehlenden
politischen Willen und an den Rivalitäten
innerhalb des ANC.

Pretoria, 1994: Ausflug in die burische Vergangenheit KARL-BERND KARWASZ/ullstein bild

Z


wischen Zuckerrohrfeldern
und eleganten Landhäusern
in der Provinz KwaZulu-Na-
tal steht mitten im Grünen
eine kleine Siedlung aus Lehm- und
Wellblechbaracken. Hier wohnen
die schwarzen Landarbeiter mit ih-
ren Familien. Sie verdienen 1500 bis
3000 Rand (100 bis 200 Euro) im Mo-
nat. Dass seit Januar 2019 ein gesetzli-
cher Mindestlohn von 3500 Rand gilt,
ignoriert ihr weißer Arbeitgeber.
Die meisten sind Zulu und stam-
men aus der Gegend, aber auch Xho-
sa wohnen hier, die 1981 aus der Nach-
barprovinz Ostkap ihrem Boss nach
KwaZulu-Natal folgten. Als der 2016 in
Rente ging, verkaufte er sein Land an
einen anderen Weißen: „Und der will,
dass wir von hier verschwinden“, er-
zählt der Zulu-Bauer David.
Eines Tages kam der neue Eigentü-
mer mit seinem Anwalt in die Siedlung
und bot den 14 Familien jeweils 50 000
Rand, „damit wir uns verpissen“. Zwei
Familien haben akzeptiert. Den verblie-
benen droht er seitdem, mit Bulldozern
anzurücken. „Das hier ist unser Zuhau-
se! Unsere Vorfahren sind hier begra-
ben“, sagt David und zeigt auf das Feld
nebenan. „Da liegen ihre Gräber. Wir
dürfen das Land nicht mehr betreten,
der Weiße hat es uns verboten. Er hat
die Kreuze rausgerissen.“
In der Barackensiedlung gibt es
kein fließendes Wasser. Zweimal in der
Woche kommt ein Lastwagen der Ge-
meinde und füllt die Zisterne auf. Von
Zeit zu Zeit fährt eine mobile Klinik vor.
Was hält einen an einem solchen Ort?
„Wo sollen wir sonst hin?“, entgegnen
die Bewohner. „In ein Township in der
Stadt? Wo Banden herrschen? Dort hät-
ten wir noch weniger Rechte. Wir leben
hier seit 40 Jahren. Wir haben Rechte“,
sagt die Xhosa Boniswa. Ein Taxi hält
vor der Siedlung. Ein Gewirr aus Köp-

wollte man damit den Aufschwung der
linksradikalen Partei Economic Free-
dom Fighters (EFF) bremsen, anderer-
seits aber auch den Handlungsspiel-
raum des neuen ANC-Vorsitzenden Cy-
ril Ramaphosa einschränken, der kurz
darauf Zuma zum Rücktritt aufforderte.
Nach seiner Wahl zum Präsidenten
im Februar 2018 bemühte sich Rama-
phosa als Erstes darum, den Privatsek-
tor zu beruhigen. „Die Zuma-Fraktion
im ANC will die EWC. Aber der Präsi-
dent wird dafür sorgen, dass sie mit Be-
dacht umgesetzt wird“, erklärte noch
im Januar 2019 John Purchase, Vorsit-
zender des Interessenverbands Agricul-
tural Business Chamber (Agbiz), der so-
wohl Landwirtschaftskooperativen als
auch Banken sowie Agrar- und Lebens-
mittelkonzerne vertritt.
Im Vorfeld der Parlamentswahlen
vom Mai 2019 übergab der Präsident
dann allerdings in einem bislang ein-
maligen Akt 1566 Hektar Land an Khoi-
und Griqua-Gemeinden, die in den
1920er Jahren vertrieben worden wa-
ren. Zwei Jahrzehnte hatten sie für die
Rückgabe gekämpft. „Es ist an der Zeit,
das Land an seine rechtmäßigen Besit-
zer zurückzugeben“, verkündete Ra-
maphosa – und an die weißen Farmer
gerichtet: „Das ist ein Prozess, den Sie
nicht aufhalten können. Arbeiten Sie
bitte mit uns zusammen.“ Ramaphosa
ist sich auch über die Korruption beim
Vergabeprozess im Klaren, denn er füg-
te hinzu: „Wir werden über jeden Cent
Rechenschaft ablegen.“^7
„In 22 Jahren“, schreibt der Agrar-
fachmann Ben Cousins, „hat die Land-
reform die Agrarstruktur und die Le-
bensbedingungen im ländlichen Raum
kaum verändert. Nur etwa 9 Prozent
der landwirtschaftlichen Flächen wur-
den transferiert, und viele Restitutions-
ansprüche blieben unerfüllt.“^8 Als sich
der ANC an der Spitze der Macht einge-
richtet hatte und aufgrund der demo-
grafischen Gegebenheiten sicher sein
konnte, dort zu bleiben, verlor er das
Interesse an den ländlichen Massen
und konzentrierte sich auf den Aufstieg
der schwarzen urbanen Mittelschicht.
Die Landreform war schon immer
ein umstrittenes Thema, doch zurzeit
wird sie besonders heftig diskutiert.
Das hat zum einen mit dem Erstarken
der nationalistischen schwarzen Lin-
ken zu tun, die Verstaatlichungen for-
dert und gegen Weiße agitiert: Die EFF,
die 2013 von Julius Malema, dem Ex-
Chef der ANC Youth League, gegrün-
det wurde, ist inzwischen drittstärkste
politische Kraft. Bei der Wahl vom Mai
2019 konnte sie die Zahl ihrer Sitze in
der Na tio nal versammlung von 25 auf
44 erhöhen.
Von den insgesamt 400 Sitzen gin-
gen 230 an den ANC, 84 an die Demo-
cratic Alliance (DA, Mitte-rechts), 44
an die EFF, 14 an die Inkatha Freedom
Party (IFB) und 10 an die konservative
Burenpartei Vryheidsfront Plus (VF+).
Der zweite Faktor sind die Spannungen
innerhalb des ANC: Der in eine Korrup-
tionsaffäre verwickelte Zuma schürte
den Groll gegen die weißen Farmer, in-
dem er unter anderem eine britische
PR-Agentur beauftragte, die sozialen
Medien mit dem Hashtag #WhiteMo-
nopolyCapital zu fluten.
„Niemand weiß, was die Regierung
tun wird“, klagt Rossouw Cillié, einer
der mächtigsten Farmer Südafrikas.
„Wenn unser Grund und Boden enteig-
net wird, verlassen wir das Land – wie
die vielen Südafrikaner, die 1994 nach
Australien ausgewandert sind. 700 Bau-
ern arbeiten ständig für mich, 1000
weitere als Saisonarbeiter. Die machen
sich auch alle Sorgen.“ Cillié stammt
von Hugenotten ab, die im 17. Jahr-
hundert nach Südafrika kamen. Auf
seinem Gut Laastedrif baut er Obst und
Gemüse für den Binnenmarkt und den
Export an. Insgesamt besitzt er sieben
Farmen mit einer Gesamtfläche von
rund 20 000 Hektar.
„Wenn das intellektuelle Kapital das
Land verlässt, bricht alles zusammen.
Schauen Sie sich an, wie es in Simbab-
we gelaufen ist“, sagt Cillié. In dem
Nachbarland brach die Produktion ein
und es kam zu einer Hyperinflation,

fen und Armen erscheint an den Fens-
tern. Zwei, vier, sechs ... insgesamt acht
Kinder klettern aus dem Wagen. Vor
den Wahlen hatte die Regierungspartei
ANC einen Schulbus versprochen. Auch
zum Einkaufen in die 20 Kilometer ent-
fernt liegende Stadt Howick fahren die
Leute mit dem Taxi, oder sie trampen.
37 Millionen Hektar Land in Südaf-
rika sind in Privatbesitz, fast drei Vier-
tel davon gehören Weißen.^1 30 Far- 000
men beschäftigen insgesamt 840 000
Landarbeiter.^2 Durch die Mechanisie-
rung kommt heute ein Arbeiter auf
2 ktar; 1994 war es noch ein Arbeiter He
pro Hektar. „Die Saisonarbeiter haben
oft monatelang keine Einkünfte“, sagt
Laurel Oettle, die in Pietermaritzburg
die NGO Association for Rural Advance-
ment (Afra) leitet. Seit 40 Jahren setzt
sich die Weiße für die Rechte der
schwarzen Landarbeiter ein. „Manche
werden sogar nur mit Naturalien abge-
speist. Und es gibt zahlreiche Fälle von
sexuellem Missbrauch.“

Die Kehrtwende
des ANC

„Bure“ kommt von dem niederländi-
schen Wort für „Bauer“ (Boer). Mit der
Ankunft der niederländischen Siedler
begann im 17. Jahrhundert die Inbe-
sitznahme Südafrikas. Die Gründung
der Südafrikanischen Union (Union of
South Africa) institutionalisierte 1910
den Landraub.
Sie vollendete nicht nur die Verei-
nigung des Territoriums der heutigen
Republik Südafrika, sondern auch die
politische Allianz zwischen den Sied-
lern britischer Herkunft, die seit dem
frühen 19. Jahrhundert die Kapkolo-
nie, die heutigen Provinzen Northern,
Western und Eastern Cape sowie Kwa-
Zulu-Natal kontrollierten, und den Af-
rikaanders (Nachkommen von Hollän-

dern, Franzosen und Deutschen). Die-
se Einigung in der Folge des Zweiten
Englisch-Burischen Kriegs (1899–1902)
ging natürlich auf Kosten der schwar-
zen Bevölkerung.^3
1913 beschränkte der Natives Land
Act den Landbesitz der „Eingebore-
nen“ auf 7 Prozent des Staatsgebiets,
1936 wurde er auf 13 Prozent angeho-
ben. 4 Millionen Bauern verloren da-
mals ihr Land. „Das Ziel war, an billige
Arbeitskräfte zu gelangen“, erklärt der
Präsident der Südafrikanischen Kom-
mission für Menschenrechte (SAHRC),
Tseliso Thipanyane. „Die schwarzen
Farmer wurden Pächter oder Minenar-
beiter. Auch meine Familie wurde da-
mals enteignet. Was glauben Sie, was
wir empfinden, wenn wir diese Lände-
reien sehen?“
Der Natives Land Act enthielt eine
ganze Reihe diskriminierender Maß-
nahmen, unter anderem, dass be-
stimmte Stellen im Bergbau nur mit
Weißen besetzt werden durften. In ih-
rer berühmten Freedom Charter von
1955 hatte die schwarze Untergrund-
partei ANC noch gefordert, das Land
unter denen aufzuteilen, die es bear-
beiten. Nach der Aufhebung des Par-
teienverbots Anfang der 1990er Jahre
verabschiedete sich der ANC dann aber
vom Sozialismus und übernahm neoli-
berale Positionen: zum einen, um die
Gunst der internationalen Finanzorga-
nisationen zu erlangen, zum anderen,
um die Chancen auf einen Kompro-
miss mit dem letzten Präsidenten des
Apartheidregimes, Frederik de Klerk,
zu erhöhen.
Nachdem der ANC bei den ers-
ten freien Wahlen 1994 in die Regie-
rungsverantwortung gekommen war,
versprach er 1996 innerhalb von fünf
Jahren 30 Prozent des Landes neu
zu verteilen – allerdings nicht durch
Zwangsenteignungen, sondern auf

Grundlage des sogenannten Willing-
Buyer-Willing-Seller-Prinzips: Die Re-
gierung erwirbt das Land von verkaufs-
willigen weißen Farmern und gibt es an
schwarze Käufer weiter, die teils durch
Subventionsprogramme unterstützt
werden. Zwei Gesetze (der Labour Te-
nants Act von 1996 und der Extension
of Security of Tenure Act von 1997) soll-
ten zudem die Pächter vor Vertreibung
schützen und es ihnen ermöglichen, ei-
nen Teil des Landes, auf dem sie leben,
für sich zu reklamieren.

Abschreckendes
Beispiel Simbabwe

2009 erklärte Präsident Jacob Zuma^4
die Land reform zwar zur Priorität, das
Budget des neu gegründeten Ministe-
riums für ländliche Entwicklung und
Agrarreform (DRDLR) überstieg jedoch
nie 1 Prozent des Staatshaushalts. Bis
2018 waren nur 9,7 Prozent des Landes
umverteilt worden.^5
Zudem öffnet die Art und Weise,
wie das Land den Besitzer wechselt,
Tür und Tor für Korruption und Klien-
telismus. Es gibt keinen festen Hektar-
preis, sondern die Bewerber erheben
Anspruch auf ein bestimmtes Territo-
rium. Anschließend müssen sie ein bü-
rokratisches Prozedere durchlaufen, in
das fünf verschiedene Behörden invol-
viert sind. Wird ihrem Antrag stattgege-
ben, müssen sie eine vorgeschriebene
Summe zahlen. Ruth Hall, Professorin
für Agrarfragen an der Universität des
Westkaps, spricht von einer Landver-
gabe zugunsten der „zahlungskräfti-
gen Eliten“.^6
Im Dezember 2017 verabschiedete
der ANC auf Betreiben von Anhängern
des angeschlagenen Zuma eine Resolu-
tion, in der eine „Enteignung ohne Ent-
schädigung“ (EWC lautet die englische
Abkürzung) gefordert wird. Einerseits
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