Le Monde Diplomatique Germany - 10.2019

(Martin Jones) #1

LE MONDE diplomatique |Oktober 2019 13


nachdem Robert Mugabe (1924–2019)
im Sommer 2000 eine „beschleunigte
Landreform“ angeordnet hatte: 8,3 Mil-
lionen von insgesamt 11 Millionen
Hektar Plantagenland wurden damals
„umverteilt“. Nutznießer waren aller-
dings nicht etwa landlose Bauern, son-
dern Veteranen des Befreiungskriegs.
Und mehrere weiße Farmer wurden zu
Opfern gewalttätiger Übergriffe.^9
Unter den neuen Besitzern gin-
gen die meisten Farmen in Simbabwe
schnell pleite. Ein Katastrophenszena-
rio, das sowohl den Farmern als auch
der Regierung in Südafrika als abschre-
ckendes Beispiel dient – und von An-
hängern des ungerechten Status quo
als Totschlagargument benutzt wird.
Für eine EWC, eine Enteignung oh-
ne Entschädigung, müsste die Verfas-
sung von 1996 geändert werden. Dafür
bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit
im Parlament, also auch die Unterstüt-
zung des unberechenbaren Julius Ma-
lema. „Der ANC steht mit dem Rücken
zur Wand“, erklärt Ruth Hall. „Seit ei-
nem Vierteljahrhundert sitzt er auf
dem Problem, jetzt muss er handeln.“
Es sei bedauerlich, dass „aus rei-
nem Wahlkampfkalkül“ die Grund-
rechte angegriffen würden und Ver-
fassung geändert werden solle, meint
Annelize Crosby vom Landwirtschafts-
verband Agri SA, in dem die wichtigs-
ten Exportfarmen organisiert sind.
„Wir sind für eine Agrarreform“, sagt
sie, aber in 25 Jahren, in denen Ver-
sprechen gemacht und nicht gehalten
wurden, habe sich viel Frust angestaut.
Eine Enteignung ohne Entschädigung
lehnt sie natürlich ab: „Wir bevorzugen
Public-private-Partnerships.“ Die priva-
ten Agrarunternehmen, die unter den
Folgen einer der schlimmsten Dürren
in Südafrika leiden,^10 sind der Ansicht,
dass eine EWC-Lösung der gesamten
Wirtschaft schaden würde.
Die fruchtbarsten Böden wären da-
von zwar nicht betroffen – Präsident
Ramaphosa hat diesbezüglich Garan-
tien gegeben, um vor allem die Lebens-
mittelversorgung nicht zu gefährden
–, aber Crosby ist trotzdem skeptisch:
„Die großen Farmen, die 15 Prozent
der Landwirtschaft ausmachen, pro-
duzieren 80 Prozent der Nahrungsmit-
tel. Wenn die enteignet werden, hat das


Folgen für die ganze Lebensmittelver-
sorgung.“ Die Unsicherheit habe be-
reits dazu geführt, dass Investoren das
Interesse am Sektor verlieren – obwohl
Präsident Ramaphosa angekündigt
hat, innerhalb von fünf Jahren über
100 arden Dollar Auslandsdi Milli rekt-
inestitionen ins Land zu holen. v
Tatsächlich sei das Vertrauen in-
nerhalb der vergangenen zehn Jahre
noch nie so niedrig gewesen, sagt John
Purchase. Der Vorsitzende von Agbiz
macht dafür die Verunsicherung auf-
grund der Diskussion um die Land-
reform verantwortlich, aber auch die
Dürre und sogar den Brexit. „Die Süd-
afrikaner investieren lieber in Sambia.
Das motiviert nicht gerade die aus-
ländischen Investoren. Die Schulden
in der Landwirtschaft liegen bei über
200 Milliarden Rand (12,3 Milliarden
Euro). 77 Prozent dieser Forderungen
hängen am Wert des Bodens.“ Die EWC
könne „das gesamte Bankenwesen in
Gefahr bringen“.

Bündnis zwischen
Zulu-König und Buren-Lobby

Andile Mngxitama, ehemaliges Mit-
glied der EFF und Parteivorsitzender
der 2015 gegründeten Black First Land
First (BLF), empfängt uns in einer Villa
in einem Vorort von Pretoria. Das Tor
steht offen, der Swimmingpool ist leer,
es gibt weder Wasser noch Strom.
„Wir halten dieses Haus seit drei
Jahren besetzt. Ein Bure, der ins Aus-
land gegangen ist, hat es zurückgelas-
sen“, erzählt er lächelnd. BLF setzt ih-
ren Slogan „White monopoly capital,
we are coming for you!“ in die Praxis
um. „Ich bin auf einer Farm aufgewach-
sen. Als ich zwölf war, ist der weiße Far-
mer mit einem Stock hinter mir herge-
laufen, weil ich mich geweigert habe,
ihn Boss zu nennen“, erzählt er.
Die EWC ist laut Mngxitama eine
Farce: „Ramaphosa spricht davon, nur
das ungenutzte Land enteignen zu wol-
len. Es ist also eine Enteignung ohne
Enteignung, er will Stimmen gewin-
nen, muss keine Entschädigungen zah-
len, und die Kapitalakkumulation geht
weiter.“ Die Befürchtung, durch Enteig-
nungen könnte Südafrika in eine Krise
stürzen, wischt er beiseite: „Der Alltag

der Schwarzen in diesem Land ist oh-
nehin schon eine ökonomische Katas-
trophe!“
„Die Landfrage ist emotional sehr
aufgeladen“, sagt William Gumede,
Professor an der Witwatersrand-Uni-
versität in Johannesburg und geschäfts-
führender Direktor des Thinktanks
Democracy Works Foundation. Er hält
nichts von Enteignungen: „Ich nehme
einem weißen Farmer das Land weg.
Ich räche mich. Aber morgen habe ich
einen leeren Magen, weil Lebensmittel
importiert werden müssen.“
Neo Masithela, Präsident des ein-
flussreichen Verbands südafrikanischer
Farmer (Afasa), in dem rund 300 000
Bauern und Pächter organisiert sind,
hält dagegen: „Südafrika ist nicht Sim-
babwe, es ist ein Rechtsstaat.“ Masithe-
la ist für die EWC und arbeitet gemein-
sam mit der Regierung an ihrer Umset-
zung: „Die Agrarfrage ist eine soziale
Zeitbombe. Gleichzeitig müssen wir
verhindern, dass es zu Panik und Ka-
pitalflucht kommt. 1994 haben wir das
auch hinbekommen.“
Ein weiterer Streitpunkt ist das
Land der Zulu: Zwischen 1986 und
1994 starben tausende Menschen bei
den gewaltsamen Auseinandersetzun-
gen zwischen dem ANC und der In-
katha Freedom Party (IFB) des Prin-
zen Mangosuthu Buthelezi, Chief des
Homelands der Zulu und Verbünde-
ter des Apartheidregimes. Der König
der Zulus, Buthelezis Neffe Goodwill
Zwelithini kaBhekuzulu, gründete drei
Tage vor den ersten freien Wahlen am
27.1994 den Ingonyama Trust April
Board (ITB). Die umstrittene Stiftung
verwaltet 2,8 Millionen Hektar Land,
auf dem 4,5 Millionen Menschen le-
ben.
Die Praktiken des ITB sind zum Bei-
spiel in der Savanne unweit der Inka-
tha-Hochburg Ulundi zu beobachten.
Hier leben in einem kleinen Dorf sie-
ben Familien ohne fließend Wasser
und Strom. Thokozani Ndawo erzählt,
er und seine Familie hätten während
der Apartheid für burische Farmer ge-
arbeitet und Übergriffe und gewaltsa-
me Vertreibungen erlebt. 1997, als sie
glaubten, das Land gehöre nun ihnen,
erklärte es der ITB zu seinem Eigentum
und machte es zum Naturreservat.

„Niemand hat uns informiert“,
klagt Ndawo. Seitdem muss sich sein
Vieh das Weideland mit Zebras und Gi-
raffen teilen, die der Trust angesiedelt
hat. „Sie haben Pythons hier ausge-
setzt und drohen sogar damit, Löwen
herzubringen. Aber wir sind hier gebo-
ren. Wenn wir gehen, werden wir noch
weniger Rechte haben. Wir wollen die
EWC, wir fordern dieses Land für uns!“
Der pensionierte Polizeibeamte
Bongani Zikhali wurde von seinem
Dorfhief bedrängt, den Familienbesitz c
an Grund und Boden beim ITB einzu-
tragen. „Ich dachte, das wäre für un-
seren König.“ Doch der Trust verlang-
te anschließend eine Miete von 3000
Rand pro Jahr. Der Ex-Polizist mit den
breiten Schultern ließ sich nicht ein-
schüchtern und vermutet, dass viele
Zulu nur aus Angst zahlen.
Ein weiteres Beispiel ist Edward
Mpe ko, der eine Lodge an der Küste
besitzt. Nach einem Streit mit dem lo-
kalen Chief wurde seine Ferienanlage
von Schlägern zerstört. „Die ITB inter-
essierte sich für meine Lodge. Erschwe-
rend kommt wohl hinzu, dass ich kein
Zulu bin, sondern Sotho.“ Das Gericht
gab ihm schließlich recht, ohne ihn je-
doch zu entschädigen. In der Nähe von
Eshowe erzählen uns die Bewohner,
wie sie für ihr Land kämpfen mussten,
das der ITB ohne jede Absprache an ein
indisches Bergbauunternehmen ver-
kauft hatte. „Offiziell gehört das Land
der Gemeinde, aber in Wahrheit ent-
scheidet der Chief allein“, sagen die
Dorfbewohner.
Nach Dutzenden Beschwerden hat-
te 2017 eine Untersuchungskommis-
sion unter Leitung von Kgalema Mot-
lanthe, Präsident Südafrikas von 2008
bis 2009, den Ingonyama Trust Board
Act für verfassungswidrig erklärt und
die Auflösung der Stiftung empfohlen.
Das wiederum trieb die Anhänger der
Inkatha-Partei, deren Aktivisten gern
mit Lanzen bewaffnet demonstrieren,
auf die Barrikaden. „Einige aus mei-
nem Umfeld wollten Krieg, aber ich
habe Nein gesagt“, brüstete sich König
Zwelithini im vergangenen März.^12
„Die Regierung wird gegen diesen
feudalen Trust, diesen Staat im Staate,
nichts unternehmen, um keinen Bür-
gerkrieg zu riskieren“, erklärt ein Insi-

der, der anonym bleiben will. Die Ein-
richtung des Ingonyama Trust gehört
zum „großen Kompromiss von 1994“.
Aus dem gleichen Grund toleriere der
Staat die Existenz von Oranje oder Van-
derkloof, jenen Enklaven, in denen
schwer bewaffnete Buren leben und der
Apartheid-Ära nachtrauern.
Zwelithini wird inzwischen von der
Organisation AfriForum unterstützt,
die für die Rechte der Buren kämpft
und über 200 000 Mitglieder haben soll:
„Wir sind auch gegen die EWC“, bestä-
tigt uns der Vorsitzende von AfriForum,
Ernst Roets. Ruth Hall verwundert die-
se Einmütigkeit nicht: „AfriForum und
der Zulu-König sind beide konservativ.
Individuelle Rechte interessieren sie
nicht.“

(^1) „Land audit report 2017“, Ministerium für ländliche
Entwicklung und Agrarreform, Pretoria, 5. Februar 2018.
(^2) Ben Cousins, Amelia Genis und Jeanette Clarke, „The
potential of agriculture and land reform to create jobs
(policy brief 51)“, Institute for Poverty, Land and Agra-
rian studies (Plaas), Universität des Westkaps, Kap-
stadt, Oktober 2018.
(^3) Siehe Martin Bossenbroek, „Tod am Kap. Geschich-
te des Burenkriegs“, München (C. H. Beck) 2016; und
Johann Rossouw, „Südafrika und sein verdrehter Na-
tionalismus“, LMd, Juni 2008.
(^4) Siehe Sabine Cessou, „Letzte Chance für den ANC“,
LMd, März 2018.
(^5) Siehe Melanie Müller und Laura Kotzur, „Stadt, Land,
Frust. Die Debatte über eine Landreform in Südafri-
ka“, SWP-Aktuell, Stiftung Wissenschaft und Politik
Berlin, März 2019.
(^6) Ruth Hall und Tembela Kepe, „Elite capture and State
neglect: new evidence on South Africa land reform“,
Review of African Political Economy, Bd. 44, Nr. 151,
Kapstadt 2017.
(^7) Thabo Mokone, „Land reform can no longer be re-
sisted – Ramaphosa“, The Sunday Times, Johannes-
burg, 23. März 2019.
(^8) Ben Cousins, „Land reform in South Africa is sin-
king. Can it be saved?“, Plaas, Nelson-Mandela-Stif-
tung, Mai 2016.
(^9) Siehe Colette Braeckman, „Günstlingswirtschaft als
Landreform“, LMd, Mai 2002.
(^10) In der Kapprovinz soll aufgrund der Dürre die land-
wirtschaftliche Produktion um 20 Prozent zurückgegan-
gen und der Wirtschaft ein Schaden von 5,9 Milliarden
Rand (350 Million Euro) entstanden sein (Bureau for
Food and Agricultural Policies, BFAP).
(^11) Lwandile Bhengu, „Zulu king says he prevented war
over legal action against Ingonyama Trust“, The Sun-
day Times,
Johannesburg, 14. März 2019.
(^12) James Pogue, „The myth of white genocide“, Harper’s
Magazine,
New York, 6. März 2019.
Aus dem Französischen von Uta Rüenauver
Am Ort der Schlacht von Isandhlwana, wo die Zulu 1879 einmal die Briten besiegten GRAEME WILLIAMS/ullstein bild-africa media online
Cédric Gouverneur ist Journalist.

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