Le Monde Diplomatique Germany - 10.2019

(Martin Jones) #1

4 LE MONDE^ diplomatique^ | Oktober 2019


Trügerische Idylle: Tasilaq (Grönland) im Sommer 2018 LUCAS JACKSON/reuters

D


onald Trump hat mal wie-
der Schlagzeilen gemacht,
als er im August sein Inter-
esse am Kauf von Grönland
signalisierte. Aber lassen wir uns nicht
täuschen: Hier sprach nicht Trump, der
Immobilienkrösus. Die Idee entspringt
vielmehr einer Strategie, die wir ab jetzt
als Pompeo-Doktrin bezeichnen soll-
ten.
Denn Trumps Außenminister Mike
Pompeo hat in der geopolitischen Re-
gion der Arktis noch viel mehr vor als
nur den Kauf von Grönland. Als der US-
Präsident die Welt mit der Idee über-
raschte, den Dänen das halbautono-
me Gebiet abzuschwatzen, sahen die
meisten Kommentatoren darin nur ei-
nen weiteren von Trumps zunehmend
bizarren Auftritten.
So ging es offenbar auch der däni-
schen Ministerpräsidentin Mette Fre-
deriksen. Die Sozialdemokratin be-
zeichnete den bloßen Gedanken an ein
solches Geschäft als „absurd“. Worauf-
hin Trump ihre Bemerkung „widerlich“
nannte und seinen lange geplanten
Staatsbesuch in Kopenhagen absagte.
Betrachtet man diese Episode etwas
näher und liest sie im Kontext mit an-
deren Aktionen der Trump-Regierung,
drängt sich eine ganz andere Interpre-
tation auf. Und wir alle sollten begrei-
fen, dass es sich hier um eine Frage
handelt, die für die ganze Welt, ja für
die gesamte menschliche Zivilisation
von immenser Bedeutung ist.
Die Arktis wird heute im Weißen
Haus, ganz im Sinne Pompeos, zuneh-
mend als eine weltpolitische Arena
gesehen, in der sich der Konkurrenz-
kampf der Großmächte entscheidet.
Und der ultimative Gewinn ist ein au-
ßergewöhnliches Reservoir an Boden-
schätzen: von Erdöl und Erdgas über
Uran, Zink, Eisenerz, Gold und Dia-
manten bis hin zu den berühmten Me-
tallen der seltenen Erden.
Es kommt ein weiterer Faktor hin-
zu, den niemand in Trumps Umgebung
benennt, weil Begriffe wie „Klimawan-
del“ oder „Klimakrise“ im Weißen
Haus verboten sind: Den Startschuss
für den Wettlauf um die Schätze Grön-
lands hat die globale Erwärmung gege-
ben – was man in Washington natür-
lich nur zu genau weiß.
Die Großmächte haben schon seit
Längerem ihr Auge auf die Arktis ge-
worfen. Während des Kalten Kriegs war
die Region um den Nordpol von großer
strategischer Bedeutung. Damals plan-
ten sowohl die USA als auch die Sowjet-
union, ihre mit Atomwaffen bestückten
Raketen und Bomber am Rand der Ark-
tis zu stationieren, von wo aus sie Ziele
auch auf der anderen Seite der nördli-
chen Halbkugel erreichen konnten.
Seit dem Ende des Kalten Kriegs
war das Interesse an der Region aller-

dings weitgehend erloschen. Eisige
Temperaturen, häufige Stürme und die
massive Eisdecke machten einen nor-
malen Luft- und Seeverkehr unmög-
lich. Wer würde dort schon Wagnisse
eingehen, abgesehen von der indige-
nen Bevölkerung, die ihre Lebenswei-
se seit Langem den arktischen Bedin-
gungen angepasst hatte?
Doch der Klimawandel hat die Si-
tuation dramatisch verändert. Die
Temperaturen steigen in der Arktis
schneller als irgendwo sonst auf der
Welt. Mit der Folge, dass die polare
Eisdecke teilweise abschmilzt und zu-
vor unzugängliche Wasserflächen und
Inseln freilegt, was eine kommerzielle
Ausbeutung ermöglicht. Zum Beispiel
wurden in Offshore-Gebieten, die frü-
her den größten Teil des Jahres unter
Eis lagen, inzwischen Öl- und Gasvor-
kommen entdeckt.
Neue Möglichkeiten, wichtige Bo-
denschätze zu erschließen, ergeben
sich auch – richtig! – in Grönland. An-
gesichts dessen ist die Trump-Regie-
rung besorgt, andere Länder, wie China
und Russland, könnten die durch den
Klimawandel freigelegten Chancen für
sich nutzen. Deshalb hat sie eine um-
fassende Kampagne gestartet, um die
Dominanz der USA in dieser Region
zu sichern, wobei sie auch das Risiko
künftiger Konflikte und Zusammenstö-
ße in Kauf nimmt.

Pompeos Doktrin
für die Arktis

Der Wettlauf um die arktischen Res-
sourcen startete zu Beginn des 21. Jahr-
hunderts. Damals nahmen die weltweit
größten Energiekonzerne – westliche
Multis wie BP, ExxonMobil und Shell
ebenso wie die russischen Giganten
Gazprom und Rosneft – die Suche nach
Öl- und Gasvorkommen auf, die durch
den Rückzug des Packeises erschließ-
bar geworden waren.
Diese Explorationen erhielten 2008
neuen Rückenwind, als der United
States Geological Survey (USGS) den
Report „Circum-Arctic Resources“ ver-
öffentlichte, der aufzeigte, dass bis zu
einem Drittel der unentdeckten welt-
weiten Öl- und Gasreserven innerhalb
des nördlichen Polarkreises lagern.
Laut Einschätzung der Autoren des
Reports liegt ein Großteil der noch
nicht erschlossenen fossilen Brennstof-
fe unter den arktischen Gewässern, die
an die Hoheitszonen der USA (Alaska),
von Kanada, Dänemark (Grönland),
Norwegen und Russland grenzen. Die-
se Länder werden auch als „The Arctic
Five“ bezeichnet.
Gemäß dem geltenden Völkerrecht,
das im Seerechtsübereinkommen der
Vereinten Nationen (UNCLOS) von
1992 kodifiziert ist, darf jeder Anrai-

Warum Trump

Grönland kaufen

wollte

von Michael T. Klare

nerstaat die Ressourcen auf und unter
dem Meeresboden bis zu einer Entfer-
nung von mindestens 200 Seemeilen
(370,4 Kilometern) von seiner Küs-
tenlinie ausbeuten. Diese sogenannte
ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ)
kann sich auch über die 200-Meilen-
Grenze hinaus erstrecken, wenn der
geologische Festlandsockel in der be-
treffenden Gegend über die 200 Meilen
hinausreicht.
Eine AWZ beanspruchen alle Arctic
Five, einschließlich der USA, obwohl
Washington das UNCLOS nicht ratifi-
ziert hat. Die meisten bekannten Öl-
und Gasvorräte liegen innerhalb der
jeweiligen AWZ, allerdings befinden
sich auch einige in Gebieten jenseits
der 200-Meilen-Grenze, in denen sich
AWZs überlappen oder die zwischen
den Parteien umstritten sind.
Die Arctic Five haben im Prinzip
vereinbart, alle Konflikte, die auf kon-
kurrierende Ansprüche zurückgehen,
auf friedliche Weise beizulegen. Auf
diesem Grundsatz beruht auch der
1996 gegründete Arktische Rat: ein zwi-
schenstaatliches Forum aller Staaten,
die über Territorium innerhalb des ark-
tischen Polarkreises verfügen. Das sind
neben den Arctic Five noch Finnland,
Island und Schweden.
Der Arktische Rat tritt alle zwei
Jahre zusammen. Er bietet den Re-
gierungen dieser Länder und den im
arktischen Raum lebenden indigenen
Völkern– zumindest theoretisch – die
Gelegenheit, Themen von gemeinsa-
mem Interesse zu besprechen und
nach kooperativen Lösungen zu su-
chen.
Tatsächlich hat der Rat dazu bei-
getragen, die Spannungen in der Re-
gion zu dämpfen. Allerdings wurde
es in den vergangenen Jahren immer
schwieriger, ein Übergreifen anderer
Konflikte auf die Arktis zu verhindern.
Das gilt etwa für die wachsende Feind-
seligkeit der USA (und der Nato) ge-
genüber Russland und China oder für
die Konkurrenz um essenziell wichtige
Rohstoffvorkommen. Das jüngste Tref-
fen des Rats fand im Mai 2019 in der
finnischen Stadt Rovaniemi statt, die

nur wenige Kilometer südlich des Po-
larkreises liegt. Dabei traten die Rivali-
täten und der Drang nach vom Eis be-
freiten Ressourcen bereits offen zutage.
Normalerweise werden vor dem
Arktischen Rat nichtssagende Bekennt-
nisse zur internationalen Zusammen-
arbeit und zum gewissenhaften Um-
weltschutz abgegeben. Aber dieses
Mal hielt US-Außenminister Pompeo
eine offen kriegerische und provoka-
tive Rede, die im Rückblick sehr viel
mehr Aufmerksamkeit verdient, als sie
damals erzielte.
Seine Worte sollten wir etwas ge-
nauer ansehen, denn mit ihnen prokla-
mierte Trumps Außenminister eine wo-
möglich historische neue Doktrin für
den Fernen Norden. Zu Beginn schlug
er noch milde Töne an: „In den ersten
zwei Jahrzehnten hatte der Arktische
Rat den Luxus, sich fast ausschließ-
lich auf die wissenschaftliche Zusam-
menarbeit, auf kulturelle Fragen, auf
die Erforschung der Umweltprobleme
zu konzentrieren.“ Das alles seien in-
teressante und sehr wichtige Themen,
die man weiter im Auge behalten müs-
se – aber diese luxuriösen Verhältnisse
seien nun nicht mehr gegeben.

Schätze unter dem
schmelzenden Eis

Damit kam Pompeo zur Sache: „Wir
treten in ein neues Zeitalter des stra-
tegischen Engagements in der Arktis
ein, und das bringt neue Bedrohun-
gen der arktischen Region und seiner
Besitztümer (wörtlich: „real estate“,
ganz im Geiste seines Präsidenten)
und aller unserer Interessen in dieser
Region.“
In dieser extremen Hardliner-Re-
de kam der Begriff „Klimawandel“ na-
türlich nicht vor. Und doch wissen al-
le, dass genau dieser Klimawandel die
Möglichkeiten verbessert hat, die riesi-
gen Rohstoffvorräte der Region auszu-
beuten. Das Wettrennen um die Kon-
trol le dieser Reichtümer hat bereits
begonnen, und zwar von Anfang an als
geopolitische Konfrontation zwischen
den USA, Russland und China.

Was die Ausbeutung der Ressour-
cen betrifft, so konnte Pompeo in Ro-
vaniemi seine Begeisterung kaum zü-
geln. Er erinnerte an den Kauf von Alas-
ka im Jahr 1857, für den der damalige
US-Außenminister William Seward von
allen Seiten verhöhnt worden war. Heu-
te sei die Arktisregion keineswegs das
unwirtliche Hinterland, als das sie zu
Sewards Zeiten gesehen wurde, son-
dern die vorderste Kampflinie der un-
begrenzten Möglichkeiten: „Hier lagern
13 Prozent der noch nicht erschlosse-
nen globalen Öl- und 30 Prozent der
Gasreserven; dazu Unmengen an Uran
und seltenen Erden, an Gold und Dia-
manten und Millionen Quadratmeilen
von unangetasteten Ressourcen.“
Gleichermaßen begeistert sprach
Trumps Außenminister von einer ge-
waltigen Expansion des maritimen
Verkehrs durch die Eröffnung des neu-
en transarktischen Schifffahrtswegs
zwischen dem euroatlantischen Raum
und Asien: „Dank der ständigen Rück-
bildung der Eisdecke öffnen sich neue
Seepassagen und neue Chancen für
den Handel. Damit würde sich die Rei-
sezeit zwischen Asien und dem Wes-
ten potenziell um bis zu 20 Stunden
verkürzen.“ Laut Pompeo könnten die
„arktischen Seerouten zum Suez- und
Panamakanal des 21. Jahrhunderts“
werden.
Dass die „ständige Rückbildung der
Eisdecke“ einzig und allein auf den Kli-
mawandel zurückgeht, fand ebenso we-
nig Erwähnung wie eine weitere Tatsa-
che: Sollte die arktische Passage einmal
tatsächlich zum Suez- oder Panamaka-
nal des Nordens geworden sein, dürf-
ten sich zugleich weite Teile des globa-
len Südens in unbewohnbare Wüsten-
zonen verwandelt haben.
Sobald sich diese „neuen Chancen“
ergeben, wollen die Vereinigten Staaten
die Ersten sein, die sie zu nutzen wis-
sen. In Finnland spuckte Pompeo gro-
ße Töne über die tollen Fortschritte,
die seine Regierung bereits gemacht
habe, etwa mit den großzügigen Li-
zenzen für Öl- und Gasbohrungen in
küstennahen Gewässern, aber auch
mit der Erlaubnis zur „Erkundung von

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