Le Monde Diplomatique Germany - 10.2019

(Martin Jones) #1

6 LE MONDE^ diplomatique^ | Oktober 2019


Der große Handelskrieg

von Philip S. Golub


Amoako Boafo, Steve Mekoudja, 2019, Öl auf Leinwand Foto: Nick Ash

Trumps Abschottungspolitik


richtet sich vor allem gegen


die Volksrepublik. Chinas


ökonomische und militärische


Stärke wird von den USA als


Bedrohung wahrgenommen.


Deshalb versucht Washington,


mit Vorschriften, Zöllen und


Sanktionen den Rivalen


zu schwächen.


A


m 26. Juni 2016 sprach der
frisch gekürte Kandidat der
Republikaner zum ersten
Mal über die Wirtschafts-
und Handelspolitik, die er als künftiger
Präsident der Vereinigten Staaten um-
zusetzen gedachte. Auf seine beißende
Kritik an der „aggressiven Globalisie-
rungspolitik“ der bisherigen US-Regie-
rungen, die zur „Verlagerung unserer
Arbeitsplätze, unseres Wohlstands und
unserer Fabriken ins Ausland geführt“
habe und die schuld sei an der „Zer-
störung“ der Mittelschicht, folgte ein
Rundumschlag gegen die „herrschen-
de Klasse, die dem Globalismus mehr
huldigt als der amerikanischen Sache“.
Vier Faktoren seien für den Nie-
dergang des US-Industriesektors ver-
antwortlich: Das nordamerikanische
Freihandelsabkommen Nafta, das
Transpazifische Handelsabkommen
TPP, die WTO – und China. Sobald er
gewählt sei, werde er für den Rückzug
der USA aus dem TPP-Abkommen sor-
gen, Nafta neu verhandeln und China,
dem er vorwarf, die Devisenmärkte zu
manipulieren, mit Sanktionen belegen
und wegen „unlauterer“ Handelsprakti-


ken vor Gericht bringen. Am Ende sei-
ner Rede drohte der Kandidat mit Zöl-
len auf Importe aus der Volksrepublik
und verkündete, er werde „alle legiti-
men Befugnisse des Präsidenten nut-
zen“, um die bilateralen Handelsstrei-
tigkeiten „zu regeln“.^1
Damals nahmen nur wenige Be-
obachter den Immobilienhändler
ernst, weil man es für unwahrschein-
lich hielt, dass Donald Trump gewählt
werden würde. Und sollte er wider Er-
warten doch an die Macht kommen,
würden ihn das US-Finanzministe-
rium und die einflussreichen Apolo-
geten des „freien Welthandels“ schon
zur Vernunft bringen. Die Beobachter
überschätzten jedoch die Möglichkei-
ten des Kapitals – und sie unterschätz-
ten das politische Potenzial, das der
Aufstieg Chinas freigesetzt hat.
Für die neue Leitung im Planungs-
stab des US-Außenministeriums be-
steht jedenfalls kein Zweifel, dass Chi-
na eine „langfristige fundamentale Be-
drohung“ darstellt.^2 Der Versuch der
Vereinigten Staaten, Chinas Einfluss
einzudämmen, hat bereits weitreichen-
de Folgen. Er beeinträchtigt die inter-
nationalen Beziehungen und verändert
den Lauf der Globalisierung.
Vor 30 Jahren sah die Welt aus der
Sicht Washingtons noch anders aus.
Damals galt China sogar als Verbünde-
ter der USA, deren Außenpolitik nach
dem Zusammenbruch der Sowjetunion
ein Ziel mitverfolgen sollte: die globa-
le Verbreitung des US-amerikanischen
Modells. Unter dem Schlagwort „Kon-
sens von Washington“ setzten das US-
Finanzministerium und der IWF ein
Programm zur weltweiten Liberalisie-
rung, Deregulierung und Privatisie-
rung um.

Diese Rezepte wurden Ende der
1980er Jahre zuerst den verschuldeten
Ländern Subsahara-Afrikas und La-
teinamerikas aufgezwungen. Nach der
Asienkrise von 1997/98 waren dann die
Schwellen- und Entwicklungsländer
Ostasiens dran. Auf starken Druck von
außen rückten sie mehr oder weniger
von ihrer etatistischen Industriepoli-
tik und der Abschottung ihrer Binnen-
märkte ab. Der Staat zog sich zurück
und machte den Weg frei für Auslands-
investitionen und das Eindringen mul-
tinationaler Konzerne.
Für die Multis schuf der Untergang
der Sowjetunion die Voraussetzungen
für ein zweites Goldenes Zeitalter des
Kapitalismus. Nach der Öffnung des
Eisernen Vorhangs waren die USA die
einzige verbliebene Großmacht.

Vor 30 Jahren noch
potenzieller Partner

In den 1990er Jahren deckten sich die
Ziele von Staat und Kapital in außerge-
wöhnlichem Maße – vergleichbar etwa
der Symbiose von britischem Empire
und britischen Großunternehmen zur
Zeit der größten Ausdehnung des Ver-
einigten Königreichs. Während sich
die Kolonialmacht mit der Drohung
oder der Ausübung von Gewalt in La-
teinamerika, China und Ägypten für
das Kapital einsetzte, beugten sich im
Gegenzug die privaten Investoren den
strategischen Interessen des Empires.
Ende des 20. Jahrhunderts fiel die
Rolle des Empires der US-Regierung
zu, die mit den multinationalen Unter-
nehmen und Banken an einem Strang
zog und damit entscheidend zur Libe-
ralisierung der Weltwirtschaft beitrug.
In ihrer unangefochtenen Machtfülle

konnten die USA das internationale
Umfeld nach ihren Wünschen gestal-
ten, die eigene Position verbessern und
sich noch mehr Vorteile sichern. So vie-
le Länder wie möglich sollten dazu be-
wegt werden, die US-amerikanische
Vision einer liberalen kapitalistischen
Weltordnung zu übernehmen.
Damals betrachteten die politi-
schen und wirtschaftlichen Führungs-
kräfte der Vereinigten Staaten Chi-
na tatsächlich eher als Partner denn
als Rivalen. Für eine Bedrohung hiel-
ten sie die Volksrepublik ganz sicher
nicht. Schließlich hatte das Zentralko-
mitee Ende der 1960er Jahre sowie in
den 1970er Jahren gemeinsame Sache
mit dem Weißen Haus gemacht, als es
um die Eindämmung der sowjetischen
Machtansprüche ging. Am 1. Januar
1979 nahmen Washington und Peking
diplomatische Beziehungen auf. Knapp
einen Monat später trat Deng Xiaoping
zu einer neuntägigen Reise durch die
Vereinigten Staaten an.
Während der Zeremonie vor dem
Weißen Haus flatterte die rote chine-
sische Fahne im Wind, und just als die
obligatorischen neunzehn Salutschüs-
se ertönten, fuhr ein grellroter Liefer-
wagen von Coca-Cola vorbei – wie ein
Sinnbild für die Millionen Dollar, die
sich das ungeduldige US-amerikani-
sche Kapital von Pekings neuem Inte-
resse an Handel, Technologie und den
US-Krediten erhoffte.
In den 1980er Jahren wurde der chi-
nesische Binnenmarkt liberalisiert und
das Land öffnete sich für Auslandsin-
vestitionen. 1986 beantragte Peking die
Mitgliedschaft beim Allgemeinen Zoll-
und Handelsabkommen (GATT), dem
Vorläufer der WTO. Nach dem Tia nan-
men-Massaker vom 4. Juni 1989 ver-

hängten westliche Staaten Sanktionen
gegen China, und die Volksrepublik
zog sich für drei Jahre von der weltpoli-
tischen Bühne zurück – um Anfang der
1990er Jahre umso rasanter durchzu-
starten. Auf seiner Reise durch Südchi-
na belebte Deng 1992 die ins Stocken
geratenen Wirtschaftsreformen und
sorgte für eine beschleunigte Integra-
tion Chinas in die globale Ökonomie.
Um den eigenen Transformations-
prozess nicht zu gefährden, einigte sich
die Volksrepublik mit den USA darauf,
potenziellen Konflikten aus dem Weg
zu gehen. Im UN-Sicherheitsrat sah
China bewusst davon ab, die außen-
politischen Interventionen der Verei-
nigten Staaten zu durchkreuzen.^3 Und
die USA versuchten ihrerseits China in
die Institutionen und Handelsstruktu-
ren der westlich dominierten Weltwirt-
schaft einzuführen, deren Regeln in
Washington festgelegt wurden. So defi-
nierten die USA die strengen Vorgaben
für Chinas Beitritt zur WTO, der erst
am 11. Dezember 2001 in Kraft trat.
Die Führungskräfte in den USA
hielten wirtschaftliche und politische
Freiheiten für voneinander untrennbar
und handelten aus einer Position der
Stärke heraus. Sie meinten auf diese
Weise sowohl den ökonomischen als
auch den politischen Kurs Chinas mit-
bestimmen zu können.
Je mehr sich China öffnete, desto
mehr ausländische Direktinvestitio-
nen flossen ins Land. Zwischen 1984
und 1989 betrugen die Mittelzuflüsse
netto (zu laufenden Wechselkursen des
Internationalen Dollars) durchschnitt-
lich 2,2 Milliarden US-Dollar, zwischen
1992 und 2000 30,8 Milliarden US-Dol-
lar und zwischen 2000 und 2013 170
Milliarden US-Dollar. Die Volksrepublik
wollte diese Mittel einsetzen, um Tech-
nologien und Know-how zu erwerben.
Zunächst floss der größte Teil die-
ser Investitionen jedoch in Sektoren
mit niedriger Wertschöpfung. Hierzu
zählten unter anderem die Textilbran-
che sowie die Verarbeitungsindustrie,
deren Beschäftigte zum Beispiel Elek-
tro- und Elektronikgeräte aus Bauteilen
montierten, die außerhalb Chinas her-
gestellt worden waren. Als Auftraggeber
traten globale Unternehmen auf, die
die geistigen Eigentumsrechte an den
jeweiligen Produkten besaßen.
Beobachter bezifferten damals den
technologischen Vorsprung der Inves-
tor-Staaten vor China auf etwa 20 Jah-
re.^4 Die Gewinne Chinas innerhalb der
Wertschöpfungsketten fielen mager
aus, während die der transnationalen
Unternehmen enorm waren. Das Land
schien in einer strukturellen Abhängig-
keit gefangen. Diese Situation änderte
sich ab den späten 2000er Jahren und
stellt sich heute völlig anders dar.^5
China eignete sich durch die für die
ausländischen Investoren verpflichten-
den Transfers technologisches Wissen
an und forcierte die Modernisierung
der Industrie sektorenübergreifend.
Dadurch gelang es dem Land, in zahl-
reichen Industriebranchen stetig voran-
zuschreiten und einen zunehmenden
Teil des Mehrwerts abzuschöpfen.
Chinas Fortschritte und sein wirt-
schaftliches wie politisches Gewicht in
Ostasien bereiteten den Verantwortli-
chen in Washington und anderen west-
lichen Hauptstädten immer größeres
Kopfzerbrechen. 2011 verkündete US-
Präsident Barack Obama eine neue
Handelsstrategie („Pivot to Asia“) und
erklärte Asien zum künftigen Dreh-
und Angelpunkt der US-Außenpolitik.
„China möchte die Regeln für die Welt-
region mit dem höchsten Wachstum
festschreiben. Weshalb sollten wir das
zulassen? Wir sind es, die diese Regeln
festlegen müssen“, stellte Obama 2015
in seiner Rede zur Lage der Nation klar.
Um Chinas Aufstieg zu bremsen,
geht die aktuelle US-Administration
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