Dienstag, 22. Oktober 2019 SPORT47
SilvioBerlusconi:Dank seinemEngagementin Monza erhöht der «Cavaliere»seinen medialen Fussabdruckwieder. ANTONIO CALANNI / AP
Das Spielzeug Berlusconis
Der Ex-Ministerpräsident will Spitzenfussball nach Monza brin gen – auch rechtsradikale Fans lieben ihn dafür
TOM MUSTROPH, MONZA
Die grosseWelt desFussballs trifft sich
in der tiefsten Provinz.Auf der Ehren-
tribüne des Stadio Giuseppe Mocca-
gatta nimmtPavel Nedved Platz, der
Vizepräsident des FCJuventus.Aus -
ser dem Tschechen sind an diesemTa g
noch 988 weiterePersonen gekommen
- in ein Stadion, das immerhin 5926 Zu-
schauer fasst. Es wären noch weniger ge-
wesen,wenn nichtAdriano Galliani und
dessen Entourage denWeg in die pie-
montesische Provinzstadt Alessandria
gefunden hätten.
Der frühere Manager der grossen
ACMilan sitzt neben derJuve-Ikone
Nedved. Dem NZZ-Chronisten, der
unmittelbar hinter den beiden Grös-
sen des Calcio Platz genommen hat,
sagt Galliani wenig später: «Ich habe
zuvor mitAndrea Agnelli gesprochen.
Erwäre auch gern gekommen, konnte
aber nicht.» Statt demJuve-Präsiden-
ten Agnelli tauchen immerhin noch die
Milan-Heroen ChristianVieri und Ales-
sandroCostacurta auf.
Nedved,Vieri, Galliani
Anlass für das Stelldichein derFuss-
ballprominenz Ende September war
nicht dieVerleihung irgendeines golde-
nen Schuhs oder ein schriller Benefiz-
Event. Nein, Nedved, Galliani,Vieri und
Co. reisten für ein Drittligaspiel an, den
Match zwischen derU23 vonJuven-
tus und demFussballklub aus Monza.
Juventus’ Nachwuchskader spielt tra-
ditionell in Alessandria. Und Ned-
ved versicherte: «Ich schaffe es nicht
immer, aber ich bin, so oft es geht, bei
derU23.» Er notierte mit zufriedenem
Gesichtsausdruck, wie der Nordkorea-
ner Han eine schöne Flanke schlug für
einTor. Sonst gab es vonJuventus-Seite
nicht viel zu bejubeln. Monza domi-
nierte, gewann 4:1.
Der Klub ist das neue Spielzeug von
Silvio Berlusconi. Im September 20 18
kaufte Italiens einstiger Ministerpräsi-
dent Monza.Tr eibende Kraft war aber
Adriano Galliani,Mastermind bei der
ACMilan, als der Klub noch Berlus-
coni gehörte.Vor seiner Zeit in Mai-
land war Galliani zehnJahre Manager
in Monza gewesen. Er erlernte dort das
Fussballgeschäft. Galliani stammt auch
ausMonza, jener Stadt, die man nicht
mitFussball, sondern mit der legen-
därenRennstrecke verbindet. Bei der
Pressekonferenz anlässlich des Kaufs
des Klubs bemerkte Galliani schelmisch:
«Ich wurde damals nur an Milan ausge-
liehen und bin jetzt wieder zurück.»
DieLangzeit-Ausleihe zahlt sich of-
fenbar aus. Galliani, mit seinen 75Jah-
ren mindestens einRoutinier, hat Monza
seitdem geprägt − mit seinem Know-
how, aberauch mit dem Geld und dem
Ehrgeiz einesPatrons. Die Serie A, das
ist das Ziel der Milan-Veteranen. Und
wer wüsste schon besser, wie man Erfolg
buchstabiert,als dasDuo Berlusconi –
Galliani:Fünf Mal gewann Milan unter
ihrer Ägide die Champions League. Ihr
Wirken im Klub ist nicht zu überse-
hen. «Hier ist alleskomplett verändert.
Eine der ersten Sachen,die Berlusconi
machte, ist das neue Flutlicht», erzählt
Carlo, 56Jahre alt und Monza-Anhän-
ger seitJahrzehnten. Aber der «Cava-
liere» sorgt nicht bloss für Erleuchtung
im Stadion. Seitdem er häufiger vor Ort
ist, gibt es dort sogar einen Lift.
Auf demTr ansfermarkt war Ber-
lusconi natürlich ebenfalls aktiv. Inder
Sommerpause kamen neun neue Spieler,
vier davon mit Serie-A-Erfahrung. Nicht
weniger als 23 wurden aussortiert. In der
Winterpause, dem erstenTr ansfermarkt
der Ära Berlusconi,wurden immerhin 15
neue Spieler angeheuert. Monza gilt seit-
dem als dasJuventus der Serie C – über-
legen, unerreichbar, eine Klasse besser
als derRest. «DerVergleich mitJuventus
freut mich», sagte Berlusconi nach dem
jüngsten Heimspiel gegen Albinoleffe in
den Katakomben des Stadions.
Der alte Herr war da ganz in seinem
Element. Er teilte vor allem munter
gegen seine Nachfolger bei Milan aus.
«Es gibt eine ganz einfacheFormel, da-
mit Milan wieder gross wird: Man muss
den Klub an Berlusconi zurückgeben»,
meinte er.Dabei benutzte er dieroyale
Anredeform der drittenPerson. In den
Wochen zuvor hatte er bereits gelästert:
«In einemFreundschaftsspiel zwischen
Milan und Monza würde Monza 3:0 ge-
winnen.»Auch auf den Stadionstreit in
Mailand ging er ein. «Ich hoffe nicht,
dass sie San Siro abreissen. Besser wäre
es dann, man würde es Monza geben.»
Aus solchenÄusserungen wird ein
Grund für das Monza-Engagement er-
sichtlich: Über den Drittligaklubkommt
der frühereMilan-Eigner mit verhältnis-
mässig wenig Geld zurück in den Profi-
fussball – und damit auch in denregel-
mässigen Genuss medialerAufmerk-
samkeit, von der Berlusconi auch poli-
tisch wieder profitieren will.
413 Zuschauer
«Berlusconi und Gallianikönnen doch
gar nicht ohneFussball leben», meint
der langjährige Monza-Fan Carlo. Er
freut sich über diereichenBall-Süchti-
gen. «Dank ihnenkommen wieder mehr
Menschen ins Stadion.Früher waren
es nur 10 00 ,vielleicht 20 00 pro Spiel-
tag. Jetzt sind es über 40 00 .»Das ist für
Drittligaverhältnisse prächtig. Inder
letzten Saison lag der Zuschauerdurch-
schnitt in der Spielklasse bei etwa einem
Drittel davon. DieU23 vonJuventus
konnte pro Heimspiel gar nur 413Per-
sonen locken.
In derPartie gegen Albinoleffe sehen
diese 4500 Menschen auf denRängen
des StadioBrianteoin Monza jedoch er-
barmungswürdig aus. Denn beiFertig-
stellung war es für die fünffache Kapa-
zität ausgelegt gewesen.Jetztsollen an-
geblich 19000 Personen hineinpassen.
Allerdings sei die Gegentribüne wegen
baulicher Mängel schon seitJahren nicht
mehr geöffnet,sagt der Lokaljournalist
Dario Crippa.Kein Menschtauche dort
auf. Und nur etwa 15 Personen sind auf
der linken Hintertor-Tribüne zu zählen –
das klägliche Häuflein Gästefans.
Einnahmen von lediglich 26 000
Euro bringen die Zuschauer an die-
semTag ein, mehr als eine halbe Mil-
lion Euro Zuschauereinnahmen pro Sai-
son gibt es nicht. Berlusconi soll bereits
13 Millionen Euro ausgegeben haben,
für Investitionen ins Stadion, insTr ai-
ningszentrum und für Spielerkäufe.Wie
sich das Projekt finanziell tragen soll,
bleibt unklar. Es funktioniert wohl nur,
wenn enttäuschte Milan-Fans in Mas-
sen abwandern, um das neue Hobby des
Impresarios zu bestaunen.Dann würde
Berlusconi von der Krise seines vormali-
gen Klubs profitieren.
Immerhin weckt das Monza-Aben-
teuer Interesse. Die Ehrentribüne ist gut
gefüllt – zu Beginn der Amtszeit Berlus-
conis wurde sie eine Etage nach unten
verlegt, damit der 83-Jährige nicht mehr
gar so viele Stufen hinaufsteigen muss.
ChristianVieri ist erneut da.Für den gros-
senFussballglamour sorgt indesFabio
Capello.Derfrühere Coach von Milan,
Juventus undReal Madridsowie ehema-
lige Nationaltrainer Englands und Russ-
lands lobt bravseinen früheren Assisten-
ten Christian Brocchi (sie verbrachtenei-
nige Zeitgemeinsam in China) für des-
sen Offensivfussball. Gegen Albinoleffe
genügt Monza eineinzigesTor zum Sieg,
die Mannschaft tritt dominant auf. «So
will es der Präsident, so will ich es auch.
Wirwollen ästhetisch spielen und gewin-
nen», sagt Brocchi.
«Die Hölle durchgemacht»
DieFans sind ebenfalls glücklich. Die
et wa 10 00 Ultras singen fast diekom-
plette Spielzeit durch.«Was wir jetzt er-
leben, ist die Krönung unsererTr äume.»
All dieJahre in den unterklassigen Ligen
haben ihnen zugesetzt: «AlsFans haben
wir die Hölle durchgemacht, wenn wir
als Ultras aus der Nähe Mailands mit
einem Minibus aufAuswärtsfahrten
gingen und von einer Mannschaft ohne
jeden Ehrgeizregelrecht gedemütigt
wurden», erzähltFaustoMarchetti, der
Sprecher der Ultra-VereinigungSAB.
DasAkronym steht für «Sempre al bar»
- «Immer in derBar». Es schält dieVor-
lieben dieser Ultra-Vereinigung her-
aus. Ausser demTr inken beherrschen
dieSAB auch das Hauen. «Etwa dreis-
sig Leute mit Stadionverbot haben wir»,
sagte Marchetti, und es wäre eine glatte
Unterschlagung, wenn man den Stolz in
seinenAugen bei dieserAussage nicht
erwähnen würde.Auch die «Hölle» der
Auswärtsfahrten hat Marchetti wohl
eher genossen als erlitten.«Wenn man
mit so wenigen Leuten unterwegs war,
trug man schon seine Haut zu Markte in
der Ultra-Welt», sagt der Hobby-Randa-
lierer fröhlich.
Für düstere Stimmung sorgte eher
derVerein. Zwei Mal ging Monza pleite.
Dabei wurden sogar dasWasser und die
Elektrizität abgestellt.«Wir haben aber
zum Klub gehalten, den Spielern sogar
noch Plätze zumTr ainieren gezeigt», er-
innertsichMarchetti, der Ultra. In den
allerschlimmsten Zeiten, so geht die Le-
gende,hätten einige Spieler unter den
Stadiontribünen übernachten müs-
sen. «Es waren Spieler aus den unteren
Ligen Brasiliens, die mit grossenVer-
sprechen hierhergelockt wurden»,be-
stätigt der Lokaljournalist Crippa.
Zu der Zeit war Anthony Arm-
strong Emery der Besitzer des Klubs,
ein in Brasilien tätiger Investor mit eng-
lischenWurzeln. Er hatte denVerein
vom Niederländer Clarence Seedorf
gekauft, auch er ein früherer Milan-
Spieler. Seedorf allerdings ist in Monza
nicht in guter Erinnerung.«Wir haben
ge dacht,eskomme ein Mann mitFuss-
ballverstand. Er waraber nur der Schat-
tenbesitzer,hat alles seinen Bruder und
einen Cousin machen lassen. Er berei-
tete denWeg in den zweitenBankrott
vor», urteilt der Ultra-Sprecher Mar-
chetti hart. Gegen Armstrong Emery
laufen derzeit Gerichtsverfahren wegen
Betrugsvorwürfen imBau sozialerWo h-
nungen in Brasilien. In Monza ist er
ebenfalls nicht mehr gern gesehen.
Vor solch einem Hintergrund leuch-
ten Berlusconi und Galliani nur noch
heller und hoffnungsfroher.Sie haben
auch den Bonus von Lokalhelden. Gal-
liani als Sohn der StadtMonza, Berlus-
conis Stammsitz Arcore ist nur wenige
Autominuten vom Stadion entfernt. Der
Patron unterstützt also gewissermassen
seinen Kiezklub.
Politischer Profit
Hintergedanken, die über die reine
Freude am Calcio hinausgehen, sind ge-
wiss auch vorhanden. DerVerkaufder
ACMilan ging einher mit demVerlust
derVormachtstellung bei der politischen
Rechten. Die Lega Nord von Matteo
Salvini stach ihn seitdem aus. Bei den
Europawahlen imFrühjahr holte die
Lega in Monza mehr als 40 Prozent der
Stimmen, BerlusconisForza Italia kam
nicht einmal auf deren 10.Auch poli-
tisch ist der einstige Ministerpräsident
mittlerweile drittklassig. Mit demFuss-
ball will er nun wieder grössere mediale
Präsenz erreichen und damit dieWäh-
lerbasis verbreitern.
Bei den eigenen Ultras wird Berlus-
coni politisch eher nicht punkten. Der
Chef derJungs, die «immer in derBar»
sind, ist einer der lokalen Exponenten
der neofaschistischen Kleinpartei Le-
altà Azione.Die ist politisch näher an
der Lega Nord und denPostfaschisten
vonFratelli d’Italia.
Generell jedocherhöht Berlusconi
seinen medialen Fussabdruck dank
Monza wieder. Die Direktübertragung
derJuventus-U-23 gegen Monza in der
italienischen RAI wurde von 96 000 Zu-
schauern verfolgt. Die zeitgleicheAus-
strahlung des Premier-League-Matchs
zwischen Manchester United und dem
FCArsenal wollten in Italien nur 89 000
Fernsehzuschauer sehen.
Monza schlägt also schon einmal die
Premier League. Erklärtes Ziel ist der
Aufstieg in die Serie B und dann in die
Serie A. Coach Brocchi muss sich da-
bei sputen. Der 83-jährigePatron will
ja nicht nur den sportlichen Erfolg noch
erleben, sondern auch politisch die
Früchte seinerAufbauarbeit ernten.
In den schlimmsten
Zeiten, so geht die
Legende, hätten Spieler
unter denStadion-
tribünenübernachtet.