Neue Zürcher Zeitung - 22.10.2019

(John Hannent) #1

48 SPORT Dienstag, 22. Oktober 2019


Die einst biederen L.A. Clippers blasen in der NBA


zum Angriff auf den glamourösen St adtrivalenSEITE 46


Silvio Berlusconi will Spitzenfussball nach Monza bringen–


auch rechtsradikale Fans liebenihn dafür SEITE 47


Er fällt jetzt auch mit Erfolgen auf


Entgleisungen haben das Image vonFabio Fognini geprägt – in Basel spielt der Italiener umeinen PlatzamATP-Finalturnier


PHILIPPBÄRTSCH,BASEL


Hallentennis hat etwas Klinisches. Die
Spieler werden nicht dreckig wie auf
Sand, sie riskierenkeine Grasflecken
wie aufRasen, sie müssenkeinemWind
trotzen undkeinemWetter.
FabioFognini hat nichts Klinisches.
Wer es gut meint mit ihm, der nennt
ihn einenTemperamentsbolzen.Wer
es nicht gut meint, bezeichnet ihn als
Rüpel. Unbestritten ist, dassFognini
dem Publikum viel zu bieten hat, ten-
ni stechnisch und emotional.Dass der
32-jährigeItaliener am Dienstag erst-
mals überhaupt inBasel antritt statt am
Konkurrenzanlass inWien, ist deshalb
positiv für dieSwiss Indoors.
Fognini schüttet sein Herz auf dem
Platz aus, es ist ein grosses Herz, dem
nicht nurLiebe innewohnt, sondern
auchRage. «Wenn es schlecht läuft bei
der Arbeit, ist man frustriert. Man wird
wütend, manreklamiert – jederkennt
das», sagtFognini.Was nicht jederkennt:
VonTausenden im Stadion, von Millio-
nen am Bildschirm beobachtet zu wer-
den, wenn man die Nerven verliert.


Bombenüber Wimbledon


Lange waren esAussetzer, die das Image
vonFabioFognini prägten. Er beleidigte
Gegner, zankte sich mit Schiedsrichtern,
malträtierte mutwillig denWimbledon-
Rasen, der von derTennisgemeinde
irgendwann die Heiligsprechung er-
fahren hatte. Nachdem er am US Open
2017 eine Schiedsrichterin mit frauen-
feindlichenVerbalinjurien eingedeckt
hatte, kamFognini mit einer Sperre auf
Bewährung davon.
In diesemJahr überführten ihn in
Wimbledon die Mikrofone amCourt-
Rand, wie er auf dem Platz mit sich
hadernd sagte,hier möge eine Bombe
einschlagen. Die geschichtsbewussten
britischen Medien hielten ihm die unbe-
dachteÄusserung doppelt und dreifach
vor – im ZweitenWeltkrieg waren auf
demTurniergelände 16 Bomben nieder-
gegangen undTausende von Häusern in
der Gegend zerstört worden.
Fognini kultiviert das Bad-Boy-
Image nicht wie etwa NickKyrgios. Es
korrespondiert so gar nicht mit seinem
einnehmendenWesen neben dem Platz.
Auch darum war es höchste Zeitgewor-
den, mit Erfolgen positive Schlagzeilen
auszulösen.Im AprilgewannFognini


das Masters-10 00 -Turnier in Monte
Carlo. Im HalbfinalbezwangerRafael
Nadal, der dasFürstentum zuvor elfmal
mit der Siegertrophäe unter dem Arm
verlassen hatte. ImJuni stiessFognini in
derWeltrangliste erstmals unter die ers-
ten zehn vor.
Das italienische Männertenniswar
nicht mit Erfolgen gesegnet gewesen
in denJahrzehnten seit demFrench-
Open-Sieg vonAdrianoPanatta1976.
Der letzteTop-Ten-Spieler vorFognini
war1979 CorradoBarazzutti gewesen.
Barazzutti amtet heute alsDavis-Cup-
Captain und stehtFognini alsTr ainer-
aushilfe zurVerfügung, seit sich dieser
kürzlich von seinem Coachgetrennt hat.
Der Exploit in Monte Carlo hebt sich
weitvom Abschneiden an den anderen
Turnieren diesesJahres ab. Und doch
hatFognini so viele Punkte gesammelt,
dass er als Nummer 11 der Saisonwer-
tung noch Chancen auf die erstmalige
Qualifikation für dasATP-Finalturnier

der besten acht in London hat. Zu den
Konkurrenten gehört mit dem momen-
tan achtklassierten US-Open-Halbfina-
listen Matteo Berrettini auch ein neun
Jahre jüngererLandsmann.
Die beiden sind die erfolgreichsten
von nicht weniger als 20 Italienern, die
in derWeltrangliste unter den ersten 300
klassiert sind. In diesem Streubereich
gehört Italien plötzlich zu denTennis-
nationen mit der grössten Leistungs-
dichte. Der18-jährige SüdtirolerJannik
Sinner gilt als grossesTalent, der17-jäh-
rige Lorenzo Musetti gewann amAus-
tralian Open denJuniorentitel.
DerAufschwung ist unter ande-
rem auf eineFülle vonProfiturnie-
ren auf tieferen Stufen zurückzufüh-
ren. Allein schon der diesjährige Kalen-
der derATP-Challenger-Tour enthält
19 italienische Stationen. Die einhei-
mischenTalente kommen so relativ
leicht zu Spielgelegenheiten undWild
Cards. In der Schweiz findetkein einzi-

ges Challenger-Turnier statt, und es gibt
nebenRogerFederer und StanWaw-
rinka nur zwei weitereTop-300-Spieler:
HenriLaaksonen (ATP 105) und Marc-
Andrea Hüsler (ATP 279).
Zuvor waren im italienischenTen-
nis dieFrauen tonangebend gewesen.
Francesca Schiavone gewann 2 01 0 das
French Open, Flavia Pennetta 20 15
das US Open,RobertaVinci und Sara
Errani erreichten jeeinen Final an
einem Grand-Slam-Turnier. ImRanking
schafften es alle vier unter die ersten
zehn, zusammen gewannen sie mehr-
mals denFedcup, dasPendant zumDa-
vis-Cup der Männer.

Das Glamour-Paar


Mit FlaviaPennetta istFabioFognini seit
gut dreiJahren verheiratet, seit Mai 20 17
sind sie Eltern eines Buben, nun erwar-
ten sie die Geburt eines Mädchens Ende
Dezember. Sie gelten als Glamour-Paar
des italienischen Sports und haben für
eineArmani-Kampagne auch schon ge-
meinsam in Unterwäsche posiert.
Pennetta war wenigeWochen nach
dem späten Grosserfolg in NewYork
zurückgetreten. Anders als dieFederers
reistdieFamilie nicht gemeinsam von
Turnier zuTurnier, obwohl sie nirgends
richtig sesshaft ist und zwischen Italien,
Barcelona und Miami pendelt, wo sich
Fognini in den letztenJahren jeweils auf
die Saison vorbereitete.
Fognini fällt es immer schwerer,
sich von derFamilie zu verabschieden
und eine weitere Dienstreise anzutre-
ten. «Ich musste schon weinen, als ich
inMiami zum Flughafen fuhr, um für
denSaisonstart nachAustralien zu flie-
gen», erzählt er. Der Bub versteht mitt-
lerweile einigermassen, was derVater
macht, wennerfortgeht.«SeinWort für
Tennis lautet ‹Bum›.Wenn ich ihm sage,
ich gehe wieder ‹Bum› machen, weisser,
was los ist.»
Tennismüde fühlt sichFognini noch
nicht,warumsollte er auch nach der bes-
ten Saison seiner Karriere? Dochreise-
müde ist er manchmal schon. «Ich habe
nicht mehr gleich viel Energie für die
Reiserei wie früher», sagt er.Weniger
Turniere,mehr Zeit mit derFamilie –
das ist sein Plan für die nahe Zukunft.
Im Moment aber lässt sichFabio
FogninivomTr aumziel einerTeilnahme
amATP-Finalturnier durch den Berufs-
alltag tragen.

Fabio Fognini hat dem Publikumviel zu bieten, tennistechnischund emotional. ALY SONG /REUTERS

Signale für die Zukunft


Der SC Bern verlängert den Vertrag mit dem finnischen Coach Kari Jalonen –ein neuer Verteidigersolleinem anderen Ausländer Beine machen


DANIEL GERMANN


Was sich abgezeichnet hat, ist nun
schriftlich fixiert: KariJalonen bleibt
über diese Saison hinausTr ainer des
SC Bern. Der 59-jährigeFinne verlän-
gerteseinenVertrag mit dem Schweizer
Meister bis in denFrühling 2021. Erwird
dannzumal den in Bern bis heute äus-
serst populären Amerikaner Bill Gilli-
ganals dienstältesten SCB-Trainerseit
der Einführung der Play-offs ablösen.
Noch imFrühjahr hatte Jalonenmehr
oder weniger offen gesagt, dass er den
SCB nach der Erfüllung des damals lau-
fendenVertrages verlassen werde. Die
Erfahrung aus dem erstenTr ainerjob in
Oulu habe ihn gelehrt, dass es nach vier
Jahren besser sei, weiterzuziehen. Meh-
rereTeams aus der KHL hatten sich
intensiv um den angesehenen Coach be-
müht.Ja lonen entschied sich dann aber
während seiner Sommerferien nicht zu-
letzt wegen der Lebensqualität in der


Schweiz, vom ursprünglichen Plan ab-
zuweichen und für ein weiteresJahr in
Bern zu unterschreiben.
Jalonen hatte sogar auf eine zwei-
jährige Verlängerung gedrängt. Der
Sportchef Alex Chatelain aber setzte
sich durch. «Aus unternehmerischen
Gründen habenwireinen Einjahresver-
trag vorgezogen.» ChatelainsAussage
zeigt, dass dieVerlängerung der Zusam-
menarbeitmitJalonen nicht ohne Risiko
ist. Die Qualitäten desTr ainers sind zwar
unbestritten. Mit ihm an derBande hat
der SCB dreimal die Qualifikation ge-
wonnen und ist er danach zweimal auch
Meister geworden. Gleichzeitig sucht
die Mannschaft in dieser Saison nach
ihrem Gesicht. Nach einemViertel der
Qualifikation belegt der SCB nur knapp
einen Play-off-Platz.
Die zuvor so stabile Defensive
wankte zuletzt öfters. Das 2:5 amFrei-
tag gegen den HC Luganowar eines der
schlechtesten Spiele, das die Berner mit

ihrem finnischenTr ainer gezeigt haben.
Nach fünfTiteln in den letzten zehnJah-
ren (2010, 2 01 3, 2 01 6, 2017, 2019) sind
die Ansprüche im Umfeld des Klubs
hoch. Die Anhängerreagierten zuletzt
mit Pfiffen auf die Leistungen gegen
Davos und Lugano.Gleichzeitigzeich-
net sich imTeam ein Umbruchab. Es
muss mit einemDurchschnittsalter von
28,5Jahren erneuertwerden.DerAme-
rikaner Mark Arcobello nahm auch des-
halb vor zweiWochen ein Angebot aus
Lugano an.

Für Chatelain ist nun dieVerlänge-
rung desVertrages mit Calle Andersson
die wichtigste Priorität. DieVerhand-
lungen laufen. Doch hinter dem 25-jäh-
rigen Schweden mit Schweizer Lizenz
ist die halbe Liga her. Ihm sollen auch
Angebote ausLausanne, Lugano, Zug
und Zürich vorliegen. Seine Interes-
sen nimmt die Agentur «4Sports» des
ZugersDaniel Giger wahr.
Die Chancen des SCB, den offen-
siv starkenVerteidiger zu halten, dürf-
ten durch dieVertragsverlängerung
vonJa lonen nicht schlechter gewor-
den sein. Chatelain sagt:«Viele Spie-
ler wollenwissen, wer ihr Coach ist, ehe
sie sich entscheiden.» Deshalb war die
Klärung der Zukunft des Coachs wich-
tig.Trotzdem warten auf den Sportchef
weitere herausforderndeWochen. Noch
immer stehen im Kader des SCB zehn
Spieler, deren Zukunft nicht geklärt
ist. Die Mehrheit von ihnen sind Spie-
ler, die ihren Zenit überschritten haben

oderkeine tragendeRolle einnehmen.
DieAusnahme istThomasRüfenacht,
der einer der Leader imTeam ist. Er
möchte in Bernbleiben, fordert aber
einen Mehrjahresvertrag.Doch er wird
imFebruar bereits 35-jährig.
Jalonen hat nach seiner Unterschrift
immerhin denKopf frei und kann sich
wieder voll auf den Momentkonzen-
trieren. Die Berner wissen aus eigener
Erfahrung, wie schnell sich ein vorüber-
gehendesTief in eine dauerhafte Krise
auswachsen kann.
Ab sofort erhältJalonen eine Alter-
native in derVerteidigung. Am Montag
hat der SCB Andrew MacDonald ver-
pflichtet. Der 33-jährige Kanadier be-
strittfür die NewYork Islanders und
die Philadelphia Flyers 609 Spiele in der
NHL,konnte sich zuletzt aber imTr ai-
ningscamp der Calgary Flames nicht für
einenVertrag aufdrängen. Er soll dem
bisher ungenügendenFinnen MiikaKoi-
visto Beine machen.

Kari Jalonen
Cheftrainer
PD SC Bern

Federer hates eilig


phb.·Der 1500 .Match als Profi auf der
ATP-Tour hatte fürRogerFederer bald
einmal den Charakter einesTr ainings-
spielsvor Heimpublikum. Der 38-jäh-
rigeTitelverteidiger erledigte die Start-
aufgabe gegen den QualifikantenPeter
Gojowczyk am Eröffnungstag derSwiss
Indoors in nur 52 Minuten.Federer ge-
wann 6:2, 6:1, er wirkte frisch und ge-
schmeidig, er sagte hinterher, in jünge-
ren Jahren sei er zu diesem späten Zeit-
punkt der Saison jeweils müder gewe-
sen.Federer ist inBasel nun schon seit
21 Spielen ungeschlagen. Am Mittwoch
versucht er dieSerie zuverlängern,
gegen den Sieger derPartie zwischen
DusanLajovic undRadu Albot.
HenriLaaksonen, die Nummer 3 der
Schweiz, gewann überraschend gegen
den gesetzten BenoîtPaire (6:3, 7:5).
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