Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

Vorherige Doppelseite:


HIGH POTENCY BROOD


2019, ÖL UND ACRYL AUF LEINEN, 150× 280 CM


DD


2018, VERSCHIEDENE ÖLE UND ACRYL AUF


LEINWAND, 145× 115 CM


Moderne und Nachkriegsmoderne, auf


das Pathos des Abstrakten Expressionismus


reagiert.


Da möchte man doch gleich loslegen


und Heinze nach ihren persönlichen Refe­


renzen fragen. Sie antwortet extrem kurz:


„Ich schaue mir nichts an.“ Das kann doch


nicht sein. „Ich gehe zu Ausstellungen,


klar“, fügt sie noch hinzu, aber das hört sich


an wie „Herzliches Beileid.“ Ob sie sich


denn nicht wenigstens bestimmte Zeiten oder


Strömungen in der Kunstgeschichte an­


schaut, wenn sie malt? „Nein, gar nicht.


Ich mache keine Malerei für Malerei. Ich wür­


demich nicht zu den Maler­Malern zählen.“


Sie haltees sogar für eher gefährlich, sich


zu sehr auf die Kunstgeschichte zu lehnen.


Heinzes Regale stehen voller Bücher, ihre


Bescheidenheit ist ein Knaller in Zeiten, in


denen jeder Hochschulabsolvent im Dia­


log mit dergesamten Kunstgeschichte steht.


T


atsächlich entsteht Heinzes Malerei


aus ihren eigenen Zeichnungen, die sie


„passieren“ lässt, „wobei alles ande­


re mitkommt“. Sie setzt sich hin und führt


es mit einem Stift und einem Blatt Papier


vor. „Wenn ich eine Zitrone im Sinn habe,


entsteht die dann. Dann entsteht vielleicht


irgendwie so ein Auge und dann machst du


was drüber und es wird eine andere Form.


Du streichst es durch, und am Ende guckst


du halt, dass es ein Bild wird. Der Prozess


ist erst mal schon irgendwie formal, aber was


dann darauf passiert, ist eine Interaktion


von Form und Unterbewusstem. Und die


wird dann in meinem Fall meistens relativ


sexuell.“ Die Zeichnungen, die Heinze häufig


miteinander collagiert, werden mitsamt der


Schnittkanten auf Overheadfolie kopiert und


dann auf die Leinwand übertragen, oder


besser, „übersetzt“. Erst dann beginnt in un­


zähligen Schritten mit Revisionen und Feh­


lern ein Malprozess, der auf gewisse Weise


so einfach und gleichzeitig so komplex ist


wie Heinzes Sprache. „Ich vergesse auch“,


sagt sie. „Wenn ich die Zeichnung nur ober­


flächlich angucke, vergesse ich die Gedan­


kengänge, die ich hatte. Aber wenn ich sie


dann in Malerei übertrage, fällt mir wieder


ein, warum ich bestimmte Sachen gemacht


dauert es gerade einmal zwei Jahre, bis sie in


der renommierten Londoner Pippy Houlds­


worth Gallery ihre erste Soloschau hat.


Dann folgt, noch kurz vor ihrer Schließung,


die legendäre New Yorker Galerie Mary


Boone. Und nun eben 2019 zum Berliner


Gallery Weekend die erste Einzelausstellung


in der Galerie Capitain Petzel. Hier findet


sich Heinze in einem Programm mit den wich­


tigsten „abstrakten“ US­Malerinnen, die


in den letzten Dekaden den Malereidiskurs


neu geprägt haben: Charline von Heyl,


Laura Owens, Amy Sillman. Sie alle haben


in ihrer Arbeit sehr unterschiedlich auf


die männerdominierte Malereigeschichte der


mal Männer ein. Etwa aus dem Abstrakten


Expressionismus: Die wurstigen Körperklum­


pen, abgetrennten Köpfe, Füße und Finger


im Spätwerk von Philip Guston, die trauma­


tischen Bildräume von Francis Bacon, die


Street­Art von Basquiat. Oder die Formulie­


rung „Disney auf Acid“. Was diese Frau


zu diesen wirklich verstörenden und aufre­


genden Bildern treibt, wird aber nicht so


richtig klar.


Dabei ist die 1987 in Berlin geborene


Heinze mit gerade einmal Anfang dreißig so


etwas wie ein Shootingstar der jungen Ma­


lerei­Szene. Nach dem Studium an den Kunst­


hochschulen in Oslo und dann in Leipzig


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2019, ÖL UND ACRYL AUF LEINEN, 150


LEINWAND, 145× 115 CM


Bescheidenheit ist ein Knaller in Zeiten, in


denen


log mit der


T


re mitkommt“. Sie setzt sich hin und führt


es mit einem Stift und einem Blatt Papier


vor. „Wenn ich eine Zitrone im Sinn habe,


entsteht die dann. Dann entsteht vielleicht


irgendwie so ein Auge und dann machst du


was drüber und es wird eine andere Form.


Du streichst es durch, und am Ende guckst


du halt, dass es ein Bild wird. Der Prozess


ist erst mal schon irgendwie formal, aber was


dann darauf passiert, ist eine Interaktion


von Form und Unterbewusstem. Und die


wird dann in meinem Fall meistens relativ


sexuell.“ Die Zeichnungen, die Heinze häufig


miteinander collagiert, werden mitsamt der


Schnittkanten auf Overheadfolie kopiert und


dann auf die Leinwand übertragen, oder


besser, „übersetzt“. Erst dann beginnt in un


zähligen Schritten mit Revisionen und Feh


lern ein Malprozess, der auf gewisse Weise


so einfach und gleichzeitig so komplex ist


wie Heinzes Sprache. „Ich vergesse auch“,


sagt sie. „Wenn ich die Zeichnung nur ober


flächlich angucke, vergesse ich die Gedan


kengänge, die ich hatte. Aber wenn ich sie


dann in Malerei übertrage, fällt mir wieder


ein, warum ich bestimmte Sachen gemacht


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