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ater war er auch. Paul Klee, Tagebuch 1907: „(...) als es
mitten in meinen Schlaf hinein Rabährabäh machte, und ich
aus einem totenähnlichen Zustand aufstehen musste,
Wasser heiß machen, etwas Milch dazu, die Flasche ans Auge halten
und dann hinein ins offene Tor. Wie der soff!“
So richtig will es einem ja nicht in den Kopf. Kann man sich
Rembrandt vorstellen, wie er mit seinem Sohn Titus auf dem Boden
hockt und eine Apollo-Mondlandefähre aus Legosteinen baut? Der
Künstler ist traditionell nicht fürs Leben geschaffen. Und wenn er
unvorsichtigerweise in Familienbindung gerät, dann darf es zumin-
dest keine Familienabhängigkeit sein, und es muss sich williges
weibliches Personal um ihn scharen, das wie bei Thomas Mann den
Nachwuchs vom Schreibtisch fernhält.
Papa Klee, der später von sich sagen wird, „diesseits bin
ich gar nicht fassbar“, stolpert in den Rabäh-Jahren noch ein wenig
im Leben umher. Schwankt zwischen Musik, Zeichnung, Malerei,
studiert in München dies und das, reist
dahin und dort hin, heiratet die Pianistin
Lily Stumpf. Als Felix Ende November
1907 geboren wird, macht er den Haushalt
und Lily verdient Geld mit Klavierstunden.
F
elix gedeiht. „Länge 67 cm“. Paul
führt Buch. „Spricht: dei-da, schreit:
de-dei-da“. Als der Kleine krank
wird, legt er einen Felix-Kalen der an mit
Fieberkurve und Medikationstabelle.
Das Kleinteilige, sorgfältig übers Blatt Ge-
beugte wird ja auch der große Künstler
behalten. Das huschend Ausgreifende, dem
überwältigen Format Zustrebende ist seine
Sache nie. Und wenn dann schon auf
der Höhe des Ruhms der kluge Walter
Benjamin das Fabelwesen Angelus Novus,
das Klee im Bauhaus-das Klee im Bauhaus-das Klee im Bauhaus-Jahr 1920 aufs Papier Jahr 1920 aufs Papier
haucht, als „Engel der Geschichte“ be -
schreibt, dann übersieht er doch ein wenig
das Puerile, das wuschelhaarig Kindsköpfige.
In Wahrheit ist auch dieser menschen -
freundliche Dämon mit den vorstehenden
Zähnen und dem leichten Silberblick nichts
anderes als ein Wiedergänger aus der
Früh-Vaterzeit.
Felix übersteht die Pneumonie. Zu sei-
nem neunten Geburtstag 1916 schenkt
ihm der Vater ein Puppentheater mit
selbst gefertigten Figuren. Mitten im Krieg.
Wie der Landsturmsoldat der bayrischen
Armee das während des Ausbesserns der
Flugzeug-Tarnbemalung hingekriegt hat,
bleibt sein Geheimnis. Auch das Tagebuch
verrät nichts: „M. geliebte Lily. Danke
herzlich f. d. letzte Karte aus der Schweiz.
(...) Hoffentl. seid Ihr beide gut zurück-
gereist, Jüngelchen, ohne sich zu erkälten.“
Das Jüngelchen ist nun Theaterdirektor. In seiner Truppe:
der Tod, Herr Kasperl, seine Frau Gretel, sein Freund Sepperl, der
Teufel und der Polizist. Vielleicht sind „Tod“ und „Polizist“ ja
doch so etwas wie Abgesandte aus den Schreckenstagen hinter der
Front. Die Köpfe hat der Künstler aus Gips geformt, für die
Kleider hat er sich Lumpen aus Lilys Nähkasten besorgt. Ob Felix’
Stückfantasie schon ausgereicht hat, um nachmittägliche Pro-
gramme zu füllen, ist nicht überliefert. Man weiß aber, dass er in
den faschistischen Dreißigerjahren, anders als sein Vater, der mit
dem „Entarteten“-Malus in die Schweiz emigrieren musste, sein
Geld als Opern- und Theaterregisseur in Weimar verdient hat. Viel-
leicht mit Spielplänen, die auch den hartherzigen Nazis die Tränen in
die Augen getrieben haben. Vielleicht hat ihm auch Papa Paul
beim gelegentlichen Heimaturlaub beigebracht, wie Kasperl,
Gretel, Sepperl, Teufel, Tod und Polizist die Finsterlinge mit garan-
tiertem Erfolg besiegen.
O.T. (EMMY „GALKA“ SCHEYER)
1922, Gips, Nussschalen, Kugeln, Fell
und Samt, 31 cm
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