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it den Jahren ist die Klee’sche Maskenbildnerei raffinierter,
man könnte auch sagen: gereifter geworden. Allmählich
dienen alle möglichen Materialien – Rindsknochen, Haar
borsten, Nussschalen, Steckdosen – zur Charakterisierung einer
immer länger und immer schräger werdenden PorträtGalerie. Mal
sitzt die Schwester Modell, mal der bärtige Vater. Kenner wollen
unter den Puppen auch schon Rainer Maria Rilke, Oskar Schlemmer
und die Malerin Galka Scheyer entdeckt haben. Auch die Kostüme
verlieren ihren ObdachlosenCharme, seit sie von der Berner
Nachbarin Sasha von Sinner, einer später berühmten Puppenmutter,
genäht werden. Nur das Theater, aus alten Bilderrahmen und
Stoffresten gebastelt, wird nie runderneuert. Anders als die Bühnen
bilder, für die zu Beginn noch Illustrationen aus dem Almanach
Der Blaue ReiterDer Blaue ReiterDer Blaue Reiter genügen und die bald, wie Felix Klee erzählt hat, be genügen und die bald, wie Felix Klee erzählt hat, be
trächtlich an ästhetischer Feinheit gewinnen.
So dauert die Produktion bis 1925. Zum Schluss liegen im
Fundus rund fünfzig Puppen, von denen sich dreißig erhalten haben.
Leider ist das UrsprungsEnsemble 1945 bei einem Bomben
angriff auf Würzburg verbrannt. Aber auch der verbliebene Rest
markiert ein eindrückliches Kapitel im schier unermesslichen Werk
dieses Künstlers. Rilke hielt „diese Produktion für inkommen
surabel“. Und tatsächlich: Nichts scheint an diesem Werk so unmaß
stäblich wie gerade die Unaufhaltsamkeit, mit der es sich von
Anfang an der Übersicht zu entziehen droht. Als Hans Goltz in seiner
Münchner Galerie im Mai 1920 eine erste KleeRetrospektive
veranstaltet, zählt der Katalog bereits 362 Nummern. Heute umfasst
der gültige Catalogue raisonnéCatalogue raisonnéCatalogue raisonné neun schwergewichtige Bände. neun schwergewichtige Bände.
Die Handpuppen postieren sich wie freundliche Wächter auf der
unendlichen Strecke.
Zumal sie über die private Nutzanwendung hinaus bald auch
einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen haben. Am Bauhaus in Weimar
nämlich, wo Klee seit 1920 zu den einflussreichen Lehrern gehört,
macht sein groteskes Personal – ähnlich wie Schlemmers Figurinen
für das Triadische BallettTriadische BallettTriadische Ballett – immer wieder die Runde und festigt den – immer wieder die Runde und festigt den
Ruf des Künstlers als unerschöpflicher Spintisierer, der sich mit seinem
feinen Strich und den moosigen Farben längst in einer Fantasiewelt
eingerichtet hat, aus der er einen bildnerischen Liebesbrief nach
dem anderen schickt. Dass er 1925 an der ersten SurrealistenAus
stellung in Paris beteiligt ist, geht völlig in Ordnung – auch wenn
seiner Art der Bildträumerei das psychotische Kalkül, das artifiziell
Befremdliche, wie es am Hof des SurrealismusPapstes André
Breton gepflegt wird, gänzlich fehlt.
Andere haben den Klee’schen Handpuppen einen DadaStamm
baum nachdichten wollen. Aber auch das ist völlig daneben. Was
soll denn an der liebevollen Monstrosität ironisch, bürgerfeindlich
aggressiv sein? Klee war zum bösen Affekt nie fähig. Und so wenig
man dem ZündholzschachtelgeistZündholzschachtelgeistZündholzschachtelgeist des Jahres 1925 irgendwelche Partei des Jahres 1925 irgendwelche Partei
nahme an den Kultur und Sozialkämpfen des Weimarer Jahr
zehnts nachsagen könnte, so wenig ist er mit seinen Mitgeistern
einfach Spielzeug. Klee light gibt es nicht. Ob Zeichnung, Aquarell,
Grafik, Malerei oder Skulptur für die Kinderhand, alles folgt jener
Fabulierschleife, die bei Klee wahrhaft unendlich ist. Spiel und
Ernst, ein einziges Mal in diesem Jahrhundert und nur dieses eine
Mal, kommt es einem so vor, als seien es nur zwei Wörter für die
selbe Sache.
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