Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

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ENCORE


ostasiatische Kunst auch seine Frau. Schon


im Sommer des Hochzeitsjahres notiert


sie: „Gemeinsam empfinden wir den Sinnes-


rausch, den unsere Kunstwerke ausströ-


men.“ Fünfmal werden beide in den folgenden


Jahren zu jahrelangen Reisen aufbrechen,


nach Indien, Sibirien, China, Korea, Japan.


Bis in letzte Winkel erkundet das reisende


Paar die Länder Ostasiens, besucht Museen,


Werkstätten, Tempel, Künstler und Samm-


ler. Shanghai sei ihr zu sehr „internationale


Weltstadt“, beschwert sich Frieda Fischer –


sie will in das „wirkliche China“. Hier schreibt


eine, die das Fremde nicht mit spitzen


Fingern berührt.


Aus den Tagebuchseiten dieser Jahre


spricht eine wache Beobachterin der Welt.


Immer weiter schärft sich ihr Kunstge-


schmack, auch ihr Wissen um die Techniken


und verschiedenen künstlerischen Schu-


len. Selbst den fremden Kunstmarkt meistert


Fischer, weiß um Preise und komplexe


Verhandlungsgepflogenheiten, behält die


Konkurrenz fest im Blick und lernt Fälsch-


ungen erkennen.


Die Sammlung wächst derweil „ins


Phantastische“ und irgendwann reift der Ent-


schluss, sie auch anderen Menschen zu-


gänglich zu machen. Mit der Stadt Köln ver-


einbaren beide den Bau eines Museums,


dessen Leitung Adolf Fischer anvertraut wird.


Immer im Hintergrund seine Frau, die


mit dem Museum von Anfang an mehr will,


als Preußens koloniales Selbstbewusstsein


zu streicheln. „Nicht nur die Neugier und das


Wissenwollen von diesen Nationen will


das Museum befriedigen, sondern es will die


Ehrfurcht wecken vor einer anderen, eben-


bürtigen Kultur und den Glauben an die Welt-


verbundenheit aller Völker, an die eine,


große Menschheitsidee.“


Kaum ein halbes Jahr nach der Er-


öfföfföffnung des Museums stirbt Adolf Fischernung des Museums stirbt Adolf Fischer


jedoch. Als „Gänschen“ hatte sich Frieda


Fischer in einem ihrer frühen Tagebuchein-


träge noch bezeichnet, nun findet sie sich


allein inmitten eines gemeinsamen Lebens-


werkes wieder und muss sich behaupten:


„Und welche Museumsfragen und Entschei-


dungen brachten die folgenden Jahre in


dieser dem Kriegsschauplatz nahen Stadt! Ich


habe sie mir in Tagen und Nächten ab-


gerungen.“ Die große Verantwortung, der


Druck, vielleicht auch ihre einsame Stel-


lung, all das scheint sie nie zu scheuen. Sie


wächst und wächst. Frieda die Erste.


LOUISE


STRAUS


WALLRAF-RICHARTZ-MUSEUM


KÖLN


Als sich Louise Straus 1912 in Bonn für ein


Studium einschreibt, ist sie früh zur Stelle.


Frauen waren da gerade mal seit vier Jahren


an preußischen Universitäten zugelassen


und die erste deutsche Professorin wird erst


1923 berufen. 1917 verlässt Straus als eine


der ersten promovierten Kunsthistorikerin-


nen des Landes die Universität. Aber wohin


mit so einer Neuen, inmitten von Kaiser-


reichsmuff, Krieg und wirtschaftlicher Not?


Paradoxerweise schenkt ihr und vielen an-


deren wohl gerade das Elend dieser Jahre


eine Chance: An der Front rufen die Schüt-


zengräbenzengräbenzengräben ganze Generationen von Männern ganze Generationen von Männern


zu sich hinab. Und an verwaisten Arbeits-


plätzen überall im Land schlägt derweil die


Stunde der Frauen.


TTTatsächlich schickt in Köln das Wallraf-atsächlich schickt in Köln das Wallraf-


Richartz-Museum nach Straus, ein hoch


angesehenes Haus mit beachtlicher Samm-


lung. Nicht, dass sie es nicht auch ohne


Krieg verdient und vermocht hätte. Sich selbst


bescheinigt sie einmal „ein gut möbliertes


Gehirn“ – und es hätte ihr wohl niemand wi-


dersprochen, der sie kannte oder der heute


ihre so flirrend klugen Lebenserinnerun-


gen liest.


Schnell aber merkt Louise Straus, dass


das Haus unter seinem Leiter Josef Poppel-


reuter schwer zu leiden hat. „Das war aber


eigentlich auch nichts Rechtes. Es war im


Krieg. Der Direktor war alt und träge, nur


froh, wenn man ihn in Ruhe ließ.“ Glaubt


man ihren Aufzeichnungen, dann beschäftigt


sie Poppelreuter als bessere Sekretärin und


lässt sie an der eigentlichen Arbeit des Hau-


ses nie wirklich teilhaben. Eine kleine Aus-


stellung allerdings darf sie kuratieren und die


wiederum hat es in sich: Alte Kriegsdarstellun-


gen. Graphik des 15. bis 18. Jahrhunderts. Bilder


vom Krieg, aber fern jeder Schlachten-


propaganda.


Im Februar 1919 stirbt der Direktor, und


während die Stadt die Suche nach dem Nach-


folger annonciert, übernimmt Louise Straus


kommissarisch seine Tätigkeit. Sie ist damit


nach Frieda Fischer die zweite Frau, die


„Unser Museum soll den Menschen dienen.“


Frieda Fischer tritt ihr Amt 1914 an


Das Museum ist für Louise Straus nur Zwischenstation:


Sie wird als Journalistin zu einer der


profiliertesten Beobachterinnen ihrer Zeit


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