Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

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ENCORE


in Deutschland ein Kunstmuseum


leitet – und noch nicht einmal


25 Jahre alt. Ganz anders als das


Ostasiatische Museum will das Wall-


raf-Richartz seiner neuen Direkto-


rin jedoch nicht so recht zur Bühne


werden: Das Haus ist in einem de-


solaten Zustand, Teilen der Samm-


lung sitzt die Kälte nasser Lager-


räume in den Knochen und für An-


käufe gibt der Kriegsetat nichts


her. Dem nur „spärlich anwesenden


Publikum“ weist sie bei Bomben-


gefahr den Weg in die Unterstände.


Vielleicht hat sie sich auch


deshalb nie als große Direktorin


verstanden. Schnell hat sie geahnt,


dass hier keine Zukunft für sie


war: Ende 1919 verlässt sie das Haus


und geht ins Ungewisse. Eine


ganz typische Entscheidung für


Louise Straus, die ihr Leben lang,


trotz aller Ängste, lieber die Brü-


che provozierte. Selbst 1933, als


die Zeit ihr längst nach dem Leben


zu trachten beginnt, erfasst sie


ein „heimlicher, kaum eingestan-


dener Jubel. – O nein, es kam


etwas Neues. Die ganze Welt lockte.“


LILLI


FISCHEL


BADISCHE KUNSTHALLE


KARLSRUHE


„Eine gewisse Anpassung und auch Unter-


ordnung“ könne sie sich ja vorstellen... aber.


Noch bevor Lilli Fischel 1925 ihren Vertrag


an der Badischen Kunsthalle, der heutigen


Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, überhaupt


unterschreibt, reißt ihr in diesen Zeilen an


ihren zukünftigen Chef Willy Storck schon


mal vorsorglich der Geduldsfaden.


Als Lilli Fischel schließlich ihren Ar-


beitsplatz antritt, ist sie auf dem Papier als


wissenschaftliche Hilfsarbeiterin ganz un-


ten in der Hierarchie. Was sie allerdings


keinen Moment davon abhält, für sich ein-


zustehen: Fast von Anfang an kämpft sie


um Gehaltserhöhungen und um Gleichbe-


handlung mit den männlichen Kollegen.


Sie arbeitet hart und auf höchstem Niveau –


und fordert Anerkennung dafür. Als ihr Chef


erst erkrankt und 1927 schließlich stirbt,


begibt sich das Ministerium auf die Suche


nach einem neuen Direktor und beweistnach einem neuen Direktor und beweistnach einem neuen Direktor und beweist da- da-


bei keine glückliche Hand. Ein Kandidat


nach dem anderen lehnt ab, wird vergrault


oder ist den Gremien nicht genehm. Über


Jahre wird sich das ziehen, während Fischel


die Stellung hält. Die offensichtlichste Lö-


sung übersehen die Beamten dabei, vielleicht


nicht ganz ohne Absicht. Mit der reinen


Verwaltung des Stillstands hingegen gibt sie


sich nicht zufrieden – eine Vakanz ist mit ihr


nicht zu haben.


Zum „verstaubten Rumpelkasten“ hatte


die Süddeutsche ZeitungSüddeutsche ZeitungSüddeutsche Zeitung die Badische Kunst die Badische Kunst-


halle noch 1921 deklassiert: lokale Künstler,


Traditionalisten, kaum wirklich Großes und


Modernes an den Wänden. Eine Sammlung,


abgehängt von der Zeit. Unter Willy Storck


hatte das Haus ein Erneuerungsschub erfasst,


den Fischel nun nach dessen Tod mit eige-


ner Handschrift fortführt, zunächst noch in


der Stellung einer wissenschaftlichen Hilfs-


arbeiterin, ab 1928 als Konservatorin.


Sie steuert das Haus aus der Sack-


gasseder lokalen Ankaufspolitik


heraus und öffnet es für eine Mo-


derne, die der Sammlung wieder


Strahlkraft geben soll. Die Listeihrer


Ankäufeliest sich, trotz der gro-


ßen finanziellen Schwierigkeiten


dieser Jahre, beachtlich: Lovis


Corinths Bildnis Frau Charlotte


Berend-Corinth im Garten, Gustave


Courbets Bildnis desDichters Pierre


DupontDupontDupont, Werke von, Werke von Schlichter,


Munch und Barlach, Kokoschka,


Picasso. 1928 erwirbt sie mit Max


Liebermanns Gemüsemarkt in Amster-


damdamdam das erste spätimpressio das erste spätimpressionistische


Bild für die Kunsthalle.


VVVon Anfang an aber läuft die on Anfang an aber läuft die


badische Künstlerschaft gegen


das Haus und seine neue progres-


sive Führung öffentlich Sturm.


Gerade die mächtigen konservati-


ven Cliquen reden sich in Rage.


Auf einer Karikatur zu einer be-


sonders kontrovers diskutierten


Ausstellung sieht man Lilli Fischel


auf den Stufen der Kunsthalle lie-


gen, in ihrem eigenen Blut. Ne-


ben ihr ein offenes Grab. Fischel


aber gibt nie auf und hebt die


Sammlung mit größter Beharrlich-


keit auf die Höhe der Zeit. 1930


entscheidet das Museum, die Stelle des Di-


rektors aus finanziellen Gründen vorerst


nicht neu zu besetzen. Im gleichen Jahr wird


Fischel damit endlich auch offiziell mit


der kommissarischen Führung der Geschäfmissarischen Führung der Geschäfmissarischen Führung der Geschäf--


te beauftragt. Lilli – der dritte Streich.


VVVom Wunsch nach „Aufrücken“ hatom Wunsch nach „Aufrücken“ hat-


te sie ganz am Anfang in einem Brief


an ihren zukünftigen Chef einmal gespro-


chen. Ein harmloses Wörtchen – und


gerade deswegen so klug. Weil es zwar vom


Kampf einer Frau in den Zwanzigerjah -


ren spricht, ihn aber mit der Harmlosigkeit


ganz natürlicher Prozesse zu kaschieren


weiß. Nicht die große Revolution scheint


diese Frau zu wollen, sondern einfach


nur ein bisschen „aufrücken“ wo vielleicht


eine Lücke ist. Dann wird man schon se-


hen. Es gilt, viel aus wenigem zu machen,


hat sie an anderer Stelle einmal sinngemäß


geschrieben. Ganz die kommissarische


Direktorin.


Lilli Fischel führt die Karlsruher Sammlungen


gegen alle Widerstände in die Moderne – und bezahlt


am Ende einen hohen Preis


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