Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

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19.10.19 Samstag, 19. Oktober 2019DWBE-HP


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DWBE-HP

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26 DIE LITERARISCHE WELT DIE WELT SAMSTAG, 19. OKTOBER 2019


„Sonderzug“, meldet der Kölner Haupt-
bahnhof, es herrscht feierliche Anspan-
nung. Die Ehrengäste der Frankfurter
Buchmesse, die norwegische Kronprin-
zessin Mette-Marit und ihr Gemahl Haa-
kon, haben zur Reise im Literaturzug
nach Frankfurt eingeladen. Zu der bren-
nenden Frage, was wohl drei von der
Deutschen Bahn bereitgestellte Waggons
zu einem Literaturzug macht: Zunächst
waren Bücher dekorativ in Koffern und
auf den Tischen angerichtet. Eine an-
sehnliche Delegation aus neunzehn nor-
wegischen Autoren reist mit.
Kaum ist der Zug losgefahren, beginnt
schon das erste Happening. Mit Mette-
Marit. Am anderen Ende von Wagen 27.
Und bevor man begreifenkann, was da ge-
schieht, hat sich schon ein Fotografen-
pfropf in den vielleicht 50 Zentimeter
breiten Mittelgang gesetzt – die Fernseh-
teams und klirrenden Getränkewagen
kommen später. Wer aber Glück hat, den
zieht eine Pressebetreuerhand durch die
Druckkammer ganz nach vorne, damit er
Mette-Marit nicht nur auf dem Bild-
schirm sieht. Eine Fernsehjournalistin
muss ihren Platz räumen. („Ich bin wich-
tiger als die, aber der“ – sie zeigt auf ei-
nen Kollegen – „ist unwichtiger!“
Ungeheuer erdverhaftet unterhält sich
Ihre Königliche Hoheit derweil mit den
Autoren Johan Harstad, Mona Høvring
und Lars Mytting. Das Rheinufer brettert
pittoresk hinter ihnen vorbei, auf den Ti-
schen grinst Andrea Sawatzki vom Cover
der „DB-Mobil“. Im Gespräch ist man
sich über das großartige Kunstverständ-
nis der Deutschen einig und auch über
die Verdienste des norwegischen Verlags-
wesens, weil es Newcomer unterstützt.
Hinter Høvring reckt Volker Weider-
mann den Kopf über den Sitz. Als er eine
Frage stellt, wird er von den freundlichen
norwegischen Ordnern freundlich darauf
hingewiesen, dass das nicht vorgesehen
sei. Mette-Marit erzählt aus ihrer Kind-
heit und schon sind die fünfzehn Minu-
ten vorüber.
Der Schriftsteller Lars Mytting spricht
jetzt über norwegische Stabkirchen, um
die es auch in seinem Roman „Die Glocke
im See“ geht. Mithilfe von zwei aufrecht
gehaltenen Sawatzkis erläutert er die sta-
tischen Tücken von Holzpfeilerkonstruk-
tionen, insbesondere bei Nässe. Die Fern-
sehjournalistin fegt vorbei: „Kein Sauer-
stoff hier drin!“. Mona Høvring bittet, ei-
nen Augenblick auf ihren Lippenbalsam
aufzupassen. Als sie beim dritten Inter-
view im Gang schon wieder gefragt wird,
was denn die norwegische Literatur im
Speziellen und die norwegische Seele im
Allgemeinem ausmacht, sagt sie nur:
„Norwegians are like this, Norwegians
are like that! We are all different in the
world!“
Beim Interview mit Kronprinz Haakon
verteilt dessen Assistentin Zettel mit
komplizierten norwegischen Autorenna-
men, nur Volker Weidermann bekommt
einen, auf dem „Astrid Lindgren“ steht.
Als der Literaturzug in Frankfurt einrollt,
ist Mona Høvrings Lippenbalsam ver-
schwunden. EMELI GLASER

DER SALON


Der Amerikaner gab Leamas noch einen
Kaffee und sagte: „Gehen Sie doch heim,
schlafen Sie ein bisschen. Wir rufen Sie
an, wenn er kommt.“
Leamas antwortete nicht. Er starrte
durch das Fenster der Kontrollbaracke
auf die leere Straße hinaus.
„Sie können nicht ewig warten, Sir.
Vielleicht kommt er irgendwann später.
Die Polizei soll einfach der Agency Be-
scheid sagen, dann sind wir in zwanzig
Minuten wieder hier.“

DAS RÄTSEL


In dieser Woche suchen wir einen ge-
heimen Klassiker. Wie heißt der Roman?
Und wie der Autor, der ihn schrieb?
Lösungsvorschläge bitte an die Redak-
tionsadresse oder an weltlitera-
[email protected] suchten wir
„... ein gewisses Lächeln“ von
Françoise Sagan. Gewonnen hat
Maria Bongart aus München.

}


PROLEGOMENA


*

*PROLEGOMENA: „EINLEITUNG, WELCHE GEMEINGLICH VORGÄNGIG NÖTHIG IST, DER VÖLLIGEN UNTERWEISUNG EINER WISSENSCHAFT VORHERGESETZT ZU WERDEN, DAMIT DER LESER DIESELBE BESSER FASSEN MÖGE“ (ZEDLERS UNIVERSAL-LEXICON, 1754).

UVerantwortlich: Mara Delius Redaktion:Wieland Freund, Philipp Haibach, Marc Reichwein Gestaltung: Katja Fischer, Philippe KruegerU 1 0888 Berlin, Axel-Springer-Straße 65, [email protected]

A


m 9. September des Jahres 1800
checkten zwei höchst unter-
schiedliche Herren im „Gasthaus
zum Fränkischen Hof“ ein, dem besten
Haus in der fürstbischöflichen Residenz-
stadt Würzburg. Die rüstete sich gerade
für eine Belagerung durch napoleonische
Truppen. Die Herren nannten sich Bern-
hoff und Klingstedt. Für Letzteren, einen
22-Jährigen mit kaum zu bändigendem
schwarzem Haar und blauen Augen, an-
geblich Sohn eines jüdisch-schwedischen
Kapitäns von der Insel Rügen, sollte es
die wichtigste Zeit seines Lebens werden.
Schrieb er heim.
Sie kamen von Dresden her und hatten
ursprünglich nach Wien gewollt. In Leip-
zig hatten sie sich an der Universität im-
matrikuliert, um mit den Studienpapie-
ren weiterreisen zu können. Britische
Pässe beim Gesandten in Sachsen zu be-
kommen hatte nicht funktioniert. Wie so
einiges nicht in den kommenden Wo-
chen. Wie wahrscheinlich so ziemlich je-
der Plan in Klingstedts Leben, der so we-
nig Klingstedt hieß wie Bernhoff Bern-
hoff. Bernhoff war die Camouflage des
Juristen Ludwig von Brockes. Der zehn
Jahre jüngere Klingstedt war 1777 in
Frankfurt an der Oder als Bernd Heinrich
Wilhelm von Kleist zur Welt gekommen.
Sechs Wochen blieben Brockes und
Kleist in der Stadt. Nach einer Woche
mussten sie – wahrscheinlich, weil ihnen
das Geld ausging – umziehen, kamen un-
ter beim Stadt-Chirurgus Joseph Werth.
Was die Anhänger einer von einem hal-
ben Dutzend Theorien zu bestätigen
scheint, die seit den in 80 Briefen Kleists
scheinbar gut dokumentierten Wochen
aufgestellt wurden über den wahren
Grund der Würzburg-Reise des abgebro-
chenen Soldaten, abgebrochenen Ma-
thematikstudenten und gerade anbre-
chenden Schriftstellers Kleist.
Das Ziel immerhin steht fest. Es war
das, was Kleist, der „Ankündigungsakro-
bat“ (Hermann Kurzke), immer hatte,
aber zeitlebens nie erreichte. Das Glück.
Einen Platz zu finden, eine Existenz im
Riss, der sich gerade in der Gesellschaft
auftat und in dem Kleist herumrandalier-
te und zugrunde ging – dem zwischen
bürgerlicher Pflichterfüllung und künst-
lerischer Freiheit.
Sie würden stolz sein über das, was er
da in Würzburg vorhabe, so es denn ge-
länge, schrieb er seiner Halbschwester
Ulrike und seiner Verlobten Wilhelmine
von Zenge. Möglich, dass er den Stadt-
Chirurgus aufsuchte, um sich von einer
Vorhautverengung zu befreien und Wil-
helmine auch körperlich glücklich ma-
chen zu können. Möglich, dass er sich
mittels Mesmerisierung von seinem Stot-
tern befreien wollte. Möglich, dass er bei
den Freimaurern Beziehungen knüpfen
wollte. Möglich, dass er mathematische
Theorien zum Glücksspiel ausprobieren
und durch Würfeln reich und unabhängig
werden wollte. Möglich, dass er sich in
Berlin von Carl August von Struensee,
dem preußischen Minister für Akzise-,
Zoll-, Kommerzial- und Fabrikwesen, als
Industriespion für Preußens Textilindus-
trie hatte anheuern lassen – um die Re-
zeptur für das heute als Schweinfurter
Grün bekannte Pickelgrün zu stehlen, ei-
ne Farbe, die so giftig war, dass Maler
(van Gogh zum Beispiel) Pickel bekamen,
die aber Pickelgrün hieß, weil sie vom
Würzburger Chemieprofessor Johann
Georg Pickel erfunden wurde.
Möglich, dass alles zutrifft. Herr Kling-
stedt zeigt sich in den Briefen eben nicht
nur als Ankündigungsakrobat, sondern
als vollendeter Verschleierer seiner
Selbst. Das Einzige, von dem man mit ei-
niger Sicherheit sagen kann, dass es sich
zwischen dem 9. September und dem 27.
Oktober des Jahres 1800 in Würzburg er-
eignet hat, ist der Urknall des Schriftstel-
lers Heinrich von Kleist. ELMAR KREKELER

Alles Schriftstellerleben sei Papier,
heißt es. In dieser Reihe treten wir den
Gegenbeweis an.

ACTIONSZENEN DER
WELTLITERATUR

Kleist in


geheimer Mission


ZWEITES MASSAKER
–VATERLAND KOMMT EUCH HOLEN

LIAO YIWU
Ich bin Carrie LamIch bin Carrie Lam Übersetzt von Martin Winter
Ich bin Li Peng in HongkongIch bin Li Peng in Hongkong
Ich bin ein Gespenst, kontrolliert von GespensternIch bin ein Gespenst, kontrolliert von Gespenstern
Ich verkünde, ab Mitternacht sind Masken verbotenIch verkünde, ab Mitternacht sind Masken verboten
Ich bringe euch immer wieder zur WutIch bringe euch immer wieder zur Wut
Ich vertrete Peking, diese Stadt ist besetzt.Ich vertrete Peking, diese Stadt ist besetzt.

Hongkonger und Hongkongerinnen!
Ihr werdet vor eurer Haustür
das Morden erleben
so wie in Beijing vor 30 Jahren
die Leute vor ihrer Haustür –
Feuer! Feuer! Feuer! –
Schüsse und Schüsse.

Die Demonstranten werden fallenDie Demonstranten werden fallen
wie dichter Schnee den Sommer bedeckt.wie dichter Schnee den Sommer bedeckt.
Das war in der mongolischen DynastieDas war in der mongolischen Dynastie
eine tragische Oper, die hat jedes Kind gekannt.eine tragische Oper, die hat jedes Kind gekannt.
Der Alte Himmel, Gott heißt er im Westen,Der Alte Himmel, Gott heißt er im Westen,
hat wegen Dou E Tränen vergossen.hat wegen Dou E Tränen vergossen.
Ihr Heimatland, zu dem sie Mama sagen, hat ihr den Kopf abgeschlagen.Ihr Heimatland, zu dem sie Mama sagen, hat ihr den Kopf abgeschlagen.
Gottes Tränen waren der Schnee, man hat überhaupt kein Ende gesehen.Gottes Tränen waren der Schnee, man hat überhaupt kein Ende gesehen.
Die Demos zwischen den Wolkenkratzern, als ob sie Heere von Toten rufen.Die Demos zwischen den Wolkenkratzern, als ob sie Heere von Toten rufen.

Damals gab es noch keine Gewehre,
sonst hätten die Polizisten in Hongkong
schon damals dem Mädchen das Aug ausgeschossen.

Lasst blinde Seelen auferstehen und schweben,Lasst blinde Seelen auferstehen und schweben,
drei Fuß über dem Boden, immer nach vorn.drei Fuß über dem Boden, immer nach vorn.
Wenn die Kolonnen der Henker anrückenWenn die Kolonnen der Henker anrücken
verlieren Kugeln ihr Pfeifen, Rauchbomben verlieren den Rauch.verlieren Kugeln ihr Pfeifen, Rauchbomben verlieren den Rauch.
Wenn sie vom Leben in den Tod, von der Straße ans Bett zurückkehrenWenn sie vom Leben in den Tod, von der Straße ans Bett zurückkehren
erscheinen Parolen von Regenschirmen in Träumen.erscheinen Parolen von Regenschirmen in Träumen.
Lasst uns Hongkong zurückgewinnen, die Revolution unserer Zeit.Lasst uns Hongkong zurückgewinnen, die Revolution unserer Zeit.
Schlaft, meine Kinder, sagt Gott.Schlaft, meine Kinder, sagt Gott.
Ihr habt so lang auf der Straße gekämpft,Ihr habt so lang auf der Straße gekämpft,
sogar der Mond und die Sterne sind müde.sogar der Mond und die Sterne sind müde.

Schlaft, Hochhäuser.
Schlaft, ihr Protestschreie.
Schlaft, allgemeine Wahlen.
Schlaft, entführte politische Flüchtlinge.
Schlaft, abgedrehte Freiheiten.
Schlaft, radikale Krieger.
Schlaft, Frieden, Vernunft und Gewaltlosigkeit.
Schlaft, fünf große Forderungen.
Schlaf, Operation Yellowbird
Schlaf, serienweise vergewaltigte öffentliche MeinungSchlaf, serienweise vergewaltigte öffentliche Meinung
Schlaft, Zehntausende, Hunderttausende, eine Million, zwei Millionen DemonstrantenSchlaft, Zehntausende, Hunderttausende, eine Million, zwei Millionen Demonstranten
Schlaft, lasst sie einmal zufrieden sein
Schlaft, lasst Carrie Lam und die Führer des Vaterlands einmal zufrieden seinSchlaft, lasst Carrie Lam und die Führer des Vaterlands einmal zufrieden sein
Schlaft, lasst diese getaufte Mutter von Hongkong zufrieden seinSchlaft, lasst diese getaufte Mutter von Hongkong zufrieden sein
Hat sie wirklich geboren? Hat sie wirklich Kinder?Hat sie wirklich geboren? Hat sie wirklich Kinder?
Eine Mutter mit Kindern könnte nicht so handeln.Eine Mutter mit Kindern könnte nicht so handeln.
Gab es je eine Henkerin in der Geschichte? Vor 30 Jahren,Gab es je eine Henkerin in der Geschichte? Vor 30 Jahren,
Li Peng, der das Kriegsrecht verkündet hat, war auch ein Mann.Li Peng, der das Kriegsrecht verkündet hat, war auch ein Mann.

Schlaft, lasst Himmel und Erde sich umkehrenSchlaft, lasst Himmel und Erde sich umkehren
Lasst Obdachlose in Wolken wandeln
mit Kinderliedern und Engeln. Schlaft,
geht viele Jahre zurück.
Viele Hongkonger sind noch nicht geboren,Viele Hongkonger sind noch nicht geboren,
ganz viele Leute vom Festland kommen in großen Wellen,ganz viele Leute vom Festland kommen in großen Wellen,
in der Bucht von Shenzhen, am Löwenfelsen oder auf hoher See.in der Bucht von Shenzhen, am Löwenfelsen oder auf hoher See.
Sie fallen hin, knien, sie haben ihre Bibel der Flucht nach HongkongSie fallen hin, knien, sie haben ihre Bibel der Flucht nach Hongkong
und darin sind nur ein paar handgezeichnete Landkarten. Sie schreien,und darin sind nur ein paar handgezeichnete Landkarten. Sie schreien,
ich hab Durst, ich hab Hunger, bin angeschossen, vergiftet, ich sterbe,ich hab Durst, ich hab Hunger, bin angeschossen, vergiftet, ich sterbe,
schickt mich nicht zurück!

Das war eine windstille Mondnacht.
Ein Engländer hat hingesehen,
ein Boot der Küstenwache.
Ein Suchscheinwerfer blinkt auf, geht vorbei.Ein Suchscheinwerfer blinkt auf, geht vorbei.
Der Engländer sagt, du darfst bleiben,
dein Vaterland kommt nicht hierher.
Du kannst bleiben,
das war die Geschichte von deinem Opa,
von deinem Papa,
es war deine Geschichte, mein Kind.
Das war der letzte schöne Traum in Hongkong:
Das Vaterland kommt nicht hierher. Aber jetzt ist es gekommen.
Das Vaterland vergewaltigt deine Mutter und kommt dich holen,Das Vaterland vergewaltigt deine Mutter und kommt dich holen,
mit Suchbefehl, Entführung, Gehirnwäsche, Mord.mit Suchbefehl, Entführung, Gehirnwäsche, Mord.
Sie sind da.

Töten ist schön!
Polizisten schreien.
Zehntausende mutierte Riesenkakerlaken schreien.
Töten ist schön! Freiheit zerdrücken,
Freiheit zerdrücken ist schön.

Macht und Gewalt wird recht behalten,Macht und Gewalt wird recht behalten,
Generation um GenerationGeneration um Generation
Aber Freiheit zündet wieder,Aber Freiheit zündet wieder,
brennt Generation um Generationbrennt Generation um Generation
wie der Morgen dämmert aus ein bisschen Glanzwie der Morgen dämmert aus ein bisschen Glanz
nein, nein, kein Glanz, kein Lichtnein, nein, kein Glanz, kein Licht
Der Glanz, das Licht ist eine Leiche, ein 15-jähriges Mädchen, im Meer dieser Nacht.im Meer dieser Nacht.
ein Mittelschüler mit Maske herausgefischt.
Früher in der Geschichte
wurde ein Flüchtling vom Festland herausgefischt.
An einem anderen Straßeneck wird ein 13-Jähriger
zusammengeschnürt und abgeführt. Zeit in Fetzen, zusammengesetzt und verwobenZeit in Fetzen, zusammengesetzt und verwoben
Eine Todesliste geht lange herumEine Todesliste geht lange herum
wie in „Liebe in Zeiten der Cholera“,wie in „Liebe in Zeiten der Cholera“,
jede Zeile ist vergiftet. 200? 300?jede Zeile ist vergiftet. 200? 300?
Von Gebäuden gesprungen oder ins Meer, verschwunden, Gerüchte ...Von Gebäuden gesprungen oder ins Meer, verschwunden, Gerüchte ...
Keine Abschiedsbriefe, keine Beweise,Keine Abschiedsbriefe, keine Beweise,
Selbstmord oder MordSelbstmord oder Mord
Eine 20-jährige Studentin namens SoniaEine 20-jährige Studentin namens Sonia
klagt das San-Uk-Ling-Untersuchungsgefängnis,klagt das San-Uk-Ling-Untersuchungsgefängnis,
Folter und sexuelle Gewalt. Eine Reihe von FällenFolter und sexuelle Gewalt. Eine Reihe von Fällen
kommt endlich ans Licht.kommt endlich ans Licht.
Der Abendstern. Abgestürzt. Mitternacht geht um.
Nebel. Hornsignale von Weitem.
Glory be to thee, Hong Kong ...
Viele Jahre später, Engel Viele Jahre später, Engel
im dichten Nebel, Hornsignale von Weitem,im dichten Nebel, Hornsignale von Weitem,
egal was geschehen mag, ich singe mitegal was geschehen mag, ich singe mit
Glory be to thee, Hong Kong.Glory be to thee, Hong Kong.

1 989, unmittelbar vor der Niederschlagung der chinesischen Freiheitsbewegung auf dem
Platz des Himmlischen Friedens, schrieb Liao Yiwu ein berühmt gewordenes Gedicht mit dem Titel „Massaker“.
Danach saß er vier Jahre in Haft. 2011 floh er über die grüne Grenze ins deutsche Exil.

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