Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

I


ch bin als Kind viel mit dem Zug gefah-
ren. Meine Eltern wohnten in Köln,
und meine Mutter zog es regelmäßig in
ihr früheres Elternhaus in Ehrenbreit-
stein. Weil mein Vater bei der Bahn ar-
beitete, besaßen wir „Pfennigskärt-
chen“ – pro Kilometer kostete die Fahrt
einen Pfennig, was sie auch für die schmale
Kasse eines bescheidenen Beamtenhaushalts
erschwinglich machte. Meine ältere Schwes-
ter und ich mussten nicht besonders überre-
det werden, um mitzufahren. Das Reisen
machte Spaß, auch wenn es mit dem „Bum-
melzug“ lange dauerte und wir das Ende im-
mer herbeisehnten. Richtung Ehrenbreitstein
zählten wir zum Schluss die Stationen: En-
gers, Bendorf, Vallendar – raaaus.us.
Mit der Reise per Bahn war ein gewisses Vo-
kabular verbunden: Fremdwörter aus dem
Französischen, die meine Mutter ganz selbst-
verständlich benutzte. Man löste also ein „Bil-
lett“, ging zum „Perron“, stieg in ein „Coupé“,
bei Regenwetter bewaffnet mit einem „Para-
pluie“. Dies muss mir erst später aufgefallen
sein, als sich alles geändert hatte und die ver-
trauten Wörter einen nachträglichen Glanz er-
hielten, eine unerwartete Exotik, die dem Rei-
sen gut anstand.
Ich hatte als Kind keine Ahnung, dass dieses
VVVokabular schon damals aus der Mode gekom-okabular schon damals aus der Mode gekom-
men war. Am Mittelrhein wurde es aber in al-
ter Anhänglichkeit noch gepflegt, obwohl an
den Bahnhöfen die Schilder längst umgestellt
waren, auf „Fahrkartenschalter“ und „Bahn-
steig“ zum Beispiel. Es lag also etwas eigen-
tümlich Subversives im Gebrauch dieser nur
scheinbar harmlosen Bezeichnungen, was zu
meiner Mutter eigentlich nicht passte. Sie war
zzzwar selbstbewusst, rauchte auf alten Fotogra-war selbstbewusst, rauchte auf alten Fotogra-
fffien ihre Zigarette mit Silberspitze und trugien ihre Zigarette mit Silberspitze und trug
gerne extravagante Hüte, doch Widerspruchs-
geist, gar gegen den Staat, lag ihr völlig fern.
Dabei hatte dieser Staat schon ganze drei
Generationen zuvor viel dafür getan, das Voka-
bular umzustellen. Zur Zeit der Reichsgrün-
dung 1871 gab es Ministererlasse, die anordne-
ten, auf sämtlichen Schildern die gewohnten
VVVokabeln zu ersetzen. Man sieht an meinenokabeln zu ersetzen. Man sieht an meinen
Kindheitserlebnissen, wie schleppend eine sol-
che Umstellung verlaufen kann. Was ich noch
viel weniger wusste: Ein Verein hatte sich kurz
nach jener großen Wende in der deutschen Ge-
schichte gegründet, der sich der Verdeut-
schung aller Fremdwörter widmete und dieje-
nigen, die sie trotzdem weiter verwandten, mit
Hohn und Verachtung strafte. „Schämen“ soll-
ten sie sich, diese „Vaterlandsverräter“, „Sud-
ler“, die sich am wichtigsten Gut überhaupt
„„„versündigten“, an der „heiligen“ Mutterspra-versündigten“, an der „heiligen“ Mutterspra-
che. Hätte jemand im Zug meine Mutter auf
diese Weise angegriffen, hätte ich wohl, mei-
nem Alter entsprechend, mit Beißen und Krat-
zen darauf reagiert. Aber es war nie nötig. Die
damaligen Mitreisenden sprachen nämlich die
gleiche „verdorbene“ Sprache. Sie verschwand
erst, als auch der Verein knapp sechzig Jahre
nach seiner Gründung sang- und klanglos un-
tergegangen war.
Oder hatte er doch gewirkt? Das ist eine gute
und nicht die einzige Frage, die sich heute
stellt. Denn was bei Lichte betrachtet eigent-
lich sympathisch erscheint – wer sollte etwas
gegen deutsche Begriffe haben? –, ist mit einer
höchst problematischen Geschichte verknüpft,
die mit Sprache als solcher wenig zu tun hat.
Der sinnvolle Einsatz fürs Deutsche verband
sich nämlich von Anfang an mit einer Form von
Nationalismus, die geradewegs in Fremden-
hass mündete, den Ausbruch des Ersten Welt-
kriegs als Chance auf Deutsch als Weltsprache
begrüßte und schließlich den Rassismus und
Antisemitismus der Nazis aufnahm, ja sogar
verstärkte. Das mag zunächst einmal unglaub-
haft klingen, aber es ist gut dokumentiert. Gro-
ße Bibliotheken besitzen heute noch die 58
Bände der Zeitschrift dieses Vereins, der sich
„Allgemeiner Deutscher Sprachverein“ nannte,
sein Publikationsorgan zunächst als „Zeit-
schrift des Allgemeinen Deutschen Sprachver-
eins“ und dann unter dem Namen „Mutter-
sprache“ verbreitete, zwölfmal im Jahr, mit
schwankendem Umfang. Zu Beginn und zuletzt
waren es um die 200 Spalten pro Jahrgang, da-
zzzwischen auch mehr als 500. Von 1886 bis 1943wischen auch mehr als 500. Von 1886 bis 1943
kamen fast 19.000 Spalten zusammen.
Dabei haftete dem Verein bis zum bitteren
Ende etwas harmlos Operettenhaftes an, wenn
man sein Thema „Sprachpflege“ mit der gro-
ßen Oper „Sprachwissenschaft“ vergleicht. Die
AAAkteure waren überwiegend keine Profis,kteure waren überwiegend keine Profis,
drehten ihre immer gleichen Pirouetten mit
der Forderung nach mehr Deutsch, nach „rei-
nem“ Deutsch als einzig denkbarem Funda-
ment des soeben geeinigten Reiches. Nur dass
es diesen Sprachreinigern weniger um Liebe
als um Hass ging: um Hass auf alle, die ihre Art
von Liebe zur Sprache nicht teilen wollten.
Wie ist das zu verstehen? Waren es über-
spannte Gefühle, exaltierte Torheiten? War es
gar eine Art geistige Umnachtung? Jedenfalls
spielt das Gefühl eine Rolle, selbst etwas We-
sentliches verstanden zu haben, was andere
unbegreiflicherweise nicht verstehen wollten:
das „Wesen“ der Sprache, ihre Funktion für
Menschen, die nur Mensch sein können in ei-
ner dieselbe Sprache sprechenden Nation. Der
Sprachreinigung, um die es ging, lag ein exal-
tiertes Sprachverstehen zugrunde, bei dem die
AAAlarmglocken schrillten, sobald die vorgefun-larmglocken schrillten, sobald die vorgefun-
dene Sprache diesem Verstehen widersprach.
Dies war gepaart mit der Bereitschaft zum Wi-
derstand, der rasch ins Kujonieren derjenigen
aaausartete, die nicht mitmachen wollten, nichtusartete, die nicht mitmachen wollten, nicht
dem „Volk“ zu dienen bereit waren, für das die
gereinigte Sprache gedacht war.

Um es noch klarer zu formulieren: Die
Sprachreiniger glaubten, ein einfaches Ge-
heimnis verstanden zu haben, und rätselten,
weshalb die anderen es nicht begriffen, nicht
begreifen wollten. Dieses Geheimnis lautete:
Die Gründung des Deutschen Reiches verlangt
nicht nur eine gemeinsame Sprache, sondern
eine eigene Sprache: eine Sprache, die alles
Fremde abstößt und in ihrer Reinheit den Be-
stand der Ordnung garantiert. Noch deutlicher
ffformuliert: die diese Reinheit nach einer Artormuliert: die diese Reinheit nach einer Art
Strafversetzung aus dem ehemaligen Paradies
in germanischen Zeiten wieder garantiert.
Eher nebenbei gesellte sich der weitere Ge-
danke hinzu, dass diese eigene Sprache die
üüüberhaupt beste aller Sprachen sei – was dasberhaupt beste aller Sprachen sei – was das
Gebot der Reinhaltung noch steigerte. Die
größtmögliche Steigerung war dann die „Hei-
ligkeit“ dieser Sprache aller Sprachen, die nicht
nur als Garant eines in der Weltgeschichte neu
aaaufgetauchten Großreiches diente, sondern je-ufgetauchten Großreiches diente, sondern je-
de Verteidigung rechtfertigte, ja zwingend er-
ffforderlich machte. Die Forderung nach einerorderlich machte. Die Forderung nach einer
„nationalen“ Sprache führte also zu einem

üüübersteigerten Nationalismus. Man könntebersteigerten Nationalismus. Man könnte
umgekehrt auch sagen: Kaum ein Medium na-
tionalistischer Vorstellungen erwies sich zu de-
ren Ausbildung als so geeignet wie die Sprache.
Natürlich war der Gedanke nicht neu und
ebenso natürlich war er nicht nur in Deutsch-
land aufgekommen. Alle europäischen Natio-
nalismen des 19. Jahrhunderts und schon lange
vorher zeigen mehr oder weniger deutliche
Züge von Sprachnationalismen. Aber nirgend-
wo entwickelte sich dieser derart rigoros, ja
militant wie in Deutschland, begleitet von dem
unseligen Spruch, die Sprache sei lange Zeit
das einzige Band gewesen, das diese Nation
zusammengehalten habe. Zudem fand man
noch heraus, dass sich kein anderes europäi-
sches Volk nach seiner Sprache benannte: Das
WWWort „deutsch“ bedeutet ja ursprünglichort „deutsch“ bedeutet ja ursprünglich
nichts anderes als „dem Volk zugehörig“.
Nachdem ein Laie in Sprachfragen die Initi-
alzündung zur Gründung eines Vereins mit der
AAAufgabe von Schutz und Förderung der deut-ufgabe von Schutz und Förderung der deut-
schen Sprache gab, wuchs das Unternehmen
rasant. Widerspruch meldete sich durchaus,
verhallte jedoch. Selbst die größten Schwächen


  • die Stupidität des Vorgehens, die ewig glei-
    che Nörgelei, die fadenscheinigen Argumenta-
    tionen, wenn es um die Ersetzung auch geläu-
    fffigster Fremdwörter wie „Dame“ oder „Sauce“igster Fremdwörter wie „Dame“ oder „Sauce“
    ging – sorgten nicht für Einhalt oder auch nur
    ein Absinken des Interesses.


Wir stoßen dabei auf ganz „normale“ Per-
sönlichkeiten, durchweg Gebildete bis in
höchste Stufen der Universität oder der Ver-
waltung – Professoren und Ministerialdirekto-
ren, in der überwiegenden Mehrzahl Gymnasi-
allehrer. Das Rätsel ist letztlich, wie sich solche
Zeitgenossen radikalisierten beziehungsweise
radikalisieren ließen, um mitzufiebern bei der
großen Aufgabe. Wie konnte aus einem sinn-
vollen Programm der Sprachpflege ein bis zur
Karikatur übertriebener Chauvinismus wer-
den? Wie konnte die Frage nach einem zuträg-
lichen Import von Fremdwörtern im Bermuda-
dreieck von Reinheitsfantasien, Fremdenhass
und zuletzt auch noch Antisemitismus unter-
gehen? Wie konnten gebildete Persönlichkei-
ten in ein verbittertes Querulantentum verfal-
len, in einen erschreckenden Dogmatismus, in
großspurige Angebote sinnbringender Erlö-
sung? Wie konnte man fast sechzig Jahre lang
mit ideologischem Stumpfsinn und sektiereri-
schem Gesinnungsfanatismus ein ansehnli-
ches Publikum bei der Stange halten, ja sogar
begeistern?

Mit diesen Fragen aber kommt weit mehr
ins Spiel als ein Urteil über vergangene Irrwe-
ge. Es geht um die Aufdeckung von Parallelen
zu unserer eigenen Gegenwart. Denn ganz so
weit weg, wie es scheinen könnte, sind diese
vergangenen Ereignisse nicht. Es gibt heute
nicht nur einen neuen Sprachverein, der mit
dem alten Verfolgungsfuror agiert. Vor allem
lebt der gegenwärtige Nationalismus wieder in
wesentlichen Zügen von Reinheitsfantasien:
von der Idee, mit der Reinigung und dem Rein-
halten der eigenen Kultur die Nation vor unge-
betenen Gästen und deren unerbetenen Ideen,
ja letztlich vor der gesamten restlichen Welt
retten zu können.
Manche Mitglieder des Allgemeinen Deut-
schen Sprachvereins blieben in ehrendem Ge-
dächtnis. Nach Otto Sarrazin, dem am längs-
ten amtierenden Vorsitzenden mit seiner Be-
geisterung für den Ersten Weltkrieg als ver-
meintlichem Beförderer der deutschen Spra-
che, wurde in Berlin eine Straße benannt. Als
Thilo Sarrazin 2010 mit seinem Buch
„Deutschland schafft sich ab“ für Wirbel sorg-
te, verwies die „Bild“-Zeitung darauf, dass der
Straßenname nicht von ihm, sondern vom Vor-
sitzenden des Sprachvereins, Otto Sarrazin,
aaabgeleitet war. Allerdings sei der neue Sarrazinbgeleitet war. Allerdings sei der neue Sarrazin
tatsächlich der Großneffe des alten und „ähn-
lich streitlustig“ wie jener, was wohl „in den
Genen liegen“ müsse.

Man kann sich fragen, ob Peter von Polenz
mit seiner These recht hat, dass sich die Tätig-
keit des Sprachvereins als „hemmungslose
Ekstase vulgärwissenschaftlicher Sprachkri-
tik“ verstehen lässt, dass der „tragische Irrtum
der deutschtümelnden Sprachreiniger in be-
klagenswert wirklichkeitsfernem Verhältnis
zur Sprache“ wurzelt. Wenn man sieht, dass
zahlreiche Germanistikprofessoren, darunter
einer der besten Kenner des damals herrschen-
den Paradigmas, der Bearbeiter des Etymologi-
schen Wörterbuchs Alfred Götze, sich mindes-
tens genauso verrannten wie die Laien, er-
scheint die Diagnose, die von Polenz gibt, zu
harmlos. Sollte es wirklich so gewesen sein,
dass sich der Vorteil, den Jacob Grimm einst
im diachronischen Paradigma gegenüber dem
normativen Paradigma der Académie française
sah, langfristig in einen Nachteil verwandelte?
Hier muss man einwenden, dass es wohl auf
eine neue Mythenbildung hinausliefe, wenn
man den Nationalismus in Deutschland auch
nur ansatzweise der historischen Sprachfor-
schung in die Schuhe schöbe. Jacob Grimm
war kein radikaler Nationalist, und einer der
wichtigsten Vertreter der Junggrammatiker,
Hermann Paul, hat sich als energischer Ableh-
ner des Sprachvereins erwiesen, auch wenn er
seinen Widerspruch allzu sehr versteckte. Kein
heutiger Linguist leugnet im Übrigen die An-
sammlung von sprachlichem Wissen, die wir
dem historischen Paradigma verdanken. Der
hemmungslose Nationalismus stammt kaum
aaaus der Sprachbetrachtung, und er entsprangus der Sprachbetrachtung, und er entsprang
aaauch nicht allein laienmäßigem Unverstand.uch nicht allein laienmäßigem Unverstand.
Der Sprachverein war schlicht nie ein Verein
zur Erforschung der Sprache, sondern ein na-
tionalistischer Stoßtrupp. Der Sprachverein
hatte sich mit der Reinigung der Sprache eine
Art Spielwiese für anderes oder, in seiner
Sicht, „Höheres“ geschaffen. Es ging ihm von
Anfang an um die Förderung eines Nationalis-
mus, zu dessen Stärkung er konkretes Futter
suchte, was er in der Sprache beziehungsweise
in den Fremdwörtern fand.
WWWomit die Frage erreicht ist, was heute eineomit die Frage erreicht ist, was heute eine
AAAufarbeitung der Geschichte dieses Sprachver-ufarbeitung der Geschichte dieses Sprachver-
eins rechtfertigt, was sie lohnend macht. Es
wird nicht mehr die These von der verfehlten
Sprachbetrachtung sein, auch nicht mehr das
AAAugenöffnen gegenüber verbrecherischen Ab-ugenöffnen gegenüber verbrecherischen Ab-
wegen oder auch nur dem ebenso verstockten
wie geschmacklosen Weitermachen in der
Adenauerzeit. Ein wichtigerer Grund liegt im
Studium des historischen Nationalismus in
Zeiten eines neuen Nationalismus in unseren
Tagen, auch wenn man die Linien nicht zu di-
rekt ziehen darf. Der moderne Nationalismus
ist als Gegenbewegung der Globalisierung ent-
standen. Er ist ein Phänomen des Rückzugs,
des Sichzurückziehens in eine alte, verklärte
WWWelt, die wiedererstehen soll. Zugleich ist erelt, die wiedererstehen soll. Zugleich ist er
AAAusdruck einer Haltung gegen die irritierende,usdruck einer Haltung gegen die irritierende,
unendlich anstrengende und viele Zeitgenos-
sen ausgrenzende Welt eines ebenso galoppie-
renden wie werteverschlingenden Kapitalis-
mus. Der alte Nationalismus war ganz im Ge-
gensatz dazu ein Phänomen der Nationenbil-
dung, verstand sich nicht als verteidigend, son-
dern als aufbauend, ja als Stimme des Auf-
bruchs auf einem Feld, das von anderen angeb-
lich sträflich unterschätzt wurde.
Und doch liegen Parallelen auf der Hand.
Die vielleicht wichtigste ist die Reinheitsfanta-
sie als Mutter aller nationalistischen Fan-
tasien, die Abstoßung des Fremden, das da-
mals der Modellierung eigener Größe diente
und heute eher die Bewahrung des Ange-
stammten stützen soll. Auch der Tabu-Aufbau
ist ähnlich, das Größerreden des Problems, als
es wirklich ist, bis jede Winzigkeit mindestens
bedeutungsschwanger, wenn nicht zur Zeit-
bombe wird, die unweigerlich unter besonde-
rer Belastung hochgehen müsse. Man kann bei
der Aufarbeitung der Geschichte des Sprach-
vereins mit anderen Worten etwas über die
Entstehung und Wirkung des Nationalismus
lernen, und dies aufgrund des scheinbar harm-
losen Themenfelds mit einer gewissen Ent-
spanntheit. Denn die Sprache ist heute kaum
mehr ein so polarisierendes Thema, wie sie es
einmal war, selbst das erneut aufflackernde In-
teresse angesichts der Anglizismen ist größe-
ren Sorgen gewichen. Rassismus und Frem-
denhass knüpfen heute jedenfalls kaum noch
an Fremdwörter als Brandbeschleuniger an, es
genügt das „Aussehen“ und manchmal auch
ein Bekleidungsstück wie das Kopftuch oder
die Kippa, um Hassausbrüche zu motivieren.
Dafür ist umso mehr wieder von verlorener
„Identität“, von „Sich-selbst-Abschaffen“ und
was sonst allem die Rede. Auch das ewige Dro-
hen mit der „Schande“, das Einpeitschen von
„„„Verrat“ funktioniert weiterhin. Und nicht zu-Verrat“ funktioniert weiterhin. Und nicht zu-
letzt das Austrocknen jeglichen Empathiever-
mögens gehört zu den Gemeinsamkeiten, wo-
bei man sich fragt, wieso die Betroffenen dies
aaauf Dauer aushielten, warum sie die faule Stel-uf Dauer aushielten, warum sie die faule Stel-
le nicht sahen, über die der Fluss der Argu-
mente ständig hinwegglitt beziehungsweise
weiter hinweggleitet. Denn wieso sollte das
Fremde, auch schlicht zu fassen als das Neue,
etwas so abgrundtief Böses sein, wo es seit
Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden zur
KKKultur gehört? Nämlich als unverzichtbare An-ultur gehört? Nämlich als unverzichtbare An-
regekraft, bei der es immer nur auf ein sinnvol-
les Gleichgewicht mit dem Eigenen, dem Ver-
trauten, angekommen war und weiter an-
kommt.

Karl-Heinz Göttert ist Germanist und lehrte
bis zu seiner Emeritierung in Köln. Wir ent-
nehmen diesen Text seinem Buch „Die
Sprachreiniger“ (368 S., 24 €), das am 25.
Oktober bei Propyläen erscheint.

INTERFOTO

/ TV-YESTERDAY

Fahrkarte


zum Hass


WWider die „Schänder“ und Besudler“ desider die „Schänder“ und Besudler“ des


Deutschen: Wie der Allgemeine Deutsche


Sprachverein aus Liebe zur Muttersprache


zum nationalistischen Stoßtrupp wurde.


VVVon Karl-Heinz Götterton Karl-Heinz Göttert


28


19.10.19 Samstag, 19. Oktober 2019DWBE-HP


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    Belichter: Farbe:Belichter: Farbe:Belichter:


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28 DIE LITERARISCHE WELT DIE WELT SAMSTAG,19.OKTOBER2019


E


ines Tages ist es so weit, die
Musik ist vorbei. Es gibt sie
zzzwar noch auf Tonträgern,war noch auf Tonträgern,
Spotify oder YouTube-Videos
und man kann sie sich jeder-
zeit reinziehen, aber ihre Macht ist ver-
dampft, verdunstet, verschwunden. Und
mächtig war sie: Sie entgrenzte und ent-
hemmte, tröstete, brachte einen dazu,
von einer Bühne auf andere Menschen zu
springen, sich am Merchandising-Stand
eine Unterhose zu kaufen, auf der ein al-
berner Spruch stand, sich die Kante zu
geben oder neben einem Körper aufzuwa-
chen, von dem man nicht mehr wusste,
wie er sich angefühlt hatte, als er noch
nicht schnarchte. Das alles hat die Musik
gekonnt. Jetzt ist es vorbei.

VON PETER PRASCHL

Das Einzige, was einem noch zu tun
bleibt: erzählen, wie schön es gewesen ist.
KiWi unternimmt das jetzt mit einer neu-
en Reihe namens „Musikbibliothek“ (4
Bde., je 10 bzw. 12 €). Autoren schreiben
üüüber Musik, die für sie einst mächtig warber Musik, die für sie einst mächtig war
und es jetzt nicht mehr ist. Andernfalls
könnten sie nicht darüber schreiben, wer
schreibt, hat schließlich wieder die Kon-
trolle übernommen.
Thees Uhlmann erzählt von seiner
Freundschaft mit den Toten Hosen. Die
begann, als er in der neunten Klasse in ei-
nem Bus mit ein paar Dutzend Dorf-
Teens von Warstade zu einem Hosen-
Konzert nach Hamburg-Stellingen fuhr.
Das erste Konzert seines Lebens, unfass-
barer Wahnsinn. Noch dazu wird er auf
der Heimfahrt von einem Mädchen so
eng in den Arm genommen, dass er zum
ersten Mal einen Busen spürt. Danach ist
er den Hosen verfallen, eine Liebe für im-
mer, aus der tatsächlich eine Freund-
schaft mit Campino und den Jungs wird,
von Uhlmann in einem Verteidigungston
besungen, der hin und wieder zu trotzig
ist, die Hosen sind ja ein wenig peinlich.
Ihm nicht – das muss er sagen.
Anja Rützel, jene Frau, die auf „Spiegel
Online“ protokolliert, was im deutschen
Trashfernsehen passiert, gibt Auskunft
über ihre Liebe zu Take That, sie sagt,
dass sie das ernst meint, und es stimmt
wohl auch. Wie das so ist mit der Liebe
zu einer Boyband und mit Anja Rützel:
Man entkommt den Witzeleien nicht,
keine Seite lang.
Tino Hanekamp, Hamburger Clubbe-
sitzer, der nach einem ziemlich gut aufge-
nommenen Debütroman nach Mexiko
ausgewandert ist, fährt mit seiner Freun-
din nach Mexiko-Stadt zu einem Konzert
von Nick Cave. Und während sie so da-
hinfahren, erzählt er ihr die ganze Zeit
von seiner Verehrung für den Mann. Das
Konzert in Mexiko-Stadt ist dann ganz
toll und Nick Cave im Backstagebereich
superfreundlich.
Man kennt das alles, es sind gängige
Arten, über die Liebe zu reden – die kriti-
sche Würdigung, die anekdotengesättigte
Erinnerung, die witzelnde Verteidigung
des Guilty Pleasures, alles gut geschrie-
ben, in Zeiten, in denen das Grundver-
hältnis zur Welt das Mäkeln ist, mag man
Texte, die etwas mögen. Während man
sie liest, wird man selbst wieder jung,
schließlich hat man das ja auch mal er-
lebt, und erst fällt einem gar nicht auf,
dass das in Wahrheit alles Nachrufe sind.
Musik ist jetzt ein Buch, ein Fazit, eine
autofiktionale Erzählung, Welt-, Selbst-
und Lebensauslegung. Nicht mehr der
Stromstoß, der sie mal war, das Zittern
unter den Füßen.
Dann ist da noch der Band Sophie
Passmanns über den Sommer 2016, in
dem sie i immer wieder Frank Oceans Al-
bum „Blonde“ gehört hat, den Spitzen
und Tälern ihrer bipolaren Störung nach,
manchmal tage- und wochenlang im Bett,
dann überdreht tanzend, trinkend, vö-
gelnd, abstürzend, sie erzählt davon so
ohne Angst, sich auszuziehen und zu zei-
gen, dass man es oft kaum ertragen kann
und nicht weiß, ob man sie nachträglich
in den Arm nehmen will oder dafür fei-
ern, dass sie das alles hinter sich hat. Es
ist der einzige Text der vier, der selbst so
krass ist wie die Musik, die in ihn einge-
fffahren ist, und der begriffen hat, dass dasahren ist, und der begriffen hat, dass das
Brennen für Musik auch eine Verrückt-
heit ist, die einen nirgendwohin bringt
und die man deswegen abschütteln muss.
Heil wird Sophie Passmann erst wieder,
als sie beschließt, sich einen anderen
Therapeuten als Frank Ocean zu suchen –
wenn die Musik vorbei ist, endlich vorbei.

Die große


Liebe im


Nachhinein


Vier popkulturelle


Selbstvergewisserungen


in KiWis „Musikbibliothek“


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