Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

E


ine Boutique der australi-
schen Kosmetikmarke
Aesop zu betreten ist ein
bisschen so, wie die Tür zu
seinem Wunschbild vom in-
neren Selbst aufzustoßen: Alles riecht
gut und scheint aufgeräumt, gesund, auf
das Wesentliche konzentriert, klar ge-
gliedert und ästhetisch tadellos. Zen.
Vom Produkt bis hin zum Interior De-
sign wird man Teil einer ganzheitlichen
Lebensphilosophie. Keine Boutique
gleicht der anderen, jede ist ein Ge-
samtkunstwerk, gestaltet von Architek-
ten wie Snøhetta oder dem Regisseur
Luca Guadagnino.

VON SILKE BENDER

Nur eines bleibt immer gleich: Die
stets seriell präsentierten, von braunen
Apothekertiegeln inspirierten Flakons
mit schwarz-weißen Etiketten, die
schon auf Umverpackungen verzichtet
haben, als das noch gar nicht Zeitgeist
war. Man kauft dort nicht nur eine
Handseife, Shampoo oder eine Haut-
creme, sondern gleichsam den guten
Vorsatz an sich selbst, in Zukunft ein
Stück weit bewusster und achtsamer zu
leben.

Insoweit ist Suzanne Santos eine
überaus glaubwürdige Botschafterin der
Marke. Die kleine, energische Frau mit
grauem Kurzhaarschnitt und blau-wei-
ßem Toile-de-Jouy-Kleid strahlt Strenge
und Güte gleichzeitig aus. Zum vegeta-
rischen Lunch im Pariser Büro bewirtet
sie ihre Gäste vorbildlich, aufmerksam
schenkt sie das Wasser nach bei jedem
Interviewpartner, der vor ihr sitzt; sie
hilft auch dem Cateringpersonal des
Restaurants „Fulgurances“, die handge-
fertigten Astier-de-Villatte-Teller abzu-
räumen. Ihre Gesten sind unmissver-
ständlich: Sie ist eine Hands-on-Frau.
Seit bald 33 Jahren arbeitet sie für
Aesop, hat die Marke an der Seite von
Gründer Dennis Paphitis aufgebaut.
Während Paphitis sein Unternehmen
2016 vollständig an den brasilianischen
Schönheitskonzern Natura & Co. ver-
kaufte und heute nur noch als Berater
tätig ist, bleibt sie als General Manager,
Retail and Customer Relations aktiv.
Für das exakt 2,22 kg schwere, in Na-
turleinen gebundene Buch, das auf 333
Seiten die Unternehmensgeschichte
und das gesamte Aesop-Universum vor-
stellt, schrieb Suzanne Santos nicht nur
das Vorwort: Das Jubiläumsbuch, illus-
triert mit poetisch-kraftvollen Fotos

des Japaners Yutaka Yamamoto, ist ein
bisschen auch wie ihr eigenes Familien-
album. Es hält auch Shopping Guides
für verschiedene Städte weltweit bereit,
Lektürelisten und die Gebote an die
Mitarbeiter, sich vernünftig und ge-
nussvoll zu ernähren und sich Zeit für
gemeinsam zubereitete Mahlzeiten zu
nehmen. Das Spiel mit den krummen
Ziffern ist dem Glauben ihres „lieben
Freundes Dennis“ an Numerologie ge-
schuldet, selbst den schrittweisen Ver-
kauf an die Brasilianer hat er von Astro-
logen begleiten lassen.
Suzanne Santos war seine erste An-
gestellte. 1987 studierte sie Soziologie
und Philosophie, hatte ein Kind zu ver-
sorgen und suchte einen unkomplizier-
ten Job, um nebenbei etwas Geld zu
verdienen. Und Dennis Paphitis suchte
Mitarbeiter für seinen ersten Salon in
Armadale, einem Vorort von Mel-
bourne. Schon beim Vorstellungsge-
spräch spürte sie, dass sie da einem
jungen Friseur gegenübersaß, der weit
über die Köpfe seiner Kunden hinaus-
dachte. „Dennis ist ein Autodidakt
durch und durch“, sagt Santos. „Er ist
eine einzigartige Persönlichkeit, der
die Dinge auf einer höheren Ebene
durchdringt.“

Paphitis stellte zunächst alle Kon-
zepte von bis dahin üblichen „Friseur-
salons“ auf den Kopf: Statt die Kunden
während der Behandlung mit großen
Fenstern zur Straße hin zu exponieren,
bot er ihnen einen tempelartigen Rück-
zugsraum. Der Salon Emeis war eine
weiße Box mit bequemen schwarzen
Liegestühlen, die an jene aus der Villa
Savoye von Le Corbusier erinnern soll-
ten. Natürliches Oberlicht durchflute-
te den Raum, und kräftige pflanzliche
Aromaöle durchdrangen ihn, um den
scharfen, chemischen Geruch der Fri-
seurprodukte zu maskieren. „Er dachte
einfach an alles, vom Interieur bis zum
sensorischen Gesamterlebnis: Hier
wurden die Grundlagen gelegt für das,
was einmal Aesop werden sollte“, erin-
nert sie sich. „Und er tat das ganz in-
tuitiv.“ Sie war dabei, als er schließlich
anfing, die handelsüblichen Produkte
peu à peu durch natürlichere, eigene zu
ersetzen: „Wir gingen in die USA, wo es
zu botanischer Kosmetik Vorträge gab,
und trafen jemanden in Los Angeles,
der die Entwicklung unserer ersten
Haarprodukte begleitete. Und dann
kam die erste Handcreme: Resurrecti-
on, die noch heute einer unserer Best-
seller ist. Wir wollten nicht einfach nur

besser duftende Produkte, sondern
bessere Produkte insgesamt verwen-
den.“ Und das hieß: ökologisch und
ethisch so korrekte wie möglich. Er-
bauliche Lebensweisheiten – weise
Sprüche von Mark Aurel über Virginia
WWWoolf bis Laotse – wurden gratis mit-oolf bis Laotse – wurden gratis mit-
geliefert. Heute stehen sie auf den
WWWänden der Boutiquen.änden der Boutiquen.
Wellness, Lifestyle: Diese Marketing-
begriffe entlocken Santos nur ein Stirn-
runzeln. „Aesop ist kein Lifestyle und
kein Wellness, wir leben einfach unsere
Ideen“, sagt sie. Aus ihrem Teilzeitjob
wurde eine Lebensaufgabe. Wie gelingt
ihr dabei ihre persönliche Work-Life-
Balance? „Noch so ein Mythos. Wenn du
an eine Sache glaubst und sie gern
machst, rechnest du nicht in Acht-Stun-
den-Schichten. Dann ist Arbeit auch im-
mer Arbeit an dir selbst, und sie ist da-
mit unendlich, ein stetiger Prozess.“
Was ist Wellness für sie? „Arbeit, Bewe-
gung, gute Ernährung, gute Gedanken.
Eine natürliche Balance aus allem, ohne
Etiketten und Vorschriften.“ Auch ver-
spricht die Marke keine Anti-Aging-
oder Verjüngungseffekte, sondern be-
tont viel mehr die antioxidative Kraft
von Vitamin C oder Petersiliensamen,
beides verwendet sie in vielen Hautpro-

dukten. „Der Begriff Anti-Aging ist für
mich ein Verbrechen, eine Fabel, an die
dennoch viele glauben möchten. Wir
haben uns für eine andere Art der Kom-
munikation entschieden: Alter nicht als
Mühsal zu betrachten, sondern einfach
Produkte anzubieten, die gesund und
gut für die Haut sind“, sagt Santos.
„Um Philosoph zu werden, war ich
nicht geduldig genug, und für den Beruf
des Architekten nicht ausreichend tole-
rant“, sagte Dennis Paphitis einmal.
Aesop war ein antiker Philosoph und Fa-
beldichter, Grieche wie Paphitis, der un-
ter diesem Namen ein zeitgenössisches
Unternehmermärchen schrieb, mit heu-
te an die 250 Boutiquen weltweit und ei-
nem Umsatz von rund 246 Millionen Eu-
ro. Paphitis, der verhinderte Philosoph
und Architekt, wurde über den Umweg
des Kosmetikunternehmers schließlich
dann doch alles gleichzeitig.

„Aesop“ von Jennifer
Down und Dennis
Paphitis, in eng-
lischer Sprache.
Rizzoli, 75 US-Dollar

Die Macht


der APOTHEKERFLASCHENPOTHEKERFLASCHEN


Zu ihrem 33. Geburtstag hat


die Kosmetikmarke Aesop eine


Gebrauchsanweisung für ein besseres


Leben veröffentlicht. Doch ein


Lifestyle-Guide will das Buch nicht sein


Links: Aufgeräumt – Aesop-Shop
in Tokio. Rechts: Suzanne Santos
hat die Marke mit aufgebaut

AESOP

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19.10.19 Samstag, 19. Oktober 2019DWBE-VP1


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