Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

R


ina Sawayama produziert
Elektropop in ihrem Schlaf-
zimmer und verzaubert mit
Texten, die unser kompli-
ziertes Verhältnis zu digita-
len Medien ausloten. Zudem hat sich die
Britin mit japanischen Wurzeln als Mo-
del und Schauspielerin hervorgetan. Be-
vor sich die 29-Jährige der Unterhaltung
verschrieb, studierte sie an der Univer-
sity of Cambridge. Zur Mercedes Benz
Fashion Week in Mexico City experi-
mentierte sie mit Formen der Selbstdar-
stellung und räumte mit Stereotypen
von Gender und Ethnizität auf.

VON EVA MUNZ

WELT: Sie haben in Cambridge Polito-
logie, Soziologie und Psychologie stu-
diert. Wie wirkt sich das auf Ihre
künstlerische Tätigkeit aus?
RINA SAWAYAMA: Ich glaube, ich gehe
an die meisten Dinge etwas bedachter
heran. Cambridge ist wahnsinnig akade-
misch, es wird einem dort unmissver-
ständlich beigebracht, sich genau zu in-
formieren, bevor man sich in eine Dis-
kussion einbringt. Ich versuche deshalb,
sorgfältig mit Fakten und Meinungen zu
hantieren, bevor ich den Mund aufma-
che. Heutzutage flirren so viele halbga-
re Meinungen durch die Luft, ich habe
kein Interesse, dazu beizutragen. Für
mich ist Musik der beste Weg, meine
politische Haltung auszudrücken.

Sie haben sich bei der Fashion Week
in Mexiko City mit der Definition von
Schönheit auseinandergesetzt. Was
interessiert Sie an diesem Thema?
Ich bin Musikerin. Es ist schwierig, in
einer Disziplin erfolgreich zu sein,
wenn man sich nicht repräsentiert
sieht. Mir fehlten ostasiatische Vorbil-
der, Leute, die aussehen wie ich und es
im Musikgeschäft geschafft haben. Als
ich mit 14 meine erste Single heraus-
brachte, war es schwierig, Plattenfir-
men verständlich zu machen, wo ich
mit meiner Musik hinmöchte, ohne so-
fort in einer Schublade voller Vorurteile
über asiatischen Frauen zu landen. Na-
türlich muss man nicht ständig auf der
Repräsentationsnummer herumreiten,
andererseits empfände ich es als ver-
passte Chance, nicht auf solche Un-
gleichgewichte hinzuweisen.

Ich bin so
froh darüber, dass
ich letztes Jahr mein Co-
ming-out hatte. Bei vielen asiati-
schen Leuten aus der LGBT-Gemein-
schaft hat das großen Anklang gefun-
den. Mir ging es darum, meine eigene
Wahrheit zu leben. Wenn ich das nicht
kann, dann bin ich nur ein Popstern-
chen, das Lieder über Liebe singt. Es
muss nicht alles todernst sein, aber die
Welt braucht nicht noch eine seichte
Sängerin mit der Reife eines Kleinkinds.
Manchmal komme ich mir mit dieser
Haltung uralt vor.

Sie sind 29. Fühlen Sie sich alt?
Nein, das ist großartig. Aber es ist unge-
wöhnlich, dass ich erst mit 30 mein ers-
tes Album herausbringen werde. Für ein
Pop-Girl sogar unerhört! Obwohl J-Lo
ihr erstes Album erst mit Mitte 30 he-
rausgebracht hat und immer noch er-
folgreich ist. Das inspiriert mich.

Wo sind Ihre musikalischen Wurzeln?
Das ist ein ziemlicher Mix. Bis ich zehn
Jahre alt war, warich dem J-Pop verhaf-
tet. Deshalb habe ich leider die Spice
Girls verpasst, ein großer Verlust. Dann
kam eine Phase, in der ich viel Rock und
Metal gehört habe. Ich war nie richtig
cool, das war mir egal. Ich wollte ver-
schiedene Dinge ausprobieren und be-
geisterte mich vor allem für die Texte.

Gibt es ganz bestimmte Vorbilder?
Gaga, Beyoncé und Rihanna. Im Augen-
blick höre ich hauptsächlich klassische,
schöne Popmusik. Kacey Musgraves ist
eine große Inspiration. Zudem mag ich
Leute, die ihre Performance ernst neh-
men – wie Christine and the Queens.

Was kann man von Lady Gaga lernen?
Oh Gott, natürlich alles! Wie sie das In-
ternet nutzte, um mit ihren Fans zu
kommunizieren – das war völlig neu.
Außerdem nutzte sie ihren Ruhm, um
sich für ihre Überzeugungen einzuset-
zen. Vor allem für LGBT-Rechte hat sie
sich starkgemacht und damit auf der
ganzen Welt Aufsehen erregt. Sie hat
das mit Leidenschaft getan und nicht
lockergelassen. Außerdem liebe ich an

ihr, dass sie sich nicht so ernst nimmt.
Erinnern Sie sich an das Fleischkostüm?

Lady Gaga gelang es, über das Inter-
net reale zwischenmenschliche Ver-
bindungen herzustellen. Sie sind auch
ganz gut darin. Wie machen Sie das?
Oh danke! Auf meiner letzten Tour ist
mir klar geworden, dass es für LGBT
und andere marginalisierte Gruppen, al-
so einen großen Teil meiner Fans, gar
nicht so selbstverständlich ist, alleine
auf ein Konzert zu gehen. Für sie lauern
immer noch Gefahren. Ich bin zum Bei-
spiel schon als sehr junges Mädchen
ständig auf Konzerte gegangen. Das war
total wild, wir haben uns betrunken und
gefeiert, und keiner hat gemerkt, dass
wir homosexuell waren. Ich will, dass
sich die Leute bei meinen Konzerten si-
cher fühlen, dass sie alleine kommen
können und eine Gemeinschaft finden,
die sie mit offenen Armen aufnimmt.
Also habe ich angefangen, diese Alone-
Together-Armbänder an alle zu vertei-
len, die ohne Begleitung kommen. Das
verbindet die Menschen, Freundschaf-
ten werden geschlossen, es holt Leute
aus der digitalen in die reale Welt. Ich
habe jedenfalls das Gefühl, eine enge
Beziehung zu meinen Fans zu haben,
weil wir Interessen und Erfahrungen
teilen. Ich finde es gut, mit
den Fans befreundet
zu sein.

Ihre
Texte handeln
von den Themen des 21.
Jahrhunderts. Ist Einsamkeit
das größte Problem?
Nicht unbedingt. Im Internet haben
sich so viel kreative Subkulturen gebil-
det, da ist für jeden etwas dabei. Ich
glaube, das wächst noch. Was mich viel
mehr beunruhigt, ist die Tatsache, dass
uns gerade das Vertrauen in die Unter-
nehmen entgleitet, die das Internet be-
herrschen. Firmen wie Facebook oder
Instagram, auf deren Plattformen wir
kommunizieren. Spätestens seit den
Wahlen in den USA kommt immer mehr
an die Öffentlichkeit, wie sie sich an un-
seren persönlichen Daten vergriffen ha-
ben. Dieser Trend ist sehr beängstigend.
Ich glaube, wir sind Facebook, Insta-
gram und Twitter völlig ausgeliefert.

Es beängstigt Sie aber nicht genug,
um sich ganz aus den sozialen Medien
zurückzuziehen?
Ich benutze Facebook nicht mehr. Es
gibt zwar noch einen Account in mei-
nem Namen, aber den lasse ich von mei-
nem Team bespielen. Ich hab die App
gelöscht. Ich bin noch auf Instagram.
Mir ist natürlich klar ist, dass Instagram
zu Facebook gehört, aber ich empfinde
es als wesentlich kreativer.

Wie erklären Sie sich, dass LGBT-Leu-
te gerade in allen Kunstformen so viel
Erfolg haben?
Die LGBT-Kultur erlaubt es Menschen,
mit ihrer Identität zu spielen.Ich glau-
be, dass die Erfahrung der Marginalisie-
rung und der Selbstfindung im künstle-
rischen Prozess besonders wirksam auf-
gearbeitet werden kann. Es gibt eine
Message, und viele erkennen sich darin
wieder. Es hilft auf jeden Fall, ähnliche
Lebenswege, Ethnizitäten oder sexuelle
Orientierungen zu sehen, damit die
Kids nicht in jeder Generation dasselbe
durchmachen müssen – und damit sie
wissen, dass sie nicht alleine sind.

Warum die


pansexuelle britisch-


japanische Musikerin


Rina Sawayama es


wichtig findet, eine


enge Beziehung zu


ihren Fans zu haben


Sie wurden in Japan geboren, sind
aber als Kind nach London gekom-
men. Fühlen Sie sich eher als Japane-
rin oder als Britin?
Diese Frage spielt für mich eine große
Rolle. Das ist der Filter, durch den ich
meine Realität wahrnehme. In England,
besser gesagt in London, leben viele
verschiedene Kulturen nebeneinander,
da bin ich stolze Britin. Früher gab es
nur Asian-Americans, doch das hat sich
geändert. Ich finde es genial, dass ich
mich hier – mit unzähligen Leuten aus
allen Ecken der Welt – Britin nennen
kann. Wenn ich aber an den Brexit den-
ke, möchte ich mich nur noch schämen.
Ich frage mich wirklich, was das soll.

Ihre Mutter bestand darauf, dass Sie
die japanische Sprache lernen und
samstags in die japanische Schule ge-
hen. Sind diese beiden Identitäten ei-
ne Art Superpower?
In zwei Kulturen zu Hause zu sein ist ei-
ne absolute Superpower. Meine Mutter
war schon über 40, als sie als alleiner-
ziehende Mutter nach England kam. Sie
hat mich in einer fremden Kultur aufge-
zogen, mit einer Sprache, die sie nicht
verstand. Wenn ich heute mein Japa-
nischsein verleugnen würde, würde ich
damit auch sie verleugnen. Die japani-
sche Sprache ist einigermaßen kompli-
ziert. Anders als sagen wir Französisch
oder Spanisch wird sie nur in Japan ge-
sprochen, also ist die Sprache auch der
Schlüssel zu unserer Kultur.

Sie sind pansexuell. Wie wichtig war
es für Sie, sich offen zu Ihrer sexuel-
len Orientierung zu bekennen?

34


19.10.19 Samstag, 19. Oktober 2019DWBE-VP1


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34 STIL DIE WELT SAMSTAG,19.OKTOBER2019


A


ls in dem „Star Wars“-Film
„Das Erwachen der Macht“ der
kleine, kugelrunde, flinke und
wahnsinnig süße Roboter BB-8 einge-
führt wurde, um den Kollegen C-3PO
und R2-D2 unter die etwas angeroste-
ten Arme zu greifen, konnte man auf
die Idee kommen, dass die Einfüh-
rung dieser neuen Figur vor allem von
den Wünschen der Merchandising-
abteilung moti-
viert war. Das
Spielzimmerpo-
tenzial der weiß-
orangen Kugel
war nicht zu
übersehen.
Der „Star
Wars“-Erfinder
George Lucas war
jedoch seiner Zeit
gerade deswegen
voraus, weil er
den „Merch“ von
Anfang an mitgedacht hatte – selbst
in klammen Zeiten bestand er darauf,
die Vermarktungsrechte zu behalten.
Insofern wird er sicher auch kein
weltanschauliches Problem gehabt
haben, sollten die Prototypen der
„StarWars“-Le-Creuset-Kollektion
auf seinem Tisch gelandet sein.
Die Idee ist einigermaßen abwegig.
Le Creuset stellt wunderbare, nicht
ganz preiswerte Töpfe her, die vor al-
lem von ihrem Retrocharme leben:
Egal ob in Erbsengrün oder in Ofen-
orange – man meint immer, den Duft
von einem Bœuf Bourgignon mitzu-

schnuppern, das sonntagmittags in ei-
nem französischen Landhaus serviert
wird.
Was das nun mit fernen Galaxien
zu tun hat, ist dem Autor dieser Zei-
len schleierhaft – bis vielleicht auf die
Tatsache, dass die Raumschiffe und
Roboter in „Star Wars“ oft aussahen
wie aus preisgünstigem Blech hastig
zusammengetackert. Das machte ei-
nen Teil des
Charmes aus,
wirft allerdings
kein besonders
schmeichelhaftes
Licht auf die Ma-
terialität der Töp-
fe. Was diese Idee
doch sympathisch
macht, sind die
Details: Die Brat-
reine Han Solo
lehnt sich an die
berühmte Szene
an, in der dieser in Karbon gegossen
wird. Einen Topf mit einem Halbre-
lief, wie man es von den Königsgrä-
bern in alten Kirchen kennt, das muss
man sich erst mal trauen. Hier wie
auch in den Bräter Darth Vader ist die
Herkunftsbezeichnung „France“ im
Aurebesh-Alphabet graviert, einer der
wichtigsten Schriften des Univer-
sums. Schwachsinn? Na klar. Ein biss-
chen lustig aber auch. Und die nächs-
ten 37 „Star Wars“-Kollaborationen –
der nächste Film läuft bald an! – wer-
den wir an dieser Stelle ignorieren.
Versprochen. ADRIANO SACK

FINDLING

Galaktischer Retro-Charme


„Ich war


nie richtig


COOL“


MUSIK IST FÜR MICH


DER BESTE WEG,


MEINE HALTUNG


AUSZUDRÜCKEN


RINA SAWAYAMA,
Musikerin und Model

,,


Lady Gaga
als Vorbild: Rina
Sawayama in
Mexico City

B


ekanntermaßen
sind wir jetzt
alle Klima. Eine
gute Sache, nicht un-
bedingt neu, aber nun
eben als Hype. Inwie-
weit der dem so über-
aus wichtigen Thema
wirklich dienlich sein
wird, gilt es zu beob-
achten wie die Natur.
AAAbwarten wäre dabeibwarten wäre dabei
so falsch wie abdrehen. Denn wenn es
jetzt heimliche Autofriedhöfe mit na-
gelneuen Autos gibt, weil die so nicht
zu verkaufen sind, dann ist das so irre
wie das Verbrennen von saisonaler
Luxuskleidung, das Aufstellen von
Windrädern im Wattenmeer-Natur-
schutzgebiet, die Begeisterung für
batteriebetriebene Fahrzeuge, ohne
zu wissen, was da eigentlich langfris-
tig entsorgt wird. Ein großes Problem
sind nicht nur gedanken- und ruchlo-
se Vermüllung, das Sterben von Ar-
ten, Natur und Umgangsformen, son-
dern die fortschreitende Ausrottung
von dem, was einst unter „gesunder
Menschenverstand“ firmierte. Kann
meinetwegen auch gern um Tier- und
Digitalverstand erweitert werden.
Hauptsache, der Bundeswehr-Klassi-
ker aus der Morsezeit wird nicht end-
gültig museal: „Denken – drücken –
sprechen“. Diese Reihenfolge ist in je-
dem Feld hilfreich. Wahrscheinlich
selbst bei Stand-up-Komödianten.
Geschwindigkeit ist bei dem Vorgang
ja nicht ausgeschlossen.
Eigenartigerweise ist die Diskussi-
on über Klimaschutz vor allem von
VVVerboten belegt statt von Visionen.erboten belegt statt von Visionen.
Dabei geht es doch um die Zukunft.
Wir brauchen weniger Theater und
mehr Technologie und Erfindungen.
Letztere waren doch immer deutsche
Qualitäten? Und man/frau könnte auf
diesen großen Gipfeln vielleicht mal
mit den Amerikanern, Asiaten und
Arabern darüber reden, ob es wirklich

ein Kulturgut und
AAAusweis von Wohl-usweis von Wohl-
stand ist, die Räume
auf Kühlschranktem-
peratur runterzufah-
ren, oder ob etwas
kühler nicht reicht.
Das hätte bestimmt
direkte Auswirkungen
auf den Energiever-
brauch weltweit. Man
könnte auch zumin-
dest in Deutschland Massentierhal-
tung grundsätzlich verbieten. Am
besten gleich. Zack. Geht ja mit Steu-
er- und Diätenerhöhungen auch.
Dann müsste man Fleisch nicht pau-
schal so schlecht machen. Es gibt so
viele Beispiele und leider genauso viel
Ideologie, Palaver und Lobbyismus.
AAAber es gibt auch immer Grund zurber es gibt auch immer Grund zur
Hoffnung, dass der Horizont breiter
ist als der Hype. Jede Menge Leute
schauen nach vorn, generieren aus ei-
nem Unwohlsein neues Wissen und
wenden es (wirtschaftlich erfolg-
reich) an. Giulio Bonazzi ist so ein
Mann. Dem Italiener gehört Aquafil,
das synthetische Garne herstellt, ein
rund 400-Millionen-Euro-Umsatz-
Unternehmen. Er hat vor zehn Jahren
Econyl entwickelt, ein recyceltes Ny-
lon aus alten Fischernetzen, Teppich-
böden und dergleichen. Das macht in-
zwischen 40 Prozent des Gesamtvo-
lumens aus, das avisierte Mehr schei-
tert vor allem an bürokratischen Hür-
den beim Ankauf von Müll. Bonazzi
bleibt aber hartnäckig. Der grund-
sätzliche Impuls zum nachhaltigen
Denken kam, das sagt der Unterneh-
mer unaufgefordert, von seiner Frau,
aber das soll hier mal keine Rolle
spielen, entscheidend ist, dass Signo-
re Bonazzi nie im Konjunktiv gedacht
hat. Und dass sein Econyl Karriere
macht. Unter anderen verwendet es
die Uhrenfirma Breitling für Armbän-
der, Prada macht seine berühmten
Nylontaschen daraus, und jetzt hat
die italienische Outdoor-Marke Napa-
pijri (Nordpol) die Kollektion „Infini-
ty“ vorgestellt, deren Stoff aus Econyl
hergestellt wird (ab 21. Oktober im
Handel). Nähte und Füllung sind aus
sogenanntem Nylon 6. Der Witz
(man kann sich wirklich freuen) der
Jacken ist, dass sie von vornherein
auf Recycling und Kreislaufnachhal-
tigkeit angelegt sind. Nicht vor zwei
Jahren kann man sie zurückgeben,
bekommt dafür eine 100-Euro-Gut-
schrift, und die alte Jacke kann, da sie
nur aus einer Art Garn besteht, so,
wie sie ist, in eine Recyclingmaschine
gesteckt werden. Ihre Fasern können
ohne Qualitätsverlust wiederverwen-
det werden. Wie Giulio Bonazzi sagt:
„„„Wenn die Jacke ihr Lebensende er-Wenn die Jacke ihr Lebensende er-
reicht, ist dies eigentlich erst der An-
fffang.“ang.“
Das ist Zauber, nicht Zauberei.

GLOBAL DIARY

Der Anfang vom Ende


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