Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

B


reite Schultern können
nicht schaden, bei all den
Extremisten, die Torsten
Voß mit seiner Behörde be-
obachtet. Hamburgs Ver-
fassungsschutzchef, 54, knapp zwei Me-
ter groß, empfängt in seinem Büro zum
Gespräch. Seit 2014 trägt er hier die Ver-
antwortung, mehr als 30 Jahre arbeitete
er zuvor als Polizist, leitete auch Spezi-
aleinheiten. 2018 galt Voß als Anwärter
auf den Chefsessel im Bundesamt für
Verfassungsschutz. Doch er blieb in
Hamburg, auch hier gibt es genug zu
tun: Eine in der Stadt gut vernetzte
linksextremistische Szene; rund 1600
Islamisten, darunter Rückkehrer aus
Kriegsgebieten des Islamischen Staats
(IS); und Rechtsextreme, die sich ver-
stärkt im Netz radikalisieren.

VON IBRAHIM NABER UND ANNELIE NAUMANN

WELT:Herr Voß, nach der türkischen
Offensive in Syrien sind Hunderte IS-
Anhänger aus syrischen Lagern aus-
gebrochen. Mehr als 100 deutsche
Dschihadisten befinden sich noch im
Kriegsgebiet. Was bedeutet die Lage
für den Verfassungsschutz?
TORSTEN VOSS:Wir bereiten uns na-
türlich auf die Rückkehrer vor. Der gro-
ße Ansturm ist bisher ausgeblieben. Der
Bund hat Leitlinien entworfen, die die
Zusammenarbeit mit den unterschiedli-
chen Behörden wie dem BAMF (Bun-
desamt für Migration und Flüchtlinge,
d. Red.) oder der Ausländerbehörde re-
geln. In Hamburg haben wir aktuell 32
Rückkehrer. Was uns auffällt: Fast alle
kehren grundsätzlich in ihr altes Um-
feld zurück.

Also in radikalislamische Kreise?
VOSS:Ja, vor allem in die salafistische
Szene. Hier lohnt sich meiner Meinung
nach ein Vergleich mit manchen Akteu-
ren aus der Drogenszene. Dort schaffen
es Menschen auch, sich aus der Szene
herauszulösen. Sie schaffen auch, ihre
Sucht zu bekämpfen. Nach der Suchtbe-
kämpfung fehlt manchen aber das so-
ziale Umfeld. Und deswegen werden
diese oft wieder rückfällig.

Inwiefern gefährden IS-Rückkehrer
unsere Sicherheit?
Gewaltorientierte Dschihadisten haben
immer das Potenzial, Anschläge zu be-
gehen. Derzeit haben wir jedoch keine
konkreten Hinweise, aber die Gefähr-
dungslage ist unverändert hoch. Wenn
man sich die islamistischen Attentate
anschaut, die zuletzt in Deutschland
stattgefunden haben – Würzburg, Ans-
bach, Hamburg-Barmbek –, lässt sich
sagen: Keiner der Täter war IS-Rück-
kehrer. Eine Entwarnung bedeutet das
insofern nicht.

Wie stehen Sie zu der Haltung der
Bundesregierung, keine IS-Kämpfer
aus Syrien zurückzuholen?
Es ist richtig, niemanden zurückzuneh-
men, für den wir nicht verpflichtet
sind. Insofern teile ich die rechtliche
Ansicht der Bundesregierung. Indes
sind wir nach Völkerrecht bisher grund-
sätzlich dazu verpflichtet, Menschen
wieder aufzunehmen, wenn sie die
deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.
Wir als Sicherheitsbehörden stellen
uns darauf ein.

In Einzelfällen wie der Hamburger
IS-Rückkehrerin Omaima A.entstand
öffentlich der Eindruck, dass sie un-
erkannt nach Deutschland zurück-
kehren konnten. Wie hoch ist diese
Gefahr?
Das ist ja ein gutes Beispiel dafür, dass
sie dann doch erkannt wurde. In der Re-

gel tauchen Islamisten wieder in ihre
Szene ein – und da sind wir ganz gut
aufgestellt. In der Tat stellt der offene
Schengen-Raum, die Freizügigkeit, auch
die Sicherheitsbehörden vor Herausfor-
derungen. Hier sind die Sicherheitsbe-
hörden darauf angewiesen, von der Poli-
tik die notwendigen rechtlichen Mittel
zur nachrichtendienstlichen Aufklärung
und polizeilichen Verfolgung europa-
weit zu erhalten. Ich denke aber, hier
sind wir auf einem guten Weg.

Ähnlich wie bereits Islamisten sollen
nach den Attentaten in Kassel und
Halle auch Rechtsextremisten mit ei-
nem System nach Risiko bewertet
werden – RADAR rechts. Scheint so,
als hätten Behörden den Rechtsterror
bislang unterschätzt.
Ich möchte hier ganz vehement wider-
sprechen. Wir haben den Rechtsterro-
rismus nicht unterschätzt. Wir haben
unter anderem Anschlagsvorbereitun-
gen der rechtsterroristischen Oldschool
Societyoder der Gruppe Freitalverhin-
dert. Seit Gründung der Bundesrepu-
blik wurden etliche rechtsextremisti-
sche Organisationen verboten, es gab
unzählige Verfahren und Verurteilun-
gen – die im Übrigen ohne Verfassungs-
schutzinformationen nicht möglich ge-
wesen wären.

Die Szene aber hat sich in den vergan-
genen Jahren stark verändert.
Seit einiger Zeit befindet sich der
Rechtsextremismus im Wandel. Die
Szene verlagert sich stärker von der tat-
sächlichen in die virtuelle Welt, zudem
von Netzwerkstrukturen in lose Netz-
werke. Wir sind mit Tätern konfron-
tiert, die auch mehr individuell im In-
ternet unterwegs sind, nicht ausschließ-
lich und wenn überhaupt in rechtsex-
tremistischen Foren.

Was läuft schief, wenn ein Rechtsex-
tremist wie Stephan E. jahrelang vom
Radar der Behörden verschwinden
und schließlich den CDU-Politiker
Walter Lübcke ermorden konnte?
Wir müssen und können unsere Arbeit
nur durch Aufstockung der Ressourcen
intensivieren, um herauszufinden, was
solche Personen machen, wenn sie sich
abkapseln, wenn sie in der virtuellen
Welt abtauchen. Das Bundesamt für
Verfassungsschutz bekommt personel-
len Zuwachs in dreistelliger Höhe. Auch
die Bundesländer sind gefordert nach-
zuziehen.

Mit Blick auf das Attentat in Halle
forderte Bundesinnenminister Seeho-
fer, die Gaming-Szene stärker in den
Blick zu nehmen.
Das ist eine uralte Diskussion. Früher,
als es noch kein Internet gab, hat man
beispielsweise grausame Morde einsei-
tig auf Gruselfilme zurückgeführt. Den-
ken Sie auch später an die Killerspiele-
debatte. Und nun ist es eben die Gamer-
Szene. Ich denke schon, dass es in die-
sen virtuellen Räumen auch leider zahl-
reiche Räume für Extremisten jeder
Couleur gibt. In erster Linie sind die Be-
treiber in der Verantwortung, die diese
Plattformen ins Leben gerufen haben.
Aber auch wir als Nachrichtendienst
müssen gesetzliche und operative Wege
haben, in bestimmte Szenen eindringen
zu können.

Wäre so auch jemand wie der Attentä-
ter von Halle frühzeitig zu stoppen?
Nach derzeitigem Stand war Stephan
Balliet nicht in der rechtsextremisti-
schen Szene aktiv, weder virtuell noch
tatsächlich auf der Straße. Gerade der
Täter von Halle ist jemand, der auf den
ersten Blick unterhalb der Wahrnehm-
barkeit agiert.

Er veröffentlichte seine Anschlags-
planung in einem Onlineforum. Hin-
weise von Lesern an die Polizei gab es
offenbar nicht.
Alle Sicherheitsbehörden waren und
sind schon immer auf die Mithilfe von
Mitbürgern angewiesen. Potenzielle At-
tentäter sind auf ihrem Weg bis zur Tat
vielleicht auch mal aufgefallen, sei es in
der Schule oder im Sportverein, durch
antisemitische oder rechtsextremisti-
sche Äußerungen. Tatsächlich ist es so,
dass die Sicherheitsbehörden auf der ei-
nen Seite mehr Ressourcen benötigen,
auf der anderen Seite aber auch auf Mel-
dungen von außen angewiesen sind.

Was kann der Verfassungsschutz im
Kampf gegen Rechtsextremisten da-
rüber hinaus leisten?
Ein wichtiges Thema ist die Beteiligung
des Verfassungsschutzes bei der Ertei-
lung von Waffenerlaubnissen. Es muss
zu einer Regelanfrage beim Verfas-
sungsschutz kommen, wenn jemand ei-
ne Waffe beantragt. Derzeit gibt es nur
eine Regelanfrage bei der Polizei. Es
gibt aber keine Regelanfrage bei uns.
Wir wollen sicherstellen, dass Extre-
misten keinen Zugang zu Waffen haben.

In Hamburg sind Linksextremisten
mit 1335 Personen stärker vertreten
als Rechtsextremisten. Wie würden
Sie die Szene aktuell beschreiben?
Mehr als 70 Prozent der Linksextremis-
ten sind in Hamburg gewaltorientiert.
Und wir stellen fest: Linksextremisten
agieren versteckt und unterwandern
über populäre Themen auch bürgerliche
Milieus. So missbrauchen Linksextre-
misten gesellschaftlich breit akzeptier-
te oder breit diskutierte Themen, um in
Kontakt zu bürgerlichen Initiativen zu
kommen, um ihre verfassungsfeindli-
chen Positionen zu etablieren.

Wie meinen Sie das?
WWWer ist nicht gegen Rechtsextremis-er ist nicht gegen Rechtsextremis-
mus? Wer ist nicht gegen hohe Mieten?
WWWer ist nicht gegen Umweltzerstö-er ist nicht gegen Umweltzerstö-
rung? Genau auf solche Themen set-
zen gewaltorientierte Gruppierungen
wie die Interventionistische Linke, die
Antifaund die Autonome Szene. Inso-
fffern hält der Hamburger Verfassungs-ern hält der Hamburger Verfassungs-
schutz insbesondere auch die linksex-
tremistische Szene, die über populäre
Themen quasi wie ein schleichendes
Gift in die demokratische Gesellschaft
eindringen kann, für eine nicht zu un-
terschätzende Herausforderung für
unsere Demokratie.

Wo konkret zeigt sich das?
Das Thema Seebrücke ist so ein Bei-
spiel. Für die private Seenotrettung ge-
hen Hunderttausende zu Recht auf die
Straße. Aber Themen wie diese werden
eben auch von linksextremistischen
Gruppierungen wie der gewaltorientier-
ten Interventionistischen Linken in-
strumentalisiert. Es gab auch Versuche
dieser Gruppe, die „Fridays-for-Futu-
re“-Bewegung zu unterwandern. Das
haben die Organisatoren wohl aber bis-
her verhindert.

Wie viel Extremismus steckt in „Ex-
tinction Rebellion“?
„Extinction Rebellion“ ist eine neue Or-
ganisation. Wir nehmen aufmerksam
zur Kenntnis, wie diese Gruppierung
agiert. Derzeit ist sie kein Beobach-
tungsobjekt.

„Extinction Rebellion“ propagiert zi-
vilen Ungehorsam. Wie weit darf zivi-
ler Ungehorsam gehen?
Die Frage ist doch: Will man das System
überwinden, oder will man es nur kriti-
sieren? Kritisieren ist erlaubt. Wenn sie
sich aber radikalisieren, wenn sie sagen,
wir wollen den Systemwechsel, dann ist
die Schwelle zum Extremismus über-
schritten. Dann sagen wir: Stopp!

Inwiefern wurden bei den Tumulten
linker Gruppierungen bei der Vorle-
sung von Bernd Lucke in Hamburg
Grenzen überschritten?
Wenn jemand an einer Vorlesung gehin-
dert und beleidigt wird, ist zunächst
einmal die Universität in der Verant-
wortung, nicht der Verfassungsschutz.
Und hierbei ist die grundgesetzlich ga-
rantierte Freiheit von Wissenschaft,
Forschung und Lehre uneingeschränkt
zu berücksichtigen.

Beim G-20-Gipfel 2017 waren auch
viele Linksextreme aus Hamburg ver-
treten. Wie hat die Szene auf die Ge-
waltexzesse reagiert?
Nach den Ausschreitungen hat man sich
zunächst angeblich betroffen gezeigt.
Die Szene wurde vielleicht für ein Jahr
ein bisschen ruhiger und hat sich kri-
tisch gefragt, womöglich auch taktisch
diskutiert: „Warum wurde eigentlich ein
Supermarkt überfallen, der hat doch da-
mit gar nichts zu tun?“ Da war man so-
gar selbstkritisch.

Und dann?
Das hat sich nach einem Jahr aber rela-
tiviert, dann hat man wieder in alter
Rhetorik Polizeibeamte für die Aus-
schreitungen verantwortlich gemacht.
Zum Jahrestag nun gab es dann mehre-
re Attacken, zum Beispiel einen Farb-
anschlag von Linksextremisten auf das
WWWohnhaus meiner Vertreterin. Vertre-ohnhaus meiner Vertreterin. Vertre-
ter der Grünen, der SPD, des rot-grü-
nen Senats, Polizeibeamte waren und
sind von ähnlichen Anschlägen betrof-
fffen. Insofern: Wir behalten die links-en. Insofern: Wir behalten die links-
extremistische Szene weiterhin genau
im Blick.

Manche wollen Menschen in Seenot retten, manche wollen mehr: Antifa-Transparent auf der „Seebrücke“-Demonstration am 2. September in Hamburg

PA/ DPA

/MARKUS SCHOLZ; PA/ DPA/ AXEL HEIMKEN

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19.10.19 Samstag, 19. Oktober 2019DWBE-HP


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4 POLITIK **DIE WELT SAMSTAG,19.OKTOBER


N


eun Tage nach dem Anschlag
auf eine Synagoge in Halle ha-
ben die Innenminister von
Bund und Ländern ihre Maßnahmen
zum Kampf gegen Rechtsextremismus
vorgestellt.

VON RICARDA BREYTON

Bei einem außerplanmäßigen Treffen
präsentierten Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) und Hans-Joa-
chim Grote (CDU), Innenminister von
Schleswig-Holstein und derzeit Vorsit-
zender der Innenministerkonferenz, ei-
ne Reihe von Empfehlungen. Beschluss-
fähig war das Gremium allerdings nicht,
weil das Treffen keine reguläre Sitzung
der Innenministerkonferenz war.
Künftig sollen die Sicherheitsbehör-
den von Bund und Ländern „bei der In-
ternetauswertung“ stärker zusammen-
arbeiten, heißt es in einer sechsseitigen
Abschlusserklärung. „Sämtliche Er-

kenntnisse des Bundes zu regionalen
Bezügen, Strukturen, Wohnorten, Akti-
onsräumen müssen den Landesämtern
für Verfassungsschutz und den Landes-
polizeibehörden zuverlässig und syste-
matisch zur Verfügung gestellt wer-
den.“ Bund und Länder wollen die Be-
hörden zügig „finanziell, personell,
rechtlich und infrastrukturell“ in die
Lage versetzen, „rechtsextremistische
Bestrebungen im Internet“ schneller zu
erkennen und zu bekämpfen. Jüdische
Einrichtungen sollen stärker geschützt,
Verbote von rechtsextremen Vereinen
verstärkt geprüft und extremistische
Veranstaltungen „effektiver“ unterbun-
den werden. Außerdem begrüßten die
Innenminister eine Reihe von Maßnah-
men, die schon im Vorfeld kommuni-
ziert worden waren.
Schon am Donnerstag hatte Seehofer
im Bundestag angekündigt, er wolle im
Kampf gegen Rechtsextremismus so-
wohl den Verfassungsschutz als auch

das Bundeskriminalamt (BKA) „massiv
organisatorisch und personell stärken“.
Es gehe um zusätzliches Personal von
„einigen Hundert Stellen“, um Einhei-
ten aufzubauen, die ähnlich schlagkräf-
tig seien wie die bereits bestehenden
gegen Islamismus. Da Seehofer an ande-
rer Stelle kein Personal einsparen will,
muss der Bundestag dem zusätzlichen
Finanzbedarf noch zustimmen.
Gemeinsam mit Bundesjustizministe-
rin Christine Lambrecht (SPD) verfolgt
Seehofer außerdem das Ziel, On-
lineplattformen zur Meldung von straf-
rechtlichen Inhalten zu verpflichten.
Schon heute tun sich die Provider aller-
dings mit dem Löschen der Inhalte
schwer, zu dem sie bereits verpflichtet
sind. Eine Verpflichtung, die Daten an
das BKA weiterzugeben, wird auf beiden
Seiten noch mehr Personal binden. Zu-
dem soll das Waffenrecht verschärft und
die Prävention in Form von Deradikali-
sierungsprogrammen gestärkt werden.

Man sei sich „in wesentlichen Fragen
einig“, sagte Niedersachsens Innenmi-
nister Boris Pistorius, der die SPD-ge-
führten Innenministerien koordiniert.
Wichtig sei ihm der Appell an die Justiz-
ministerien, Schwerpunktstaatsanwalt-
schaften einzurichten, um beschleunig-
te Verfahren gegen Hasskriminalität zu
ermöglichen. Außerdem wolle sich die
Politik darum bemühen, dass die Server
der großen Plattformen – Facebook und
Twitter etwa – in Europa stehen, um
Zugriffe der Sicherheitsbehörden bes-
ser zu ermöglichen.
Im Vorfeld kursierte ein Neun-Punk-
te-Plan einiger Innenministerien, in
dem unter anderem auch gefordert wur-
de, Mitgliedern der völkischen AfD-
Gruppierung „Flügel“ bei „Vorliegen
der gesetzlichen Voraussetzungen“ den
Beamtenstatus zu entziehen. Diese For-
mulierung schwächte Pistorius am Frei-
tag ab: Es gehe nicht darum, Beamte we-
gen einer Mitgliedschaft in einer be-

stimmten Vereinigung zu belangen,
sondern bei Vorlage konkreter straf-
rechtlich relevanter Äußerungen oder
Anhaltspunkte. Keinesfalls arbeite man
an einem neuen „Radikalenerlass“.
Offen blieb, wer die zusätzlichen
Baumaßnahmen für jüdische Einrich-
tungen finanzieren soll. Es sei möglich,
dass sich der Bund beteilige, hieß es in
der Konferenz. Eine Zusage Seehofers
gab es aber nicht.
Auch die Antwort auf die Frage, wie
die Prävention von Rechtsextremismus
konkret gestärkt werden soll, steht
noch aus. Bereits im Bundestag hatte
Seehofer die Herausforderungen für die
Sicherheitsbehörden skizziert. Mit Be-
zug auf den Attentäter von Halle sagte
er, dass man es nach jetzigem Kenntnis-
stand mit „frustrierten Einzeltätern“ zu
tun habe, „die außerhalb der Öffentlich-
keit“ Frust aufbauten. Während die Si-
cherheitsbehörden früher einfach Par-
teien und Vereine beobachten konnten,

stehen sie nun vor der Herausforde-
rung, im Netz Radikale aufzuspüren.
Traditionelle Präventionsprogramme
greifen hier nicht.
Der Rechtsextremismusexperte
Dierk Borstel von der Fachhochschule
Dortmund plädiert dafür, das Personal
auch für Deradikalisierungsprogramme
im Internet deutlich auszubauen. „Die
Gesellschaft ist Rechtsextremisten im
Netz nicht hilflos ausgeliefert. Jeder Ex-
tremist hinterlässt ideologische Spuren
im Netz, die man aufspüren und nach-
verfolgen kann“, sagte Borstel WELT.
Schon heute gebe es im Bereich der Isla-
mismusbekämpfung Deradikalisie-
rungsspezialisten, die die Spuren ver-
folgen und Kontakt zu den Extremisten
aufnehmen. „Sie gehen mit den über-
zeugten Ideologen in die Diskussion
und säen Zweifel. Sie bieten auch einen
Kontakt zu Ausstiegsprogrammen. Die-
se Methode müsste man auf die Rechts-
extremismusbekämpfung übertragen.“

So wollen die Innenminister den Kampf gegen Rechtsextreme forcieren


Ressortchefs von Bund und Ländern präsentieren Konsequenzen aus dem Anschlag von Halle. Im Internet soll Radikalisierung stärker entgegengewirkt werden


„Linksextremisten unterwandern


aaauch bürgerliche Milieus“uch bürgerliche Milieus“


Torsten Voß, der Chef


des Hamburger


Verfassungsschutzes,


warnt vor einer


Instrumentalisierung


gesellschaftlicher


Bewegungen durch


Linksextremisten.


Sorgen bereiten ihm


auch Rechtsextreme,


die sich verstärkt im


Netz bewaffnen


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