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APÉRO
dokumentieren. Obwohl ihre Bilder betont
anspruchslos und amateurhaft anmuteten,
öffneten sie eine Büchse der Pandora. Denn
die suggestive Bildgewalt von Fotografie,
Film und Video untergrub nicht nur das
Prinzip des gradlinigen Fortschritts, das die
zeitgenössische Kunst regierte. Vielmehr
leiteten die technischen und elektronischen
Medien auch eine dramatische Wende zum
wiedererkennbaren Bild und seinem Bezug
zur sichtbaren Welt ein.
I
ndem die Künstler und in ihrem Kiel-
wasser die Kuratoren der Ausstellungen
den lange gegenüber der Außenwelt abge-
schirmten Park der Kunst nach und nach auch
für die professionelle Fotografie, das kom-
merzielle Kino und das Design aufsperrten,
reaktivierten sie Bildformen, die in der Renais-
sance ausgebildet und von dersance ausgebildet und von dersance ausgebildet und von der Avantgarde Avantgarde
als trügerisch gebrandmarkt worden sind.
Deren Bedeutung verkürzten sie zwangsläu-
fig auf die einer vorübergehenden Episode.
Gleichwohl verband sich mit der Anerken-
nung von Fotografie, Film und Video als
legitime künstlerische Mittel keinerlei Rück-
kehrkehrkehr zu aufgegebenen künstlerischen Posi- zu aufgegebenen künstlerischen Posi-
tionen. Sondern die rasante Expansion der
künstlerischen Möglichkeiten auf Techniken,
die von den traditionellen Kunstvorstel-
lungen heftig bekämpft wurden, bereiteten
den Boden für einen Pluralismus, dessen
Durchlässigkeit die Grenzen der künstleri-
schenschenschen Disziplinen weitgehend einebnete. Die Disziplinen weitgehend einebnete. Die
Bildkunst fächerte sich zu Bildkünsten auf.
In dem vielgliedrigen Spektrum künst-
lerischer Optionen der Gegenwart zeichnen
sich die umwälzenden Auswirkungen jener
symbolischen Revolution der Kunst in den
Sechziger- und Siebzigerjahren ab, die sämt-
liche Vorstellungen über Kunst erschüttert
und viele zerbrochen haben. Jetzt, wo die
Nebel der Kunstgefechte weichen, entpuppt
sich der Umbruch von damals als Befreiungs-
schlag. Der Fesseln überholter ästhetischer
Konventionen ledig, hat die Kunst ihr Ope-
rationsfeld auf die Wissenschaften, die Sozial-
und Individualpädagogik sowie die politische
und gesellschaftliche Agitation ausgedehnt,
ohne ihr „klassisches Terrain“ der handwerk-
lichen Fertigkeiten und der exemplarischen
visuellen Vergegenwärtigung menschlicher
Erfahrungen und Empfindungen aufzugeben.
Dass die zum Abwinken tot gesagte
Malerei quicklebendig ist, demonstrieren
gleich drei renommierte Kunstmuseen, das
Kunstmuseum Bonn, die Kunstsammlungen
Chemnitz und das Museum Wiesbadenin
umfangreichen Ausstellungen. Als habe esdie
tiefen Zweifel an der Malerei nie gegeben,
trumpfen 53 junge Künstlerinnen und Künst-
lerlerler in großen und kleinen Formaten in großen und kleinen Formatenund
den widersprüchlichsten stilistischenSpiel-
arten auf und belegen mit Erfolg dieunver-
minderte Vitalität der Gattung. Unvermindert
liefert im Übrigen die Malerei beinahe aus-
schließlich den notwendigen Nachschub
für den Auktionshandel und die internatio-
nale Kunstindustrie.
WWWas noch vor wenigen as noch vor wenigen Jahren ungewohnt,
vereinzelt und provokativ war, ist mittler-
weile selbstverständlich und Mainstream:
dass nämlich zu den Aufgaben der Künst-
ler das ernsthafte und nachhaltige Engage-
ment in den sozialen Brennpunkten der
Großstädte gehört oder die kompetente
Mitarbeit bei sozialen und anthropologischen
Feldforschungsprojekten. In den Nieder-
landen werden sie in die Planung neuer
Stadtquartiere einbezogen, und bei der Re-
vitalisierung der abgewirtschafteten Boroughs
von New York und der havarierten Auto-
stadt Detroit und Pittsburgh leisten sie einen
starken Beitrag. Synergetische Effekte er-
geben sich. Künstler sind zudem weit besser
und auch multidisziplinärer ausgebildet
als früher. In politischen Aktionen spielen
performative Handlungsmuster und Inter-
ventionen, ja auch die Künstler, wie gegen-
wärtig in Hongkong, eine führende Rolle
und nutzen das Internet gewitzt als Waffe
gegen die Polizei.
Zwei Faktoren haben den Prozess der
künstlerischen Diversifizierung um die Jahr-
tausendwende beschleunigt: die massenhafte
Verbreitung des fotografierenden Smart-
phones und die Globalisierung. So schaffte das
Smartphone das Privileg der Künstler ab,
gelungene Bilder anzufertigen, und demo-
kratisierte das Bild endgültig. Analog beför-
derte die Globalisierung die Einsicht, dass
die einmal als primitiv eingeschätzten Ge-
genstände außerwestlicher Kulturen Kunst-
werke eigenen Ranges sind und den An-
spruch auf Ebenbürtigkeit rechtfertigen.
Auch wenn sie sich anderen kulturellen Be-
dingungen verdanken.
Insofern zerbröselte nicht nur die ge-
läufige und euro-zentrische Definition der
Kunst, sondern mit der veränderten Einstel-
lung gegenüber den Zeugnissen außer-euro-
päischer Kulturen wandelte sich die Sicht
auf die Welt jenseits des Rahmens traditio-
neller Bildkunst grundlegend. Sie erzwingt
unverbrauchte Maßstäbe des ästhetischenUr-
teils Die Ausläufer der folgenschweren Um-
wälzungen treffen auch das Selbstverständnis
der Museen und Ausstellungsinstitute. Die
sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, vor
allem Institutionen einer Kunstwelt der alten
weißen Männer zu sein, blind für die künst-
lerische Substanz außereuropäischer Kulturen
wie für die ästhetische Qualität der populä-
ren Bildkünste.
Eine Reihe von Kunstmuseen haben
ihren Kurs gewechselt. An der Spitze das
Museum of Modern Art in New York, Flagg-
schiff der autonomen Kunstdoktrin, das
schon seit seiner Gründung dem Kino, der
Fotografie, dem Design und der Architektur
Interesse und Raum gewährt hat. Fortan
werden die Museen vermehrt ihr Augenmerk
auf den vernachlässigten Beitrag der Künst-
lerinnen, auf die Kunst anderer Ethnien
und indigener Minderheiten, auf Comic,
Design und die kommerziellen Künste len-
ken sowie auf die wachsenden Bedürfnisse
der Besucher, die sich nicht mehr mit dem
Part von passiven Kunstbetrachtern begnü-
gen. Auch sie werden ihren Einfluss auf
die Kriterien nehmen, die sich erst mit der
Praxis herausschälen, um zu verhindern,
dass die Kunst in den unweigerlich drohen-
den Abgrund der Beliebigkeit abrutscht.
Mitunter entsteht der
Eindruck, als ob sich
die Kunst alle Probleme
des Planeten auf die
Schultern geladen habe.
Die Perspektiven, die sich
abzeichnen, sind düster,
utopische Visionen selten
und Dystopien die Regel
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