Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

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APÉRO


DICHTER DRAN


TOTETOTE


FARBENFARBEN


Was für Energien werden frei, Was für Energien werden frei,


wenn die Sprachkunst auf die wenn die Sprachkunst auf die


Bildkunst trifft? Für BLAU hören Bildkunst trifft? Für BLAU hören


Lyriker auf den Klang der Kunst. Lyriker auf den Klang der Kunst.


Marcel Beyer, Jahrgang Marcel Beyer, Jahrgang 1965 ,


erinnert sich an seine fruchterinnert sich an seine frucht-


bare Hasenzeit.


Marcel Marcel


BEYERBEYER


Inspiriert vonInspiriert von


Joseph BeuysJoseph Beuys


JOSEPH BEUYSFilzanzugFilzanzugFilzanzug,, 1970


In meiner Hasenzeit habe ich so häufig


mit Joseph Beuys geschlafen, ich


weiß wirklich nicht mehr, wann er


endlich schwanger war. Trächtig,


sollte ich besser sagen, denn wenn wirsollte ich besser sagen, denn wenn wir


zusammen waren, hatte er sozusammen waren, hatte er so


gar nichts von einem Schamanen. Seinegar nichts von einem Schamanen. Seine


Gummistiefel standen im Flur.Gummistiefel standen im Flur.


Wenn er zur Tür hereinkam, hat er denWenn er zur Tür hereinkam, hat er den


Pelzmantel gleich in die EckePelzmantel gleich in die Ecke


geflammt. Niemand wußte von uns.geflammt. Niemand wußte von uns.


Wir wohnten in Flingern, wieWir wohnten in Flingern, wie


alle, die noch im K aufmannsladen nachalle, die noch im K aufmannsladen nach


Schmalz anstehn. A lteingesessene,Schmalz anstehn. A lteingesessene,


ein paar Medizinstudenten in derein paar Medizinstudenten in der


Nachbarschaft. A ltbau, versteht sich.Nachbarschaft. A ltbau, versteht sich.


Küche brauchten wir nicht. Wir ließenKüche brauchten wir nicht. Wir ließen


das Wasser laufen. Hier unddas Wasser laufen. Hier und


da ein Flokati in den weitläufigenda ein Flokati in den weitläufigen


Räumen, Fleischwolke und fusselndesRäumen, Fleischwolke und fusselndes


Gruselfilmmaterial. Wir lebten knietiefGruselfilmmaterial. Wir lebten knietief


in der Rammelwolle, und ich weißin der Rammelwolle, und ich weiß


wirklich nicht mehr, wie viele Junge erwirklich nicht mehr, wie viele Junge er


nach fünf oder sechs oder siebennach fünf oder sechs oder sieben


Wochen warf. Aus MandarinenkistenWochen warf. Aus Mandarinenkisten


vom Gemüsemann zimmerte ichvom Gemüsemann zimmerte ich


uns einen kleinen Stall. Wie er aussah,uns einen kleinen Stall. Wie er aussah,


wenn er schlief. Sie wissen ja,wenn er schlief. Sie wissen ja,


wie es um ihn stand. Lange, bevor imwie es um ihn stand. Lange, bevor im


Rheinland die Rüeblitorte in ModeRheinland die Rüeblitorte in Mode


kam. Einmal die Woche fuhren wir rauskam. Einmal die Woche fuhren wir raus


nach Grafenberg. Manchmal hat unsnach Grafenberg. Manchmal hat uns


der Famulant von gegenüber geimpft,der Famulant von gegenüber geimpft,


bar auf die K ralle. Hier schuf erbar auf die K ralle. Hier schuf er


seine schönsten Werke in toten Farben.seine schönsten Werke in toten Farben.


Grünkohl. Verdorbenes K assler. SaureGrünkohl. Verdorbenes K assler. Saure


Flecke. Ich habe sie alle verbrannt. InFlecke. Ich habe sie alle verbrannt. In


meiner Hasenzeit. Unsermeiner Hasenzeit. Unser


gemeinsamer Nachwuchsgemeinsamer Nachwuchs– ich glaube


mich zu erinnern, es waren zehn.mich zu erinnern, es waren zehn.


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