Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

19


APÉRO


ULF POSCHARDT


KLEIN GANZ GROSS


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nn in aktuellen


politischen


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politischen


WWWDebatten über Debatten über


die Krise des „mehr ist


mehr“ gesprochen wird,


liegt die Rückbesinnung


auf das Kleine und


Bescheidene nahe. Das


Goggomobil zum Bei


1955 in den Anfangs


des Wirtschaftswunders


präsentiert, markierte einen minimalistischen


Nullpunkt automobiler Opulenz. Das so-


genannte Auto der Dingolfinger Kultmarke


Glas war aus der Verbreiterung eines erfolg-


reich verkauften Rollers entstanden. Mitte der


Fünfzigerjahre war der Roller nicht mehr


gut genug für die aufstiegswilligen Deutschen.


Es musste ein Dach über dem Roller her,


und so entstand ein Auto aus einem kleinen


Motorroller: Schon der Name klang niedlich.


Der nur 250 ccm große Zweizylinder sollte


kleine Familien mit kleinem Tempo über klei-


ne Strecken ans Ziel bringen. Der Motor


war so klein, dass auch der Besitzer eines


Motorradführerscheins Klasse 4 den Wagen


fahren konnte. Die 13,6 PS katapultierten


das Goggomobil auf eine Spitzengeschwin-


digkeit von 80 km/h. Das maximale Dreh-


moment betrug 21 Newtonmeter. Das war vor


60 Jahren alles möglich. Das Goggomobil


sah aus wie eine freundliche Comic-Figur:


Es war blecherne Wehrlosigkeit und Humor.


Doch die Zeiten meinten es gut mit dem


Kleinen. Das Coupé des Goggomobils galt als


„Ferrari des kleinen Mannes“. Auch in der


Kleinheit lauerte Würde. Nicht mal drei Me-


ter lang, gut einen Meter breit war dieser


BEWEGTBILD DIE SCHNELLSTEN SKULPTUREN DER WELT


Motorroller mit Dach: Das Goggomobil der


Dingolfinger Kultmarke Glas.


Eine liebevolle Erinnerung an die Nach-


kriegszeit und ihre wundersamen Fantasien


Ich stieß bei einem Festival in Texas, wo


ich selbst meinen ersten Film vorstellte,


auf ihn: Me and My Brother von 1969 von


Robert Frank. Er definiert alles, was sei-


ne Arbeit ausmacht, wie man aus der


Perspektive eines Outsiders auf Ameri-


ka blickt. Das wirkt wie eine poetische


Befreiung. Dem Marginalen wird eine


zentrale Rolle gegeben, der Under-


ground einer Analyse unterzogen. Da-


bei nimmt die Geschichte abrupte Wen-


dungen, das Genre Dokumentarfilm


wird auf den Kopf gestellt und plötzlich


zur Fiktion. Der Bruder Julian, die


Hauptfigur, ist emotionslos. Höhepunkt


ist, als er anfängt zu sprechen. Er ist


selbst wie eine Kamera, der nur die Welt


um sich herum beobachtet. Die Ver-


schiebung von Realität und Imaginati-


on, von Farbe und Schwarz-Weiß geht


ständig vor und zurück, in Julians Welt


rein und wieder raus. Man fragt sich: Ist


es ein Film, oder ein Film über einen


Film? Das hat mich bestätigt in der Art,


wie ich selbst Filme machen wollte.


Me and My Brother, 1969, ein Film von


Robert Frank


ROSA BARBA


über den Film


ME AND MY BROTHER


Wagen, den es als Limousine, Coupé, Roads-


ter und Transporter gab, ein unglaublicher


Erfolg im Nachkriegsdeutschland, in dem das


Land der Täter sich leise an den Rest Euro-


pa heranschlich – in Zurückhaltung. Über


280.000 Exemplare wurden bis 1969 ver-


kauft. Als die Firma Glas das Cabriolet in


den USA verkaufen wollte, gab es Schulter-


zucken bei den Tankwarten, weil der Zwei-


takter mit einem Benzin-Öl-Gemisch gefüt-


tert werden musste. Für die Kinder der


Siebzigerjahre war der Anblick des Goggo-


mobils die Erinnerung an eine Zeit, die


Eltern und Großeltern liebevoll verdrängt


hatten: die Nachkriegszeit und ihre relative


Armut. Goggomobil und Isetta waren Mahn-


male der Erinnerung an Zeiten in Sicht-


weite des Krieges und der zerstörten Städte.


Heute leben die Goggos als Oldtimer und


wirken wieder wie Boten aus der Zukunft.


Weil alles kleiner werden soll. Weil klein ganz


groß ist. Und groß böse.


nn in aktuellen


politischen


Debatten über


„mehr ist


mehr“ gesprochen wird,


liegt die Rückbesinnung


auf das Kleine und


Bescheidene nahe. Das


Goggomobil zum Beispiel,


1955 in den Anfangswogen


des Wirtschaftswunders


präsentiert, markierte einen minimalistischen


Nullpunkt automobiler Opulenz. Das so-


Eine liebevolle Erinnerung an die Nach


kriegszeit und ihre wundersamen Fantasien


der Bescheidenheit


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